Keine falschen Zitate bitte – auch nicht über Kaufhold!

Der zweiten Kandidatin der SPD für das Amt einer Richterin am Bundesverfassungsgericht, Ann-Katrin Kaufhold, wird im Internet fälschlicherweise das Zitat zugeschrieben:

Da wir genau wissen, was Leute tun und möchten, gibt es weniger Bedarf an Wahlen, Mehrheitsfindungen oder Abstimmungen. Verhaltensbezogene Daten können Demokratie als das gesellschaftliche Feedbacksystem ersetzen.

Frau Kaufhold hat viel Skandalöses gesagt, zum Beispiel ein Verbot der AfD (also der praktisch einzigen Oppositionspartei im Bundestag) befürwortet und empfohlen, politische Agenden in Gerichten und Zentralbanken zu institutionalisieren und damit dem Zugriff des Souveräns zu entziehen – aber das obige Zitat stammt NICHT von ihr.

Quelle des Zitats ist vielmehr das Papier „Smart City Charta – Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) aus dem Jahr 2017.

Eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Dirk Spaniel aus dem Jahr 2021, ob sich die Bundesregierung die oben zitierte Aussage zu Eigen mache, wurde vom Parlamentarischen Staatssekretär Volkmar Vogel wie folgt beantwortet:

Das Zitat ist falsch. Es stammt aus einem Impuls des finnischen Thinktanks „Demos“. Sein Mitgründer Roope Mokka zeigte denkbare Pfade der Digitalisierung und ihrer Wirkung auf Demokratie auf. Dabei wies er auch auf Gefahren hin. Die Smart City Charta selbst positioniert sich eindeutig gegen ein solches Szenario. Die Aussage ist nicht in der Smart City Charta, sondern in ihrem Anhang, der den Erarbeitungsprozess dokumentiert.

Was natürlich bedeutet, dass das Zitat alles andere als falsch ist. Die Impulsreferate waren vielmehr als Diskussionsgrundlagen für die nachfolgende Erarbeitung der Charta gedacht. Und auch die Behauptung, der Referent habe auf Gefahren hingewiesen oder hinweisen wollen, ist eine bestenfalls gewagte Interpretation seiner Ausführungen.

Allein die Tatsache,

• dass in einem solchen Diskussionszusammenhang – im Verantwortungsbereich der Bundesregierung –

• der Gedanke geäußert werden kann, die Demokratie als „gesellschaftliche[s] Feedbacksystem [zu] ersetzen“

• und dieser Gedanke auf der Website eines Bundesministeriums ohne erkennbare Distanzierung veröffentlicht werden

• und dort mindestens vier Jahre lang stehenbleiben konnte,

spricht Bände über den demokratiefeindlichen technokratischen Geist, der in den sogenannten Funktionseliten unseres Landes und sogar in der Regierung herrscht. Die lauwarme Distanzierung erfolgte erst, als die Regierung durch einen AfD-Abgeordneten (Parlamentarier der Altparteien sind wohl schon zu abgestumpft) mit kritischem Tenor danach gefragt wurde.

Leider – oder sollte man sagen: bezeichnenderweise? – ist besagtes Papier auf der Website des Ministeriums heute nur noch ohne diesen Anhang abrufbar.

Gücklicherweise gibt es aber die Wayback Machine, die die ursprüngliche Fassung gespeichert hat. Dort kann sie nach wie vor heruntergeladen werden:

https://web.archive.org/web/20230906044913/https://www.smart-city-dialog.de/wp-content/uploads/2020/03/Langfassung-Smart-City-Charta-2017.pdf

Das obige Zitat befindet sich auf Seite 43.