In eigener Sache

Die „Korrektheiten“ haben ein Brüderchen bekommen:

Alle hier erschienenen Buchbesprechungen werden in einem neuen Blog „Manfreds politische Literatur“ zusammengefasst. Der Sinn der Sache ist, dass Anwender, die speziell nach Rezensionen googeln, leichter auf diejenigen meiner Essays stoßen sollen, die sich speziell mit einzelnen Büchern befassen. 

Allerdings versäumt niemand etwas, der weiterhin nur die „Korrektheiten“ liest. Bis auf weiteres erscheinen alle Rezensionen auch hier, parallel zu ihrer Veröffentlichung in „Manfreds politische Literatur“.

Félicitations, Sarko!

Sehr geehrter Herr Präsident,

gestatten Sie mir bitte, Ihnen und Ihrer Angetrauten meine aufrichtigen Glückwünsche zu Ihrer Vermählung auszusprechen! Ich kann kaum in Worte fassen, wie ich mich für Sie beide freue, insbesondere für die bisherige Mademoiselle Bruni, für die zweifellos ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen ist – war es doch erklärtermaßen ihr innigster Wunsch, „einen Mann zu kriegen, der über die Atombombe entscheidet“.

Ich fühle auch mit Ihnen und bedaure zutiefst, dass Ihr junges Glück durch die Aufdringlichkeit einer unersättlich neugierigen Öffentlichkeit getrübt wird. Ich selbst werde Sie daher keineswegs mit indiskreten Fragen behelligen:

Ich werde Sie nicht fragen, ob die Trauung in demselben Raum des Élysée stattfand, in dem auch die jüngsten Nacktfotos Ihrer Frau geschossen wurden.

Es interessiert mich auch nicht wirklich, ob ein „Mann, der über die Atombombe entscheidet“, in Unterhosen wesentlich anders aussieht als ein Mann, der nicht über die Atombombe entscheidet. Fetischismus treibt seine eigenen Blüten, und was des Einen Peitsche, ist des Anderen… – nun ja, Atombombe.

Selbstverständlich verkneife ich mir auch, mir plastisch auszumalen, welche Rolle dem präsidialen Atomköfferchen beim präsidialen Liebesspiel zukommt. Erstens möchte ich, dass mein Blog nicht auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften landet. Zweitens möchte ich auch weiterhin ruhig schlafen können.

Ich fühle mich aber verpflichtet, Sie darauf hinzuweisen, dass Ihr Glück bedroht ist:

Stellen wir uns vor, eines Tages würde ein – sagen wir: – arabischer Potentat „über die Atombombe entscheiden“, und zwar einer, der auch bereit wäre, sie einzusetzen. Verglichen mit einem solchen Supermann sähen Sie, Herr Präsident, in den Augen Ihrer Frau doch wie ein – pardon – langweiliger Schlappschwanz aus.

Ich bitte Sie also dringend, Ihre gegenüber Ihren arabischen Freunden allzu freigebige Atompolitik zu überdenken. Wenn schon nicht aus Sorge um die Menschheit, so doch wenigstens, damit Ihnen Ihre Frau nicht durchbrennt.

Mit freundlichen Grüßen

Manfred

[Calamitas teilt bekanntlich meine Schwäche für Sarko; mehr zu Carla und ihrer Atombombe also hier]

Erdogan und die Integration

Man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu den Lesern der „Korrektheiten“ gehört, aber wenn es ihm darum gegangen wäre, meine Einschätzung der türkischen Politik zu bestätigen, dann hätte er dies kaum eindrucksvoller tun können als mit seinen Auftritten am Freitag im Bundeskanzleramt und am Sonntag in der Köln-Arena.

Wenn wir Deutschen von „Integration“ sprechen, dann meinen wir damit, dass Einwanderer, z.B. aus der Türkei, und ihre Kinder in die deutsche Nation  aufgenommen werden. Das heißt im Klartext: Wenn sie unseren Pass annehmen, wechseln sie ihre Nationalität und werden Deutsche.

Dazu gehört nicht, dass man Schweinshaxen essen oder samstags den Rasen mähen oder vor seinem Haus Gartenzwerge aufstellen muss. Wohl aber gehört dazu, dass man die deutsche Nation als seine eigene annimmt, dass man die deutsche Sprache spricht, dass man die demokratische Rechtsordnung und die ihr zugrundeliegenden Wertentscheidungen akzeptiert, und zwar einschließlich der religiösen Toleranz, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, des Verzichts auf private Gewaltanwendung. (Und, da das zum nationalen Grundkonsens gehört: dass man nicht am Existenzrecht Israels herumsägt.)

Wenn dagegen Erdogan von Integration spricht, tut er es mit den Worten:

„Ja zur Integration – nein zur Assimilation!“

Und macht unmissverständlich klar, dass mit „Nein zur Assimilation“ nicht etwa die Ablehnung besagter Schweinshaxen und Gartenzwerge gemeint ist, sondern die Ablehnung der Zugehörigkeit zur deutschen Nation: Wenn er sagt, die Deutsch-Türken sollten ihre türkische Identität bewahren und sich

„mit ihren Werten integrieren“,

(FAZ, 09.02.08, „Unser gemeinsames Land“, online nicht kostenlos verfügbar)

dann sagt er damit zugleich, welche Identität sie nicht annehmen – eine deutsche nämlich – und welche Werte sie nicht akzeptieren sollen – die der deutschen Gesellschaft. Sogar dort, wo er seine Landsleute aufruft, die deutsche Sprache zu erlernen, verknüpft er diesen Appell mit der Forderung nach türkischen Schulen und Universitäten in Deutschland, denn ein Deutsch-Türke müsse

„zuerst die eigene Sprache beherrschen, bevor er die zweite, also Deutsch, erlernen kann.“ (FAZ, a.a.O.)

Deutsch als Zweitsprache! Es geht also mitnichten um Traditionspflege etwa nach Art der Hugenotten, die bis heute ihr französisches Erbe hochhalten, ansonsten aber stets preußische, später deutsche Patrioten waren, sondern es geht um die bewusste, sogar institutionalisierte Ablehnung des Deutschen als Muttersprache, und zwar in alle Zukunft.

Und damit wir Deutschen nicht auf dumme Gedanken kommen, fügt er an seine Forderung nach türkischen Bildungseinrichtungen in Deutschland den denkwürdigen Satz:

„Wenn Sie versuchen, das zu verhindern, dann machen Sie einen Fehler.“

Der Manfreds-politische-Korrektheiten-Sonderpreis für politische Phantasie geht an Denjenigen, der mir plausibel macht, dass dieser Satz nicht als Drohung zu verstehen ist.

Dabei belässt er es nicht einfach dabei, „Assimilation“ abzulehnen, nein, er verteufelt sie als

„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Was denkt er sich eigentlich dabei, die Aufnahme von Türken in die deutsche Nation mit einem Begriff zu belegen, der zur juristischen Kennzeichnung der nationalsozialistischen Massenmorde entwickelt wurde?

Vielleicht denkt er sich gar nichts, das wäre die freundliche Interpretation. Im Zusammenhang mit der Serie unterschwelliger Drohungen, die er während seines Besuchs ausgesprochen hat, halte ich aber für plausibel, dass die unverschlüsselte Botschaft lautet: Versucht nicht, uns zu assimilieren, sonst verpetzen wir Euch vor aller Welt als Nazis, die einen „Völkermord“ begehen!

(Ein primitives Kalkül, das aber seine Wirkung vor allem auf denjenigen Teil der deutschen Öffentlichkeit nicht verfehlen dürfte, dem die Sorge um „das Ansehen Deutschlands in der Welt“ regelmäßig den Schlaf raubt, und der schon vorsorglich auf die Knie fällt, wenn man uns mit der bloßen Drohung konfrontiert, uns mit unserer braunen Vergangenheit in Verbindung zu bringen. Diese Marotte mutiert spätestens in dem Moment zum handfesten politischen Problem, wo wir es mit einem Spieler zu tun bekommen, der wie Erdogan zynisch genug ist, diese Schwäche auszubeuten. Dabei ist sie völlig unnötig: Für uns kann es doch lediglich darauf ankommen, keine Nazis zu sein, nicht aber darauf, ob Andere denken, wir könnten das sein. Im Übrigen kann es der präventiven Abschreckung potenzieller Feinde unseres Landes bloß dienlich sein, wenn sie uns zumindest zutrauen, wir könnten mit ihnen nach Nazimanier verfahren; mit demonstrativem Pazifismus erzielt man diesen Effekt jedenfalls nicht.)

Was Erdogan uns also als „Integration“ verkaufen will, ist die Stabilisierung der deutsch-türkischen Minderheit als Gesellschaft in der Gesellschaft, als Nation in der Nation, als Staat im Staate. (Und die Integration besteht lediglich darin, dass es sich um einen Staat eben im Staate handeln soll.)

Eine Unverschämtheit wäre diese Forderung in jedem Fall. Aus dem Munde speziell eines türkischen Regierungschefs ist sie jedoch weitaus mehr als das:

Stellen wir uns, um Erdogans Verhalten angemessen zu interpretieren, einen Moment lang vor, der armenische Ministerpräsident würde auf Staatsbesuch in die Türkei reisen, in Istanbul eine Massenversammlung mit zwanzigtausend türkischen Armeniern abhalten und diese auffordern, sich auf keinen Fall an die türkische Gesellschaft zu assimilieren, weil das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei. Der sofortige Abbruch der diplomatischen Beziehungen wäre noch die geringste Folge.

Das türkische Verständnis von Nation und Nationalstaatlichkeit basiert nämlich auf der Vorstellung der vollständigen ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Homogenität der Nation! Von der Toleranz der Türken gegenüber Minderheiten können etwa Kurden und Armenier ein Lied singen. (Die kleinasiatischen Griechen können es nicht mehr, weil ihre dreitausendjährige Kultur nach sechshundert Jahren Türkenherrschaft restlos verschwunden ist – mitsamt den Griechen selbst.) Die Forderung nach Minderheitenrechten stellt nach türkischem Verständnis einen Anschlag auf die Einheit der Nation dar und gilt als staatsfeindlicher Akt. (Dass Erdogans Islamisten mit Rücksicht auf die EU, d.h. aus taktischen Gründen, das Prinzip etwas flexibler handhaben als ihre kemalistischen Vorgänger, bedeutet keineswegs, dass sie es zur Disposition stellen würden.)

Wenn der Regierungschef eines solchen Landes an Deutschland eine Forderung stellt, die er, wäre sie an ihn selbst gerichtet, als Kriegserklärung auffassen würde, so ist dies – zumindest der Absicht nach – ein feindseliger Akt, da sie darauf abzielt, Deutschland politisch zu schwächen, und zwar im Interesse sowohl des Islam im Allgemeinen als auch der Türkei im Besonderen:

Kurzfristig geht es ihm darum, die Deutsch-Türken als Fünfte Kolonne aufzubauen, die als Pressure-Group den EU-Beitritt der Türkei unterstützt:

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands gehört die strukturelle Mehrheit des „bürgerlichen Lagers“ der Vergangenheit an – Links und Rechts sind jetzt ungefähr gleich stark. In einer solchen Situation wächst einer Wählergruppe, die sich jenseits des Links-Rechts-Gegensatzes über ethnische Gruppenidentität definiert, die Rolle eines Züngleins an der Waage zu, sofern sie es schafft, sich als nahezu geschlossener Stimmblock zu etablieren; eine solche Gruppe verfügt kraft ihrer strategischen Position über einen Einfluss, der ihr zahlenmäßiges Gewicht bei weitem übertrifft. Orientiert sie sich an den politischen Vorgaben eines fremden Staates, so ist eine verstärkte Abhängigkeit Deutschlands von dessen Interessen die zwangsläufige Folge.

Dabei können wir uns noch nicht einmal darauf verlassen, dass die demokratischen Spielregeln wenigstens formal eingehalten werden: Mit ihrem Spiel, den Zorn der Deutsch-Türken auf den deutschen Staat und „die“ Deutschen zuerst anzuheizen, um ihn dann mit staatsmännischem Gestus wieder zu dämpfen (siehe meinen Beitrag „Brandstiftung“), hat die türkische Regierung klargemacht, auf welcher Klaviatur sie in Zukunft zu spielen gedenkt.

Normalerweise könnte man es als das dumme Gerede unreifer Hitzköpfe abtun, wenn junge Türken in die Reportermikrofone rufen: „Wenn das so weitergeht, gibt es Bürgerkrieg: Türken gegen Deutsche!“ (Nicht etwa: „Deutsche gegen Türken“ – offenbar ist man sich in diesen Kreisen wohlbewusst, von wem die Aggression ausgeht.) Wenn aber die türkische Regierung offen ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur Schau stellt, solche Stimmungen nach Bedarf zu manipulieren, und die Deutsch-Türken sich darauf einlassen, so ist dies die unzweideutige Ansage, dass die türkische Seite bereit ist, zur Durchsetzung ihrer Partikularinteressen Gewalt anzudrohen und – sonst hinge die Drohung ja in der Luft – auch anzuwenden.

Und diese Interessen enden nicht mit dem EU-Beitritt der Türkei – da beginnen sie erst. Haben sich die Türken erst einmal als zweite Nation auf deutschem Boden etabliert, so wird der nächste völlig logische Schritt die Forderung nach „Gleichberechtigung“ sein, gestützt immer auch auf latente Drohungen.

Falls hier einer jener linken Pawlowschen Dackel mitliest, die bei dem Wort „Gleichberechtigung“ reflexartig mit dem Schwanz zu wedeln beginnen: Es ist ein grundlegender Unterschied, ob ich Individuen als gleichberechtigt behandle oder ein Kollektiv! Die Gleichbehandlung eines Kollektivs bedeutet, dass dessen Wertvorstellungen, Sozialnormen, Geschichtsbilder und Vorurteile denselben Anspruch auf gesellschaftliche Legitimität haben wie die der Mehrheitsgesellschaft. Im Falle eines islamischen Kollektivs also Frauenfeindlichkeit, autoritäre Erziehung, Antisemitismus, Christenhass, Intoleranz, Gruppennarzissmus und Gewaltkult. Und nicht zuletzt die Geltung der Scharia. (Wer immer noch nicht glauben will, dass es darauf irgendwann hinauslaufen wird, werfe einen Blick nach Großbritannien und lasse sich vom Erzbischof von Canterbury belehren.) Wohin schließlich die „Gleichberechtigung“ zweier Kollektive führt, von denen das eine zur Gewaltanwendung bereit ist, das andere aber nicht, mag sich Jeder selbst ausmalen.

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Erdogan ist mindestens ebensosehr Islamist, wie er Nationalist ist. Wenn er das Aufgehen der türkischen Gemeinde in der deutschen Nation um jeden Preis verhindern will, dann geht es nicht einfach um die Durchsetzung türkischer Staatsinteressen. Es geht um die Durchsetzung des islamischen Gesellschaftsmodells, um zunächst die Verdrängung, dann Zerstörung der säkularen europäischen Zivilisation.

Eines muss man Erdogan lassen: Taqqiyya – Täuschung der Ungläubigen – ist das nicht. Er ist ehrlich. Er hat seine Karten auf den Tisch gelegt.

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Türkei“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Die Bücher von Hans-Peter Raddatz, von Oriana Fallaci, von Udo Ulfkotte, von Henryk M. Broder

Brandstiftung

Es kommt mehrmals täglich vor, dass irgendwo in unserem Land ein Feuer ausbricht, manchmal auch in Wohnhäusern, und ohne dass ich die einschlägigen Statistiken zur Hand hätte mutmaße ich, dass Altbauten, zumal solche in schlechtem Zustand, stärker brandgefährdet sind als andere Häuser.

Zu den mannigfachen Brandursachen, die es geben kann, gehört auch die Brandstiftung, meist zum Zwecke des Versicherungsbetrugs. Andere Motive sind selten, kommen aber vor. So gab es auch schon Brandanschläge, die sich gezielt gegen Ausländer richteten; die Täter kann man in solchen Fällen plausibel in der Neonazi-Szene suchen.

