Es gibt zwei Arten, Marx zu lesen: Die eine wird von den – gar nicht wenigen – gelernten Marxisten in unserer politischen Klasse bevorzugt. Sie lautet, dass der Kapitalismus bzw. dessen systemimmanente Krisenhaftigkeit es gar nicht zulassen, ihn sich selbst zu überlassen, und dass deswegen jede nur erdenkliche Art von Aufgabe am besten beim Staat aufgehoben ist.
Solche Menschen sind dann zum Beispiel der Meinung, es sei Sache der Bundesregierung zu entscheiden, welche Antriebstechnologie zukünftig in Kraftfahrzeugen eingesetzt werden sollte, und fördern deswegen die Entwicklung des Elektroautos. Und weil das Wort „fördern“ allzu schlicht klingt, setzen sie gleich einen „Nationalen Entwicklungsplan“ in die Welt, ganz so, als sei Deutschland ein Drittweltland, das „Entwicklungspläne“ nötig hätte. (Auch dies sagt freilich etwas über die in den Köpfen deutscher Politiker herumgeisternden Ideologien aus, dass sie relativ triviale verkehrspolitische Ankündigungen in ein Vokabular kleiden, mit dem früher wohl die „Prawda“ den Staudamm von Dnjepropetrowsk gepriesen hat. Von der Parole „Sozialismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung“ zu dem Slogan „Sozialismus ist Sozimacht plus Elektroauto“ ist es fürwahr kein großer Schritt.)
Zwar würden die individuellen Entscheidungen der beteiligten Akteure – Verkehrsteilnehmer, Hersteller, Anbieter von Verkehrsdienstleistungen etc. – wahrscheinlich ganz von allein zu einem Ergebnis nahe am verkehrspolitischen Optimum führen, d.h. nahe an einem schnellen, kostengünstigen, leistungsfähigen und flexiblen Verkehrssystem. Das ist aber genau nicht gewollt, weil es nicht um die Optimierung des Verkehrssystems geht, sondern weil die politische Klasse entschieden hat, dass jeder nur erdenkliche Politikbereich, auch und gerade die Verkehrspolitik, zum Büttel der Umwelt-, genauer: der Klimapolitik gemacht werden soll.
Deshalb wird dem Verkehrssystem eine umweltpolitische Vorgabe übergestülpt, die weder dem Verkehr noch dem Klima nützt, wohl aber einer politischen Klasse, die mit demonstrativem Aktivismus ihre eigene Unentbehrlichkeit unter Beweis zu stellen versucht, in Wahrheit aber bloß ihre geistige Impotenz demonstriert.
Wenn sie sich nämlich die andere Lesart des Marxismus angeeignet hätte, dann würde sie versuchen, die Verhältnisse dadurch zum Tanzen zu bringen, dass sie ihnen ihre eigene Melodie vorspielt. Sie würde also nicht versuchen, ohne Rücksicht auf den systemischen Kontext ein dem System Verkehr fremdes umweltpolitisches Ziel durchzusetzen. Sie hätte das gar nicht nötig.
Welche technologischen Entwicklungen bestimmen denn heute schon den Straßenverkehr?
- vollautomatische Navigationssysteme
- vollautomatische Hilfen (Abstandswarner, Sekundenschlafwarner, Spurwarner, Einparkhilfen, und die Entwicklung schreitet zügig voran) für den Autofahrer, die sich in absehbarer Zeit den Fahrer überflüssig machen
- zentrale und dezentrale rechnergestützte Verkehrslenkungssysteme
Man muss nicht viel mehr tun als Eins und Eins zusammenzuzählen, um zu wissen, was diese Entwicklungen zusammengenommen bedeuten:
Sie bedeuten, dass automobile Fahrzeuge in Zukunft ohne Fahrer auskommen, selbsttätig ihr Ziel finden, und dabei so gesteuert werden können, dass sie optimal koordiniert sind – d.h. seltenes Bremsen und Anfahren und enges Windschattenfahren als Normalfall mit entsprechender Energieersparnis, äußerst geringer Bedarf an Fahrzeugen (weil man praktisch nur noch eine Art fahrerloser Taxen braucht, die man bei Bedarf per Handy ordert, kein eigenes Auto, und deshalb mit vielleicht 20 Prozent der gegenwärtigen Fahrzeugflotte auskommt). Ein solches Verkehrssystem – das mit den heutigen Technologien realisierbar ist – ist nicht nur schnell, kostengünstig, leistungsfähig und flexibel – es ist auch ökologischer, als ein Elektroauto jemals sein wird.
Dieses Verkehrssystem wird es geben, garantiert. Es wird nur nicht in Deutschland entwickelt werden, weil unser Land seine Politiker nach Kriterien auswählt, zu denen die Fähigkeit, Eins und Eins zu addieren, nicht gehört.