Als Vertreter der FPÖ, der Schwedendemokraten, der „Freiheit“ und von Vlaams Belang im Dezember in Israel zu Gast waren, habe ich dem Vorgang keine besondere Bedeutung beigemessen (obwohl eine Überschrift „Israel bekennt sich zum Existenzrecht islamkritischer Parteien“ ihres milden Sarkasmus wegen reizvoll gewesen wäre). Das Bedeutendste an diesen Gesprächen war, dass sie überhaupt stattfanden. Anscheinend dämmert der israelischen Rechten allmählich, dass die Islamisierung Europas die arabische Einkreisungspolitik gegenüber Israel vollenden und ihrem Staat den Garaus machen würde.
Es ist daher aus israelischer Sicht durchaus naheliegend, islamkritische Parteien gleichsam koscher zu stempeln und ihre Diffamierung als „rechtsradikal“ dadurch wenigstens zu erschweren. Aus genau demselben Grund ist es für diese Parteien naheliegend, Kontakte nach Israel zu suchen. Hier haben sich zwei auf der gesunden Grundlage gemeinsamer Interessen gefunden, ohne einander große Zugeständnisse zu machen: Auf israelischer Seite wurde der Kontakt auf Initiative einzelner Politiker und Parteien aufgebaut, nicht etwa auf Initiative von Regierungsstellen, während andererseits die Stellungnahmen der europäischen Rechtspolitiker nichts enthalten, was nicht auch der Deutsche Bundestag hätte absegnen können.
Die Aufregung im israelkritischen bis antisemitischen Teil der Rechten, man habe sich hier von Israel „instrumentalisieren“ lassen, war insofern völlig gegenstandslos: Mit demselben Recht könnte man sagen, man habe umgekehrt Israel instrumentalisiert.
Ob das Bekenntnis zum Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels nun „einseitig“ war, wie die Kritiker bemängeln, oder ob man besser ein klares und entschiedenes „Einerseits-Andererseits“ formuliert hätte, ist schon deswegen belanglos, weil der Einfluss europäischer Staaten auf den Fortgang des Nahostkonflikts gegen Null tendiert. Dass die herrschende Politkaste sich und dem Volk gerne etwas Anderes einredet – wie schön kann man sich doch im Nahen Osten als Staatsmann von internationalem Format produzieren -, ändert an diesem Sachverhalt nichts.
Einfluss haben (bzw. erstreben) diese Parteien aber auf den Gang der Innenpolitik ihrer jeweiligen Länder. Statt um Kaisers Bart – also über die Nahostpolitik von Weltmächten wie der „Freiheit“ – zu streiten, wäre es weitaus sinnvoller gewesen, die Jerusalemer Erklärung unter dem Gesichtspunkt zu analysieren, was sie über die Programmatik und die ideologische Ausrichtung dieser Parteien aussagt. Nichts Gutes, fürchte ich.
Zunächst fällt auf, dass nicht etwa der Islam als Bedrohung thematisiert wird: Stets geht es um den „fundamentalistischen Islam“, den „Islam als totalitäres System“ (mit dem die „gemäßigten Muslime“ selbstredend nichts zu tun haben), man bekennt sich zur Aufklärung, die der Islam „noch nicht“ durchlaufen habe, verwahrt sich gegen „Terror“ und den „politischen Missbrauch von Religionen“ und erwähnt nicht, dass dieser „Missbrauch“ schon zu den Praktiken des Propheten Mohammed gehörte.
Dabei wäre es gerade in Israel doch passend, darüber zu sprechen: Die Palästinenser lehnen die Anerkennung Israels ja nicht deshalb ab, weil sie Islamisten wären, sondern weil sie Muslime sind. Die nationalistische Fatah denkt in diesem Punkt nicht anders als die islamistische Hamas. Israel könnte die Anerkennung sofort haben, wenn es bereit wäre, den Nachkommen der arabischen Flüchtlinge von 1948 (welche Nachkommen inzwischen dank Milliardenzahlungen aus dem Westen mehrere Millionen Menschen zählen) die „Rückkehr“ ins israelische Kernland zu ermöglichen; wenn es sich also der muslimischen Massenmigration genauso bereitwillig öffnen würde wie Europa. Israel würde dann aufhören, ein jüdischer Staat zu sein und geriete unter islamische Herrschaft. Die „Beleidigung Allahs“, die darin lag, dass ein nichtmuslimischer Staat im Dar al Islam gegründet wurde, wäre damit getilgt. (Dies ist übrigens auch der Grund dafür, dass die Palästinenser alles Andere lieber wollen als eine Zwei-Staaten-Lösung.)
Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass die Jerusalemer Erklärung gerade nicht ein Bekenntnis zum Recht Israels enthält, seine ethnische, religiöse und kulturelle Identität zu verteidigen. Mit einer solchen Erklärung hätte man für Israel nichts Anderes gefordert als das, was man auch für das eigene Land anstrebt.
Wenn man es denn anstrebt.
Eine solche Position wäre schlüssig und konsequent gewesen; sie hätte auch die Doppelmoral sowohl antisemitischer Rechter als auch (umgekehrt) proisraelischer, aber sonst multikulturalistischer europäischer Juden offengelegt, die für das eine Land fordern, was sie dem anderen verweigern wollen.
Die Jerusalemer Erklärung fordert aber nichts von alldem; sie bleibt strikt innerhalb der Leitplanken der liberalen, im Unterschied und Gegensatz zur konservativen, Islamkritik. Die oben konstatierte seltsame Leisetreterei gegenüber dem Islam ist mithin nicht etwa eine taktische Rücksichtnahme auf eine unvorbereitete öffentliche Meinung. Sie ist Ausfluss einer bestimmten Ideologie:
Wir betrachten uns als Teil des weltweiten Kampfes der Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten gegenüber allen totalitären Systemen und deren Helfershelfern. Damit stehen wir an vorderster Front des Kampfes für die westlich-demokratische Wertegemeinschaft.
Für die Werte-, nicht etwa Völker– oder wenigstens Kulturgemeinschaft! Werte sind universell; wer sie bejaht, tritt damit einer Wertegemeinschaft bei. Völker und Kulturen dagegen sind partikular.
Dabei lehnen wir jenen kulturellen Relativismus ab, der unter dem Vorwand der Achtung fremder Kulturen und Traditionen toleriert, dass Menschen, insbesondere nicht-islamische Minderheiten, in Teilen des muslimischen Kulturkreises in ihrem Recht auf Freiheit, Gleichheit und Mitbestimmung eingeschränkt werden. Dies gilt für alle Teile der Welt, selbstverständlich in erster Linie auch für Europa, da die Menschenrechte universell und geografisch unteilbar sind.
Der Kampf gegen die Islamisierung Europas ist also nur deshalb und nur insofern gerechtfertigt, als er mit dem Kampf für die Menschenrechte in der islamischen Welt verbunden wird.
- Ob unsere Vorstellung von Menschenrechten in der islamischen Welt überhaupt verwirklicht werden kann, ohne dass die Gesellschaft kollabiert,
- ob der Versuch, dies durchzusetzen, nicht viel eher zu einer Verhärtung des Islam und zu einer Betonung seiner totalitären Aspekte führen würde – dies war jedenfalls in den vergangenen 14 Jahrhunderten regelmäßig das Ergebnis einer Infragestellung des Islam als Grundlage der muslimischen Gesellschaften -, und zwar bis hin zur Talibanisierung,
- ob wir überhaupt berechtigt sind, der islamischen Welt unsere Wertmaßstäbe aufzudrängen,
sind Fragen, die im Kontext einer universalistischen Ideologie gar nicht gestellt werden können.
Damit erübrigt sich für diese Ideologie auch die Frage, ob Völker das Recht haben, selbst zu bestimmen, wer zu ihnen gehören soll und wer nicht; dieses Recht haben sie nicht, wenn man den „Westen“ als „Wertegemeinschaft“ definiert, der man folglich beitreten kann.
Es erübrigt sich die Frage, ob zum Selbstbestimmungsrecht der Völker auch das Recht gehört, im eigenen Land entsprechend den eigenen Traditionen gemäß den Werten der eigenen Kultur zu leben; dieses Recht haben sie nicht, sofern diese Traditionen und Kulturen dem westlichen Wertekonsens widersprechen.
