Ruth hat wieder einen hochinteressanten Artikel ausgegraben: Das Middle East Media Research Institute (MEMRI) berichtet darin über das Zerbröckeln der saudisch geführten antiiranischen arabisch-sunnitischen Front, über dessen wahrscheinliche Ursache und das arabische Medienecho. Die MEMRI-Autoren lenken die Aufmerksamkeit auf die Teilnahme Ahmadinedjads an der Sitzung des Golfkooperationsrates Anfang Dezember – ein Ereignis, das in der europäischen Presse nicht die Aufmerksamkeit gefunden hat, die es möglicherweise verdient.
Sie vermuten, dass die Golfstaaten eine grundsätzliche Annäherung an den Iran in die Wege leiten, und zwar als vorweggenommene Reaktion auf einen möglicherweise bevorstehenden proiranischen Kurswechsel der USA. Ein solcher wird in der Region offenbar für wahrscheinlich gehalten, nachdem die USA den NIE-Bericht über die angebliche Einstellung des iranischen Atomwaffenprogramms veröffentlicht und damit den internationalen Druck auf Teheran erheblich reduziert haben.
Die Regierungen der Golfstaaten, besser informiert als ich, ziehen also aus dem Erscheinen des NIE-Berichts Schlussfolgerungen, die sich weitgehend mit den Befürchtungen decken, die ich vor einigen Wochen hier veröffentlicht habe.
So gern ich Recht habe – und ich bin ziemlich eitel -, in diesem Fall wäre ich lieber widerlegt worden.
Viele können sich das kaum vorstellen, dass die Erzfeinde USA und Iran zueinander finden könnten, und in der personellen Konstellation Bush-Ahmadinedjad kann ein solches Bündnis in der Tat kaum zustandekommen. Aber die Amtszeit beider Präsidenten endet 2009. Wir wissen nicht, wie ein eventueller demokratischer US-Präsident die Dinge sehen wird und wir wissen nicht, ob Ahmadinedjad wiedergewählt bzw. wie sein Nachfolger denken wird.
Sieht man aber von Personen ab und blickt nur auf die Interessen und das mutmaßliche Kalkül von Strategen beider Seiten, erscheint eine solche Rochade beunruhigend realistisch.
Ganz allgemein gesprochen, bedeutete eine Allianz der stärksten Macht in der Region – der USA – mit der zweitstärksten – dem Iran – (Israel und die Türkei bleiben hier außer Betracht) einen deutlichen Machtzuwachs für jede der beiden, zumindest kurzfristig.
Die USA waren ja schon einmal mit dem Iran verbündet, während des Schah-Regimes bis 1979. Seit der islamischen Revolution ist die Geschichte der US-Diplomatie in der Region eine Geschichte des Versuchs, den Iran als Alliierten gleichwertig zu ersetzen:
In den achtziger Jahren diente Saddams Irak als Quasi-Verbündeter. Nachdem der sich als noch gefährlicher entpuppt hatte als der Iran selbst, baute man die Golfstaaten, speziell Saudi-Arabien, mit Waffen, Geld und Know-How zur Festung gegen den Irak aus. Spätestens 2001 mussten die Amerikaner feststellen, dass die Saudis den Extremismus geradezu züchteten und dass dieses Land jederzeit den Islamisten in die Hände fallen konnte. Also wandte man sich wieder dem Irak zu, diesmal per „regime change“ – mit dem Ergebnis, dass man dort nicht einmal einen stabilen Staat errichten, geschweige denn einen starken Verbündeten gewinnen kann.
An Irans Ostgrenze sehen die Ergebnisse der amerikanischen Politik nicht viel eindrucksvoller aus: Wohl gewann man Pakistan als Verbündeten; der ist aber so instabil, dass die Islamisten heute womöglich nur noch ein Attentat von der Atombombe entfernt sind; und in Afghanistan unterstützte Washington die Mudjaheddin, dann die Taliban, und bekam als Quittung den 11.September.
Muss man sich da wundern, wenn amerikanische Strategen es leid sind, nach Ersatzpersern zu suchen, und daher nach Wegen fragen, das Original, also den Iran selbst, wieder ins Bett zu bekommen? Wundern müsste einen, wenn sie es nicht wenigstens in Erwägung zögen.
Für die USA liegen die – zumindest kurzfristigen – Vorteile auf der Hand:
Erstens wäre es bedeutend leichter, den Irak zu stabilisieren und sich halbwegs mit Anstand von dort zurückzuziehen.
Zweitens hätte man einen Alliierten, der sich vor einem (sunnitisch!-)islamistischen, dazu atomar bewaffneten Pakistan selbst bedroht fühlen müsste, zugleich aber in der Lage wäre, die dann unvermeidliche Kriegführung zu Lande selbst zu übernehmen. (Bereits Bushs Atomdeal mit Indien deutet darauf hin, dass man Pakistan mittelfristig nicht als Allierten, sondern als Feind einplant.) Die USA selbst sind dazu nur noch beschränkt in der Lage; es wäre für sie vorteilhaft, auf die Methode des Stellvertreterkrieges zurückzugreifen – dafür aber bedarf es eines Stellvertreters.
