Ja, ich gebe es zu: Man hätte es mir nicht recht machen können.
Der Vertrauensvorschuss, den ich der Kirche selbstverständlich einräumen sollte, ist durch den Rücktritt Benedikts XVI. bis auf einen kleinen Rest zusammengeschmolzen. Denn wenn man sich auf einen Ratzinger nicht verlassen kann, auf wen dann? Und sollen wir wirklich glauben, dass Gott sich bieten lässt, dass der Papst ihm den Krempel vor die Füße wirft, und dann eilfertigst einen Nachfolger beauftragt? Ich kann das nicht glauben. Kirchenrechtlich musste das Konklave einen neuen Papst wählen, kirchentheologisch hat es damit die Rechte Gottes usurpiert. Ich fürchte, auf einer solchen Wahl ruht kein Segen.
Man hätte es mir nicht recht machen können: Es gab im gesamten Kardinalskollegium keinen Kandidaten, dem ich uneingeschränktes Vertrauen entgegengebracht hätte; aber den einen oder anderen hätte es doch gegeben, bei dem meine Bauchschmerzen geringer gewesen wären als bei Kardinal Bergoglio: einem 76jährigen. Nichteuropäischen. Liberalen. Jesuiten. Der sich obendrein ausgerechnet "Franziskus" nennt. Wir waren ja alle darauf vorbereitet, dass wir nicht Pius XIII. bekommen würden, aber Franziskus I. klingt wie eine Drohung:
Dass der neue Papst sich besonders für die sozialen Aspekte des Katholizismus interessiert – unter anderem dies bringt er mit der Namenswahl zum Ausdruck – und die Kirche an der Seite der Armen sieht, ist dabei keineswegs per se problematisch. Die Soziallehre gehört zum Katholizismus, und dass ein Papst kapitalismuskritisch eingestellt ist, sollte sich geradezu von selbst verstehen.
Problematisch wird diese Namenswahl erst durch das Umfeld, in das dieses Signal gesendet wird. Was aus einer Botschaft wird, entscheidet nämlich nicht deren Sender, sondern ihr Empfänger. Empfänger ist eine Gesellschaft, die im tiefsten Sinne gottlos geworden ist, und die die Kirche, sofern sie sich auf das Wort und den Willen Gottes beruft, nicht erträgt. Sie erträgt diese Kirche nur, sofern diese bereit ist, ihre theologische Terminologie zur sakralen Überhöhung linker Politik zur Verfügung zu stellen und eine politische, das heißt gottferne Agenda mit dem Weihwasser einer frommen Phraseologie zu besprengen.
Es gibt in der Kirche genug Verräter, zweifellos auch im Bischofsornat, die gerne den Weg der liberalprotestantischen Kirchen Europas mitgehen würden, deren mangelnde religiöse Strahlkraft etwas damit zu tun hat, dass sie an ihre eigene Botschaft nicht mehr glauben, und die ihre daraus resultierenden Akzeptanzprobleme durch beifallheischende Kotaus vor der Political Correctness zu kompensieren versuchen – und würden sie Christus und die durch ihn verkörperte Wahrheit damit zehnmal verraten. Die nach dem Beifall einer gottlosen Journaille lechzen wie Judas nach den dreißig Silberlingen, ohne in ihrer Verblendung zu merken, dass diese Art von Beifall die Kirche bestenfalls so stützt wie Lenins sprichwörtlicher Strick den Gehenkten. Selbst wenn Bergoglio es nicht so gemeint haben sollte – seine Namenswahl allein wird für viele unsichere Kantonisten im Klerus eine Ermutigung sein, sich für genau diese Art von Beifall zu prostituieren.
(Dass deutsche Journalisten uns Bergoglio als einen Konservativen verkaufen, nur weil er gegen Abtreibung und Homo-Ehe ist, dokumentiert nur ihre eigene autistische Befangenheit in einer linken Ideologie, die sie gar nicht mehr wahrnehmen lässt, dass solche Positionen für einen katholischen Bischof nicht Ausweis einer besonders konservativen Einstellung, sondern eine Selbstverständlichkeit sind; die sie übrigens noch vor gar nicht allzu langer Zeit in der gesamten christlichen Welt waren. An dem Tag, wo es anders wäre, könnte die Kirche zumachen.)
Man muss sich nur anschauen, wer die Leute sind, die sich jetzt freuen, und aus welchen Gründen sie sich freuen: Der DLF-Journalist Peter Kapern, der heute abend – selbstverständlich, möchte man sagen – keinen einzigen Konservativen interviewte, hat uns in seinen Interviews schon einmal eine kleine Auswahl präsentiert: den Hamburger Weihbischof Jaschke ("Ich als katholischer Bischof habe ein Interesse daran, dass Muslime in Deutschland ihren Glauben behalten"), einen aus der Riege jener Bischöfe, die durch die Medien tingeln, ohne zu erklären, was Katholizismus ist (vermutlich, weil sie es selber nicht wissen); die CDU-Politikerin Julia Klöckner, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, die den üblichen liberalen Reformwunschzettel abspulte; ein Fuzzi von "Wir sind Kirche".
