Ich glaube schon einmal irgendwo erwähnt zu haben, dass ich zwar seit zwanzig Jahren Wahlberliner bin, aber aus München stamme. Viel verbindet mich mit meiner alten Heimatstadt nicht mehr, nicht einmal der Akzent verrät noch, wo ich herkomme; bei Bedarf berlinere ick wie’n altjedienter Weddinger.
Nur in einem Punkt bin ich Münchner geblieben: beim Fußball. Ich kann mich beim besten Willen nicht für die Hertha erwärmen; mein Verein ist und bleibt – na welcher wohl? Richtig!
1860.
Ich bin also nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, die Bayern zu hassen. Und mich damit in das große Heer der FC-Bayern-Hasser einzureihen, der Feinde des unbeliebtesten Vereins der Republik.
Nun gerate ich aber in einen Gewissenskonflikt: Gegen die Bayern zu sein gilt als politisch korrekt. Man ist für St. Pauli, Freiburg, Nürnberg, Kaiserslautern oder eben Sechzig – aber doch nicht für Bayern! Warum? Weil die Bayern ihre Erfolge mit Geld erkaufen, dadurch alle anderen Vereine in die zweite Reihe drängen, nicht in der Heimaterde verwurzelt sind, sondern Fans weltweit haben, weil sie arrogant sind und auf dem Feld nur das Nötigste tun. Außerdem haben sie Uli Hoeneß.
Nur kann man das alles auch ganz anders lesen: Es stimmt schon, dass der Erfolg im Fußball Geld bringt und das Geld den Erfolg begünstigt. Das wissen auch Alle, und Alle verhalten sich danach. Die Vereine, die die Chance hatten, zu den Bayern aufzuschließen, Dortmund zum Beispiel, Bremen, Leverkusen – die haben es alle nicht geschafft. Sie haben nicht die höhere Moral, sie haben nur weniger Erfolg. Wer weltweit Fans hat, muss wohl ziemlich guten Fußball spielen; und Uli Hoeneß mag schlecht erzogen sein – wenn auch schwerlich schlechter als Rudi Assauer – aber er versteht sein Handwerk, was man nicht von allen Bundesliga-Managern behaupten kann. (Und was die Verwurzelung in der Heimaterde angeht, so hat die durchaus ihre problematischen Seiten, wie sich 1933 zeigte, als – peinlich, peinlich – 1860 sich gar nicht genug SA-Leute in den Vorstand holen konnte, während die Bayern so lange wie irgend möglich an ihrem jüdischen Präsidenten festhielten.)
Was also wirft man den Bayern vor? Den Erfolg, und dass sie guten Fußball spielen. Der Deutsche Gutmensch zieht es nämlich vor, in zugigen alten Stadien eine schlechte Mannschaft null zu fünf untergehen zu sehen, und hält dies für den Beweis seiner überlegenen Sportmoral. Der Masochismus eines mittelalterlichen Flagellanten: Lieber einen schlechten Fußball als einen – Pfui! – kapitalistischen. Das ist nichts anderes als Political Correctness, kombiniert mit linker Sozialromantik.
Nachdem ich alles über Bord geworfen habe, was irgendwie links ist, täglich einen Gutmenschen frühstücke und gegen die PC wettere: Wäre es da nicht konsequent, auch als Fußballfan Nägel mit Köpfen zu machen und zu den Bayern zu konvertieren?
Ja, das wäre konsequent. Aber beim besten Willen: Das bringe ich nicht!
Es ist eine Sache zuzugeben, dass die Bayern sich ihre Erfolge redlich verdient haben. Auch ein Fußballfan darf gelegentlich sportlich fair sein. Eine ganz andere Sache wäre es, in einer Fankurve zu stehen und „Bayern, Bayern!“ zu rufen.
Ein Fußballfan wird schon als Kind auf seinen Verein geprägt wie ein Entenküken auf seine Mama. Dieses Herzklopfen und Bauchkribbeln, wenn die eigene Mannschaft aufläuft – das kann man nicht willkürlich manipulieren und auf eine andere übertragen. Fan sein heißt nicht, eine Religion zu haben (von der man abfallen kann), sondern ein Schicksal zu erleiden, mit dem man leben muss.
Nur ist das ja kein Grund, die zu hassen, deren Schicksal leichter ist.
Das Thema scheint ja nicht sonderlich beliebt zu sein. Na werde ich wenigstens einmal einen Kommentar posten.
ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, da war der FC-Bayern sehr beliebt. Damals dachte ich mir, na ja, die wollen auf der Seite des Siegers stehen und wenn ich deinen Ausführungen folge, dann erscheint es mir, dass sich auch im Fussball die sozialistische Neidkultur durchgesetzt hat. Anscheinend verquickt sich selbige auch noch mit der Tatsache, dass der FC-Bayern anscheinend nicht national genug bestückt ist und sogar Fans weltweit heit – Oh jeh. Hat nicht Lafo gesagt, dass die „Fremdarbeitern“ den armen Deutschen die Arbeit wegnehmen?
Mir scheind das ein klarer Fall von mit der Zunahme der Beliebtheit etatistischer Sozialismuskonzepte einhergehenden Isolationismus und Neonationalismus zu sein.
Fußball ist genau der Bereich, wo selbst eingefleischte Linke, sofern sie nicht Campino heißen, zu Nationalisten mutieren – was ich gar nicht kritisieren will: wenigstens EIN Bereich, wo die Mehrheit noch patriotisch ist. Mir scheint es eher ein Fall von romantisierendem Lokal- und Regionalpatriotismus zu sein, wenn man den bayern vorwirft, dass ihre Fans keine Münchner sind.
Normalerweise ist das ja ganz selbstverständlich, dass der, der die beste sportliche Leistung bringt, auch die meisten Fans hat. Nur im Fußball regiert, wie Du zutreffend feststellst, die sozialistische Neidkultur.
Hätte ich auch nur geahnt, was kommen wird, hätte ich mir gemerkt, wann mir das letzte Mal den Eindruck vermittelt wurde, dass die Mehrheit der Fans auf der Seite des Siegers stehen will, dann hätte ich einen Anhaltspunkt dafür, wann der Zustandswechsel eingetreten ist. Ich vermute in den 1990ern, da ich so Mitte der 1980er die Klappe dicht gemacht habe und zu diesem Zeitpunkt das Empfinden der Bürger noch einigermassen normal war.
Was du beschrieben hast kann man auch als Orientierung nach Unten beschreiben. Man kann das ja auch individueller Ebene bereits beobachten, dass eine solche Einstellung in der Tat auch mit Leistungsverlusten einhergeht. Der Ehrgeizige orientiert sich dagegen stets an der Spitze und erreicht dann auch auf jeden Fall mehr, selbst wenn er dieselbe nicht einzuholen vermag.
Hochgerechnen auf das System als solches, kann jeder für sich selbst. Der mit der Beliebtheit etatistischer Sozialismuskonzepte einhergehenden Isolationismus und Neonationalismus ergibt sich dann ebenso. Nur klappt das nicht mehr mit dem Abkapseln und Einmauern. Wir leben inmitten eines weltweiten Wettbewerbs und da führt die beschriebene Mentalität unweigerlich zum Abstieg in die unterste Liga.