Friede für den Nahen Osten – ein Gedankenspiel

Ich habe mich in diesem Blog bekanntlich schon des öfteren über die Illusionen lustig gemacht, die eine verblendete Journaille unter der Überschrift „Nahost-Friedensprozess“ unter die Leute bringt.

Wahrscheinlich wären die meisten arabischen Potentaten bereit, mit Israel Frieden zu schließen, nicht aber ihre Völker. Ein Jassir Arafat wäre zu einem Friedensschluss nicht einmal dann imstande gewesen, wenn er ihn gewollt hätte: Die notwendigen Kompromisse, ja allein schon das Zugeständnis, dass Israel ein legitimes Existenzrecht hat, hätte ihn vermutlich um seine Macht und die Islamisten ans Ruder gebracht. Bisher haben zwei arabische Staatschefs mit Israel Frieden geschlossen, und der eine – Sadat – wurde prompt ermordet. Welcher Machthaber möchte schon so enden? Bezeichnend ist auch, dass die Türkei, die praktisch als einziger muslimischer Staat mit Israel lange Zeit freundschaftlich zusammengearbeitet hat, in dem Maße auf Gegenkurs geht, wie die Re-Islamisierung voranschreitet. Das Problem ist der Islam, und da eine Ent-Islamisierung der arabischen Welt nicht zu erwarten ist – im Gegenteil -, wird der Nahostkonflikt nie enden und kann von Israel nur verwaltet und im Zaum gehalten werden.

Dies jedenfalls ist meine bisherige Analyse. Ich gebe zu, dass ich es als frustrierend empfinde, meine israelischen Freunden, die nichts sehnlicher wünschen, als endlich in Sicherheit und Frieden zu leben, mit dieser deprimierenden Auskunft abzufinden.

Ich habe deshalb über die Frage noch einmal nachgedacht: Vielleicht gibt es doch einen Weg, die Araber dazu zu bringen, die Existenz Israels als legitim anzuerkennen, und dies nicht nur auf dem geduldigen Papier staatlicher Verträge, sondern auch in den Köpfen der arabischen Massen. Der folgende Vorschlag mag aus meinem Munde exotisch, ja skurril klingen. Ich behaupte auch nicht, den Stein der Weisen gefunden zu haben; es handelt sich um ein Gedankenspiel – nicht mehr, nicht weniger:

Die Legitimität Israels beruht rechtlich auf zwei Säulen: zum Einen auf der UNO-Resolution 181, die von den Juden anerkannt wurde, von den Arabern aber nicht; zum Anderen auf der normativen Kraft des Faktischen: Das Völkerrecht anerkennt und legitimiert jeden de facto existierenden Staat, also jedes Gebilde, das innerhalb definierter Grenzen in der Lage ist, das Gewaltmonopol auszuüben und dabei über ein definiertes Staatsvolk verfügt. Anders gesagt: Israel ist durch westliche Rechtsauffassungen legitimiert, nicht aber durch islamische, nicht durch die Scharia.

Das Problem besteht nun darin, dass die Scharia aus der Sicht von Muslimen buchstäblich den Willen Gottes verkörpert. Die Grundkonzeption des Islam macht es unmöglich, Glaube, Recht und Politik voneinander zu trennen. Ein arabischer Staatschef kann aus der Sicht seiner Untertanen mit seiner Unterschrift gar kein Recht in dem Sinne setzen, dass eine moralische Verpflichtung zu seiner Einhaltung bestünde, jedenfalls nicht, sofern er damit gegen die Scharia verstößt. Das islamische Recht beruht auf Ideen von politischer Legitimität und Gerechtigkeit, die von Muslimen tief verinnerlicht worden sind und denen gegenüber staatliches positives Recht bedeutungslos ist.

Aus dieser Perspektive ist jedes Gebiet, das einmal zum Dar al-Islam gehörte, also unter muslimischer Herrschaft stand, für immer und ewig von Rechts wegen Teil des islamischen Machtbereichs, und ist jeder von Nichtmuslimen beherrschte Staat, der innerhalb dieses Gebietes errichtet wird, von vornherein ein Aggressor, gegen den die Muslime zum Dschihad verpflichtet sind. (An der Peripherie, etwa in Spanien oder Griechenland, mag man es gerade noch dulden, nicht aber im Zentrum. Bezeichnend ist auch, dass die Rückeroberung von „Al-Andalus“ – Spanien – in dem Moment wieder zum Thema wird, seit sie durch Massenmigration von Muslimen in den Bereich des Möglichen gerückt ist.)