Was die alle begriffen haben: Während der Namen Benedikt mit der hohen laufenden Nummer 16 für Kontinuität stand, steht der Name Franziskus, den es vorher noch nie als Papstnamen gab, für das, was in diesen Kreisen "Aufbruch" und "Neuanfang" heißt, womit aber nicht etwa notwendige Reformen im kurialen Verwaltungsapparat gemeint sind, sondern ein scharfer Bruch mit der bisherigen Theologie. Wenn sie sich eine "weltoffenere" Kirche wünschen, heißt das: eine noch mehr verweltlichte Kirche, eine, die sie noch weniger daran hindert, sich Gott nach ihrem eigenen Bilde zu schaffen und sich ihre Glaubenswahrheiten selbst auszudenken.
Überhaupt ist es bezeichnend, mit welchem Scharfblick gerade die Feinde der Kirche die Zeichen eines Verfalls erkennen, den viele Katholiken sich immer noch schönzureden versuchen. Beim Rücktritt Benedikts waren es ebenfalls die üblichen Verdächtigen, zum Beispiel die Freimaurer, die diesen Schritt genau deshalb bejubelten, weil er ein weiterer – und zwar großer – Schritt zur "Entmystfizierung", zu deutsch: zur Profanisierung und Banalisierung der Kirche war.
Ich würde diesen üblichen Verdächtigen gerne bescheinigen, dass die Hoffnungen, die sie auf Franziskus setzen, Illusionen seien. Allein das merkwürdige Zustandekommen dieses Pontifikats lässt mich daran zweifeln:
Wie wir jetzt erfahren – es war schon länger bekannt, aber man hatte sich nicht damit beschäftigt – kommt die Wahl Bergoglios keineswegs so überraschend, wie die Presse es jetzt darstellt. Tatsächlich war er schon 2005 der Kandidat der Anti-Ratzinger-Fraktion gewesen und hatte eine Sperrminorität von beachtlichen 40 Stimmen auf sich vereinigt. (Sofern die Berichte zutreffen, die naturgemäß niemand nachprüfen kann, hatte diese Fraktion am Ende nur deshalb aufgegeben, weil Ratzingers Anhänger ihn spätestens im 34. Wahlgang mit ihrer absoluten Mehrheit hätten durchsetzen können.) Angesichts von Bergoglios jetzt tatsächlich erfolgter Wahl ist die Vermutung mehr als naheliegend, dass der Kern seiner Anhängerschaft aus denselben Kardinälen besteht, die ihn schon 2005 unterstützt hatten, um Ratzinger zu verhindern.
Niemand, außer deutschen MSM-Journalisten bzw. deren Lesern, wird so naiv sein zu glauben, dass angesichts dieser Vorgeschichte die Wahl Bergoglios, zumal sie in fünf Wahlgängen und damit vergleichsweise rasant erfolgte, etwas Anderes als ein abgekartetes Spiel war, und wenn wir unterstellen, dass es eine Gruppe von Kardinälen gibt, die über Jahre hinweg auf ihn eingeschworen war, dann erscheint die mangelnde Loyalität von Teilen der Kurie gegenüber Benedikt XVI., die ihn letztlich zum Rücktritt getrieben hat, in einem neuen Licht, nämlich als Teil einer mit langem Atem verfolgten Intrige.
Warum aber muss es ausgerechnet dieser Mann, warum Bergoglio sein? Er entspricht überhaupt nicht den Kriterien, die vorher so hochgeschrieben wurden: Er ist relativ alt, und die vielbeschworenen Management-Qualitäten sagt ihm auch niemand nach. Besondere theologische Leistungen sind nicht bekannt. Vielleicht wünschte man sich einen besonders "pastoralen" Papst, und das ist er zweifellos, aber davon gibt es doch bestimmt genügend auch unter den jüngeren Kardinälen. Und wenn er sonst so herausragende Fähigkeiten hat: Warum sind die zwischen den beiden Konklaves so wenig aufgefallen, dass niemand ihn unter die Favoriten gerechnet hat? Warum hat gerade dieser Mann eine Anhängerschaft im Kardinalskollegium, die sich offenkundig in den Kopf gesetzt hatte, ihn auf Biegen und Brechen und über zwei Konklaves hinweg durchzusetzen?
Ich fürchte, es geht nicht um den Mann, es geht um eine Agenda. Um eine Agenda, die wir nicht kennen, und die aus Gründen, die wir ebenfalls nicht kennen, mit genau dieser Person verknüpft ist. Welche Agenda das ist?
Die Antwort werden wir vermutlich ziemlich bald bekommen, und ich fürchte mich vor ihr.