Es ist also nicht von vornherein wahrscheinlich, aber auch nicht völlig abwegig, dass der Brand von Ludwigshafen, bei dem neun Menschen türkischer Herkunft ums Leben gekommen sind, von Rechtsextremisten gelegt worden sein könnte. Abwegig und völlig aus der Luft gegriffen ist aber die von vielen Türken geäußerte Unterstellung, die deutsche Polizei und Staatsanwaltschaft steckten mit den etwaigen Tätern unter einer Decke.

Dass rechtsextreme Gewalttäter bei den Sicherheitsbehörden Hintermänner, zumindest aber Mitwisser haben – nun, es gibt Länder, wo das üblich ist. Die Türkei zum Beispiel. Dort pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass die Mörder von Hrant Dink oder auch der christlichen Missionare im vergangenen Jahr Verbindungen zur Polizei haben. Vielleicht ist dies der Grund, warum gerade Türken der deutschen Polizei ähnliche Machenschaften zutrauen.

Trotzdem frage ich mich ganz ernsthaft, wie Menschen, die seit dreißig oder vierzig Jahren hier leben, es schaffen zu ignorieren, dass solche Praktiken und Zustände in Deutschland völlig undenkbar sind!

Und sehr wundern muss ich mich über die Rolle der türkischen Regierung in der ganzen Angelegenheit. Das normale Vorgehen unter befreundeten demokratischen Ländern wäre die Nichteinmischung. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass die deutsche Regierung die Ermordung deutscher Christen in der Türkei letztes Jahr zum Anlass genommen hätte, deutsche Polizisten, Minister oder gar die Bundeskanzlerin nach Ankara zu schicken. Die Türkei dagegen hat den Brand von Ludwigshafen von Anfang an als Staatsaffäre behandelt.

Wenn man sich aber schon einmischt, dann wäre es – wiederum unter befreundeten demokratischen Staaten – eine bare Selbstverständlichkeit, den zuständigen Behörden das Vertrauen auszusprechen und die eigenen Landsleute zu loyaler Zusammenarbeit aufzufordern. Was tut die Türkei?

Zuerst erscheint der Botschafter auf der Bildfläche und nennt es „seltsam“, dass deutsche Politiker einen fremdenfeindlichen Hintergrund ausgeschlossen hätten. Das haben sie aber gar nicht; tatsächlich hat der zuständige Ministerpräsident Beck am Montag gesagt, es gebe nach den bisherigen Erkenntnissen keinen Hinweis darauf – was zu diesem Zeitpunkt korrekt war. Die Äußerungen des Botschafters sind ganz sinnlos, es sei denn, er hätte ein politisches Vertuschungsmanöver unterstellen wollen, und genau so ist es denn von seinen Landsleuten auch verstanden worden.

Dann kündigt die türkische Regierung an, eigene Ermittler nach Deutschland zu schicken; man wolle die deutschen Behörden nicht etwa kontrollieren (aber nicht doch!), man wolle nur die stark emotionalisierte türkische Gemeinde in Deutschland „beruhigen“ (deren „Emotionalisierung“ der eigene Botschafter gerade erst angeheizt hatte).

Schließlich erscheint ein türkischer Minister und fordert die hier lebenden Türken zur „Besonnenheit“ auf.

So, und nun fragen wir uns, was das Ganze zu bedeuten hat.

Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir können ignorieren, dass das Vorgehen der Türkei hochgradig ungewöhnlich ist, und ihre Äußerungen zum Nennwert nehmen: Der Botschafter hat sich gewundert, die Regierung will die Gemüter beruhigen, der Minister ruft zur Besonnenheit auf. Punkt.

Oder wir ignorieren das nicht und machen uns daran, den Subtext zu dechiffrieren, der in dieser dreifachen Botschaft steckt:

Erstens, die türkische Regierung spricht den deutschen Behörden ihr Misstrauen aus und signalisiert das auch der hiesigen türkischen Gemeinde.

Zweitens: Was immer die deutsche Polizei ermittelt, aussage- und beweisfähig ist es nur, soweit es von türkischen Ermittlern bestätigt wird; womit uns die Türkei hochoffiziell zu verstehen gibt, dass die hier lebenden Türken, und sogar die Deutschen türkischer Herkunft, nicht etwa dem deutschen Staat Loyalität schulden, sondern dem türkischen.

Drittens: Nur die Türkei ist fähig, die Gemüter zu „beruhigen“, sprich zu verhindern, dass es zu Krawallen (wie in Frankreich) kommt; das ist die Botschaft, die hinter dem Aufruf zur „Besonnenheit“ steckt (der ja voraussetzt, dass er überhaupt nötig ist, und dass er von einem türkischen Minister ausgesprochen werden muss, um wirksam zu sein).

Der Subtext lautet also: Wir können bei Euch in Deutschland jederzeit einen Bürgerkrieg entfesseln, und es hängt allein von uns ab, ob es so weit kommt oder nicht.

Das ist eine Machtdemonstration. Und noch deutlicher für die, die es noch nicht kapiert haben: Es ist eine Drohung.

Wozu aber soll die gut sein? Erinnern wir uns, dass die türkische Regierung von Islamisten geführt wird. Zu Hause benutzt sie die Auflagen der Europäischen Union, um unter der Flagge der „Religionsfreiheit“ den türkischen Laizismus zu untergraben. Zugleich versucht sie, ihr Land in der Union unterzubringen – wohl wissend, dass die meisten Europäer das nicht wollen, und damit rechnend, dass die Regierungen diesem Druck der Völker nachgeben könnten. Um dem vorzubeugen, zeigt sie uns schon einmal die Instrumente.

Der erwünschte Nebeneffekt ist, die türkische Gemeinde in ihrer Gegnerschaft und Abgrenzung gegen die deutsche Gesellschaft und den deutschen Staat zu bestärken und sie dadurch als geschlossene Einheit zu stabilisieren, in jedem Fall aber zu verhindern, dass sie in der deutschen Gesellschaft aufgeht.

Warum? Weil sie dann nicht mehr djihad-tauglich wäre.

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

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Amerika, Du hast es besser!

Die Amerikaner gehören zu den faulsten Wahlbürgern der westlichen Welt. Selten übersteigt die Wahlbeteiligung die Sechzig-Prozent-Marke; oft wählt nicht einmal jeder Zweite. Woran auch immer das liegen mag – vielleicht daran, dass die Amerikaner schon immer wählen durften und es deshalb nicht wirklich zu schätzen wissen? – an der Inszenierung liegt es jedenfalls nicht.

Nirgendwo sonst wird Politik, speziell Wahlkampf, so fesselnd, so unterhaltsam, so sehr als sportlicher Wettkampf dargeboten wie gerade in Amerika. Das Duell Clinton-Obama, der Ausscheidungswettkampf McCain-Romney-Huckabee wären selbst dann spannend, wenn sie jedes politischen Inhaltes bar wären, eben wie ein Sportwettkampf, dessen Sieger ja auch kein „Programm“ zu haben braucht.

Und dann die skurrilen Abstimmungsmodi! Man denke nur an diese archaischen Caucuses in Iowa: kein neumodischer Klimbim, keine Wahlmaschinen, nicht einmal Stimmzettel; stattdessen muss man stundenlang anwesend sein, und die Wähler jedes Kandidaten stellen sich gruppenweise auf, werden zum Teil wieder abgeworben, gruppieren sich neu; wählen nicht schriftlich, nicht mündlich, erst recht nicht elektronisch, sondern physisch. So richtig demokratisch ist das alles nicht, wohl aber von einer gewissen erdigen Sinnlichkeit.

Schließlich der eigentliche Wahlabend: Nicht wie bei uns, wo man um fünf nach sechs schon weiß, wer gewonnen hat – wenn denn einer gewonnen hat -, sondern eine richtige Wahlnacht, in deren Verlauf Bundesstaat für Bundesstaat sein Votum abgibt und das Rennen sich über Stunden hinzieht und spannend bleibt. Auch das ist – wegen des rückständigen Wahlmännersystems – nicht so richtig demokratisch, aber prickelnd ist es allemal!

Natürlich muss ein politisches System nicht in erster Linie unterhaltsam sein, ich behaupte aber, dass das amerikanische System das Angenehme, weil Spannende, mit dem Nützlichen verbindet:

Demokratie ist, kurz gesagt, wenn freie Wahlen stattfinden; wenn man sich also zwischen Alternativen entscheiden kann. Das ist bei uns wie in Amerika der Fall. Was die Amerikaner uns aber voraushaben, ist das Recht zu entscheiden, zwischen was sie sich entscheiden dürfen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie um Barack Obama oder um Mike Huckabee beneiden soll; ich beneide sie aber um die effektive Chance, Kandidaten wie eben Obama oder Huckabee auch gegen deren jeweiliges Partei-Establishment durchzusetzen.

Bei uns dagegen entscheidet genau dieses Establishment, wer sich zur Wahl stellen darf; und dieses Establishment existiert auf jeder Ebene: Bereits im Ortsverband sind die einfachen Mitglieder das mehr oder minder bereitwillig akklamierende Publikum für eine Gruppe von Insidern, bei denen die Fäden zusammenlaufen. Diese Insider finden sich auf der nächsthöheren Ebene ihrerseits in der Publikumsrolle gegenüber den dortigen Insidern, die wiederum das Publikum für die nächsthöhere Ebene stellen. Wer in einem solchen System aufsteigen will, kann gar nicht mit Aussicht auf Erfolg an die „Basis“ appellieren; das geht vielleicht einmal gut, aber sicher nicht zweimal.

Nein, wer aufsteigen will, ist darauf angewiesen, von der je nächsthöheren Insidergruppe kooptiert zu werden, und zwar auf jeder Ebene von Neuem. Was juristisch als innerparteiliche Demokratie daherkommt, ist politsoziologisch ein System der Selbstrekrutierung von Parteieliten: Wer aufsteigt, bestimmen die, die schon oben sind. Da liegt es auf der Hand, dass im Zweifel Derjenige Karriere macht, der den oben bestehenden Erwartungen entgegenkommt, der die dortigen Dogmen respektiert, der kalkulierbar ist.

Der berühmte „Stallgeruch“, den ein Parteipolitiker tunlichst haben sollte, ist nichts anderes als die Übereinstimmung mit einem bestimmten in der Partei vorherrschenden Habitus, der sich durch Selbstrekrutierung auch selbst verewigt. Dieses System begünstigt den fleißigen, aber unkreativen Konformisten (der freilich nicht mit der Gesellschaft konform geht, der er dienen soll, sondern mit einem Paralleluniversum namens „Partei“).

Auf die Eigenschaften, die ein Politiker haben muss, um Wähler an sich zu ziehen, womöglich gar zur nationalen Führungsfigur zu taugen, kommt es dabei bestenfalls sekundär an, weil die politische Karriere bei uns über die Parlamente führt. Da die nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden, da man also Parteien und nicht Personen wählt, benötigen die Parteien keine starken Individualisten. Im Gegenteil: Gerade solche Persönlichkeiten sind schwer zu dirigieren und stellen, wenn sie erst einmal im Parlament sitzen, für ihre Fraktionsspitze eine unkalkulierbare Gefahr dar.

Unsere Parlamente bestehen nämlich nicht aus Abgeordneten, sondern aus Fraktionen, und wenn es in Amerika gang und gäbe ist, die Wähler darüber zu informieren, wofür und wogegen der einzelne Angeordnete gestimmt hat, so wäre das bei uns hochgradig sinnlos: Man weiß ja, dass er mit der Fraktion votiert hat.

Er selbst übernimmt dabei nur formal die Verantwortung für Entscheidungen, die Andere für ihn getroffen haben. In der Logik unseres politischen Systems kann das auch nicht anders sein, weil der Mandatsträger, der gegen die Fraktion stimmte, die Regierungsfähigkeit seiner eigenen Partei aufs Spiel setzen würde – ein Problem, das der amerikanische Abgeordnete so nicht kennt, weil dort das Volk, nicht das Parlament den Regierungschef wählt. Natürlich tut sich auch ein amerikanischer Präsident oder Gouverneur leichter, wenn die Abgeordneten mehrheitlich aus seiner eigenen Partei kommen, aber angewiesen ist er darauf nicht.

Es ist dort sogar eher die Regel als die Ausnahme, dass Regierungschef und Parlamentsmehrheit aus unterschiedlichen Parteien kommen. Na und? Ein – sagen wir – republikanischer Präsident braucht nicht die Demokraten zu überzeugen, um seine Vorlagen durchzubringen, es genügt ihm, Einige zu sich herüberzuziehen; und die können sich das leisten, weil ihr Abstimmungsverhalten ihren Wählern gefallen muss, nicht ihrer Partei.

Was das amerikanische System so überlegen macht, ist die Tatsache, dass der Wähler jedes Amt und Mandat vom Präsidenten bis hinunter – in einigen Bundesstaaten – zum städtischen Hundefänger einzeln und direkt statt indirekt und nach Liste besetzt. Wer mit dem Gouverneur unzufrieden ist, kann ihn abwählen und muss sich keine Gedanken um die „Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat“ machen – den gibt es nämlich nicht. Wer von seinem Senator die Nase voll hat, stimmt für dessen Gegenkandidaten und muss sich nicht wirklich darum scheren, wie der Präsident damit zurechtkommt usw. – alles Rücksichten, die ein deutscher Wähler nehmen muss. Die Amerikaner können den Besten für die jeweilige Aufgabe wählen. Wir nicht.

Deswegen können sie auch jeden Einzelnen für sein eigenes Versagen und seine Misserfolge verantwortlich machen, während in Deutschland die Ausreden und Sündenböcke institutionalisiert sind: die Partei (hat dort bei weitem nicht den Einfluss wie hier), der Koalitionspartner (gibt es dort nicht), der Bundesrat (dito), die EU (dito).

Der direkte Einfluss des amerikanischen Wählers reicht bis in die Programmatik hinein: keine langwierige und fruchtlose Arbeit an Programmdebatten, deren Ergebnisse in der Praxis dann doch ignoriert werden, wie bei uns: Jenseits des Ozeans entscheidet der Wähler über Programme, indem er bereits in den Vorwahlen über Personen entscheidet.

Ich will das amerikanische System nicht idealisieren – es hat durchaus seine Schattenseiten, etwa die enorme Spendenabhängigkeit jedes Kandidaten und damit verbunden der Einfluss von Großspendern.

Mir geht es darum zu zeigen, warum so viele Menschen bei uns das Gefühl haben, „die da oben machen ja doch, was sie wollen“. Dieses Gefühl haben sie, weil es sich genau so tatsächlich verhält! Man kann sich wohl zwischen verschiedenen Parteien entscheiden, aber was einem die Parteien anbieten – personell und programmatisch – entscheiden deren Spitzen allein. Unsere Demokratie krankt daran, dass sie eine Parteiendemokratie ist, in der alle wesentlichen Entscheidungen von winzigen Eliten getroffen, werden, die ihren „Elite“-Status obendrein weniger ihrer Kompetenz als ihrer Fähigkeit zur Kungelei verdanken.

Wer hier Abhilfe schaffen will, tut gut daran, den üblichen Vorschlägen – mehr Volksabstimmungen, Direktwahl des Bundespräsidenten etc. – zu misstrauen, zumal wenn solche Vorschläge aus der politischen Klasse selbst stammen.

Die Schweizer haben dieses System bis an seine Grenzen ausgereizt: Dort gibt es eine geschlossene politische Klasse, die intern kungelt, aber vom Volk regelmäßig per Abstimmung in die Schranken gewiesen wird. Zwei Dinge missfallen mir daran:

Erstens, dass über die Frage, wer regieren soll, noch stärker als bei uns die Parteieliten entscheiden. Die Macht des Establishments ist dort eher noch größer als bei uns; das Volk übt eine Kontrollfunktion aus, nicht unähnlich der einer parlamentarischen Opposition bei uns. Was aber ist das für eine Demokratie, in der das Volk Opposition ist?

