Zur Abwechslung etwas Unpolitisches:
Die deutschen Frauen sind wieder Fußballweltmeister, und wenn man ihren Erfolg gerecht würdigen will, muss man sich vergegenwärtigen, dass es das erste Mal seit 1962 (und erst das zweite Mal in der Fußballgeschichte überhaupt) ist, dass eine Nationalmannschaft ihren Weltmeistertitel verteidigen konnte (1962 gelang das den Brasilianern um Pelé), und dass sie der erste Weltmeister sind, der ein ganzes Turnier ohne Gegentreffer gespielt hat. Na gut, im Finale kam die Null ziemlich ins Taumeln, aber sie fiel nicht!
Trotzdem keine Fanmeile, kein Autokorso, kein Fahnenmeer in Schwarz-Rot-Gold, und die Deutsche Fußball-Liga fand auch nichts dabei, zeitgleich zum WM-Finale Zweitligaspiele anzusetzen, in der (seufz!) wahrscheinlich richtigen Annahme, dass die Fans lieber ein Zweitligaspiel Hoffenheim-Mainz sehen, als ein WM-Endspiel Deutschland-Brasilien, sofern das eine von Männern und das andere von Frauen ausgetragen wird.
Wieso eigentlich? Und warum werden Frauen-Bundesligaspiele auch weiterhin vor der überschaubaren Kulisse von einigen hundert Zuschauern stattfinden?
Manche sagen, weil Frauenfußball unweiblich sei, und die intellektuell beschlageneren formulieren es so: Frauenfußball entspreche nicht dem gesellschaftlich etablierten geschlechtsspezifischen ästhetischen Ideal. Hm. Merkwürdigerweise jubeln sie aber den Walküren zu, die im Kugelstoßen, im Diskus-, Speer- und Hammerwerfen Medaillen für Deutschland holen. Die werden ernstgenommen, Fußballerinnen nicht. Der Subtext lautet: Wenn sie schon nicht anständig spielen, sollen sie wenigstens hübsch aussehen!
Spielen sie nicht anständig? Noch vor wenigen Jahren hätten die einen von „Zeitlupenfußball“ gesprochen und die anderen politisch korrekt geantwortet, ein Vergleich von Frauen- und Männerfußball sei ein unfairer Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen, weil Frauenfußball naturgemäß langsamer und weniger aggressiv, dafür aber spielerischer, harmonischer und insofern ästhetischer sei. Eigentlich seien es zwei Sportarten.
Diese Ansicht können wir nach dieser WM getrost zu den Akten legen. Was sich innerhalb weniger Jahre abgespielt hat, ist nicht weniger als ein Quantensprung: Der Frauenfußball ist enorm schnell und athletisch geworden. Dass Frauen nicht den Antritt und die Schusskraft von Männern haben, würde heute nur noch dann auffallen, wenn sie direkt gegeneinander spielen würden – am Bildschirm oder im Stadion merkt man es bei einer Frauenpartie nicht. Männer- und Frauenfußball sind vergleichbar geworden.
Und genau deswegen fällt jetzt auf, dass zumindest in der Spitze Männer immer noch (noch!) den besseren Fußball spielen. Ich glaube nicht, dass ich die Leistung der deutschen Mannschaft schmälere, wenn ich sage, dass sie sich während des Turniers eine Anzahl an Fehlpässen und Stockfehlern geleistet hat, mit der eine Männermannschaft kaum die Vorrunde überstanden hätte. Trotzdem beendete sie das Turnier mit einundzwanzig zu null Toren, und trotzdem musste man bis zum Finale warten, um mit Brasilien einen ihr ebenbürtigen Gegner zu sehen. Dieses Finale war denn auch die einzige Partie, in der wirklicher Spitzenfußball geboten wurde. Es gibt weltweit nur zwei Nationalmannschaften, die nach einem einigermaßen strengen Maßstab erstklassig sind, und ein paar weitere (man braucht nicht die Finger einer Hand, sie aufzuzählen), die wenigstens halbwegs mithalten können.
Das Problem des Frauenfußballs ist nicht, dass Frauen nicht spielen könnten (überhaupt eine lächerliche These, auf die in anderen Sportarten niemand käme), sondern dass die Spitze (noch!) so verzweifelt dünn besetzt ist. Man sieht das nicht nur bei Weltmeisterschaften, sondern auch im Vereinsfußball. Man sehe sich die Schlusstabelle der Saison 2005/2006 an: Turbine Potsdam beendete die Saison mit einem Torverhältnis von 115 zu 13 (!), beim Letztplazierten FSV Frankfurt ist das Verhältnis (im Negativen) noch gespenstischer: 5 zu 142! Das entspricht einer Leistungsdifferenz von sechs oder sieben Spielklassen in einer einzigen Liga, die obendrein nur zwölf Vereine umfasst.
Die Frauen, deren Fußball erst seit Mitte der siebziger Jahre vom DFB zugelassen wird, haben, je nach Rechnung, rund achtzig bis hundert Jahre Rückstand aufzuholen. Das betrifft die Anzahl der Spieler, die Infrastruktur, die Finanzierung und die Akzeptanz durch die Fans. Vereine wie Schwarz-Weiß Essen, Holstein Kiel oder Borussia Neunkirchen können in der Oberliga – viertklassig – spielen, aber sie haben einen Namen und deshalb einen Anhängerstamm, von dem selbst die Turbinen oder der FFC nur träumen können. (Für Fußballdeutschland zählt eben der Schweinsblasen-Faktor: Ein Verein wird im Zweifel nicht ernstgenommen, wenn seine Tradition nicht in die Zeit zurückreicht, wo man den Ball nur mit viel Wohlwollen „rund“ nennen konnte, weil er aus höchst eigenwilligen Naturmaterialien bestand.)
Aber das wird sich ändern (wenn auch nicht so rapide wie etwa im Biathlon, wo noch vor knapp zwanzig Jahren die Fans nach Hause gingen, wenn das Männerrennen beendet war und die Frauen starteten; zehn Jahre später war ein Biathlon-Tag ohne Uschi Disl ein verlorener Tag). Es spricht Bände, dass einige der besten Spielerinnen des Turniers (Marta, Laudehr, Bajramaj) gerade erst um die zwanzig sind: Da wächst viel nach, und die Qualität steigt dramatisch. Ich freue mich jetzt schon auf die nächsten Turniere, und in fünfzehn oder zwanzig Jahren, da gehe ich jede Wette ein, wird Frauenfußball unter den Fans dieselbe Akzeptanz haben wie der von Männern.
Übrigens: Falls Feministinnen mitlesen, die der Meinung sind, ich hätte statt von Spielern und Weltmeistern von Spielerinnen und Weltmeisterinnen sprechen sollen, hört Birgit Prinz zu: „Bei uns kämpft Jeder für Jeden.“ Nicht Jede für Jede. Frauen, die wirklich emanzipiert sind, haben political correctness nicht nötig.