Käßmann zum Letzten – vorläufig!

Ich glaube nicht, dass Rika speziell mich meinte, als sie anlässlich der Käßmann-Affäre über Zeitgenossen schrieb, die „kübelweise Spott und Häme über die Bischöfin ausschütten und alle Register ziehen von frauenfeindlich über kirchenkritisch bis links-atheistisch“, sich in „Wasser-Wein-Predigten“ ergehen, von „Vorbildfunktion“ „schwafeln“, anlässlich ihrer Scheidung wenig „Mitgefühl und Sympathien“ zeigten, stattdessen „schon damals ihren Rücktritt vom Bischofsamt“ forderten, offenbar wenig von „ praktizierter Vergebung durch die Brüder und Schwestern untereinander“ halten und deshalb „die Steine schon aufgehoben hatten“.

Ich glaube aber, dass viele Käßmann-Fans (und von denen gibt es auch unter Konservativen erstaunlich viele, ich kenne außer Rika noch ein paar) in ihrer ehrenwerten Sympathie für die Person der Bischöfin verkennen, wie sehr eine solche Frau als Repräsentantin des deutschen Protestantismus dem Christentum insgesamt schaden musste – zumindest nach Meinung ihrer Kritiker, also von Leuten wie mir; dass man also weder frauenfeindlich noch moralisch selbstgerecht sein muss, um ihren Rücktritt mit einer gewissen Erleichterung aufzunehmen. (In meiner Eigenschaft als Blogger sehe ich ihn freilich auch mit einem weinenden Auge; jetzt wird es doch nichts mit meinem Watchblog Käßmann 😉 , und auch nichts mit der pichelnden Bischöfin als running gag.).

An sich ist eine angeschickerte Bischöfin ja keine unsympathische Gestalt; wenn hinter der Rolle, die öffentliche Würdenträger zu spielen haben, ab und zu der Mensch hervorkommt, dann wirkt das wie ein gewisses Augenzwinkern, das eine abstrakte Institution menschlich macht. Eine Rolle – das sind die Erwartungen, die man an einen Amtsträger eben deshalb richten muss, weil er Amtsträger ist. Nicht dass bei Frau Käßmann der Mensch hinter der Rolle sichtbar wurde, war das Problem, sondern, dass sie vor lauter Menschsein (als wenn irgendjemand bezweifelt hätte, dass sie das ist) ihrer Rolle nicht gerecht wurde, also die an sie notwendig zu richtenden Erwartungen nicht erfüllte, und zwar schon lange vor ihrer Promilletour.

Ich will nicht abstreiten, dass ich ein wenig voreingenommen bin, weil Frau Käßmann gerade mir zuerst durch ihre Parteinahme für die „Bibel in gerechter Sprache“ aufgefallen ist. Für mich war dieses Machwerk – das nicht mehr und nicht weniger bedeutete als die Bibel nach Maßgabe linker Ideologie zu fälschen – der letzte Anstoß, endgültig mit allem zu brechen, was links ist. Auch wenn sie nicht zu den Initiatorinnen gehörte, kann ich ihr bis heute nicht verzeihen, dass sie diesen linkstotalitären Eingriff in die Autonomie der Religion propagiert hat.

Nun war dies, nämlich die Unterwerfung des Christentums unter die Maßgaben einer politischen Ideologie, eben kein Irrtum und kein Versehen, sondern ihr Programm: Ich kann mich nicht erinnern, von ihr jemals einen bedeutenden theologischen Gedanken gehört zu haben; politische Stellungnahmen aber, und die durchaus von der Kanzel, gab es praktisch täglich.

Selbstverständlich respektiere ich, wenn jemand darin vor allem „kraftvolles Eintreten für die Schwachen der Gesellschaft“ sieht (obwohl man kein Westerwelle sein muss, um zu fragen, ob die sogenannten Starken, die oft bis an den Rand der körperlichen Erschöpfung gefordert werden, eigentlich kein Mitgefühl verdient haben?); dass man ihr das „Aufgreifen schwieriger und oftmals kontrovers diskutierter Themen, … ihre Eindeutigkeit, mit der sie Stellung nimmt und … ihre Bodenhaftung und ihre Menschlichkeit“ (Rika) zugutehält.