Zweitens glaube ich nicht, dass politische Entscheidungen sich dadurch qualitativ verbessern, dass sie vom Volk getroffen werden. (Hier in Berlin zum Beispiel wird wohl demnächst ein Volksentscheid – eigentlich eher eine Volksbefragung, aber gut – zum Schicksal des alten Flughafens Tempelhof stattfinden. Ich neige dazu, für Tempelhof zu stimmen, schon aus Nostalgie, aber wenn man mich fragen würde, mit welchen Argumenten ich den Standpunkt des Senats erschüttern wollte, wonach Tempelhof geschlossen werden müsse, weil sich der neue Großflughafen sonst nicht rechne, der aber seinerseits eine wirtschaftliche Notwendigkeit sei, dann könnten diese Argumente aus meinem Munde nur lauten: „Äh…“
Also besonders kompetent im Detail bin ich nicht, genauso wie die Mehrheit meiner Mitbürger. Viel leichter ist es, Personen zu beurteilen.)

Wer mehr Demokratie will, darf sich also nicht mit Placebos wie „Volksentscheiden“ abspeisen lassen, sondern muss darauf bestehen, dass das Volk über die Frage entscheidet, auf die es einzig und allein ankommt, nämlich: Wer soll regieren?

Das läuft auf die radikale Entmachtung der Parteien hinaus: auf die Abschaffung des Verhältniswahlrechts, die Direktwahl des Regierungschefs durch das Volk und die Kandidatennominierung durch Vorwahlen (an denen nicht nur Parteimitglieder beteiligt sein dürfen). Das zu erwartende Ergebnis wäre nicht nur eine demokratischere Politik, sondern auch eine bessere, und sogar eine unterhaltsamere. Wie in Amerika.

Nachschlag

Anlässlich des Beitrags „Wer hat die Hessenwahl gewonnen?“ hat Beer7 mich auf einen Kommentar von Jost Kaiser aufmerksam gemacht, der ganz anderer Meinung ist als ich. Kaiser kritisiert zunächst die FAZ dafür, dass sie Roland Koch unterstützt, sich gar mit ihm gemein gemacht habe, mokiert sich über die Vorstellung einer linken Dominanz in den deutschen Medien und zeigt sich überzeugt, dass Koch einen ausländerfeindlichen Wahlkampf geführt und seine Niederlage daher verdient habe.

Dass ich an Kochs persönlicher Glaubwürdigkeit meine Zweifel habe, habe ich schon an anderer Stelle erwähnt. Nur ist die völlig irrelevant, verglichen mit den zu erwartenden politischen Folgen seiner Niederlage. Ich habe an Jost Kaiser eine Antwort als Kommentar in seinem Blog geschrieben. Dieser Kommentar ist zunächst in der Mitte abgeschnitten worden, vermutlich weil er für einen Blog-Kommentar zu lang war. Deswegen, und als Ergänzung zu den vorherigen Beiträgen zum Thema, veröffentliche ich ihn hier. Ich steige ein mit einem Zitat aus Kaisers Artikel:

„Von Hans-Joachim Friedrichs wird nur ein Satz überliefert, der aber ist ganz gut:
‚Ein Journalist darf sich mit keiner Sache gemein machen. Auch nicht mit einer guten.‘

Angenommen, die gute Sache sei Roland Koch. Dann sieht man das bei der „F.A.Z.“ mit dem gemein machen wohl fundamental anders.“

Stimmt. genau wie die entgegengesetzte Feststellung stimmt: „Angenommen, die gute Sache sei die Gegnerschaft zu Roland Koch. Dann sieht man das mit dem gemein machen bei sämtlichen deutschen Massenmedien mit Ausnahme von FAZ und ‚Bild‘ wohl fundamental anders.“

Ob man dies eine Kampagne nennen oder annehmen will, der deutsche Journalismus sei von einem seiner periodisch auftretenden Anfälle von Herdentrieb heimgesucht worden, lasse ich dahingestellt. Wenn sich aber sämtliche Schreiber der Republik über ein Wahlplakat empören, weil Ypsilanti darauf „Ypsilanti“ und Al-Wazir „Al-Wazir“ genannt wird und keiner auf die Idee kommt, dass daran etwas lächerlich sein könnte, dann ist das wohl ein starkes Indiz mindestens für Konformismus.

(Zumal diese Sensibilität in einem merkwürdigen Missverhältnis steht zu der Selbstverständlichkeit, mit der dieselbe Presse hinnimmt, dass auf demselben Plakat Mitglieder der Linkspartei kurzerhand als „Kommunisten“ abgestempelt, sprich mit Stalin, Mao und dem Gulag in Verbindung gebracht werden. Und ganz nebenbei: Dieselben Medien, die Helmut Kohl jahrelang den „Pfälzer“ genannt und offen darauf spekuliert haben, dass „der Pfälzer“ beim Publikum ungefähr so ankommen würde wie „der Dorfdepp“, täten gut daran, die feinen Anspielungen auf CDU-Plakaten nicht mit einer Elle zu messen, gemessen an der sie selbst jahrelang blanke Demagogie getrieben haben.)

Ja, aber die CDU hat doch auf fremdenfeindliche Ressentiments spekuliert! Na, und wenn?

Wenn es legitim ist, dass viele Wähler einen Kanzlerkandidaten der CSU schon deshalb a priori ablehnen, weil sie auf keinen Fall von einem Bayern regiert werden wollen, dann kann es nicht illegitim sein, dass es Menschen gibt, die nicht von einem Muslim regiert werden wollen. (Und man stelle sich vor, was in diesem Land los wäre, wenn über Herrn Al-Wazir so geschrieben würde wie einst über Franz Josef Strauß: „Der ist gemacht aus Barbarei und Blutwurst, aus Bier und Frömmelei!“). Es ist weder neu, noch ist es auf das Thema „Migrantenkriminalität“ beschränkt, noch eine Spezialität der CDU, noch auch nur vermeidbar, dass politische Positionen in Wahlkämpfen holzschnittartig vergröbert werden. Wer damit ein Problem hat, hat ein Problem mit der Demokratie.

Wenn in ein- und derselben Bevölkerungsgruppe – nämlich unter Migranten muslimischen Glaubens – Bildungsverweigerung, Machismo, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus, religiöse Intoleranz, politischer Extremismus und eben Gewaltkriminalität gleichzeitig und in deutlich höherem Maße als in der Gesamtbevölkerung auftreten, dann ist ein Zusammenhang zwischen diesen Phänomenen naheliegend; ich würde sogar sagen: Er ist offensichtlich. Und dann kann man nicht einen Aspekt herausgreifen – hier also die Kriminalität -, ohne den (sub-)kulturellen Hintergrund mitzuthematisieren. Tut man dies aber, noch dazu in der mit einem Wahlkampf notwendig verbundenen plakativen Form, dann folgt darauf der Vorwurf der „Ausländerfeindlichkeit“ so sicher wie der Donner auf den Blitz.

Dass dieser Vorwurf, wenn er praktisch von sämtlichen Medien erhoben wird (und dann auch noch mit zählbarem Erfolg), ausreichen wird, das ganze Thema auf Jahre hinaus totzutrampeln, mag Sie befriedigen, und selbstverständlich ist es Ihr gutes Recht, sich für das Thema „Migrantenkriminalität“ nicht zu interessieren. Ich bin aber sicher, es würde Sie interessieren und Ihr Kommentar wäre ganz und gar anders ausgefallen, wenn man Ihrem Sohn, wie meinem, mal eben eine Pistole an die Schläfe gehalten hätte; wenn Ihre Tochter, wie meine, sich auf der Straße, da unverschleiert, mit „Üsch fück düsch, du deutsche Schlampe“, anpöbeln lassen müsste; wenn Ihr Nachbar Ihnen, wie mir, anlässlich einer nichtigen Meinungsverschiedenheit gedroht hätte, Ihre Frau zu vergewaltigen. (Besagter Nachbar musste übrigens untertauchen, weil er als Drogenhändler von der Polizei gesucht wurde.)

In der Regel bleibt es in solchen Fällen bei der bloßen Drohung (die aber als solche bereits barbarisch ist!); dass man sich darauf aber nicht verlassen kann, zeigt die Kriminalstatistik der wenigen Bundesländer, in denen die statistische Erfassung des Migrationshintergrundes von Verdächtigen nicht aus Gründen der Political Correctness untersagt ist.

Noch sind wir nicht an dem Punkt, wo man sich in deutschen Großstädten wie im New York der siebziger und achtziger Jahre seines Lebens nicht mehr sicher sein kann. Es bedürfte aber jetzt energischer politischer Intervention zu verhindern, dass es dahin kommt. Man kann auch ohne Prophetengabe vorhersagen, dass diese Intervention unterbleiben wird, und dies nicht zuletzt deshalb, weil die Medien dem Thema das Etikett „ausländerfeindlich“ aufgepappt und damit Erfolg gehabt haben.

Dass die Publizistik sich im „Würgegriff“ der Linken befinde, dass Linke das Land zersetzten und Leute zum Schweigen brächten, die die Wahrheit sagen, das nennen Sie eine – und man sieht geradezu das Naserümpfen – „kleinbürgerliche“ Paranoia. Unter den gegebenen Umständen hielte ich das für dreist, wenn ich nicht Ihnen und Ihren politisch korrekten Kollegen die Naivität sogar abkaufen würde, mit der Sie und sie bestimmte normative Prämissen linker Ideologie so sehr als Selbstverständlichkeiten verinnerlicht haben, dass ihnen schon deshalb der Gedanke fremd sein muss, hier könne etwas „links“ sein.

Axiom linker Ideologie ist,

– dass jedes gesellschaftliche Machtungleichgewicht von vornherein verwerflich sei: also nicht nur das zwischen Reichen und Armen, sondern auch (die Liste ist äußerst unvollständig) zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, Christen und Muslimen, Israelis und Palästinensern, Weißen und Schwarzen, Männern und Frauen, Arbeitenden und Arbeitslosen, Inländern und Ausländern,

– dass solche Ungleichgewichte auf einem Unrecht beruhten, dass die jeweils stärkere Seite der Schwächeren antue,

– und dass es dieses „Unrecht“ durch die systematische Bevorzugung der schwächeren Seite auszugleichen gelte.

Und so kommt es, dass unsere Medien es keiner Begründung für wert erachten, wenn sie prinzipiell und ohne Rücksicht auf den jeweils konkreten Sachverhalt die Partei der Entwicklungsländer, Muslime, Palästinenser, Schwarzen, Frauen, Arbeitslosen und Ausländer ergreifen. So kommt es, dass die demagogische Verunglimpfung etwa von Bayern, Pfälzern, Linksparteimitgliedern und Kleinbürgern, kurz: von Inländern, als völlig unproblematisch, womöglich gar als journalistische Tugend gilt, während Kritik an Ausländern, und sei sie noch so wahrheitsgemäß, als „rassistisch“ gebrandmarkt wird. So kommt es, dass Journalisten massenhafte Gewaltkriminalität als

„sogenannte ‚Missstände'“

verharmlosen, ja veralbern, weil sie

„sehr genau spüren, wo das ‚Ansprechen‘ sogenannter ‚Missstände‘ hinführen kann, zum Glück aber diesmal – anders als 1999 („Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben“) – nicht hingeführt hat. „

Im Klartext: Sie haben ein Problem mit Deutschen, die den Kugelschreiber zücken, aber keines mit Arabern, die das Messer ziehen.

Genau das, Herr Kaiser, ist linke Ideologie.“

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Die Bücher von  Henryk M. Broder

Wer hat die Hessenwahl gewonnen?

Es konnte nicht ausbleiben, dass die Journaille uns die Niederlage von Roland Koch, sprich den Erfolg ihrer eigenen Kampagnenschreiberei als „Sieg der politischen Kultur“ verkaufen würde. Bevor ich danach frage, wer hier tatsächlich gesiegt hat, nutze ich die Gelegenheit festzuhalten, was man in diesen Kreisen unter „politischer Kultur“ versteht:

Erstens, dass es nicht darauf ankommt, ob etwas wahr, sondern ob es politisch korrekt ist,

zweitens, dass man Ausländer grundsätzlich nicht kritisieren darf [siehe meinen gestrigen Beitrag],

drittens, dass unhaltbare gesellschaftliche Zustände nicht kritisiert werden dürfen, wohl aber der, der sie anprangert,

viertens, dass der Staat nicht primär dafür da ist, seine Bürger zu schützen, sondern Gewaltverbrecher zu hätscheln,

fünftens, dass Medien, die sich viel auf ihre „Seriosität“ zugute halten, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen oder auch die ZEIT, blanken Kampgnenjournalismus treiben,

sechstens, dass sie damit Erfolg haben.

Gewonnen hat nicht die politische Kultur. Gewonnen hat diese Wahl eine linke Sozialdemokratin, deren Namen ich nicht nennen darf, weil das sonst fremdenfeindlich wäre, die ich deshalb mit Gerhard Schröder als „diese Frau XY“ tituliere, und die ihren Sachverstand durch ihren unermüdlichen Kampf gegen die Agenda 2010 unter Beweis gestellt hat; hätte sie damit Erfolg gehabt, so hätten wir jetzt anderthalb Millionen Arbeitslose mehr, aber was macht das schon?

Gewonnen haben ferner einige tausend Gewohnheitsverbrecher mit und ohne deutschen Pass, die sich bisher schon darauf verlassen konnten, dass sie keine ernsthaften Strafen zu befürchten haben, schon gar keine Ausweisung, und denen der hessische Wähler heute die Gewissheit beschert hat, dass das auch weiterhin so bleiben wird, weil sich in absehbarer Zeit kein Politiker mehr trauen wird, daran etwas zu ändern.

Gewonnen haben darüberhinaus einige hunderttausend arabische und türkische Jung-Machos, die ganz selbstverständlich und gewohnheitsmäßig und aus nichtigsten Anlässen ihren Mitmenschen, am liebsten natürlich den „Scheißdeutschen“, Prügel und Schlimmeres androhen. Wenn man ihnen Contra gibt, stellt man meist fest, dass man es mit Hunden zu tun hat, die bellen, aber nicht beißen. Nur: Weiß man’s?

Und welche Frau, welcher alte Mensch traut sich denn, ihnen Contra zu geben? (Ich als Hundertkilo-Mann habe da leicht reden.) Glaubwürdig, und für die Betroffenen einschüchternd, sind diese Drohungen durchaus, und zwar allein schon deshalb, weil alle Beteiligten wissen, dass jugendliche Gewalttäter nicht viel zu befürchten haben; der Staat wird ihnen schon noch die zweite, dritte und hundertzehnte Chance geben.

Nein, diese Hessenwahl war kein Sieg der politischen Kultur. Sie war ein Sieg der islamischen Gewaltkultur über die europäische Zivilisation.

Eine Katastrophe.

 

 

Genossen, der Schwank geht weiter!

Erinnert sich noch jemand an dieses Plakat?

An den Aufschrei, der durch das gesammelte Gutmenschentum der nördlichen Hemisphäre fuhr? Daran, dass die Vereinten Nationen ihren Antirassismusbeauftragten in Marsch setzten, um die Schweizer Mores zu lehren? [Zu meinem damaligen Beitrag] Man sollte meinen, dass diese Orgie der Political Correctness an Absurdität nicht zu übertreffen war.

Wie man sich täuschen kann. Wir Deutschen sind notorisch gründlich, und das heißt unter anderem: Es gibt keinen Irrsinn, den WIR nicht noch auf die Spitze zu treiben verstünden! Und sei es um den Preis der unfreiwilligen Satire.

In der dieswöchigen Ausgabe von „Hart, aber fair“ (Ich muss wohl eine falsche Vorstellung davon haben, was unter „fair“ zu verstehen ist.) wurde die hessische CDU endgültig moralisch vernichtet, und zwar mit diesem Plakat:

hessen.jpg

Nanu, dachte ich, als ich den strafenden Blick des Moderators sah, wo ist denn jetzt das Problem? Nun gut, die Partei „Die Linke“ umstandslos als „die Kommunisten“ zu titulieren entspricht vielleicht nicht dem neuesten Stand der Politischen Wissenschaft, aber eine Partei mit deren Vergangenheit wird sich das gefallen lassen müssen, erst recht im Wahlkampf.

