Das Eiserne Kreuz

Wen wundert es noch, dass nach der Verleihung von Tapferkeitsorden an vier Bundeswehrsoldaten der Chor der Bedenkenträger seine schaurigen Balladen anstimmt? Ihre Argumente sind von so atemberaubender Dummheit, dass sie jede denkbare Satire in den Schatten stellen:

(„Der Linke-Verteidigungspolitiker Schäfer wandte sich gegen einen „neu-alten Heroenkult“. Die gesellschaftliche Hervorhebung des Soldatenberufs durch Ehrenmale und Auszeichnungen sei oft ein Vorbote deutscher Kriegsbeteiligung gewesen.“Vorbote??? Guten Morgen, Herr Abgeordneter, haben Sie die letzten zehn Jahre gut geschlafen?)

EhrenkreuzKritisierenswert ist einzig und allein, dass man nicht endlich Nägel mit Köpfen macht und das Eiserne Kreuz wiedereinführt. Das Eiserne Kreuz als Emblem der Bundeswehr zu verwenden, aber nicht als Orden; stattdessen Orden wie das Ehrenkreuz zu verwenden, die irgendwie an das Eiserne Kreuz erinnern, ohne eines zu sein: Das ist genau dieselbe Art von Halbherzigkeit und Inkonsequenz, die auch aus der Reduzierung des Deutschlandliedes auf seine dritte Strophe spricht. Nichts Halbes und nichts Ganzes!

In beiden Fällen handelt es sich um Symbole, die gerade keinen nationalsozialistischen Ursprung haben. Das EK ist vom preußischen König für den Befreiungskrieg gegen Napoleon gestiftet, das Deutschlandlied von einem Liberalen geschrieben worden, der damit die Einheit der Ideen von Freiheit und Nation zum Ausdruck bringen wollte. Die Nazis haben beide Symbole vorgefunden, nicht erfunden (und dem Deutschlandlied, das ja die Hymne nicht einmal des Kaiserreiches, sondern der verhassten Republik gewesen war, haben sie so wenig getraut, dass sie stets das Horst-Wessel-Lied dranhängten – gleichsam als Kommentar, damit auch ja niemand etwas falsch versteht.)

Was nun den sogenannten „Missbrauch“ speziell des Eisernen Kreuzes durch die Nazis angeht, so wird man es schwerlich den „Missbrauch“ eines Kriegsordens nennen können, ihn im Kriege zu verleihen, und zwar ganz unabhängig davon, ob dieser Krieg als solcher gerechtfertigt ist oder nicht. „Missbraucht“, und zwar für eine linke Geschichtsideologie, wird hier höchstens das Wort „Missbrauch“.

Wenn wir im Übrigen alles abschaffen wollten, was von den Nazis missbraucht wurde, dann müssten wir zuallererst aufhören, unsere eigene Muttersprache zu sprechen. Im Grunde müssten wir aufhören, als Volk zu existieren. Und genau darum geht es auch. Der politische Neuanfang nach 1945 hat dazu geführt, dass wir heute nicht mehr das gleiche Volk sind wie damals. Nichtsdestoweniger sind wir immer noch dasselbe Volk wie vor siebzig oder auch vor hundertsiebzig oder dreihundertsiebzig Jahren. Die schrille Panik gegenüber Symbolen, in denen sich die historische Kontinutität des heutigen Deutschland eben nicht nur zum Dritten Reich, sondern zu seiner Geschichte überhaupt ausdrückt, beruht womöglich darauf, dass vielen Menschen der Unterschied zwischen „dasselbe“ und „das gleiche“ nicht mehr geläufig ist. Wenn man diesen Unterschied verwischt, dann stempelt man Deutschland bis ans Ende aller Tage zu einem verlängerten Dritten Reich, und dann ist es nur konsequent, seine Existenz zu beenden.

