Hans Jürgen Krysmanski: "Hirten & Wölfe"

Rezension

Wer die Strukturen des globalistischen Regimes beschreiben will, tut gut daran, sich nicht nur mit solchen Autoren auseinanderzusetzen, die von seinem eigenen ideologischen Standpunkt ausgehen, in meinem Fall also von einem konservativen. Zu groß ist die Gefahr, wichtige Sachverhalte schon deshalb zu übersehen, weil die eigene ideologische Brille sie ausblendet.

Gerade dort, wo es um die Analyse vor Herrschaftsstrukturen geht, leisten linke Ideologien sowohl liberaler wie marxistischer Provenienz immer noch gute Dienste. Das globale System etwa von einem radikalliberalen bzw. libertären Standpunkt zu betrachten, schärft den Blick für die permanente und systematische Enteignung der Mittelschichten zugunsten großer Finanzoligopole durch ein inflationstreibendes Geldsystem, kombiniert mit ausufernder Staatsverschuldung. Dies war, trotz aller Kritik, eine Stärke von Oliver Janichs „Kapitalismus-Komplott“, das ich neulich rezensiert habe.

Ähnliches gilt für das Werk „Hirten & Wölfe. Wie Geld- und Machteliten sich die Welt aneignen“ des marxistischen Soziologen Hans-Jürgen Krysmanski, auf das ich schon vor einiger Zeit aufmerksam gemacht und das ich jetzt gelesen habe. Krysmanski kritisiert die Neigung der meisten linken Analytiker, Herrschaftsstrukturen rein abstrakt zu beschreiben und dabei die Tätigkeit konkreter Akteure auszublenden. (Ein Vorwurf übrigens, den auch ich mir gefallen lassen muss: Auch ich neige dazu, lediglich abstrakt zu analysieren, wie Herrschaft funktioniert und die Frage, wer herrscht, eher auszublenden.)

Von einem marxistischen Standpunkt ist es freilich ganz besonders inkonsequent, sich um die Frage zu drücken, wer eigentlich die herrschende Klasse ist. Krysmanskis Verdienst ist es, herauszuarbeiten, dass im Zentrum jenes verwirrenden Systems von politischen Eliten, Wissenschafts- und Medieneliten, Konzernen, Stiftungen, Think Tanks, Geheimdiensten und supranationalen Organisationen nicht einfach nichts ist. Dass es sich um ein Machtkartell handelt, ist – wenigstens im Prinzip – noch leicht zu durchschauen, aber nicht ohne weiteres, wem es dient. Krysmanski benennt als Zentrum dieses Systems die wenigen Tausend Superreichen (Menschen mit mehr als 1 Milliarde US-Dollar liquiden Vermögens) dieses Planeten. Deren Reichtum bedeutet nicht nur theoretisch enorme Macht, er wird auch genau in diesem Sinne eingesetzt.

Der Autor steht in der Tradition der amerikanischen Power Structure Research und beruft sich vor allem auf die Pionierarbeit von C.W. Mills und dessen 1956 erschienenes Werk „The Power Elite“ und auf William Domhoffs „Who Rules America“, das immer wieder aktualisiert wird. Im Zentrum politischer Entscheidungsprozesse in den Vereinigten Staaten stehen demnach der private Reichtum in Verbindung mit dem von ihm abhängigen Konzernen, die ihre Wirklichkeitsbeschreibung über die von ihnen dotierten Universitäten, Stiftungen und Think Tanks dem eigentlichen Entscheidungsprozess als Prämissen vorgeben, über Planungsgruppen wie den Council of Foreign Relations zu Strategien verdichten und über Lobbyisten und personelle Verflechtungen direkt in Washington in die gewünschte Politik umsetzen. Mit der offiziellen Beschreibung der Funktionsweise eines demokratischen Systems hat dies nichts zu tun. Formal funktioniert die Entscheidungsfindung im Rahmen der Verfassung, effektiv kann keine Entscheidung getroffen werden, die nicht wenigstens eine Fraktion der Plutokratie hinter sich hat.

Dass es innerhalb dieser Geldmachteliten verschiedene Fraktionen, ideologische Differenzen und auch handfeste Interessenkonflikte gibt, versteht sich; man darf sie sich also nicht einfach als geschlossenen Block vorstellen. Sie verfügen aber sehr wohl über die Macht, bestimmte Optionen auszuschließen (zum Beispiel den Isolationismus). Europäische Superreiche sind in dieser Hinsicht deutlich weniger organisiert, daher reicht die Macht des amerikanischen Establishments, seine Fähigkeit, die eigene Wirklichkeitsdefinition durchzusetzen, bis weit nach Europa. Zumal die amerikanischen Eliten es verstehen, Europäer zu kooptieren.