Ich bin bekanntlich politisch etwas unbedarft, und so entging mir, was der Adlerblick des Gutmenschen sofort erfasste: nämlich, dass es nicht etwa unfair war, die Linken Kommunisten zu nennen, wohl aber fremdenfeindlich, Ypsilanti „Ypsilanti“ und Al-Wazir „Al-Wazir“ zu nennen. Durch die Nennung der ausländischen Namen werde nämlich unterschwellig an fremdenfeindliche Emotionen appelliert.

Man wundert sich ja schon nicht mehr, dass bestimmte Wahrheiten nicht ausgesprochen werden dürfen, wenn sie von der Political Correctness als „böse“ markiert worden sind. Dass man aber Menschen nicht einmal bei dem Namen nennen darf, der in ihrem Personalausweis steht, weil das sonst fremdenfeindlich ist, das kann doch nur Satire sein, oder?

Wie wäre denn eigentlich das folgende Plakat zu bewerten?

[Das ursprünglich hier verlinkte Bild zeigte Philipp Rösler]

Da muss in der niedersächsischen FDP wohl ein ganz besonders durchtriebener Intrigant am Werk sein, der den Wahlkampf des eigenen Spitzenkandidaten dadurch sabotiert, das er dessen Gesicht vorzeigt, noch dazu vor einem gelben (!) Hintergrund, um unterschwellig die Angst der Wähler vor der „gelben Gefahr“ auszubeuten! Man sollte die Vereinten Nationen alarmieren!

Oder darf man ausländische Namen bloß in einem kritischen Zusammenhang nicht nennen? Das wäre interessant: Man darf Menschen mit ausländischem Namen also entweder gar nicht kritisieren, oder nur, wenn man dabei ihre Namen verschweigt. Also entweder nicht kritisieren oder nicht sagen, wen man kritisiert.

(Für alle, die sich nie zu fragen trauten, was das Wort „kafkaesk“ bedeutet: Das ist kafkaesk!)

Anders gesagt: Jede Kritik an Ausländern, unabhängig von ihrem Inhalt, ist automatisch fremdenfeindlich! Wir hatten zwar schon immer vermutet, dass gewisse Leute so denken. Das sie aber die Chuzpe haben würden, ihr eigenes gestörtes Verhältnis zur Wahrheit, zur Meinungsfreiheit und zur Demokratie derart ungeschminkt zum gleichsam offiziellen Standpunkt eines öffentlich-rechtlichen Senders zu erheben, gehört zu der Sorte Überraschungen, auf die man gut hätte verzichten können.

Es ist, glaube ich, an der Zeit, wieder einmal ein paar Binsenweisheiten zum Besten zu geben:

Demokratie heißt Volkssouveränität!

Damit haben verschiedene Leute schon deshalb Schwierigkeiten, weil darin das Wort „Volk“ steckt, das ja, spätestens wenn es konkret wird, immer ein ganz bestimmtes Volk meint, im Zweifel das eigene. Dass in Deutschland das deutsche Volk souverän ist, ist zwar eine Selbstverständlichkeit, widerspricht aber der Political Correctness derart, dass ihre Verfechter ihr Möglichstes tun, diesem misslichen Zustand abzuhelfen.

Und erst „Souveränität“! Souverän ist derjenige, der sich für seine Entscheidungen nicht zu rechtfertigen braucht. Zum Beispiel der Wähler in seiner Kabine. Der darf nach jedem Kriterium entscheiden, das ihm passt. Ob er einen Politiker wählt – oder auch nicht wählt -, weil er sein Programm gut (oder schlecht) findet, oder weil er so gut aussieht, oder weil seine Ehefrau sich sozial engagiert, oder weil er (der Wähler) vor der Wahl eine Münze geworfen hat, spielt überhaupt keine Rolle – erlaubt ist alles.

Es gibt in Deutschland viele Menschen, die einen Kanzlerkandidaten der CSU schon deshalb ablehnen, weil sie auf keinen Fall von einem Bayern regiert werden wollen. (Man erinnere sich zum Beispiel, was Wolf Biermann, damals noch links, über den Kandidaten Strauß dichtete: „Der ist gemacht aus Barbarei und Blutwurst, aus Bier und Frömmelei!“ Über Bayern darf man offenbar in diesem Stil schreiben. Den grünen Spitzenkandidaten Al-Wazir darf man nicht einmal beim Namen nennen, geschweige denn mit araberfeindlichen Klischees in Verbindung bringen!)

Auch wenn es einem im Einzelfall nicht passen mag: Der Wähler darf einen Bayern wegen dessen Herkunft ablehnen. Ebenso wie er einen Muslim arabischer Herkunft ablehnen darf! Zu sagen „Ich will nicht von einem Muslim regiert werden“ ist nicht Diskriminierung, sondern: Souveränität!

Man könnte die Aufregung um das Plakat als schlechten Witz verbuchen, wenn es nicht so bezeichnend für das geistige Klima in unserem Land wäre, dass man solche Possen treiben kann, ohne Angst vor der Lächerlichkeit haben zu müssen. Bei der Wahl in Hessen geht es aber um mehr als um einen bühnenreifen Schwank:

Man muss Roland Koch nicht sympathisch finden; sogar die hartgesottenen Kollegen von der „Acht der Schwerter“ können ihn nicht ausstehen. Man muss seine Law-and-Order-Sprüche auch nicht für glaubwürdig halten; dazu hat er bei Polizei und Justiz zu oft den Rotstift angesetzt. Man muss aber sehen, dass die hessische CDU einen Versuchsballon startet: Kann man mit dem Versprechen, kriminelle Migranten auszuweisen, eine Wahl gewinnen, ja oder nein?

Lautet die Antwort „Nein“, dann verschwindet das Thema mindestens für die nächsten zehn Jahre von der Tagesordnung. Die Zeche dafür werden diejenigen Bürger zu zahlen haben, die es sich nicht leisten können, in Gegenden mit einem niedrigen Migrantenanteil zu ziehen – im Gegensatz zu all den liberalen Leitartiklern, Richtern und Politikern, die auf Kosten ihrer weniger begüterten Mitbürger ihre politisch korrekten Illusionen pflegen. Diejenigen also, die es beim besten Willen nicht als „Bereicherung unserer Kultur“ empfinden können, nahezu täglich von türkischen oder arabischen Halbstarken beleidigt, angepöbelt und bedroht zu werden – wenn sie Glück haben (Der Rentner in München hatte dieses Glück nicht.). Diejenigen Frauen, denen mit Vergewaltigung gedroht wird, wenn sie sich unverschleiert in gewissen Vierteln zeigen. Diejenigen Schüler, die sich angewöhnen mussten, ihre eigene Muttersprache mit türkischem Akzent zu sprechen, um nicht gemobbt zu werden. Diejenigen Polizisten, die in gewissen Vierteln keine Festnahme mehr durchführen können, ohne sich einer Horde von gewaltbereiten Landsleuten der Betroffenen gegenüberzusehen; wer das nicht glauben mag, lese die einschlägigen Artikel zum Beispiel im „Tagesspiegel“ nach, weiß Gott keinem Zentralorgan der Fremdenfeindlichkeit.

Morgen fällt in Hessen eine Vorentscheidung: darüber, ob deutsche Städte auch in zehn Jahren noch zur zivilisierten Welt zu rechnen sein werden.

Gelesen: Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht

Gunnar Heinsohn ist der Meistignorierte unter den bedeutenden Köpfen unseres Landes, und wahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass er gesellschaftswissenschaftliche Fragen aus allen Disziplinen (Geschichte, Soziologie, Politische Wissenschaft, Volkswirtschaft) aus einer ganz ungewohnten Perspektive – der des Demographen – analysiert und dabei obendrein zu wichtigen Erkenntnissen gelangt.

Leuten wie mir, denen eine Idee gar nicht originell genug sein kann, ist er damit sympathisch, den Wissenschaftlern, in deren Fachgebieten er wildert, eher weniger.

Vor über zwanzig Jahren etwa veröffentlichte er seine These (Heinsohn/Steiger, Die Vernichtung der Weisen Frauen, München 1985), die europäische Bevölkerungsexplosion seit Ende des 15.Jahrhunderts sei die geplante und beabsichtigte Folge der zur gleichen Zeit massiv und europaweit einsetzenden Hexenverfolgung gewesen. Mit deren Hilfe habe man das Wissen um die traditionellen Methoden der Geburtenkontrolle ausrotten wollen, um Europa nach den Bevölkerungsverlusten speziell des 14. Jahrhunderts im Sinne des Frühmerkantilismus zu „repeuplieren“.

Der besondere Charme dieser These lag darin, dass sie gleich zweibis dahin ungelöste Fragen der europäischen Geschichte beantwortete: die nach den Ursachen der Bevölkerungsexplosion und die nach den Ursachen der Hexenverfolgung. Als ich das Buch damals las, dachte ich: „Was für eine interessante These; mal sehen, was die Historiker dazu sagen“.

Nun, die Historiker sagten – nichts. Heinsohns Theorie gilt bis heute als Außenseiterhypothese, die weder aufgegriffen noch überzeugend widerlegt, sondern ignoriert wird.

Einfachheit und Originalität sind die Stärken von Heinsohns Denken. Leider sind sie nicht die Stärken des deutschen Wissenschaftsbetriebes. Und so hat auch „Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen“ (Zürich 2003) nicht die gebotenen Aufmerksamkeit erfahren. Was ein Unglück ist, weil es darin um nicht weniger geht als um die weltpolitischen Gefahren mindestens der nächsten zwnzig Jahre und darum, wie man mit ihnen fertig wird.

Wieder vertritt er eine einfache These, nämlich dass Gesellschaften umso gewalttätiger werden, je größer der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung ist. Die Faustregel lautet, dass mit erheblichen Konflikten zu rechnen ist, sobald der Anteil der 15-24jährigen über 20 Prozent bzw. der 0-15jährigen über 30 Prozent liegt. Bei einem solchen „youth bulge“, wie er im Fachjargon heißt, wächst nämlich die Bevölkerung schneller als die Anzahl der Positionen, die mit Macht und Prestige verbunden sind. Ist aber die Anzahl junger Männer deutlich größer als die Anzahl der Väter, deren Positionen übernommen werden können, dann ist der Kampf um solche Positionen die natürliche Folge.

Dieser Kampf kann in verschiedenen Formen stattfinden, die einander keineswegs ausschließen, sondern oft gleichzeitig und in Verbindung miteinander auftreten: Auswanderung, Eroberungskrieg, Völkermord, politischer Extremismus (Terrorismus, Bürgerkrieg, Revolution), massenhafte Gewaltkriminalität.

Der Autor führt dafür zahlreiche historische Beispiele an. Am Eindrucksvollsten dabei die oben schon erwähnte europäische Bevölkerungsexplosion, in deren Folge Europa die Welt eroberte und sich zugleich unzählige Kriege, Bürgerkriege, Revolutionen und Massenmorde auf dem eigenen Kontinent leistete. Er untermauert seine These, indem er aufzeigt, dass von den aktuell (2003) siebenundsechzig Nationen, die einen „youth bulge“ aufweisen, nicht weniger als sechzig (!) von Massengewalt in wenigstens einer der genannten Formen betroffen sind. Heinsohn geht davon aus, dass dieses Problem bis etwa 2025 die Weltpolitik prägen und auch den Westen mit erheblichen Gefahren konfrontieren wird. Der Höhepunkt des Jugendanteils weltweit ist, so Heinsohn, zur Zeit erreicht. Aufgrund sinkender Geburtenraten ist ab etwa 2025 mit einer zunehmenden Entspannung zu rechnen, und spätestens ab 2050 dürften „youth-bulge“-induzierte Konflikte der Vergangenheit angehören.

Heinsohn wendet sich explizit gegen klassische Überbevölkerungstheorien, die Hunger und Not als Hauptursache von Konflikten benennen, und betont, dass in keinem anderen Punkt Friedens- und Kriegsforscher weiter auseinanderliegen: Hungernde Menschen geben schlechte Krieger ab. Um Brot wird gebettelt, gekämpft wird um Macht und Reichtum!

Die brutale Konsequenz aus dieser Diagnose – die allein schon zur Ablehnung seiner Theorie führen dürfte -, lautet, dass der Kampf gegen Hunger und Armut, wenn er denn erfolgrich sein sollte, in Ländern mit einem Jugendüberschuss nicht zu einem besseren Leben führen wird, sondern dazu, dass Hunger gegen Instabilität getauscht wird. Drastisch ausgedrückt: Dass die Menschen nicht mehr verhungern, sondern gefoltert, vergewaltigt, vertrieben und ermordet werden. (Über den jüngsten Gewaltausbruch in Kenia jedenfalls wäre man im Westen weniger überrascht, wenn Heinsohns Thesen allgemein bekannt gewesen wären und man deshalb der Tatsache Beachtung geschenkt hätte, dass Kenia einen Anteil allein von Kindern (0-15 J.) an der Gesamtbevölkerung von 42% aufweist.)

Dabei können wir im Westen, zynisch aber realistisch gesprochen, noch von Glück reden, wenn die überschüssigen jungen Männer sich gegenseitig umbringen, statt den Westen ins Visier zu nehmen. Heinsohn weist zwar zu Recht darauf hin, dass deren Gewalttätigkeit, sofern sie sich ein spezifisch politisches Ventil sucht, von jeder beliebigen Ideologie oder Religion befeuert werden kann. Er unterliegt aber einer fatalen Fehleinschätzung, wenn er glaubt, deswegen die konkreten ideologischen Inhalte ausblenden, speziell den Faktor „Islam“ ignorieren zu können. Im Hinblick auf die Konsequenzen für uns ist es nämlich ein erheblicher Unterschied, ob Hutu über Tutsi herfallen, oder ob frustrierte junge Ägypter glauben, gegen die „Ungläubigen“ zu Felde ziehen und in westlichen Metropolen Bomben legen zu müssen. Hier gerät Heinsohns rein demographischer Ansatz, der stets Gefahr läuft, Sozialwissenschaft auf Bevölkerungsarithmetik zu reduzieren, an die Grenzen seiner Erklärungs- und Prognosekraft.

Westliche Staaten, die in Ländern mit einem Jugendüberschuss militärisch intervenieren, tun gut daran, sich über ihre Chancen keine Illusionen zu machen:

„Youth-bulge“-befeuerte Völker sind ungemein konfliktbereit und -fähig, weil sie über ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Kriegern verfügen, die als zweite, dritte und vierte Söhne ihrer Familien entbehrlich sind, während stagnierende oder schrumpfende Nationen (also nahezu alle westlichen) mit dem Leben ihrer Soldaten so schonend wie möglich umgehen müssen. Im direkten Konflikt drohen kriegführende westliche Staaten die Unterstützung der eigenen Bevölkerung zu verlieren, weil sie vor dem Dilemma stehen, entweder zu viele eigene Soldaten opfern oder, um dem zu entgehen, zu viele Zivilisten der Gegenseite töten zu müssen.

Die Israelis zum Beispiel haben 2006 den Libanonkrieg verloren, weil sie nicht bereit waren, gegen die in Ortschaften gut verschanzten, fanatisch entschlossenen Kämpfer der Hisbollah die einzige Strategie anzuwenden, die in solchen Fällen dem Angreifer einen Erfolg ohne untragbare Eigenverluste verspricht, nämlich diese Ortschaften mit überwältigender Feuerkraft dem Erdboden gleichzumachen und dabei den Tod von möglicherweise einigen Zehntausend Zivilisten in Kauf zu nehmen.

Aus ähnlichen Gründen kann der Westen die Taliban nicht besiegen: Auch die Paschtunenstämme beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze haben einen der größten Youth-bulges der Welt. Zieht man die jungen Männer ab, die bei Polizei und Armee beider Staaten unterkommen oder sich sonst eine wirtschaftliche Existenz aufbauen können, so bleibt immer noch ein Reservoir von rund dreihunderttausend Mann jährlich(!!!), die den Taliban als potenzielle Rekruten zur Verfügung stehen, und die gegen die bloß 38.000 Mann starken westlichen Truppen ins Feld gestellt werden können. Der Westen hat keine Chance, diesen Krieg zu gewinnen, weil er nicht bereit ist, seine überlegene Technologie in die Waagschale zu werfen; denn das hieße: die Taliban aus der Luft in ihrem pakistanischen Hinterland anzugreifen. Sie und die Zivilisten, zwischen denen sie sich bewegen. Welcher westliche Staatsmann wollte wohl dafür die Verantwortung übernehmen – und würde es politisch überleben, wenn er es täte?

