Die Frankenstein-Ideologie

Als ich in meinem letzten Artikel „…und ihr werdet sein wie Gott!“ gezeigt habe, welchen Dammbruch es darstellt, dass DNA jetzt künstlich synthetisiert werden kann, und vor den Konsequenzen gewarnt habe, die die Anwendung solchen Wissens in einer gottlosen Gesellschaft nach sich ziehen muss, da meinte der Kommentator Thomas:

Alle hier lesenden und kommentierenden Schwarzseher sollten zur Abrundung die Einschätzung eines Biologen durchlesen.

Und verwies auf diesen Text des amerikanischen Biologen PZ Myers. Offenbar in gutem Glauben, die Einschätzung des „Experten“ werde solch unbedarfte Menschen wie mich eines Besseren belehren.

Nun, ich habe diesen Text gelesen. Er beweist das Gegenteil von dem, was er nach Thomas‘ Meinung beweisen soll. Insofern bin ich dankbar für die Steilvorlage, auch wenn sie nicht beabsichtigt war:

Myers beginnt bereits in der Überschrift mit dem Pauschalvorwurf, alle Kritiker seien uninformiert. Das übliche Totschlagargument von Ideologen, die sich in den Mantel des „Experten“ hüllen (Biologen sind da keinen Deut besser als Islamwissenschaftler.), damit die Dürftigkeit ihrer Argumente nicht so auffällt. Von Argumenten wie den folgenden:

Er zitiert aus der Daily Mail:

But there are fears that the research, detailed in the journal Science, could be abused to create the ultimate biological weapon,

und antwortet darauf

What they’ve accomplished is to synthesize a copy of an existing organism, with a few non-adaptive markers added. It’s no threat at all.

Dass das bloße Kopieren natürlicher DNA für sich genommen auch dann keine Gefahr darstellt, wenn die Kopie auf künstlichem Wege erfolgt, ist selbstverständlich zutreffend. Es ist nur kein Argument gegen die These, dass eine solche Technik eine notwendige Komponente zum Bau biologischer Waffen darstellt, und gegen die Befürchtung, dass sie genau dazu auch benutzt werden wird.

We do have the potential to now modify that genome more extensively; the interesting scientific work will be to pare away genes and reduce it to a truly minimalist version, just to see how much is really essential, and the useful industrial work will be to engineer organisms…

Jetzt, wo die Technik der Synthetisierung von Erbinformationen bereitsteht, ist also der nächste Schritt, herauszufinden, wie welches Gen funktioniert, um auf dieser Basis Lebewesen mit genau definierten Eigenschaften zu erzeugen. Nichts anderes hatte ich behauptet.

…organisms with additional genes that produce proteins useful for us, but not necessarily for the mycoplasma. That’s going to compromise the competitiveness of the organism in the natural environment. I’m not worried.

Mit anderen Worten: Da die künstliche erzeugten Organismen nicht auf ihre Überlebensfähigkeit in der natürlichen Umwelt hin konzipiert werden, können sie dort auch nicht überleben. Sehen wir einmal davon ab, dass dies ein offenkundiger Trugschluss ist; ein Trugschluss aus dem wir wiederum höchst beunruhigende Schlüsse ziehen müssen, was das Problem- und Sicherheitsbewusstsein dieses Schlages von Experten angeht.

Wichtiger ist in diesem Zusammenhang, dass Myers‘ Argument immer noch in einem Kontext steht, in dem es eigentlich darum geht, Befürchtungen bezüglich biologischer Waffen zu zerstreuen – also im Hinblick auf Lebewesen, deren Überlebensfähigkeit notwendigerweise zum Design gehören muss.

Es wird also – mit dem Gestus des „Experten“ – ein Einwand mit Argumenten „widerlegt“, die auf den Einwand in Wirklichkeit gar nicht Bezug nehmen – beim Leser aber (zum Beispiel bei Thomas) den Eindruck hinterlassen, den Einwand widerlegt zu haben. Dass er es nötig hat, auf derart unsaubere und unredliche Tricks zurückzugreifen, lässt ahnen, dass er über Argumente zur Zerstreuung unserer Befürchtungen gerade nicht verfügt. Die Ahnung bestätigt sich, wenn er fortfährt:

Maybe someday when organisms can be built in some psychopath’s garage, then we should worry. But for now, this is an experiment that takes a lot of teamwork and money and experience to pull off.