Es erübrigt sich die Frage „Wem gehört das Land?“: Das wirtschaftliche, kulturelle und soziale Kapital eines Landes gehört nicht denen, deren Vorfahren es über Generationen hinweg aufgebaut haben, sondern Allen, die gerade dort wohnen.
Dies sind die Implikationen des Begriffs „Wertegemeinschaft“, eines Begriffs, der nicht zufällig zu den Standardfloskeln westlicher Politiker gehört. Wir sehen, dass diese „Wertegemeinschaft“ eine Reihe von „Werten“ ausschließt, die für die Völker Europas immer noch maßgeblich sind, nicht aber für ihre Eliten.
Deren Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie ist hohl, da Demokratie nicht als kollektive Selbstbestimmung eines Volkes aufgefasst wird (Demos=Volk), das sich seiner Zusammengehörigkeit bewusst ist, sondern einer bloßen „Bevölkerung“ als einer Ansammlung von Einzelpersonen. Und auch die Freiheit, wenn sie nicht in Anarchie oder (zu deren Bändigung) eine Diktatur abgleiten soll, setzt eine Kultur voraus, die auf dem Ethos der Selbstkritik, der Gleichwertigkeit aller Individuen, der Ächtung von Gewalt, der abstrakten Loyalität gegenüber der Nation und ihrer freiheitsverbürgenden Ordnung beruht – alles Wertorientierungen, die dem Islam fremd sind und die er deshalb nicht hervorgebracht hat, aus Gründen, die ich ausführlich in „Das Dschihadsystem“ dargelegt habe.
Die Möglichkeit von Freiheit und Demokratie beruht also auf einer in jeder Generation neu zu erbringenden Sozialisationsleistung, auf der Kontinuität des sozialen Zusammenhangs, letztlich auf der Wahrung der Kollektividentität der Völker, die diese Errungenschaften hervorgebracht haben. Die Rede von der „Wertegemeinschaft“ impliziert die Vorstellung, man könne diese Werte beliebig in andere Länder exportieren; sie impliziert umgekehrt, man könne Menschen mit ganz anderen Wert- und Verhaltensmustern in beliebiger Zahl nach Europa verpflanzen – sofern sie sich nur formal zu diesen Werten bekennen -, ohne die sozialen Voraussetzungen der freiheitlichen Demokratie zu zerstören.
Die Ideologie der „Wertegemeinschaft“ stempelt Jeden zum Dissidenten, ja zum Aussätzigen, der an der „Gemeinschaft“ nicht teilhat, sofern er in den genannten Punkten anders denkt als die westlichen Eliten; und dabei sind die Andersdenkenden immer noch die Mehrheit: Sich im eigenen Lande zu Hause zu fühlen, ist auch ein Menschenrecht – ür die Mehrheit, nicht aber für die Eliten, und wenn diese Eliten mir dieses Recht absprechen, habe ich mit ihnen keine „Wertegemeinschaft“. „Wertegemeinschaft“ ist ein Kampfbegriff der westlichen Eliten gegen ihre Völker.
Angesichts des Tenors der Jerusalemer Erklärung ist es nur ein schwacher Trost, wenn es im letzten, im allerletzten Satz, schwammig und ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem vorher Gesagten heißt:
Das Recht auf Heimat ist ein Menschenrecht, welches für alle Völker zu wahren und umzusetzen ist.
Das zeigt bestenfalls, dass bei diesen Parteien noch nicht alles verloren ist – wobei es schlimm genug ist, dass ihnen die Implikationen der gängigen Phraseologie offenbar nicht klar sind. Pessimistisch betrachtet, ist es nicht mehr als ein Alibisatz.
Nun, vielleicht sind ja alles vor dem letzten Satz die eigentlichen „Alibisätze“… man übt sich im liberalen Wertegemeinschaftssprech-Sprüchlein aufsagen, in der Hoffnung dann mitmischen zu könne. Die liberale und linke Presse vermutet das ja. Wollen wir es hoffen.