Eine realistische westliche Strategie besteht nach Heinsohn unter diesen Umständen darin, sich erstens auf Konflikte mit „Youth-bulge“-Nationen dann – aber nur dann! dann aber unbedingt! – einzulassen, wenn es zwingend (!) erforderlich ist; zweitens darauf zu setzen, gegebenenfalls auch dafür zu sorgen, dass die überzähligen Krieger dieser Länder sich in internen Konflikten gegenseitig töten, statt die westliche Welt zu bedrohen. Das klassische Instrument sind dabei diktatorische Regime, in deren Sicherheitskräften ein kleinerer Teil des Jugendüberschusses unterkommt, während der große Rest bei der mehr oder minder revolutionären Opposition landet, die von ersterer Fraktion unterdrückt wird, notfalls blutig.

Solche Konflikte durch Errichtung demokratischer Strukturen zu entschärfen, ist eine Möglichkeit, die Heinsohn nicht erörtert. Er verweist darauf, dass etwa in Lateinamerika die meisten Dktaturen just zu der Zeit errichtet wurden, als der dortige Youth-bulge seinen Höhepunkt erreichte, und vermutet wahrscheinlich, dass eine Demokratie unter den Bedingungen eines Jugendüberschusses Kräfte entfesselt, die nur siegreich sein oder unterdrückt werden können, in beiden Fällen aber in eine Diktatur münden. So richtig es ist, dass Demokratie ein Regelwerk für die Austragung von Konflikten bereitstellt (und daher zu deren Entschärfung beitragen kann), so zahlreich sind doch die Beispiele von Demokratien, die bloß die Bühne für die Machtkämpfe waren, nach deren Entscheidung die Bühne selbst abgebaut wurde. Demokratie in Ländern wie Saudi-Arabien oder Ägypten würde nach dem dann unvermeidlichen Wahlsieg von Islamisten wahrscheinlich flugs wieder abgeschafft. Für ein solches Demokratie-Experiment die Sicherheit der bereits bestehenden (westlichen) Demokratien aufs Spiel zu setzen, schiene mir abenteuerlich; da ist mir das Hemd doch näher als der Rock. Ich respektiere jeden, der es aus demokratischem Idealismus trotzdem befürwortet, gebe aber zu bedenken, dass es vom Idealismus zu Illusionismus oft nur ein Schritt ist. (Zumal man in diesem Zusammenhang bedenken muss, dass gerade islamistische Politik darauf abzielt, den Jugendüberschuss durch Versklavung von Frauen auf Dauer zu stellen. In diesem Fall könnte man sich nicht einmal mit Heinsohns optimistischer Prognose für die Zeit nach 2025 trösten; die stimmt dann nämlich nicht mehr.)

Am Beispiel Israels, also desjenigen westlichen Staates, der überhaupt keine Chance hat, dem Konflikt zu entgehen, lassen sich die Probleme und Dilemmata besonders deutlich aufzeigen, in die westliche Politik in solchen Konflikten zu geraten droht. (Überhaupt scheint der Nahostkonflikt wie kein zweiter dazu zu taugen, die Brauchbarkeit von Heinsohns Ansatz zu illustrieren.)

Israel steht bekanntlich einem Feind gegenüber, dessen Jugendüberschuss gewaltig ist (im Gazastreifen ist er sogar der höchste weltweit), und das von Heinsohn zitierte Wort Arafats, wonach die Gebärmütter der Frauen den Krieg entscheiden würden, ist nur eines von unzähligen Zeugnissen dafür, dass die palästinensischen Führer sich vollkommen darüber im Klaren sind, dass die Kampfbereitschaft eines Volkes von der Anzahl an überschüssigen Söhnen abhängt – und vermutlich wissen sie umgekehrt auch, dass solche überschüssigen Söhne, wenn sie einmal da sind, zu kaum etwas anderem taugen als dazu, sich zu prügeln. Die Prognose, zu der man gelangt, wenn man Heinsohns Theorie anwendet, ist umso überzeugender, als sie sich in nichts von der unterscheidet, zu der man auch aufgrund einer im engeren Sinne politischen Analyse gelangen würde (sofern diese nicht auf Illusionen aufbaut), nämlich, dass es einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern in absehbarer Zeit nicht geben wird – wohl kann es ein Abkommen geben, das wird aber dann nicht eingehalten werden -, und zwar weil der Youth-bulge fortbesteht, die bisher sein Zustandekommen letztlich verhindert hat. Es gibt grundsätzlich vier mögliche Szenarien, wie dieser Konflikt enden kann:

1. Er schleppt sich mit der gegenwärtigen geringen Intensität noch Jahrzehnte hin, bis die palästinensischen Geburtenraten – wodurch auch immer – so weit zurückgehen, dass der Jugendüberschuss verschwindet.

2. Wie 1, nur verschwindet der Jugendüberschuss durch innerpalästinensischen Bürgerkrieg, wirtschaftlichen Zusammenbruch, Hungersnot und Flucht großer Bevölkerungsteile ins Ausland.

3. Israel massakriert bzw. vertreibt eine sechs- oder siebenstellige Anzahl palästinensischer Zivilisten. (Diese Lösung entspräche in etwa Heinsohns Analyse des Konflikts zwischen Serben und Kosovaren; ihr zufolge hätten die Serben aufgrund der Befürchtung, den Kosovaren in absehbarer Zeit aufgrund von deren Jugendüberschuss nicht mehr gewachsen zu sein, gleichsam präventiv den Völkermord versucht. Es spricht offensichtlich für die Israelis, dass sie eine solche Lösung nicht einmal in Erwägung ziehen, obwohl sie stärker bedroht sind, als die Serben es jemals waren.)

4. Der Staat Israel verliert den Konflikt und hört auf zu existieren.

In meinem Beitrag „Christlicher Fundamentalismus“ hatte ich noch argumentiert, größter Hemmschuh für die militärische Konfliktfähigkeit des Westens sei die Tatsache, dass sein Gesellschaftsmodell religiös zu wenig aufgeladen sei, als dass allzu viele Menschen bereit wären, ihr Leben dafür zu riskieren. Ich halte das weiterhin für richtig, aber zwei von Heinsohn beleuchtete Aspekte dürften mindestens ebenso wichtig sein:

Erstens, dass wir schlicht zu wenig junge Männer haben, als dass wir uns verlustreiche Kriege leisten könnten.

Zweitens, dass wir diesen Mangel nicht einfach durch Technologie ausgleichen können, weil dabei zu viele Zivilisten der Gegenseite getötet würden. Anders ausgedrückt: Was dem Westen das Genick brechen könnte, ist womöglich weniger unsere mangelnde Bereitschaft zu sterben als unsere mangelnde Bereitschaft zu töten!

Militärgeschichtlich ist dies ein Novum: Noch im Zweiten Weltkrieg wäre es allen Kriegführenden, einschließlich der Westmächte, absurd erschienen, eine Niederlage bloß deshalb in Kauf zu nehmen, weil man für einen Sieg zu viele feindliche Zivilisten hätte töten müssen. Heute dagegen gehört es zum guten Ton, beispielsweise den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki für ein Kriegsverbrechen zu halten.

Macht sich eigentlich jemand klar, dass der Westen in seiner heutigen moralischen Verfassung nicht mehr in der Lage wäre, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen? Dass ein US-Präsident, der (wie Truman im August 1945) vor der Wahl stünde, mehrere hunderttausend eigene Soldaten zu opfern oder per Atombombe mehrere hunderttausend feindliche Zivilisten zu töten, heute weder das eine noch das andere tun, sondern nur noch den Krieg abbrechen könnte? (Was 1945 bedeutet hätte, die riesigen japanisch besetzten Gebiete Asiens unter der Peitsche Japans zu belassen.)

Dies ist kein Plädoyer für brutalstmögliche Kriegführung. Selbstverständlich kann im Einzelfall die Option gegeben sein, den Krieg überhaupt zu vermeiden – bei den meisten politischen Konflikten ist dies gottlob so, weil sie nicht existenzieller Natur sind -; oder ihn, wenn man ihn schon nicht vermeiden kann, als Stellvetrteterkrieg zu führen, sprich eine dritte Partei gegen den Feind in Stellung zu bringen; oder, wenn auch das nicht geht, den dann unvermeidlichen Konflikt bei niedriger Hitze vor sich hin köcheln zu lassen (wie es die Israelis in ihrem Konflikt mit den Palästinensern tun und wie wie es wohl auch der westlichen Afghanistanstrategie entsprechen wird).

Wofür ich aber plädiere, ist Illusionslosigkeit: Es gibt Fälle, in denen eine Politik der Konfliktvermeidung, – ablenkung oder -begrenzung nicht möglich ist, wo aber zugleich die Akzeptanz einer Niederlage der Selbstaufgabe, ja dem Selbstmord gleichkäme. Was wäre denn, um nur dieses Beispiel zu nennen, wenn tatsächlich Terroristen in den Besitz von Atomwaffen gelangen würden? Hätte irgendein westlicher Staatsmann in einer solchen Situation das Recht zu spekulieren, es werde schon alles nicht so heiß gegessen wie gekocht? Würden wir akzeptieren, dass er in einer solchen Situation unser Leben seinen moralischen Skrupeln opfern würde? Zumal gegenüber einem Gegner, der solche Skrupel gar nicht kennt?

Eigentlich ist das eine Binsenweisheit, dass in existenziellen Konflikten im Zweifel Sieg vor Humanität geht. Eine Binsenweisheit, die aber in unserer Gesellschaft nicht mehr akzeptiert wird. Für deren Dekadenz ist vielmehr kennzeichnend, dass zwar ein kleiner Blogger wie ich dergleichen noch schreiben kann, ein Politiker aber, der es ausspräche, noch am selben Tag seinen Hut nehmen müsste.

Heinsohn ist ein Aufklärer; ein Mann, der Illusionen zerstört und sich wie Anderen jegliches Wunschdenken verbietet. Damit hat er wenig Aussicht auf Gehör in einer Gesellschaft, die zwar ironischerweise jede Form von individueller Sucht bekämpft (Nikotinsucht, Alkoholsucht, Tabletten-, Rauschgift-, Mager-, Fress-, Sex-, Spielsucht) aber kollektiv von ihrem eigenen Wunschdenken abhängig ist wie nur irgendein Heroinsüchtiger von seiner Spritze, und die dadurch an der kollektiven Selbstzerstörung kaum weniger konsequent arbeitet als der Fixer an der individuellen.

Wenn ich sage, Heinsohn sei ein Aufklärer, dann ist damit natürlich nicht gesagt, dass seine Thesen die Wahrheit schlechthin seien. Er entwickelt eine These von weitreichender Erklärungskraft auf erfrischenderweise weniger als 160 Textseiten und verschafft seinem Leser eine Fülle von Aha-Erlebnissen gerade dadurch, dass er sich konsequent auf eine einzige Erklärungsvariable – die Altersstruktur von Bevölkerungen – konzentriert.

Zu warnen ist aber vor der Verführungskraft solch monokausaler Theorien: Wer durch die Brille des Demographen blickt, erkennt zweifellos vieles, was ihm sonst entgangen wäre; er sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, alles andere sei deswegen irrelevant. Wo alles Demographie ist – und das ist bei Heinsohn der Fall, ungefähr so, wie bei Marx alles Klassenkampf war – schrumpft Soziologie schnell zur bloßen Rechenaufgabe. Welche geistigen Stolperdrähte hier gespannt sind, merkt man spätestens dort, wo der Autor empfiehlt, der Westen solle einen Teil des Jugendüberschusses afrikanischer und arabischer (!) Länder aufnehmen, also die Einwanderung von dort noch forcieren. Das Rezept für den kulturellen Selbstmord.

Wenn man seine Theorie aber nicht monokausal als „Erlärung für Alles“ und auch nicht deterministisch-fatalistisch missversteht, als seien Gewalt und Chaos immer, überall und zwangsläufig die Folge eines Jugendüberschusses, dann kommt man an seiner Theorie nicht vorbei. Heinsohn benennt ein Risikopotenzial, das von den gängigen politikwissenschaftlichen und soziologischen Theorien vernachlässigt wird, das man aber unbedingt berücksichtigen muss, wenn man aktuelle und historische Konflikte verstehen und erklären will, und erst recht, wenn es künftige Krisen zu meistern gilt.

Wie vertrauenswürdig ist Amerika?

Ruth hat wieder einen hochinteressanten Artikel ausgegraben: Das Middle East Media Research Institute (MEMRI) berichtet darin über das Zerbröckeln der saudisch geführten antiiranischen arabisch-sunnitischen Front, über dessen wahrscheinliche Ursache und das arabische Medienecho. Die MEMRI-Autoren lenken die Aufmerksamkeit auf die Teilnahme Ahmadinedjads an der Sitzung des Golfkooperationsrates Anfang Dezember – ein Ereignis, das in der europäischen Presse nicht die Aufmerksamkeit gefunden hat, die es möglicherweise verdient.

Sie vermuten, dass die Golfstaaten eine grundsätzliche Annäherung an den Iran in die Wege leiten, und zwar als vorweggenommene Reaktion auf einen möglicherweise bevorstehenden proiranischen Kurswechsel der USA. Ein solcher wird in der Region offenbar für wahrscheinlich gehalten, nachdem die USA den NIE-Bericht über die angebliche Einstellung des iranischen Atomwaffenprogramms veröffentlicht und damit den internationalen Druck auf Teheran erheblich reduziert haben.

Die Regierungen der Golfstaaten, besser informiert als ich, ziehen also aus dem Erscheinen des NIE-Berichts Schlussfolgerungen, die sich weitgehend mit den Befürchtungen decken, die ich vor einigen Wochen hier veröffentlicht habe.

So gern ich Recht habe – und ich bin ziemlich eitel -, in diesem Fall wäre ich lieber widerlegt worden.

Viele können sich das kaum vorstellen, dass die Erzfeinde USA und Iran zueinander finden könnten, und in der personellen Konstellation Bush-Ahmadinedjad kann ein solches Bündnis in der Tat kaum zustandekommen. Aber die Amtszeit beider Präsidenten endet 2009. Wir wissen nicht, wie ein eventueller demokratischer US-Präsident die Dinge sehen wird und wir wissen nicht, ob Ahmadinedjad wiedergewählt bzw. wie sein Nachfolger denken wird.

Sieht man aber von Personen ab und blickt nur auf die Interessen und das mutmaßliche Kalkül von Strategen beider Seiten, erscheint eine solche Rochade beunruhigend realistisch.

Ganz allgemein gesprochen, bedeutete eine Allianz der stärksten Macht in der Region – der USA – mit der zweitstärksten – dem Iran – (Israel und die Türkei bleiben hier außer Betracht) einen deutlichen Machtzuwachs für jede der beiden, zumindest kurzfristig.

Die USA waren ja schon einmal mit dem Iran verbündet, während des Schah-Regimes bis 1979. Seit der islamischen Revolution ist die Geschichte der US-Diplomatie in der Region eine Geschichte des Versuchs, den Iran als Alliierten gleichwertig zu ersetzen:

In den achtziger Jahren diente Saddams Irak als Quasi-Verbündeter. Nachdem der sich als noch gefährlicher entpuppt hatte als der Iran selbst, baute man die Golfstaaten, speziell Saudi-Arabien, mit Waffen, Geld und Know-How zur Festung gegen den Irak aus. Spätestens 2001 mussten die Amerikaner feststellen, dass die Saudis den Extremismus geradezu züchteten und dass dieses Land jederzeit den Islamisten in die Hände fallen konnte. Also wandte man sich wieder dem Irak zu, diesmal per „regime change“ – mit dem Ergebnis, dass man dort nicht einmal einen stabilen Staat errichten, geschweige denn einen starken Verbündeten gewinnen kann.