Drittens stünde einer der größten Erdölproduzenten der Welt auf seiten Amerikas.
Viertens würde selbst ein Umsturz im Iran, der ja nur ein demokratischer sein könnte, nicht wie 1979 dazu führen, dass der Alliierte sich in einen Feind verwandelt. Anders als bei allen anderen islamischen „Verbündeten“ Amerikas.
Woraus sich bereits der erste Grund ergibt, warum der Iran an einer solchen Konstellation interessiert sein könnte: Er ist das einzige islamische Land, dessen Regierung durch eine proamerikanische Politik an Popularität eher gewinnen als verlieren würde – gerade in oppositionellen Kreisen.
Zweitens könnte das Regime damit rechnen, dass die demokratische Opposition keine Unterstützung aus den USA mehr bekäme.
Drittens wäre die amerikanische Interventionsdrohung vom Tisch.
Viertens bekäme der Iran wieder uneingeschränkten Zugang zum Weltmarkt, den er dringend braucht, um seine Wirtschaft zu modernisieren und in Schwung zu bringen und seinen zum Teil hochqualifizierten, aber arbeitslosen und entsprechend unzufriedenen jungen Leuten eine Perspektive zu geben.
Fünftens wäre der Iran als Juniorpartner Amerikas die unangefochtene Führungsmacht der Region. Nicht nur würde er den schiitisch geführten Irak dominieren; auch den arabischen Golfstaaten, dazu Syrien und Jordanien bliebe ohne amerikanische Rückendeckung kaum etwas anderes übrig, als sich verstärkt an der iranischen Politik zu orientieren. (Paradoxerweise würde sich ihre Abhängigkeit von Amerika – und damit dessen Macht – gleichzeitig noch vergößern, weil die USA dann die einzige Macht wären, die verhindern könnte, dass die iranische Hegemonie sich zu einem regelrechten Imperium auswachsen würde, für das die arabischen Staaten östlich des Suezkanals bloß noch Quasi-Kolonien wären. Die Amerikaner könnten durchaus versucht sein, dasselbe Spiel wie in Europa zu spielen, dessen Staaten zwar nicht nur, aber auch nicht zuletzt deshalb von Amerika abhängig sind, weil dessen Präsenz die sicherste Garantie gegen ein womöglich wiederauflebendes deutsches Hegemoniestreben ist; dass die USA zugleich mit Deutschland verbündet sind, steht dem nicht entgegen, im Gegenteil!)
Sechstens müsste Amerika die Atomrüstung des Iran zumindest stillschweigend dulden, zumal wenn sie (siehe Indien!) halbwegs plausibel als Defensivmaßnahme gegen Pakistan verkauft werden kann.
Einer solchen immer noch hypothetischen US-Politik würde natürlich eine Reihe von Milchmädchenrechnungen zugrundeliegen. Was aber nur heißt, dass sie scheitern würde, nicht, dass sie nicht versucht werden kann: Die Fähigkeit Amerikas, Geister zu rufen, die es dann nicht mehr loswird, ist legendär; im Übrigen tummeln sich nirgendwo so viele Milchmädchen wie in der Politik:
Mit einem zur Großmacht aufgebauten Iran bekäme die islamische Welt, was sie bisher nicht hat: eine Führungsmacht als strategisches Zentrum. Es würde sich rächen, dass die Vereinigten Staaten dazu neigen, den westlich-islamischen Gegensatz als solchen zu unterschätzen und bloß „Extremisten“ und „Terroristen“ für Feinde zu halten, während der Islam selbst doch eine Religion des Friedens sei. Und wer da glauben sollte, der sunnitisch-schiitische Gegensatz allein würde die Araber davon abhalten, die Führung Irans zu akzeptieren, müsste sich wohl alsbald belehren lassen, dass die Schiitenfeindlichkeit der Sunniten bei entsprechender Konstellation politisch kaum bedeutender ist als der Antiamerikanismus der Europäer.
Angenommen, die arabischen Staaten Vorderasiens plus Afghanistan und Pakistan gerieten in Abhängigkeit vom Iran, dann hätte der nicht nur einen Großteil der Welt-Ölreserven unter Kontrolle, sondern auch rund 350 Millionen Menschen, über die Hälfte von ihnen jünger als 25 Jahre. Was macht man mit so viel Jugend, die man im Wirtschaftsleben unmöglich unterbringen kann? Man schickt sie in den Kampf – was denn sonst? (Mehr über diese Zusammenhänge in meinem nächsten Beitrag, wo ich mich mit Gunnar Heinsohns „Söhne und Weltmacht“ auseinandersetzen werde).
Falls amerikanische Strategen also wirklich glauben sollten (und allen Indizien zum Trotz möchte ich doch immer noch annehmen, dass das nicht der Fall ist!), man könne den Iran auf die Dauer als Juniorpartner einspannen, werden sie eher früher als später ein böses Erwachen erleben. Das erste Opfer einer amerikanisch-iranischen Allianz wäre Israel. Das zweite der Westen insgesamt.
