Nachklatsch zur Europameisterschaft

So, nun wissen wir also, wo unsere Nationalmannschaft steht; und ich hoffe, niemand beim DFB bildet sich ein, sie sei die zweitbeste Europas. So aussagekräftig ist das Classement bei einer EM nicht. Der inoffizielle Titel eines „Vizeweltmeisters“ macht noch etwas her (obwohl wir ja 2002 gesehen haben, dass man zu so einem Titel auch kommen kann wie die Jungfrau zum Kinde) – „Vizeeuropameister“ dagegen ist so etwas Ähnliches wie die Goldene Ananas. Jedenfalls spricht wenig dafür, dass unsere Mannschaft gegen Holland oder Russland, oder selbst gegen Italien, wesentlich besser ausgesehen hätte als gegen Spanien.

 

Dieses Finale war die Stunde der Wahrheit, und zwar gerade für den, der sich vergegenwärtigt, was alles nicht verkehrt war: Es fehlte nicht an der Einstellung, nicht an der Kampfmoral, nicht an der richtigen Taktik. Man kann auch nicht behaupten, dass die Spieler die Taktik nicht verstanden oder sich nicht redlich bemüht hätten, sie umzusetzen. Sie konnten es einfach nicht!

 

Diesen schnellen, offensiven, flüssigen modernen Kombinationsfußball (War eigentlich jemals etwas Anderes „modern“?), den beherrschen sie durchaus – solange der Gegner sie lässt und nicht versucht, durch aggressives Stören den Spielfluss der Deutschen zu unterbrechen. Ein solch freundlicher Gegner war zum Beispiel Portugal, und ich wette, die Portugiesen beißen sich jetzt in den Allerwertesten, wo sie nun wissen, wie sie hätten spielen müssen. Die Kroaten, weiß Gott keine galacticos, hatten schon gezeigt, dass die Deutschen sich gegen einen robusten Destruktionsfußball nicht durchsetzen können; im Rückblick wird deutlich, dass das Kroatienspiel nicht der Ausrutscher war, für den wir es halten wollten, sondern eine tiefer liegende Schwäche aufgedeckt hat. Die Spanier, eleganter, aber nicht weniger entschlossen, haben diese Lehre auf höherem Niveau bestätigt.

 

Mehr noch: Sie haben gezeigt, dass eine wirklich große Mannschaft sich auch gegen einen Gegner behauptet, der es darauf anlegt, ihr Spiel zu zerstören, so wie die Deutschen es versuchten. Sie haben ferner gezeigt, dass man seinerseits das Spiel des Gegners zerstören kann, ohne selber Rumpelfußball zu spielen.

 

Unsere Mannschaft dagegen verliert den Faden, sobald sie unter Druck gerät – da werden reihenweise Fehlpässe gespielt, und sogar die Ballannahme sieht abenteuerlich aus. Da braucht es schon Gegner wie Österreich oder schlimmstenfalls die Türkei, damit man sich mit Ach und Krach in die nächste Runde rettet.

 

Das Problem unserer Mannschaft ist, dass in ihr kein einziger Weltklassespieler steht (in der spanischen aber mindestens fünf oder sechs). O, sie hat gute Spieler: Ein Mann wie Ballack hat sich bei Chelsea bestimmt nicht durch Fehlpässe durchgesetzt. Nur spielt er bei Chelsea in einer Mannschaft, in der er seine unbestrittenen Stärken zur Geltung bringen kann, ohne dass Irgendeinem auffallen müsste, dass er nicht der geniale Spielmacher ist, als der er in der deutschen Nationalelf gefordert ist, weil er dort als Einäugiger unter Blinden spielt.

 

Was aber ist mit den anderen Spielern, die 2006 noch Weltklasseformat zu haben schienen? Hatten sie das wirklich und haben jetzt nur unter ihren Möglichkeiten gespielt? Für einen wie Philipp Lahm könnte das zutreffen. Seine Genieblitze bei der EM konnten zwar seine Aussetzer nur bedingt kompensieren, aber immerhin hatte er welche – die Genieblitze nämlich.

 

Wenn wir von Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger absehen, die nicht ohne Durchhänger, aber im Großen und Ganzen eben doch die Leistungen von 2006 bestätigt haben, dann drängt sich für den Rest der Mannschaft der Verdacht auf, das wir sie jetzt in ihrer Normalform gesehen haben. Ich fürchte, sie haben genau das gezeigt, was man von ihnen erwarten kann, wenn nicht gerade ein Sommermärchen-Rausch sie befeuert. Und dabei haben wir, da bin ich sicher, tatsächlich die besten Spieler gesehen, die Deutschland aufzubieten hat, und können uns ausmalen, wie die nächst besten sich und uns blamiert hätten.

 

Nehmen wir allein – pars pro toto – die Innenverteidigung, Metzelder und Mertesacker, die 2006 noch auf Augenhöhe mit Leuten wie Cannavaro spielten. Gut, Metzelder hatte jetzt wenig Spielpraxis. Nur ist es erstens bezeichnend, dass Löw ihn trotzdem spielen lassen musste, weil er keinen adäquaten Ersatz hatte, zweitens kommt man ins Grübeln, wenn man sieht, dass ein solcher Spieler bei Real Madrid entbehrlich zu sein scheint, in der deutschen Nationalmannschaft aber nicht, und drittens sollte sich das Argument der fehlenden Spielpraxis spätestens beim sechsten Turnierspiel in Folge relativiert haben. Und Mertesacker, der sich auf die Entschuldigung respektive Ausrede mangelnder Spielpraxis überhaupt nicht berufen kann, stakste zeitweise im Strafraum herum wie der Storch im Salat.

 

Was verheißt das für die WM 2010? Nichts Gutes. Aber das muss nicht heißen, dass wir nicht Vizeweltmeister werden.