An Irans Ostgrenze sehen die Ergebnisse der amerikanischen Politik nicht viel eindrucksvoller aus: Wohl gewann man Pakistan als Verbündeten; der ist aber so instabil, dass die Islamisten heute womöglich nur noch ein Attentat von der Atombombe entfernt sind; und in Afghanistan unterstützte Washington die Mudjaheddin, dann die Taliban, und bekam als Quittung den 11.September.

Muss man sich da wundern, wenn amerikanische Strategen es leid sind, nach Ersatzpersern zu suchen, und daher nach Wegen fragen, das Original, also den Iran selbst, wieder ins Bett zu bekommen? Wundern müsste einen, wenn sie es nicht wenigstens in Erwägung zögen.

Für die USA liegen die – zumindest kurzfristigen – Vorteile auf der Hand:

Erstens wäre es bedeutend leichter, den Irak zu stabilisieren und sich halbwegs mit Anstand von dort zurückzuziehen.

Zweitens hätte man einen Alliierten, der sich vor einem (sunnitisch!-)islamistischen, dazu atomar bewaffneten Pakistan selbst bedroht fühlen müsste, zugleich aber in der Lage wäre, die dann unvermeidliche Kriegführung zu Lande selbst zu übernehmen. (Bereits Bushs Atomdeal mit Indien deutet darauf hin, dass man Pakistan mittelfristig nicht als Allierten, sondern als Feind einplant.) Die USA selbst sind dazu nur noch beschränkt in der Lage; es wäre für sie vorteilhaft, auf die Methode des Stellvertreterkrieges zurückzugreifen – dafür aber bedarf es eines Stellvertreters.

Drittens stünde einer der größten Erdölproduzenten der Welt auf seiten Amerikas.

Viertens würde selbst ein Umsturz im Iran, der ja nur ein demokratischer sein könnte, nicht wie 1979 dazu führen, dass der Alliierte sich in einen Feind verwandelt. Anders als bei allen anderen islamischen „Verbündeten“ Amerikas.

Woraus sich bereits der erste Grund ergibt, warum der Iran an einer solchen Konstellation interessiert sein könnte: Er ist das einzige islamische Land, dessen Regierung durch eine proamerikanische Politik an Popularität eher gewinnen als verlieren würde – gerade in oppositionellen Kreisen.

Zweitens könnte das Regime damit rechnen, dass die demokratische Opposition keine Unterstützung aus den USA mehr bekäme.

Drittens wäre die amerikanische Interventionsdrohung vom Tisch.

Viertens bekäme der Iran wieder uneingeschränkten Zugang zum Weltmarkt, den er dringend braucht, um seine Wirtschaft zu modernisieren und in Schwung zu bringen und seinen zum Teil hochqualifizierten, aber arbeitslosen und entsprechend unzufriedenen jungen Leuten eine Perspektive zu geben.

Fünftens wäre der Iran als Juniorpartner Amerikas die unangefochtene Führungsmacht der Region. Nicht nur würde er den schiitisch geführten Irak dominieren; auch den arabischen Golfstaaten, dazu Syrien und Jordanien bliebe ohne amerikanische Rückendeckung kaum etwas anderes übrig, als sich verstärkt an der iranischen Politik zu orientieren. (Paradoxerweise würde sich ihre Abhängigkeit von Amerika – und damit dessen Macht – gleichzeitig noch vergößern, weil die USA dann die einzige Macht wären, die verhindern könnte, dass die iranische Hegemonie sich zu einem regelrechten Imperium auswachsen würde, für das die arabischen Staaten östlich des Suezkanals bloß noch Quasi-Kolonien wären. Die Amerikaner könnten durchaus versucht sein, dasselbe Spiel wie in Europa zu spielen, dessen Staaten zwar nicht nur, aber auch nicht zuletzt deshalb von Amerika abhängig sind, weil dessen Präsenz die sicherste Garantie gegen ein womöglich wiederauflebendes deutsches Hegemoniestreben ist; dass die USA zugleich mit Deutschland verbündet sind, steht dem nicht entgegen, im Gegenteil!)

Sechstens müsste Amerika die Atomrüstung des Iran zumindest stillschweigend dulden, zumal wenn sie (siehe Indien!) halbwegs plausibel als Defensivmaßnahme gegen Pakistan verkauft werden kann.

Einer solchen immer noch hypothetischen US-Politik würde natürlich eine Reihe von Milchmädchenrechnungen zugrundeliegen. Was aber nur heißt, dass sie scheitern würde, nicht, dass sie nicht versucht werden kann: Die Fähigkeit Amerikas, Geister zu rufen, die es dann nicht mehr loswird, ist legendär; im Übrigen tummeln sich nirgendwo so viele Milchmädchen wie in der Politik:

Mit einem zur Großmacht aufgebauten Iran bekäme die islamische Welt, was sie bisher nicht hat: eine Führungsmacht als strategisches Zentrum. Es würde sich rächen, dass die Vereinigten Staaten dazu neigen, den westlich-islamischen Gegensatz als solchen zu unterschätzen und bloß „Extremisten“ und „Terroristen“ für Feinde zu halten, während der Islam selbst doch eine Religion des Friedens sei. Und wer da glauben sollte, der sunnitisch-schiitische Gegensatz allein würde die Araber davon abhalten, die Führung Irans zu akzeptieren, müsste sich wohl alsbald belehren lassen, dass die Schiitenfeindlichkeit der Sunniten bei entsprechender Konstellation politisch kaum bedeutender ist als der Antiamerikanismus der Europäer.

Angenommen, die arabischen Staaten Vorderasiens plus Afghanistan und Pakistan gerieten in Abhängigkeit vom Iran, dann hätte der nicht nur einen Großteil der Welt-Ölreserven unter Kontrolle, sondern auch rund 350 Millionen Menschen, über die Hälfte von ihnen jünger als 25 Jahre. Was macht man mit so viel Jugend, die man im Wirtschaftsleben unmöglich unterbringen kann? Man schickt sie in den Kampf – was denn sonst? (Mehr über diese Zusammenhänge in meinem nächsten Beitrag, wo ich mich mit Gunnar Heinsohns „Söhne und Weltmacht“ auseinandersetzen werde).

Falls amerikanische Strategen also wirklich glauben sollten (und allen Indizien zum Trotz möchte ich doch immer noch annehmen, dass das nicht der Fall ist!), man könne den Iran auf die Dauer als Juniorpartner einspannen, werden sie eher früher als später ein böses Erwachen erleben. Das erste Opfer einer amerikanisch-iranischen Allianz wäre Israel. Das zweite der Westen insgesamt.

Christlicher Fundamentalismus

Die Weihnachts- und Neujahrspause ist vorüber, sogar der Schreibtisch ist wieder geordnet, das Arbeitsjahr hat begonnen. Zeit, mich wieder meinem Blog zu widmen. Ach ja: Frohes Neues Jahr allerseits!

Wieder ist es einer meiner Kommentatoren, diesmal Flash, der mich zu einigen grundsätzlichen Überlegungen herausfordert, und zwar durch seine Kommentare zu meinen Beiträgen über die christlichen Wurzeln der Demokratie und über den Untergang des Römischen Reiches.

Flash ist ein fundamentalistischer Christ, und, soweit ich das beurteilen kann, einer der sympathischen, in jedem Fall aber der geistreichen Sorte. Er vertritt eine Reihe von Thesen, die ich unmöglich unkommentiert stehen lassen kann; da aber die Replik jeden Kommentarstrang sprengen würde, mache ich gleich einen Beitrag daraus.

Es gibt einfach keine Höherentwicklung von Lebensstandard und Zivilisation ohne damit einhergehende Degenerationserscheinungen, die am Ende zu heftigen Umwälzungen führen. Wir erleben m.E. zur Zeit wieder genau das: ein Anschwellen des Wohlstandes mit einhergehendem Verlust von ethischen Prinzipien.

(…)

Ein kulturell-religiöses Vakuum, das der Islam mit wachsendem Erfolg ausfüllt, wo er mit Verve hineindrängt. Es wäre schön, wenn es wenigstens christlichen Fundamentalismus gäbe, der diesem Prozeß Widerstand entgegensetzen würde – den gibt es aber nicht. Mir wäre es echt lieber, wenn im Biologieunterricht die Schöpfungsgeschichte behandelt würde und dafür der Islam chancenlos ist…“

Und an anderer Stelle:

Hier liegt eine der Ursachen für den Niedergang des Christentums in Europa: Selbstdemontage der jahrhundertelang unveränderten Schriftgrundlage durch bibelkritische Theologie.

Insofern ist das eine extrem fundamentalistische Position, die aber nicht “schädlich” oder aggresiv ist, aus dem einfachen Grund, weil eben das zugrundeliegende schriftliche Fundament nicht schädlich und aggressiv ist! Das sollte jeder Fundamentalismus-Kritiker dreimal lesen und auch begreifen. Biblischer Fundamentalismus ist ja eben gerade *pazifistisch, *geschlechterneutral, *gewaltablehnend, *legalistisch, *wissenschaftsfreundlich, *tolerant, *demokratieermöglichend, *bildungs- und leistungsfördernd etc. pp.“

Einige Zeilen zuvor:

Es wäre sicherlich lohnend, einmal von dir erklärt zu bekommen, worin das Schädliche und sogar Denkfeindliche der Schöpfungsgeschichte für die moderne Gesellschaft besteht, lieber Manfred. Das dürfte ein lohnendes, weil brandaktuelles Thema sein.“

Das ist es in der Tat, und ich bin der Meinung, dass eine Gesellschaft, die die biblische Schöpfungsgeschichte als gleichrangige und gleichartige Alternative zur Evolutionstheorie behandelt, über kurz oder lang aufhören wird, eine demokratische Gesellschaft zu sein.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich liebe das Buch Genesis. Nur betrachte ich es nicht als naturwissenschaftliches Werk, sondern als Allegorie, die das Verhältnis Gottes zur Welt und zum Menschen in literarischer Verfremdung und Verdichtung beschreibt. Die Wahrheit, die in ihr liegt, hat mit empirischer Wirklichkeit nichts zu tun. Es handelt sich um eine Glaubenswahrheit.

Solche Glaubenswahrheiten, genauer: religiöse Aussagen, unterscheiden sich fundamental von empirischen Aussagen, d.h. solchen über die äußere Wirklichkeit. Letztere können unter Berufung auf Tatsachen in Verbindung mit der formalen Logik angefochten oder bestätigt werden – das Prinzip wissenschaftlicher und überhaupt rationaler Argumentation. Entscheidend ist, dass über die Wahrheit oder Unwahrheit solcher Aussagen nach objektiven, sprich von der Willkür des Einzelnen unabhängigen Kriterien entschieden werden kann.

Es gibt allerdings Dimensionen der menschlichen Existenz – Seele, Ewigkeit, Schöpfung -, über die sich nichts aussagen lässt, was mit empirischen Argumenten gestützt werden könnte, zu denen man sich aber ungeachtet dessen verhalten muss, und denen man sich daher gar nicht anders als durch den Glauben nähern kann – worin auch immer dieser Glaube besteht: Die Grundaussage des Atheismus, Gott existiere nicht, ist ihrem Wesen nach nicht weniger religiös als die, er sei der Schöpfer des Himmels und der Erde. Beweisen oder widerlegen lässt sich weder das eine noch das andere.

Wahrheiten dieser Art haben notwendig einen anarchistischen Zug: Sie sind nicht von objektiven Gegebenheiten abhängig, und für jeden Gläubigen gilt: Was Wahrheit ist, bestimme ich!

Daran ändert sich auch prinzipiell nichts, wenn dieser Glaube von Anderen, und wären es Millionen, geteilt wird. Was sich aber dadurch ändert, ist, dass der Glaube in Gestalt der Religion sozial institutionalisiert wird, und dass das Recht, „Wahrheit“ zu dekretieren, auf ein soziales System übergeht. Dagegen ist so lange nichts einzuwenden, wie das System bereit ist, die sprichwörtliche Kirche im Dorf zu lassen, seinen Wahrheitsanspruch also auf den Bereich zu beschränken, wo Wahrheiten naturgemäß Glaubenswahrheiten sein müssen.

Welche Folgen es aber haben muss, wenn empirische Aussagen auf diesem Wege getroffen, also par ordre du Mufti dekretiert werden, und eben nicht im Wege tatsachenbezogenen rationalen Argumentierens, und welche Implikationen es hat, wenn die Gesellschaft das akzeptiert, wird klar, wenn man nach der Bedeutung des rationalen Diskursmodus für das Funktionieren einer offenen Gesellschaft fragt. Das, was ich den „rationalen Diskursmodus“ nenne, ist ein einfaches System von Spielregeln, mit deren Hilfe Konsens darüber erreicht wird, ob ein System von Aussagen wahr sein kann:

1. Es muss mit bekannten Tatsachen übereinstimmen.

2. Es muss in sich logisch sein.

3. Es muss prinzipiell durch Tatsachen widerlegbar sein.

Man kommt auf diesem Wege nicht etwa zu der Wahrheit schlechthin; mit den bekannten Fakten können durchaus mehrere konkurrierende Aussagesysteme kompatibel sein, die jeweils in sich schlüssig und prinzipiell falsifizierbar sind. Es kann auch sein, dass kein einziges der „auf dem Markt“ befindlichen Aussagesysteme wahr ist (weil noch keiner auf die Wahrheit gekommen ist). Und es ist theoretisch sogar möglich, dass prinzipiell nichtfalsifizierbare Aussagen, die man auf rein spekulativem Wege gewonnen hat (Etwa: Der liebe Gott hat einen langen weißen Bart), trotzdem wahr sind. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber möglich ist es. In einem solchen Fall könnten sie, ungeachtet ihrer inhaltlichen Richtigkeit, wegen ihres Verstoßes gegen Kriterium 3 niemals als potenzielle Wahrheiten sozial anerkannt werden.

Wozu also taugt der rationale Diskursmodus, wenn nicht dazu, zu garantiert wahren Aussagen zu gelangen? Gewiss zur Eliminierung von garantierten Irrtümern – aber dazu würden schon die Kriterien 1 und 2 genügen. Wozu also Kriterium 3? Und zwar nicht im wissenschaftlichen, sondern im allgemeingesellschaftlichen, speziall politischen Kontext, d.h. dort, wo es darum geht, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen, die die Freiheit des Einzelnen beschränken? Es dient dazu, zu verhindern, dass solche Entscheidungen auf der Basis von Wahrheitsansprüchen getroffen werden, die einer Überprüfung nicht zugänglich sind, sondern von partikularen Gruppen aus eigener Machtvollkommenheit erhoben werden!

Aussagesysteme, die dem Kriterium 3 nicht entsprechen, sind ihrer Struktur nach, d.h. unabhängig von ihrem Inhalt, Glaubenssysteme; ihre Nichtüberprüfbarkeit ist gleichbedeutend mit Nichtkritisierbarkeit, mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit, und ist damit die ideologische Grundlage totalitärer Herrschaft.

Beispiele gefällig?

Der Islamismus beruht auf der Annahme, der Koran sei unmittelbar Gottes Wort; weswegen es geboten sei, jeglichen Widerstand gegen seine sozialen und politischen Forderungen mit Gewalt zu brechen.

Der Marxismus beruht auf der Annahme, das Proletariat habe die historische Mission, den Kommunismus zu errichten, und habe deshalb alle anderen Klassen zu vernichten.

Der Nationalsozialismus beruht auf einer antisemitischen Verschwörungstheorie. (Eine Verschwörungstheorie ist niemals falsifizierbar, weil sie alle ihr widersprechenden Tatsachen als Blendwerk eben der behaupteten Verschwörung abtut, also zirkulär argumentiert.)

(Und wenn man die Political Correctness als totalitäre Ideologie bezeichnet, so liegt dies im Kern daran, dass sie Tatsachenbehauptungen nicht nach dem Kriterium von „wahr“ und „unwahr“, sondern nach dem von „gut“ und „böse“ beurteilt, sich also der tatsachengestützten Kritik durch apriorische willkürliche Setzung entzieht.)