Krysmanski beschreibt die Struktur dieser Herrschaft, die er den Geldmachtkomplex nennt, als ein System konzentrischer Kreise:

  • Im Inneren die Klasse der Superreichen,
  • darum herum die von ihnen kontrollierten Konzerne mitsamt deren Funktionseliten, deren Aufgabe es ist, den Reichtum der Superreichen noch zu mehren und die dabei gerne auch selber reich werden dürfen (wenn auch nicht superreich: Der Aufstieg in die Milliardärssphäre gelingt nur in wenigen Ausnahmefällen),
  • darum herum die politischen Eliten, die durch Einflussnahmen aller Art bis hin zur direkten Korruption auf Linie gehalten werden und deren Aufgabe darin besteht, Massenloyalität zu besorgen und die Verantwortung für Missstände zu übernehmen, an denen sie in Wahrheit nichts ändern können, weil sie strukturell bedingt sind.
  • Den äußersten Ring bilden die Ideologieproduzenten – Medien, Unterhaltungsindustrie, Wissenschaft usw. -, die zum Teil ganz offiziell unter der Kontrolle der inneren Kreise arbeiten, zum Teil dadurch auf Linie gehalten werden, dass man die maßgeblichen Funktionsträger kauft, in der Wissenschaft zum Beispiel durch Drittmittelvergabe oder indem man Professoren einträgliche Nebentätigkeiten, Beraterverträge etc. zuschanzt.

Übrigens kommt es weder in der Politik noch in den Medien noch in der Wissenschaft darauf an, alle Akteure zu kaufen; lediglich auf einige strategisch plazierte Figuren kommt es an, der Rest ist Fußvolk.

Was ich als den „Neuen Adel“ beschrieben habe, ist unter diesem Gesichtspunkt ein Dienstadel – Krysmanski nennt sie „dienstbare Geister“, bis hinauf zu den Vorstandsvorsitzenden von Großkonzernen -, der dem wirklichen Souverän, den Superreichen, dient.

Mir leuchtet dieses Modell ein. Vor allem erklärt es, und zwar ohne auf die Denkfigur gigantischer Massenverschwörungen zurückzugreifen, warum ganze gesellschaftliche Teilsysteme offenkundig völlig anders funktionieren als die soziologischen und politikwissenschaftlichen Standardtheorien unterstellen.

Der Geldmachtkomplex rekrutiert sein Personal durch Kooptation, d.h. es ist praktisch unmöglich, an die Hebel der politischen Entscheidungsmacht oder der medialen und wissenschaftlichen Definitionsmacht zu gelangen, wenn man dem Komplex nicht genehm ist. Mit Leistung hat dies wenig zu tun, mit Loyalität, schützender Borniertheit oder Käuflichkeit umso mehr.

Zwei Schwächen sehe ich an dem Buch:

Zum einen handelt es sich um ein Kompilat aus verschiedenen Texten. Auch wenn Krysmanski sein Thema auf diese Weise unter verschiedenen Blickwinkeln analysiert, wiederholt sich doch Vieles (und zwar gerade das Grundlegende), der innere Zusammenhang der einzelnen Theoreme ist nicht immer klar, und eine Vertiefung einzelner Themen bleibt oft dort aus, wo man sie sich wünschen würde. Im Grunde fängt der Autor in jedem Kapitel wieder bei Null an.

Zum anderen machen sich die blinden Flecken der marxistischen Theorie störend bemerkbar: wenn er zum Beispiel zutreffend schreibt, dass die exzessive Staatsverschuldung praktisch sämtliche Steuerzahler in ein Verhältnis der Schuldknechtschaft zum Finanzkapital bringt, ohne aber die Frage zu stellen, ob die Funktion des Sozialstaats aus der Sicht des Geldmachtkomplexes nicht gerade darin bestehen könnte, diese Verschuldung zu provozieren; der Sozialstaat ist sakrosankt. Oder wenn er feststellt, dass die CIA während des Kalten Krieges linksliberale Künstler gefördert hat, während zugleich große Stiftungen die schwarze Bürgerrechtsbewegung unterstützten. Der Autor sieht darin vor allem einen PR-Trick, der den Westen im Kalten Krieg besser aussehen lassen sollte. Nun, das war es wahrscheinlich auch.

Nur sind solche liberalen Initiativen auch heute noch Teil der Politik des Geldmachtkomplexes. Gerade vom Standpunkt einer marxistischen Gesellschaftsauffassung müsste sich die Frage aufdrängen, ob die Zerstörung traditioneller Werte und Strukturen, die schon immer mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden war, womöglich gezielt als Herrschaftsinstrument eingesetzt wird.

Der Marxist Krysmanski und der Radikalliberale Janich haben zumindest dies gemeinsam, dass sie die jeweils konkurrierende Ideologie für die Schattenseiten dieses globalen Herrschaftssystems verantwortlich machen: Während bei Janich letztlich alles auf „Kommunismus“ zurückzuführen ist, macht Krysmanski den Neoliberalismus verantwortlich. Damit hat er zwar immer noch eher Recht als Janich, verfehlt aber wie er ein entscheidendes Merkmal dieses Systems.