Deswegen wird das Eiserne Kreuz abgelehnt! Die Nation soll nicht nur anderen Idealen anhängen als früher; sie soll aufhören, mit sich selbst identisch zu sein. Die Idee (zu der sich niemand explizit bekennt, weil sie zu absurd ist, um ausgesprochen zu werden, die aber gleichwohl den geistigen Fluchtpunkt des bundesrepublikanischen Selbstverständnisses darstellt) lautet, dass 1945 ein neues Volk gegründet worden sei, das mit dem, was früher „deutsches Volk“ genannt wurde, nur noch den Lebensraum teilt. Eine solch willkürliche Neugründung eines Volkes ist aber nicht möglich und kann bestenfalls eine durchsichtige ideologische Fiktion darstellen. Entweder sind wir dasselbe Volk, das wir auch in den Jahrhunderten vorher waren, oder wir hören auf zu existieren.

Dies, nämlich der Selbstmord der deutschen Nation, ist die Option der politischen und Meinungseliten.Wenn Deutschland in den letzten Jahrzehnten immer besonders „europafreundlich“ war, dann hat das weniger mit einer europäischen Idee oder gar Vision zu tun – unseren Eliten ist jede Idee recht, die sich das Etikett „Europa“ aufklebt -, als vielmehr mit dem Versuch, Deutschland in Europa aufzulösen wie ein Stück Zucker im Kaffee. Und wenn das nicht funktioniert, weil die anderen Nationen noch nicht so weit sind, sich aufzulösen und Deutschland daher nolens volens fortexistieren muss, dann aber höchstens als geographisches Gefäß, in dem vielleicht noch eine „Bevölkerung“ lebt, aber kein Volk, und in das man nach Belieben und vor allem nach (wessen?) ökonomischem Bedarf Menschen füllen kann.

In dieser Ideologie kommt das deutsche Volk allenfalls noch als sein eigener Nachlassverwalter vor. Die Bundeswehr soll demgemäß auch keine deutsche Armee sein, sondern eine Art Polizei im Dienste einer „Weltinnenpolitik“ (der Ausdruck stammt nicht von mir, sondern von den Verfechtern eines solchen Konzepts). Eine Welt aber, die eine „Innenpolitik“ hat, ist eine, die keine souveränen Staaten und keine Völker und Nationen kennt, und sie erst recht nicht anerkennt.

Diese globalistische Ideologie herrscht in Deutschland ziemlich unangefochten; und entsprechend lautet denn das stärkste Argument der Befürworter der neuen Tapferkeitsauszeichnung, dass sie eben nicht das Eiserne Kreuz – sprich: nicht deutsch sei.

Europäische „Grundrechtecharta“: der Etikettenschwindel

Die Grundrechtecharta gibt den Bürgern bestenfalls Rechte, die ihnen ohnehin zustehen, aber sie nimmt den Nationen die Souveränität.

Noch vor einem Jahr habe ich die EU-Grundrechtecharta, die Bestandteil des Vertrages von Lissabon ist, für einen bedeutenden Fortschritt gehalten: Bisher klafft ja eine riesige Rechtslücke dort, wo es um den Schutz der Grundrechte von EU-Bürgern geht. Da nämlich das völkerrechtliche Prinzip gilt, dass kein Staat sich unter Berufung auf seine Verfassung seinen Pflichten aus internationalen Verträgen entziehen darf, konnten die Staaten Europas die Rechte ihrer Bürger dadurch umgehen, dass sie deren Verletzung in europäischen Verträgen festschrieben. Waren die erst einmal unter Dach und Fach, standen die Grundrechte nur noch auf dem geduldigen Papier von Verfassungen, die gegenüber den EU-Verträgen niederrangiges Recht darstellten.

Überlegungen dieser Art führten dazu, dass in den neunziger Jahren die Forderung nach einer europäischen Grundrechtecharta laut wurden. In der Tat: Mit der Grundrechtecharta hätten wir Bürger erstmals Abwehrrechte, die wir auch direkt gegen die Union geltend machen könnten. Vor lauter Freude darüber, dass man uns endlich die Rechte zurückgibt, die man uns nie hätte nehmen dürfen, habe ich zwei wichtige Aspekte übersehen:

Erstens bedürfte es dazu überhaupt keiner „europäischen Grundrechte“. Es hätte vollkommen ausgereicht, wenn die EU-Staaten sich auf eine Regelung geeinigt hätten,

wonach kein Einzelstaat durch EU-Recht gezwungen werden kann, auf seinem Territorium Grundrechtseingriffe der Union zu vollstrecken oder zu dulden, die ihm selbst nach Maßgabe der nationalen Verfassung nicht erlaubt sind.