Solche Ideologien kann man nicht dadurch bekämpfen, dass man sie mit ihnen widersprechenden Tatsachen konfrontiert; gegen Tatsachen haben sie sich ja gerade immunisiert. Ich kann die Nichtexistenz der  Verschwörung der Weisen von Zion genausowenig beweisen wie die Nichtinspiration des Korans durch Gott oder die Unrichtigkeit marxistischer Axiome.

Was ich aber beweisen kann, ist die Selbstimmunisierung solcher Ideologien gegen Tatsachen durch systematisch herbeigeführte prinzipielle Nichtfalsifizierbarkeit, also durch Verletzung der Regeln des rationalen Diskurses. Diese an sich schärfste Waffe antitotalitärer Ideologiekritik muss stumpf werden, wenn diese Regeln nicht mehr als allgemein geläufig vorausgesetzt werden können. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sie jedermann explizit bekannt sind: Die Regeln der Grammatik sind es ja auch nicht, trotzdem wenden wir sie richtig an. Diese Fähigkeit ist die Voraussetzung dafür, Glaubenssysteme als solche zu erkennen und von rational begründeten empirischen Aussagesystemen zu unterscheiden. Sie ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit, totalitäre von nichttotalitären Ideologien zu unterscheiden, und eine Gesellschaft, die diese Fähigkeit verliert, hat beste Aussichten, irgendeinem Totalitarismus zum Opfer zu fallen.

Womit die Frage beantwortet sein dürfte, warum ich überhaupt nichts davon hielte, wenn der demokratische Staat selbst, noch dazu in seinen Bildungseinrichtungen (!) sich über diesen Unterschied hinwegsetzte und ihn verwischte, indem er den „Kreationismus“ in seine Lehrpläne aufnähme.

Zwei Punkte muss ich allerdings klarstellen:

Erstens: Ich habe nur von empirischen, nicht aber von normativen Aussagen gesagt, dass sie nicht religiös begründet sein dürfen; für moralische Wertentscheidungen gilt dies selbstverständlich nicht; die können als höchst individuelle Entscheidungen sehr wohl religiös begründet sein – wahrscheinlich müssen sie es sogar. Wertvorstellungen, die z.B. direkt aus der Bibel abgeleitet sind, können zwar im Einzelfall mit demokratischen Normen unvereinbar sein (Wer etwa die Todesstrafe für Homosexualität fordert, kollidiert natürlich mit dem Grundgesetz.), aber eben nur aufgrund ihres konkreten Inhalts, nicht etwa schon deshalb, weil sie religiös begründet sind.

Zweitens: Wenn ich sage, dass jede totalitäre Ideologie notwendig ein Glaubenssystem ist, so lässt das bereits aus Gründen der Formallogik nicht den Umkehrschluss zu, jedes Glaubenssystem sei totalitär.

Flash (s.o.) argumentiert so: Da sich aus der Bibel keine politischen Herrschaftsansprüche ableiten ließen, vielmehr Friedfertigkeit, Humanität und Toleranz gepredigt würden, sei gegen ein fundamentalistisches Bibelverständnis nichts einzuwenden, im Gegenteil. Motto: Das schlechthin Gute kann man gar nicht fundamentalistisch genug vertreten!

Tja, wenn es denn so einfach wäre. In mindestens zwei Punkten führt ein wörtliches Schriftverständnis bzw. der Glaube an die Verbalinspiration der Bibel und der Verzicht auf die historisch-kritische Lesart zu äußerst problematischen Konsequenzen:

Da ist zum einen die antijüdische Tendenz des Neuen Testaments. Historisch erklärbar ist sie aus der Notwendigkeit der Profilierung des frühen Christentums und seiner Abgrenzung gegen die jüdische Mutterreligion. Fasse ich die Bibel aber einfach ohne Einschränkung als Gottes Wort auf, so habe ich es mit einer angeblich göttlichen Legitimation des Antisemitismus zu tun. Der Satz „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ ist dann kaum anders zu verstehen denn als Aufruf zum Pogrom  – und genau so wurde er ja auch oft genug verstanden.

Zum anderen enthält das Neue Testament nicht nur die Bergpredigt, sondern auch die Johannesapokalypse (das neutestamentliche Gegenstück zum Buch Daniel), die Vision des Endkampfs zwischen Gut und Böse, nach der das Reich Gottes durch Vernichtung des Bösen, das bis dahin die Welt beherrscht, errichtet wird. Nicht zufällig konnte gerade dieser Text nur gegen härteste innerkirchliche Opposition durchgesetzt werden, wurde er von der Ostkirche jahrhundertelang abgelehnt, und meinte noch Martin Luther, er hätte niemals kanonisiert werden dürfen. Dieses von Anfang an weitverbreitete Unbehagen hat seinen Grund darin, dass die Apokalypse direkt an dunkle Zerstörungs- und Vernichtungstriebe appelliert, das fünfte Gebot zur Disposition stellt und dazu einlädt, Feinde nicht zu lieben, sondern mit dem „Antichristen“ zu identifizieren.

Kein Zufall ist auch, dass gerade totalitäre Ideologien eine apokalyptische Struktur aufweisen: Die Welt wird vom Bösen (den Juden/dem Kapitalismus/den Ungläubigen) beherrscht, dessen Vernichtung, gern auch im Wege des Massenmords, zur Herrschaft des Guten (der Arier/des Kommunismus/des Islam) führt. Ich will damit nicht behaupten, dass das Christentum für den Totalitarismus verantwortlich sei, wohl aber, dass in vielen Menschen eine psychische Disposition schlummert, ihr Leiden und ihre Verzweiflung an der Welt auf einen Feind zu projizieren, dessen Vernichtung die Erlösung herbeiführen soll – und da der Feind weltbeherrschend gedacht wird, vernichtet man diese Welt, das eigentliche Objekt der Furcht und des Hasses, möglichst gleich mit.

Dieser Zusammenhang zwischen Apokalyptik und Totalitarismus ist der Grund dafür, warum ich stets sehr hellhörig werde, wenn ich auf Verschwörungstheorien nach Art der Eurabia-These stoße (die ja nicht weniger behauptet als die Herrschaft des Bösen, also des Islam und der ihm angeblich konspirativ in die Hände arbeitenden europäischen Eliten), und warum ich diese Theorien mit allen Mitteln rationalen Argumentierens bekämpfe – freilich ohne nennenswerten Erfolg: Es handelt sich um ein Glaubenssystem, und wer ihm anhängt, ist, so fürchte ich, nicht nur für die Demokratie verloren, sondern für die säkulare Vernunft überhaupt.

Wenn ich nun sehe, dass sich gerade in fundamentalistischen (evangelikalen, pfingstlerischen, freikirchlichen) Kreisen die johanneische Tradition, und hier wiederum ganz besonders die Apokalypse, größter Beliebtheit erfreut, dann kann ich kaum anders, als dem christlichen Fundamentalismus mit tiefstem Misstrauen gegenüberzustehen, und dies ganz unabhängig davon, dass manche seiner Vertreter mir menschlich sympathisch sind.

Mit alldem ist allerdings nicht die Frage vom Tisch, ob eine glaubenslose Gesellschaft auf die Dauer überlebensfähig ist, und wenn Flash behauptet, dass mit der Höherentwicklung einer Gesellschaft zwangsläufig Degenerationserscheinungen verbunden seien – er verweist unter anderem auf den Zerfall der Familie -, die letztlich zum Niedergang führen müssten, dann hat er starke Argumente auf seiner Seite. Ziemlich starke sogar.

Höherentwicklung, das sagt die historische Erfahrung wie die soziologische Überlegung, geht einher mit Aufklärung und Rationalität – was für mich Grund genug ist, für Aufklärung und Rationalität einzutreten. Sie bedeuten freilich zugleich, dass Alles, auch ethische Normen, unter Begründungszwang gerät, weil sie dem primären Fundament der Ethik, der Religion, seine unhinterfragte Selbstverständlichkeit und soziale Verbindlichkeit nehmen, und Religion zu einer Frage der mehr oder minder willkürlichen individuellen Entscheidung machen – ich selbst habe ja oben gezeigt, dass jede andere Auffassung von Religion mit den Grundlagen einer offenen Gesellschaft unvereinbar ist.

Gesellschaft funktioniert, wenn die Goldene Regel beachtet wird: „Wie Ihr wollt, dass die Leute Euch tun sollen, also tut ihnen auch.“(Lk 6,31). Eine rationale Reformulierung dieser Forderung hat Kant mit seinem kategorischen Imperativ geliefert. Dass diese Regel gelten und wenigstens im Großen und Ganzen befolgt werden muss, weil die Gesellschaft sonst nicht existieren kann, lässt sich rational begründen – nicht aber, dass der Einzelne sie befolgen soll. Der kategorische Imperativ impliziert, dass man unter Umständen erhebliche individuelle Opfer in Kauf nehmen soll, um einen winzigen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten; diese Opfer reichen von der Steuerehrlichkeit bis zum Heldentod fürs Vaterland. Aus der Sicht des Einzelnen ein schlechtes Geschäft: Rationaler ist es für ihn, das von Anderen getragene Gemeinwohl in Anspruch zu nehmen, selbst aber nichts dazu beizutragen. Die Mentalität des Schwarzfahrers.

Zur Aufrechterhaltung allgemeiner sozialer Tugenden wie der Ehrlichkeit, denen man mit relativ geringem persönlichen Aufwand folgen kann, mag der menschliche Hang zum Konformismus noch hinreichen – Nutzenkalkül hin oder her -, zumindest solange der Ehrliche den Eindruck hat, nicht der Dumme zu sein.

Sobald aber dieses Minimum an geforderter sozialer Solidarität überschritten wird, sobald wirkliche Opfer zur Debatte stehen, schrumpft die Bereitschaft dazu dramatisch. Wo Solidarität selbst in der kleinsten denkbaren Gemeinschaft von Menschen, der Ehe, nicht mehr als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden kann und kaum noch ein Problem nichtig genug ist, um nicht einen Scheidungsgrund abzugeben, braucht man nach der Bereitschaft nicht mehr zu fragen, für eine Großgemeinschaft, etwa das eigene Land und dessen Freiheit – oder gar für den „Westen“ – das eigene Leben zu riskieren.

In stabilen Zeiten von Frieden und Prosperität, gleichsam im Normalbetrieb, fällt diese Schwäche kaum auf. Solange von den Bürgern bloß passive Loyalität gefordert wird, ist diese Loyalität in liberalen Demokratien vermutlich größer als anderswo. Wie aber sieht es im Fall einer existenziellen Bedrohung aus, wenn der Staat mit seinen administrativen und militärischen Bordmitteln nicht mehr auskommt und nicht nur den Geldbeutel seiner Bürger strapazieren, sondern sogar deren Leben einsetzen muss, um sich zu verteidigen? Anders gefragt: Wie konfliktfähig sind offene Gesellschaften?

Man sollte meinen, dass diejenige politische Ordnung, die ihren Bürgern das höchste Maß an Freiheit, Sicherheit und Wohlstand beschert, die liberale Demokratie also, auch das größte Maß an Unterstützungs- und Opferbereitschaft zu mobilisieren imstande ist. So ist es aber nicht.

Wenn man beispielsweise die Verlustlisten des Zweiten Weltkriegs anschaut, so fällt auf, dass die totalitären Staaten Deutschland, Sowjetunion und Japan an die zwanzig Millionen eigene Soldaten geopfert haben, die Westmächte dagegen „nur“ einige hunderttausend. Natürlich hängt das auch mit dem Kriegsverlauf zusammen – Frankreich brach früh zusammen, und bis die Westmächte in Europa wieder eingreifen konnten, hatten die Russen die Hauptarbeit bereits erledigt und zogen weiterhin das Gros der deutschen Truppen auf sich. Und selbstverständlich bin ich nicht so zynisch, die Verlustraten einer Armee als Maß ausschließlich für die Opferbereitschaft eines Volkes anzusehen; nicht selten sind sie eher ein Maß für die Brutalität und Inkompetenz ihrer Führer – eigene Soldaten draufgehen zu lassen ist in jedem Fall weder eine politische noch eine militärische Tugend.

Aber selbst wenn man diese Relativierungen berücksichtigt, bleibt der Unterschied doch frappierend, und man sollte nicht nur bedenken, dass am Beginn des Krieges die Frage stand, ob es sich wirklich lohne, für Danzig zu sterben, sondern auch, dass die Verlustquoten, die der Westen in Kauf nahm, im Zweiten Weltkrieg bereits geringer waren als im Ersten, und seitdem kontinuierlich fallen: In Vietnam warfen die USA nach 50.000 Toten das Handtuch, heute im Irak genügen schon 3.000 eigene (amerikanische) Gefallene, um den Krieg zu delegitimieren. Oder nehmen wir Deutschland: Dasselbe Volk, das sich von Hitler noch eine Verlustquote von 25 Prozent bieten ließ, ohne wirklich zu murren, stellt heute bei einer Quote noch unter der Promille(!)-Grenze bereits den Sinn von Militäreinsätzen überhaupt in Frage.

Warum und wie schaffen es totalitäre Systeme, Millionen von Menschen zum Selbstopfer zu bewegen? Durch Terror? Sicher, auch durch Terror. Überschätzen sollte man diesen Faktor aber nicht. In der Praxis des Dritten Reiches zum Beispiel spielte der Terror zwar eine bedeutende Rolle, soweit er sich gegen das Ausland oder gegen vorab ausgegrenzte Minderheiten, speziell Juden, richtete; aber er hatte den Zweck, diese Menschen zu ermorden, nicht ihr Wohlverhalten zu erzwingen. Gegen die eigenen „Volksgenossen“ war das Dritte Reich nicht wesentlich gewalttätiger als irgendeine Militärdiktatur, vermochte aber ein Maß an Begeisterung und Opferbereitschaft zu wecken, von dem etwa ein Pinochet kaum hätte träumen können.

Nein, die Sträke der totalitären Regime lag darin, dass sie in der Lage waren, den Menschen einen das eigene Leben transzendierenden Sinn zu vermitteln – wer am Bau eines „Tausendjährigen Reiches“ oder des welterlösenden Kommunismus mitzubauen glaubt, wird sich der Teilhabe an der Ewigkeit ziemlich nahe fühlen. Ihre Ideologien waren säkulare Religionen, deren gemeinschaftsstiftende und motivierende Kraft den klassischen Religionen mindestens gleichkam. Man versteht das damalige Deutschland, Russland und Japan am besten, wenn man sie als apokalyptische Massensekten auffasst, die eine ungeheure Dynamik und Leistungsfähigkeit zu entfesseln fähig waren.

Was also vom erkenntnistheoretischen oder liberalen politischen Standpunkt eine Kritik an totalitären Ideologien ist – nämlich dass sie Glaubenssysteme sind – und eine Kritik an Glaubenssystemen – nämlich dass sie eine totalitäre Schlagseite haben – ist kein zwingendes Argument gegen die Überlebensfähigkeit der von ihnen geprägten Gesellschaften, schon gar nicht, soweit ihr Überleben von ihrer Konfliktfähigkeit abhängt.

Ich bin nicht überzeugt davon, dass diese Schwäche westlicher Gesellschaften am Ende tödlich sein muss – zu deutlich und gewichtig sind die sie kompensierenden Stärken. Aber eine Schwäche ist es allemal, und insofern geht der Punkt an Flash.

Dessen Argument zielt allerdings tiefer als auf die bloße Konfliktfähigkeit westlicher Gesellschaften. Er behauptet, dass eine säkulare, aufgeklärte, rationale und liberale Gesellschaft auch ganz unabhängig von äußeren Konflikten auf die Dauer nicht existenzfähig sei, weil das von ihr erzeugte Vakuum an Spiritualität und Moral das grundlegende religiöse Bedürfnis der Menschen nach einem transzendenten Sinn vernachlässige, und dass dieses Bedürfnis sich über kurz oder lang Bahn brechen müsse, sodass wir auf die Dauer nur die Wahl zwischen einer Islamisierung und einer Re-Christianisierung hätten. Einem islamischen Fundamentalismus aber sei ein christlicher allemal vorzuziehen.