Das Prinzip der Kooptation gilt ja nicht nur für Einzelpersonen, sondern für ganze politische Bewegungen. So kommt es, dass die drei klassischen Richtungen modernen politischen Denkens – also der Marxismus, der Liberalismus und der Konservatismus – in dieses System integriert werden konnten; der Letztere freilich nur in einer so entstellten Form, dass seine systeminternen (europäischen) Vertreter ohne Weiteres als Verräter erkennbar sind, während dies bei den beiden linken Ideologien nicht unbedingt auf den ersten Blick auffällt.

Wie auch immer, jede der drei Richtungen existiert sowohl in einer affirmativen und systemkonformen als auch in einer kritischen und systemoppositionellen Variante. Die Kooptation von Liberalen, Konservativen und Sozialisten in das System hinein bedeutet, dass auch schwerwiegende politische Differenzen zwischen diesen Fraktionen niemals zur Infragestellung des Herrschaftssystems als solchem führen können. So weit würde Krysmanski sicherlich noch mitgehen.

Ich behaupte nun aber, dass die merkwürdige Teilblindheit von Liberalen wie Marxisten damit zu tun hat, dass dieses Herrschaftssystem sich von früheren Formen autoritärer und totalitärer Herrschaft dadurch unterscheidet, das es nicht versucht, die Gesellschaft zu stabilisieren. Dass die bewusste Strukturzersetzung Teil des Herrschaftssystems ist, dass deswegen liberale und linke Ideologie aus dem Geldmachtkomplex heraus propagiert wird, ist eine Peinlichkeit, die systemkritische Vertreter beider Richtungen herunterzuspielen versuchen.

Das qualitativ Neue an diesem heraufziehenden System totaler Herrschaft besteht gerade darin, dass es sich Entwicklungen zunutze macht und sie aktiv vorantreibt, die von Liberalen wie von Sozialisten als „progressiv“ verstanden werden: Die Auflösung der Familie, die Entwertung der Religion, die Entgrenzung der Völker, die Entmachtung der Nationalstaaten. Was hier zersetzt wird, sind die Strukturen, die menschliche Solidarität ermöglichen. Im Grunde wird die ganze Idee zerstört, dass die Gesellschaft mehr sei als die Summe von Einzelnen, und dass der Einzelne sich daher mit einem gedachten Ganzen solidarisieren sollte. Die Idee wird dadurch zerstört, dass sie als Wirklichkeit nicht mehr erfahrbar ist.

Bezeichnenderweise werden Krysmanskis Gedanken dort besonders schwammig, wo er sich auf die Suche nach dem revolutionären Subjekt macht, dass die Herrschaft überwinden soll. Seine dialektische Prämisse, dass jede Gesellschaftsformation die sie überwindende revolutionäre Klasse hervorbringt, lässt ihm gar keine andere Wahl, als nach einer solchen Klasse Ausschau zu halten. Wie verzweifelt diese Suche sein muss, lässt sich daran ermessen, dass er Hardt/Negris „Empire“ zustimmend mit den Worten zitiert:

[Der] Wille, dagegen zu sein, bedarf in Wahrheit eines Körpers, der vollkommen unfähig ist, sich an ein familiäres Leben anzupassen, an Fabrikdisziplin, an die Regulierungen des traditionellen Sexuallebens.

Was da beschrieben wird, ist ein asozialer, solidaritätsunfähiger Mensch. Wer sich nicht einmal mit den eigenen Kindern solidarisiert, wird sich mit überhaupt niemandem solidarisieren, und nichts ist den Herrschenden bequemer als eine atomisierte Gesellschaft von Hedonisten. Genau dieser Typ Mensch ist aus genau diesem Grund das Leitbild des Systems, und eine Dialektik, die ihn zum Agenten der revolutionären Umwälzung umdeuten will, kann nur auf unseriösem Wunschdenken beruhen. Dieses globalistische System wird überhaupt nichts hervorbringen, schon gar kein revolutionäres Subjekt; es wird einfach die Zivilisation zerstören. Wenn Krysmanski dies anerkennen würde, müsste er freilich Schlüsse ziehen, die nach seinem Verständnis hochgradig „reaktionär“ wären.

Im Ganzen ist Krysmanskis Buch ungeachtet dieser Kritik ein hochinteressantes Werk. Es bietet einen theoretischen Rahmen, der als solcher überzeugt und nicht nur für Marxisten ausbaufähig ist; der Autor fordert seine Leser ausdrücklich dazu auf, die konkreten empirischen Forschungen in einem weltnetzbasierten gemeinsamen Erkenntnisprozess selber anzustellen und weist auf einer Reihe von Netzseiten hin, die hierbei gute Dienste leisten können (die meisten finden sich auch auf seiner Netzseite http://www.hjkrysmanski.de/, weswegen ich mir hier die Tipparbeit spare).

Die interessanteste Erkenntnis für mich war allerdings, dass sich zwischen den Kritikern des Globalsystems ein lagerübergreifender Konsens darüber abzuzeichnen beginnt, wie dieses System funktioniert.