Hi Manfred!
Bleibt da bei mir noch ein Rest an Überlegung, ein Gefühl, das besagt, dass Persien im Prinzp das Recht auf Atomenergieerzeugung (sowieso) und auf atomare Bewaffnung, wie Indien und Pakistan z.B. hat?
Ja, es bleibt auch die“ Überlegung“, ob Persien überhaupt ein „natürlicher“ Feind Israels und des Westens ist, wenn wir uns schon in den Gefilden “natürlicher Völkerverhältnisse” bewegen.
Wie schon Hegel erklärt hat, fallen die Verhältnisse von Staaten in der Tat,
-ganz im Gegensatz zu allen UNO-Illusionen einer demokratischen Völkerfamilie-,
auf natürliche Verhältnisse zurück, so dass es eine bürgerliche Konstituition auf dieser Ebene schlichtweg nicht gibt.
Die Realität der Kriege der Völker ist eine “animalische”.
Der Frieden ist jemalig; die Verträge zwischen “Völkern”, -so wie sie als “Nationale Tradition” zur Konstituition der Nation jeweils erfunden wurden, (gerne auch er-funden), halten solange, bis sie gebrochen werden.
Man mag es bedauern,
aber die apokalyptischen Beschreibungen von Völkern, die als “Tiere” gegeneinander kämpfen ist der Realität näher, als jede Völker-demokratische Illusion, auch, oder erst recht, wenn sie sich von Familienverhältnissen ableiten möchte.
Auf dieser dunkler Ebene erscheint “Persien”. und auf dieser Ebene ist der “Iran” nicht der Erb- oder Erzfeind der Juden oder Israels.
So erklärt sich die merkwürdige Ambivalenz zum Iran.
Den Bürgern des Iran trauen wir (“irgendwie”) zu, dass sie sich vom islamischen Joch befreien, – und nicht nur der kalifornischen Fraktion oder der persischstämmigen kommerziellen Raumfahrerin, sondern auch anderen, die wir kennen und an denen uns ihre säkularisiert – hedonistische Mentalität auffällt oder gar als übertrieben aufstösst.
Man müsste blind sein, zu übersehen, das der Marsch der “Zivilisten” (zur „Befreiung Jerusalems“) von Teheran ausgeht, aber das Gefühl: “ Teheran ist Telaviv ” ist keine reine Illusion.
Es gibt im Iran und nicht nur in Kalifornien oder unter deutschen Taxi-Fahrern eine Fraktion von “Persern” die ein bestimmtes Konzept der Politik für den “nahen Osten” befürworten und das auch z.T. unter Lebensgefahr aussprechen. :das israelische Konzept.
Ich glaube nicht, dass diese „Überlegungen“ diesen Namen verdienen, aber ich denke, dass vielleicht diese Strukturen (dass sozusagen das „persische“ ein ganz anders Gewicht hat, als z.B. das „berbische“ in Marrokko) in den stategischen Überlegungen in Israel und US eine Rolle spielen. Und nicht ganz zu Unrecht. – Oder?
Beste Grüße
Manfred Herok
Ich glaube in der Tat nicht, dass der Iran ein gleichsam „natürlicher“ Feind Israels oder der Juden überhaupt wäre. Ich traue sogar den Persern von allen islamischen Kernvölkern noch am ehesten zu, dass sie ein wirklich vertrauenswürdiger Partner sein könnten; und auch die Errichtung einer Demokratie, die diesen Namen verdient, würde ich ihnen eher zutrauen als allen anderen islamischen Völkern, ohne das jetzt näher ausführen zu wollen.
Nur würde dies ein anderes Regime voraussetzen. Sie HABEN aber eben kein anderes, sie haben DIESES, und speziell die Fraktion um Ahmadinedjad hat nicht den geringsten Zweifel daran gelassen, dass sie eine apokalyptisch-revolutionäre Politik verfolgt, zu deren zentralen Bestandteilen die Bekämpfung des Westens insgesamt und speziell die Vernichtung Israels gehört.
Nehmen wir an ein Regimewechsel wäre möglich. Die Frage ist: Wozu brauchen wir das? Und: Wird es uns schaden?
– „Der Westen“ und eigentlich auch die USA oder Europa allein wäre eigentlich stark genug diese Region zu beherrschen. Wir haben doch eigentlich nur ein Problem mit der „kritischen“ Öffentlichkeit, falschen Zielsetzungen, Idealen, also Problemen daheim. Wir brauchen keine solchen Partner und eine Revolution im Iran, sondern eine daheim.
– Ein „verwestlichter“ Iran mit Öl wäre wirtschaftlich und politisch ein weiterer Rivale.
– Die Flüchtlinge könnten heimkehren und weitere Flüchtlinge würden nicht mehr anerkannt, andererseits gäbe es vermutlich Druck uns für Migration von dort zu öffnen. Es gäbe ein Land mehr bei dem man sich Einschleimen würde, vor allem weil der Nahe Osten ja so wichtig ist.