Dass eine säkulare Gesellschaft auf die Dauer dem Ansturm der Religiosität erliegen müsse, ist eine These, die ich stark anzweifle:

Es ist schon richtig, dass es diese religiösen Bedürfnisse gibt, und dass ein säkularer Rationalismus sie nicht befriedigen kann. Noch in der moralisierenden Ideologie der Political Correctness – deren Verfechter man ja nicht umsonst als „Gutmenschen“ veralbert – drückt sich ein Bedürfnis nach „Heiligkeit“ aus, das bei einem soliden Fundamentalismus zweifellos besser aufgehoben wäre als bei einer linken Ideologie. Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, wohin es führt, wenn man religiöse Kategorien – wie verkappt oder pervertiert auch immer – in die Politik einführt.

Ich kann aber überhaupt nicht erkennen, dass eine Rückbesinnung auf den christlichen Glauben – die ich für wünschenswert halte – zwangsläufig dazu führen müsste, dass man in Fundamentalistenmanier mit der Bibel in der Hand in Politik und Wissenschaft herumfuhrwerkt und die Grundlagen der säkularen Demokratie und der rationalen Wissenschaft angreift. Wozu sollte man das tun? Um die Islamisierung zu stoppen? Die beruht nicht darauf, dass der Islam irgendwelche vom Christentum vernachlässigten spirituellen Bedürfnisse erfüllen würde; das tut vielleicht der Buddhismus. Im Hinblich auf Humanität, Spiritualität, erlösende Kraft und theologische Tiefe, d.h. als Religion, ist der Islam selbst einem verwässerten Christentum oder Judentum so hoffnungslos unterlegen, dass er sich ihnen gegenüber nie anders als mit Gewalt durchsetzen konnte und kann. So gefährlich der Islam als politische Ideologie ist, so armselig ist er als Religion.

Das Christentum spielt eine wichtige Rolle beim Kampf gegen die Islamisierung, aber nur, wenn es seine Stärken ausspielt – seine religiöse Tiefe und Kraft -, nicht, wenn es fundamentalistisch versucht, die Bibel zur Basis politischer Programme und wissenschaftlicher Thesen zu machen.

Keine Regel freilich ohne Ausnahme: Wo es darum geht, den Islam frontal anzugreifen, also Muslime zu missionieren, oder, in der Sprache der entsprechenden Kreise: ins 10/40-Fenster einzudringen, können Christen, die sich das vornehmen, gar nicht fundamentalistisch genug sein. Mit ihrem wörtlichen Bibelverständnis, ihrer konservativen Sozial- und Sexualmoral, überhaupt ihrer starken Betonung sozialer Normen und nicht zuletzt ihrem – Pardon! – Fanatismus dürften gerade evangelikale Fundamentalisten unter allen christlichen Glaubensrichtungen am besten für die Mission aufgestellt sein, weil ihre Auffassung von Religion der von Muslimen am nächsten kommt. So gesehen, wäre es doch ein Fortschritt, wenn im Biologieunterricht die biblische Schöpfungsgeschichte behandelt würde.

In Saudi-Arabien.

Das Niggemeier-Urteil

Wie allgemein bekannt, hat das Landgericht Hamburg jüngst den Journalisten Stefan Niggemeier in dessen Eigenschaft als Blogger verurteilt, weil er zugelassen hat, dass einer seiner Kommentatoren rechtswidrige Äußerungen veröffentlicht hat. Und dies, obwohl der Blogger den Kommentar umgehend entfernt hatte. Das Gericht war der Meinung, der Blogger habe eine Pflicht zur Vorzensur.

Im Berliner „Tagesspiegel“ applaudierte Joachim Huber diesem Urteil: „Zensur? Nein Zivilität. Das Internet vor Gericht“, (Tagesspiegel vom 12.12.07), unter anderem mit der Begründung, dass ja auch Zeitungen eine Vorab-Auswahl unter ihren Leserbriefen treffen müssten, und dies sei deshalb auch Bloggern zuzumuten.

Da mein Leserbrief zum Thema der „Tagesspiegel“-Zensur zum Opfer gefallen ist – ts, ts, warum nur? – veröffentliche ich ihn hier:

„Wer die Kommentarspalten von Internetblogs mit den Leserbriefspalten von Zeitungen gleichsetzt, weiß nicht, wovon er redet. Blogkommentare nehmen sowohl auf den jeweiligen Beitrag als auch aufeinander Bezug. Da werden in Rede und Gegenrede die Argumente ausgetauscht, sicherlich auch manche Polemik; da entsteht ein Maß an lebendiger Öffentlichkeit, das für das Medium „Zeitung“ naturgemäß unerreichbar ist – das aber davon abhängt, dass die Kommentare in Echtzeit erscheinen können.

Eine Vorzensur durch den Blogger zu verlangen ist so, als würde man dem Fernsehen die Live-Übertragung von Diskussionsrunden verbieten, aus Angst, da könnten irgendwelche rechtswidrigen Dinge geäußert werden. Die zu Recht beliebten Kommentatorendebatten könnten dann nur noch in Blogs stattfinden, deren Betreiber es sich leisten können, rund um die Uhr einen Zensor vom Dienst zu bezahlen, und das sind die allerwenigsten.

Das Urteil gegen Stefan Niggemeier ist nicht deshalb skandalös, weil der Blogger verpflichtet wird, auch die Kommentare zu kontrollieren, sondern weil er dies vorab tun soll: Otto Normalverbraucher wird von der Nutzung des Mediums „Weblog“ faktisch ausgeschlossen, wenn diese an unzumutbare Bedingungen („keine spontanen Kommentare“) oder unerfüllbare Voraussetzungen („ständige Kontrolle“) geknüpft wird.

Hier ist daran zu erinnern, dass Meinungs- und Pressefreiheit sogenannte Jedermanns-Grundrechte sind. Sie sind also nicht das Oligopol der schreibenden Zunft; erst recht nicht das sprichwörtliche Privileg von zweihundert Leuten, zu entscheiden, was das Volk lesen darf. Zumindest sollten sie das nicht sein.

Das Internet verschafft, durchaus im Sinne unserer Verfassung, buchstäblich Jedem die Möglichkeit, sich publizistisch zu betätigen. Es ist gewiss verständlich, dass diejenigen, die sich bisher exklusiv als Inhaber der „Vierten Gewalt“ fühlen durften, über den ihnen drohenden Bedeutungsschwund frustriert sind; menschlich nachvollziehbar ist auch, dass sie die Schuld für den Erfolg von Weblogs nicht bei sich und den von ihnen gestalteten Medien suchen. (Manches Blog – darunter auch mein eigenes  – würde gar nicht existieren, gäbe es im etablierten Journalismus mehr Mut zu unkonventionellen Standpunkten, mehr analytische Tiefe, weniger Herdentrieb, weniger Political Correctness.)

Verständlich also ist das alles. Es rechtfertigt nur keine Sprüche vom Kaliber:

‚Es ist überhaupt kein Fortschritt, wenn die früheren Klosprüche heute die Wände des Internets verunzieren. Wahrlich erstaunlich ist es, wie sehr die professionellen und die selbst ernannten Welterklärer in Text- und Videoblogs die Sau rauslassen … Das Netz pumpt offensichtlich manches Ego zur XXL-Größe auf.‘

Solche Parolen sind erstens selber kaum mehr als bessere Klosprüche und zweitens unschwer als das Gemaule von schlechten Verlierern zu erkennen.“

Viel Lärm um nichts?

So, nun haben wir es also quasi amtlich von den amerikanischen Geheimdiensten, denselben, die noch 2005 sicher waren, der Iran arbeite an Atomwaffen: Heute sind sie ebenso sicher, dass er das nicht tut – und zwar schon seit 2003.

Ich glaube nicht, dass es unfair ist, die Entwarnungen von Geheimdiensten anzuzweifeln, die heute dies behaupten und morgen das Gegenteil. Die den 11. September nicht vorhergesehen, geschweige denn verhindert haben. Die 1979 von der iranischen Revolution überrascht wurden. Ganz abgesehen von all den Böcken, die sie im Laufe ihrer Geschichte sonst noch geschossen haben.

Als einfacher Bürger steht man ja oft genug vor der Frage, was man glauben soll und was nicht, zumal dann, wenn es um Geheimdienstberichte geht, in deren Natur es liegt, dass sie nicht überprüfbar sind – aber nicht nur dann. Auch sonst werden zu viele Fehlinformationen gestreut, deren Herkunft zweifelhaft ist, und die man pragmatisch akzeptieren muss, wenn man nicht sein Leben mit der Nachprüfung von Details verbringen will.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man ziemlich weit kommt, wenn man nicht die einzelne Information inhaltlich überprüft (was oft genug unmöglich ist), sondern danach fragt, ob sie zusammen mit den bereits bekannten Tatsachen ein stimmiges, widerspruchsfreies Gesamtbild ergeben. Die Frage lautet: Passt das? 

Damit bekommt man zwar keine harten Beweise für oder gegen eine These (aber die bekommt man sowieso nicht), doch immerhin kann man auf diesem Wege ihre Plausibilität einschätzen und so das Irrtumsrisiko verringern.

Bekannt und vom Iran nicht etwa bestritten, sondern zur Schau gestellt ist zum Beispiel, dass er ein ehrgeiziges Programm zur Entwicklung von Raketen mit mehreren tausend Kilometern Reichweite verfolgt. Von Trägerwaffen also, deren einzig sinnvolle Nutzlast Atomsprengköpfe sind. Warum tut er das, wenn er doch keine Sprengköpfe bauen will?

Das Atomwaffenprogramm soll 2003 eingestellt worden sein. Zweitausenddrei!!! Zu genau dem Zeitpunkt also, wo die Regierung Bush den Beweis antrat, dass selbst die Nichtexistenz von Massenvernichtungswaffen (und die Kooperation mit UNO-Inspekteuren) ein Land nicht vor der Invasion bewahrt, wenn es zur „Achse des Bösen“ gehört – während ein noch so kleines Atomwaffenarsenal (Nordkorea) zur Abschreckung ausreicht.

Begründet wird dies damit, dass der Iran eben doch für internationalen Druck empfänglich sei und sich Sorgen um sein Ansehen im Ausland mache. Der Iran??? Bei seiner regelmäßig praktizierten Politik, westliche Ausländer als Staatsgeiseln zu nehmen, scheint die Sorge um das internationale Ansehen nicht so schmerzhaft gebrannt zu haben. Vor allem aber: Ein solches Nachgeben wäre doch nur dann sinnvoll gewesen, wenn die Welt davon erfahren hätte. Stattdessen taten die Perser alles, um die Welt in dem Glauben zu lassen, sie arbeiteten tatsächlich an Atomwaffen. Wozu sonst das Versteckspiel mit der IAEA? Wenn die Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste richtig wäre, müsste man dem Iran unterstellen, einerseits auf die effektivste Abschreckungswaffe zu verzichten, andererseits durch Geheimhaltung dieses Verzichts eine Invasion provozieren zu wollen. Die Strategie eines Selbstmörders.

Und warum betreibt der Iran seit dem Amtsantritt Ahmadinedjads eine Politik der psychologischen Kriegsvorbereitung durch brutale Hetze gegen Israel, verbunden mit der Propaganda, die Wiederkehr des Verborgenen Imam (die schiitische Variante der Apokalypse) stehe unmittelbar bevor? Warum, wenn der Krieg doch angeblich gar nicht stattfinden kann?

Vielleicht blufft der Iran, um den Preis in die Höhe zu treiben, den der Westen für einen Verzicht auf die Urananreicherung zu zahlen hätte? Das wäre eine gerissene Strategie – die der Iran aber offensichtlich nicht verfolgt! Bisher haben ihn die Europäer mit Engelszungen und großzügigen Angeboten nicht dazu verleiten können, seinerseits einen Preis zu nennen – es blieb beim catonischen Beharren auf der Anreicherung. Warum? (Ich begreife schon, dass es für Entwicklungländer eine Frage des Stolzes ist, technologische Kompetenz zu demonstrieren, hier also durch die Anreicherung. Aber dafür braucht man keine 3000 Zentrifugen!) Zumal der Iran doch damit rechnen musste, dass der Bluff, wenn er denn einer ist, als solcher auffliegt. Der Druck auf Teheran mag durch die „Enthüllungen“ der amerikanischen Dienste jetzt abnehmen, der Preis, den er verlangen kann, aber auch.

Die Dienste berufen sich unter anderem auf abgehörte Telefonate iranischer Offiziere; einer von ihnen habe sich über die Einstellung des Atomwaffenprogramms geärgert. Sollen wir wirklich glauben, dass iranische Militärs so naiv sind, solche Dinge am Telefon zu verhandeln? In Europa weiß jedes Kind, dass die NSA praktisch jedes Telefonat auf diesem Planeten abhören kann. Sollte das in der iranischen Armee unbekannt sein? (Wenn es aber nicht unbekannt ist – könnte es nicht sein, dass solche Telefonate genau zu Zweck geführt werden, den Amerikanern Fehlinformationen zuzuspielen?)

Das Ganze fügt sich zu keinem Bild. Das passt nicht. Das stinkt.

Völlig undurchsichtig ist auch, was in Washington gespielt wird. Sind die Dienste wirklich ihrem Präsidenten in den Rücken gefallen, um nicht wieder als Sündenbock für einen verfehlten Krieg herhalten zu müssen? Sind sie ihm überhaupt in den Rücken gefallen? Bush wusste seit mindestens drei Monaten von diesem Bericht; es hat ihn nicht gehindert, vom möglicherweise bevorstehenden Dritten Weltkrieg zu sprechen. Warum hat er nicht wenigstens seine Sprache gemäßigt? Könnte es sein, dass Bush schon längst vorhat, seine Iranpolitik zu ändern, dies aber nicht zugeben will, deshalb öffentlich den strammen Max gibt, der scheinbar nur unter dem Druck von öffentlich gemachten Geheimdienstberichten seine Politik ändert? Schärfere Sanktionen gegen den Iran kann man sich jetzt jedenfalls aus dem Kopf schlagen – Israel aber ist in diesen dubiosen Annapolis-Prozess verstrickt worden.

Spekulationen sind natürlich immer misslich – ich hasse es, spekulieren zu müssen! Aber die amerikanische Politik ist so undurchsichtig, inkonsequent und doppelbödig, dass sie einen zum Spekulieren zwingt. Irgendeiner in Washington spielt ein doppeltes Spiel – man weiß nur nicht, wer und warum. Vielleicht ist das alles ganz harmlos zu erklären, durch Schlamperei und Unprofessionalität zum Beispiel.

Vielleicht aber, vielleicht, geht es darum, einen Frontwechsel einzuleiten – der Iran hat schließlich Einiges zu bieten, von der Stabilität im Irak und Afghanistan bis zur sicheren und preisgünstigen Ölversorgung. Umgekehrt hat auch der Westen dem Iran Einiges zu bieten: Technologie, Integration in die Weltwirtschaft, Anerkennung einer regionalen Großmachtstellung. „Natürliche“ Verbündete eigentlich. Nur Einer stört.

Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber in meinem Kopf kreist die Broder-Frage:

Ab welchem Ölpreis steht das Existenzrecht Israels zur Disposition?

So viel zum Thema „Islamophobie“:

Salzburger Nachrichten, 5. Dezember 2007:

Der „Rat der Religionsgelehrten“ der Kairoer Al-Azhar-Universität, einer der wichtigsten Bildungsinstitutionen der islamischen Gesellschaft, hat jenen Moslems, die als Wirtschaftsflüchtlinge bei der illegalen Einreise nach Europa ums Leben kommen, den Status von „Märtyrern“ für die Ausbreitung des islamischen Weltreichs verliehen. Da dieses Gremium eine kollegiale Lehrautorität für alle Moslems ist, wiegt diese Lehrmeinung schwer als grundsätzliche und über Ägypten hinaus verbindliche Anerkennung der Unterwanderung des „christlichen Abendlandes“ durch Moslem-Immigranten zum Zweck der Islamisierung Europas. …“

[Zum Rest dieses Artikels der „Salzburger Nachrichten“]

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“