Die westlichen Friedensillusionen beruhen auf dem tiefen Unverständnis westlich-liberal erzogener Menschen gegenüber dem religiösen Charakter islamischer Rechtsvorstellungen – oder auf der Hoffnung, Muslime zu westlichen Liberalen umerziehen zu können: ein Unterfangen, das ich als schlichtweg aussichtslos bezeichne, von der Frage seiner Legitimität ganz abgesehen.

Wer also will, dass Muslime von sich aus (d.h. ohne durch Drohungen dazu gezwungen zu sein) das Existenzrecht Israels anerkennen, muss einen Dreh finden, Israels territoriale, ethnische und religiöse Integrität und seine Unabhängigkeit mit der Scharia unter einen Hut zu bekommen. Hier gilt, was Walter Ulbricht über West-Berlin sagte: Wer auf einer Insel lebt, sollte das Meer nicht ignorieren.

Das islamische Recht fordert, dass es im Dar al-Islam nur solche Gebiete geben darf, deren Herrscher Muslime sind. Es ist nicht erforderlich, dass ihre Bevölkerung aus Muslimen besteht; auf die Herrschaft kommt es an.

Würde Israel einen Schutzvertrag mit einem islamischen Herrscher schließen, sagen wir: mit dem König von Jordanien, und dessen Oberhoheit anerkennen, dann wäre der Scharia möglicherweise Genüge getan.

Um Gottes Willen, wird jetzt Mancher sagen, das wäre ja ein Dhimmivertrag! Ja, rechtstechnisch wäre es genau dies, und ein solcher Vertrag führt dazu, dass es Muslimen untersagt ist, gegen ein Volk, das ihn abgeschlossen hat, Krieg zu führen; dieser wäre dann zumindest nicht als Dschihad zu legitimieren.

Die Scharia schreibt den Inhalt solcher Verträge nicht konkret vor. Es gibt zwar die klassischen historischen Präzedenzfälle, also Verträge, nach denen die Dhimmis ihre Waffen abzuliefern haben, keine Synagogen bauen und den Islam nicht kritisieren dürfen usw. Solche Bestimmungen wären für Israel selbstverständlich inakzeptabel. Aber wie gesagt: Das muss nicht drinstehen.

Für Israel wäre nur ein Vertrag akzeptabel, der seine faktische Unabhängigkeit unangetastet lässt, bei dem die muslimische Oberhoheit also rein symbolischer Natur wäre. Die Frage ist, ob ein solches Arrangement mit dem islamischen Recht vereinbar wäre.

Nun ja, ich bin nicht die Al-Azhar, aber in der islamischen Geschichte hat es durchaus Konstellationen gegeben, wo eine an sich geforderte faktische durch eine rein symbolische Herrschaft ersetzt wurde, ohne dass das islamische Recht dadurch verletzt worden wäre; überhaupt hätte die Scharia ihre legitimitätsstiftende Kraft wahrscheinlich längst eingebüßt, wenn sie nicht immer wieder an faktische Machtverhältnisse angepasst worden wäre. Dies war zum Beispiel in der Endphase des Abbasidenkalifats der Fall, als de facto unabhängige Machthaber bloß noch pro forma vom Kalifen bestätigt wurden; auch die osmanische Herrschaft zum Beispiel über Ägypten war zum Schluss rein fiktiver Natur. Es genügte, dass die Fiktion de jure anerkannt wurde.

Grundsätzlich sollte man nicht vergessen, welche Bedeutung die islamische Kultur mit ihren traditionellen Ehrbegriffen auch und gerade der symbolischen Ebene von Politik beimisst. Die Gründung Israels war aus islamischer Sicht eine Beleidigung Allahs, da sie Sein Recht verletzte; sie könnte durch einen symbolischen Akt, durch den Israel diesem Recht Genüge tut und sich als Teil des Dar al-Islam definiert, möglicherweise aus der Welt geschafft werden.

Des weiteren gehört zur Dhimmitude die innere Autonomie nichtmuslimischer Gemeinschaften. Zwar kenne ich kein Beispiel, wo diese Autonomie einem ganzen Staat gewährt worden wäre; es wäre zweifellos eine Innovation, aber immer noch eine, die sich auf dem Boden islamischer Rechtsvorstellungen bewegt.

Nimmt man beide Rechtsfiguren zusammen, also die Reduktion von faktischer zu symbolischer Herrschaft und die Autonomie nichtmuslimischer Gemeinschaften, dann könnte man Israel in das Dar al-Islam integrieren, ohne seine Unabhängigkeit zu gefährden. Ob eine solche Konstruktion tatsächlich funktioniert, würde letztlich von der Haltung der islamischen Rechtsgelehrten abhängen, speziell von denen, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Falls die ihr Plazet geben, könnte es funktionieren; wenn nicht, sollte man es gar nicht erst versuchen.