Was haben eigentlich die Nazis, die Achtundsechziger und die Islamisten miteinander gemeinsam – außer, dass sie alle im höchsten Maße unsympathisch sind?
Alle drei waren beziehungsweise sind Bewegungen junger Männer, alle drei verstanden sich als rebellisch und alle drei waren das genaue Gegenteil davon.
Die Nazis fanden ihre Väter nicht hinreichend national, die Achtsechziger nicht hinreichend liberal, die Islamisten nicht hinreichend islamisch. Bei allem revolutionären Gehabe bestand die sogenannte Rebellion also ausschließlich darin, die gesellschaftliche Leitideologie streberhaft auf die Spitze zu treiben. Da es sich jeweils um genau diejenige Ideologie handelte, der auch ihre Väter sich verpflichtet fühlten, bekamen sie das gute Gefühl, besser zu sein als die Eltern, von denen sie sich nichts mehr sagen lassen wollten, und dies gewissermaßen zum Nulltarif: ohne geistige Anstrengung, ohne irgendeine Leistung, mit der sie sich den Respekt ihrer Eltern oder der Gesellschaft verdient hätten, ohne das Risiko, sich ernsthafter Kritik stellen zu müssen.
Der moslemische Familienvater, dem es nicht gelingt, die Radikalisierung seines halbwüchsigen Sohnes zu verhindern, weil dieser Sohn sich auf den Koran berufen kann, ist in derselben misslichen Lage wie liberale Eltern, deren ganzer Stolz darin bestand, ihre Kinder zur Toleranz zu erziehen, und sich nun schwertun, diesen Kindern in den Arm zu fallen, wenn diese ihrerseits die ganze Gesellschaft „zur Toleranz erziehen“ wollen – und sei es mit SA-Methoden.
Die spezifische Duftmarke solcher Bewegungen ist jener Mief, der stets dort entsteht, wo die Lüge zur Ideologie wird, die konformistische Substanz die rebellische Form dementiert und die Flucht in die Gewalt gegen Andersdenkende diese strukturelle Lüge vergessen machen soll.
Der populäre Gemeinplatz, junge Leute und vor allem junge Männer seien sozusagen von Natur aus rebellisch, stimmt einfach nicht: Sie sind es, wie wir sehen, selbst dann nicht, wenn sie den Anspruch erheben, es zu sein. In langen Phasen der Geschichte haben sie diesen Anspruch aber gar nicht erhoben. Sie erheben ihn, wenn die Elterngeneration selbst orientierungslos ist und ihnen deshalb keine Orientierung zu geben vermag. Typisch für solche Eltern ist der kriecherische Beifall, den sie ihren missratenen Sprösslingen selbst dort spenden, wo der gesunde Menschenverstand eines Erwachsenen ihnen sagen müsste, dass sie ihnen damit gerade keinen Gefallen tun – denn diesen Verstand haben sie selbst nie entwickelt.
Eine Gesellschaft, die ihren Liberalismus ohne Rücksicht auf Verluste derart auf die Spitze treibt, dass sich niemand mehr auf irgendetwas verlassen oder an irgendetwas orientieren kann, überfordert eben nicht nur Moslems oder überhaupt Einwanderer – diese sicherlich ganz besonders –, sondern den Menschen schlechthin.
Die Flucht der jungen Männer in eine besonders rigide Version der gesellschaftlichen Leitideologie – für Nazis, Achtundsechziger und Islamisten gleichermaßen charakteristisch – ist der Versuch, sich selbst nachträglich die Orientierung zu verschaffen, die ihre Eltern ihnen schuldig geblieben sind. Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Eltern verachtet werden, und eine Elterngeneration, die mit dieser Art Rebellion konfrontiert wird, hat versagt. Eine – scheinbar – rebellierende Jugend ist alles andere als ein natürliches Phänomen: Sie ist ein Krisensymptom.
Da die Flucht in die totalitäre Verhärtung die existenzielle Verunsicherung aber nicht beseitigt, sondern nur überdeckt, wird sie auch an die jeweilige Nachfolgegeneration weitergegeben, die sich ihrerseits in eine Pseudorebellion flüchtet. Die natürliche Folge ist ein Islamismus, der mit jeder neuen Generation verbreiteter und brutaler wird, und ein Achtundsechzigertum, das sich jetzt in der dritten Generation austobt und dabei – vom Kampf gegen Rechts über den Multikulturalismus bis hin zur systematischen Verschwulung der Gesellschaft – nicht nur alle Restbestände an gesundem Menschenverstand, sondern sogar an genuin gesellschaftskritischer Substanz eingebüßt hat.
Was uns heute als „links“ gegenübertritt, ist folgerichtig die amoklaufende Destruktivität gestörter Persönlichkeiten, denen jeder Kompass, sogar der marxistische, abhandengekommen ist, und die deshalb wie geschaffen dafür sind, einem ebenso destruktiven Establishment als Speerspitzen und Kettenhunde zu dienen. Dass sie sich ungeachtet ihrer offensichtlichen Kumpanei mit den gesellschaftlichen Machteliten noch immer für „kritisch“ oder gar „revolutionär“ halten, dokumentiert ihren geistigen Bankrott.