Das wäre eine Art grundrechtsbezogener Meistbegünstigungsklausel gewesen: Jedes Abwehrrecht, dass den Bürgern irgendeines EU-Staates gegen ihren Staat zusteht, stünde dann automatisch allen EU-Bürgern gegen die Union zu. Eine solche Regelung hätte die verfassungsrechtlichen Widersprüche des bisherigen Rechts elegant aus der Welt geschafft, die Verfassungen der Nationalstaaten nicht tangiert, im Gegenteil die Zuständigkeit für den Grundrechtsschutz eindeutig den Einzelstaaten zugewiesen, ohne die EU an der Verfolgung sinnvoller politischer Projekte, sofern es denn solche sind, zu hindern.

Die Charta wäre also im besten Fall ein umständlicher Weg, Gutes zu tun. Leider ist dieser beste Fall nicht eingetreten.

Es ist öffentlich wenig thematisiert worden, leider auch von EU-Skeptikern, dass die Charta Regelungen enthält, die in keiner einzigen einzelstaatlichen Verfassung stehen. Artikel 19 Absatz 1 enthält nämlich die denkwürdige Regelung:

Kollektivausweisungen sind unzulässig.“

Das ist eine Regelung, von der ausschließlich Nicht-EU-Bürger profitieren, und sie ist keine objektivrechtliche Norm, sondern ein subjektivrechtlicher Anspruch. Sie geht damit deutlich über den bisherigen Abschiebeschutz hinaus:

Es ist auch bisher schon so, dass (nach deutschem Recht) bereits das Rechtsstaatsprinzip – Verhältnismäßigkeit, Willkürverbot, Verbot rückwirkender Benachteiligung etc. -, aber auch das Prinzip der Menschenwürde es verbieten, jemanden nur deshalb abzuschieben, weil er einer bestimmten Gruppe angehört. Er muss die Abschiebungsgründe schon durch sein Verhalten selber gesetzt haben.

Wenn aber die Kollektivausweisung als solche bereits ein Verstoß gegen Grundrechte sein soll, dann bedeutet dies, dass, anders als bisher, das Bekenntnis zu einer verfassungsfeindlichen Religion oder Ideologie keine ausreichende Voraussetzung für eine Abschiebung mehr darstellt. Jedenfalls müsste der Nationalstaat die Verfassungswidrigkeit politischer oder religiöser Organisationen von Nicht-EU-Bürgern genauso akribisch beweisen wie die von Inländern. In einem Staat wie Deutschland, der nicht einmal in der Lage ist, die NPD zu verbieten, ein aussichtsloses Unterfangen!

Aber selbst, wenn er sie beweisen könnte, müsste er außerdem noch beweisen, dass er keine Kollektivausweisung vornimmt; dass der konkret Auszuweisende also individuell ein aktiver Verfassungsfeind ist. Die bloße Zugehörigkeit zu einer verfassungsfeindlichen Gruppe würde dann nicht reichen.

Das aus seiner Souveränität folgende Recht des Staates zu bestimmen, welche Nicht-Staatsbürger er auf seinem Territorium dulden will, würde nicht, wie bisher, durch die Verpflichtung auf elementare rechtsstaatliche Regeln gebändigt, sondern im Kern vernichtet!

Rein theoretisch binden solche Regelungen nur die Union selbst – was der Grund ist, warum ich sie bis vor einiger Zeit nicht weiter beachtet habe. Warum sollte es mich interessieren, wenn die EU sich selber etwas verbietet, was sie sowieso nicht tut?

Tja – aber warum steht es dann überhaupt in der Charta?

Weil die Grundrechtecharta für die nationalen Gerichte zwar keine unmittelbare, wohl aber eine auslegungsleitende Wirkung hat. Das Verbot der Kollektivausweisung wird dann nachträglich in nationale Regelungen hineininterpretiert, die man bisher ganz anders interpretiert hat und ohne EU-Charta auch weiterhin anders interpretieren würde.

Ich gebe nicht gerne zu, wenn ich meine Meinung geändert habe, aber diese „Grundrechtscharta“ ist in jeder Hinsicht ein Etikettenschwindel. Ihre Existenz ist nicht nur kein Grund, für Lissabon zu sein, sondern ein erstklassiger Grund dagegen!