Zu Deutsch: Noch kann man keine Biowaffen synthetisieren. Und noch, das liegt in der Logik des Arguments, kann man keine Menschen am Computer planen. Dass dergleichen aber möglich sein wird, und dass es dazu in Zukunft keines exorbitanten Aufwands mehr bedarf, daran lässt er keinen Zweifel: „…when organisms can be built in some psychopath’s garage“. When. Nicht if!

Als nächstes spricht er über den Einwand, Venter und seine Kollegen würden Gott spielen. Zunächst erwähnt er, dass die katholische Kirche das Experiment nicht rundheraus verurteilt hat:

The Catholic church, perhaps unsurprisingly since they’ve been burned in the past by the conflict between science and religion, is taking a very cautious stance on the issues. They clearly don’t quite know what to make of it, but are prepared to offer their services if any ethical concerns arise.

Wie weit die moralische Knochenerweichung in der katholischen Kirche und bis in den Vatikan hinein schon fortgeschritten sein muss, lässt sich daran ablesen, dass sie Venters monströses Projekt nicht a priori verurteilt. Einen Hardcore-Atheisten wie Myers kann man mit dieser Art Appeasement freilich nicht beeindrucken. Er schließt daraus nur, dass die Kirche an ihre eigenen Lehren nicht mehr glaubt. Immerhin: Ein Gutes hat diese Reaktion der Kirche doch, nämlich dass sie Myers zu einer bezeichnenden Reaktion provoziert:

Since it will be a long, long time before we can synthesize lubricious altar boys, however, I don’t think there will be much call for Catholic advice on the ethics of synthetic biology. Just say no to irrelevant old perverts offering science advice. Besides, the church is also full of conservative fusspots who will spout tired stereotypes.

Was sagt eigentlich einer über sich selbst aus, wenn er nicht etwa auf eine autoritäre Ansage, sondern auf die bloße Mahnung, ethische Standards nicht außer Acht zu lassen, mit einer derart hasserfüllten Sprache reagiert? Er sagt: Bleibt mir mit Moral und Skrupeln vom Hals! Er usurpiert nicht etwa, was schlimm genug wäre, für die Naturwissenschaften die Kompetenz zu definieren, was gut und böse ist, sondern leugnet, dass es in dieser Frage überhaupt ein moralisches Problem geben könnte. Die Ideologie einer morallosen Wissenschafts-Elite.

Wenn Angehörige einer solchen Elite sich darauf berufen, sie wollten doch nur Nützliches, zum Beispiel Kraftstoffe herstellen, ist das wenig beruhigend. Oder sollten wir erwarten, dass Mr. Myers seine moralischen Skrupel ausgerechnet in dem Moment entdeckt, wo ihm das Pentagon einige hundert Millionen Dollar auf den Tisch legt mit dem Auftrag, B-Waffen zu bauen?

Dass aber der Vorwurf, die Biologen wollten Gott spielen, inhaltlich zutrifft, gibt Myers selbst zu:

There is no god. The only creators are chance and selection, and now Craig Venter.

Es kommt ihm nicht in den Sinn, dass an dieser Einstellung irgendetwas bedenklich sein könnte, denn:

The „playing God“ noise is going to get even more tiresome, I’m sure. It’s nonsense. If what they’ve done is playing God, then god is biochemistry and molecular biology and the natural processes of physics. We’ve all been playing god every time we cook, or paint, or knit, or write, or create. It’s not a violation of the natural order, and it’s simply doing what humans always do. Apparently, being human is the same thing as being god.

Da Biologen, die künstlich Lebewesen herstellen, damit bloß Naturgesetze anwenden, dies die Quintessenz, spielt entweder überhaupt niemand Gott, oder bereits der, der ein Spiegelei brät, also praktisch Jeder. Dass es einen moralischen Unterschied ausmachen könnte, ob ich ein Lebewesen herstelle oder einen Kleiderschrank, kann von einem Atheisten wie Myers auf der Basis seiner Prämissen nicht erfasst werden. Und da aufgrund derselben Logik auch das Konstruieren von Menschen nicht verwerflich sein kann (Es werden ja nur Naturgesetze angewendet.), liegt hier eine Ideologie vor, die genau jene künstliche Fabrikation von Menschen rechtfertigt, vor der ich gewarnt habe. Ich muss zugeben, dass sogar ich verblüfft bin, wie bruchlos und widerspruchsfrei man von der Leugnung Gottes mit nur wenigen Gedankenschritten zu einer Frankenstein-Ideologie gelangt.