Ich weise nur auf die Konsequenzen hin, die die systematische Vermischung von Religion und Politik nach sich ziehen muss:

Sicherheits-, wirtschafts- oder sozialpolitische Fragen ohne eigene Kompetenz unter Berufung auf moralische Kategorien entscheiden zu wollen, leistet nicht nur der ohnehin um sich greifenden Infantilisierung des öffentlichen Diskurses weiter Vorschub, sondern bestärkt auch noch speziell die Verfechter linker Ideologien, die ohnehin nicht an mangelnder Selbstgerechtigkeit leiden, in ihrer pharisäerhaften Intoleranz gegenüber Andersdenkenden: Warum sollte der, der Gott (oder, wenn er an den nicht glaubt, zumindest „die Moral“) auf seiner Seite hat, noch diskutieren?

Es wird aber nicht nur demokratisch legitimierte, sachgerechte Politik durch ein quasi-theokratisches Politikverständnis verdorben, sondern auch die Religion durch ein politisch-ideologisches Religionsverständnis: Wenn eine Institution, die ein Reich „nicht von dieser Welt“ wenn schon nicht verkörpern, so doch zumindest repräsentieren soll, in ihren Stellungnahmen von kaum etwas anderem als von just „dieser Welt“ spricht, dann entsteht unweigerlich der Eindruck, sie sei bloß durch ihre weltlich-politischen Stellungnahmen legitimiert, und der von ihr favorisierte Weg zum Heil sei statt mit größerer Askese mit höheren Sozialleistungen gepflastert.
Natürlich ist es bequem, den Menschen nichts mehr von Gott und seinen Zumutungen zu erzählen, zumal wenn die Adressaten sowieso nicht verstehen, wovon die Rede ist, weil unsere Gesellschaft zu Gott keinen Bezug mehr hat. Da erzählt man ihnen lieber das, was sie ohnehin schon glauben (und wozu sie keinen Gott benötigen), gibt ihnen das Gefühl, ihre vulgären politischen Ansichten hätten irgendetwas mit Moral zu tun, und wird dafür mit einem Star-Image (und mit Kirchensteuereinnahmen) belohnt. Beliebt ist Frau – pardon: „Mensch Käßmann“ (Spiegel), weil der Mainstream sich in ihr wiederfindet.

(Und was ihr „kraftvolles Eintreten für die Schwachen“ angeht, überhaupt den Mut, sich durch das Eintreten für Außenseiter die Finger schmutzig zumachen, sich die Frage einzuhandeln „Warum esset und trinket ihr mit den Zöllnern und Sündern?“ (Lk 5,30), so hätte sie Gelegenheit gehabt, diese Eigenschaften auf genau jener Synode zu demonstrieren, auf der sie selbst zur EKD-Ratsvorsitzenden gewählt worden ist, und auf der der Ausschluss von sogenannten oder auch Rechtsextremisten aus der Kirche vorbereitet wurde. Mit ihrem Plazet.)

Es ist dieser Hintergrund der von ihr geförderten politischen Banalisierung des Glaubens, und nicht das Pharisäertum ihrer Kritiker, der ihre Scheidung zu einem solchen Skandal machte. Gewiss kann jede jede Ehe scheitern, und wenn auch nach christlichem Verständnis die Ehe unauflöslich ist, so bin ich doch froh, in einem Staat zu leben, der gescheiterte Ehen nicht zusammenzwingt.

Für eine Kirche aber, zu deren moralischen Grundlagen eben die Unauflöslichkeit der Ehe zählt, muss die Scheidung einer Bischöfin ein Problem sein. Wenn man schon – und dies nach hoffentlich reiflicher Überlegung – nicht zurücktritt, so wäre das Mindeste zu Erwartende ein Signal des Verständnisses an die konservativen Protestanten gewesen, die gegen eine geschiedene Bischöfin Bedenken haben. Käßmanns Reaktion auf die Scheidung war aber eine ganz andere, nämlich – sich zur Ratsvositzenden wählen zu lassen! Was immer sie verbal zugestanden haben mag – durch ihr Handeln hat sie mitgeteilt: „Ich scheiß auf eure Bedenken!“

Was ihr so viele Kritiker eingebracht hat, war die Entkernung des Glaubens. Ihre Scheidung, und dass sie sie behandelt hat, als wäre die Scheidung einer Bischöfin nicht anders zu bewerten als die Scheidung von irgendwem, setzte nur die Tüpfelchen auf das Igitt.

Allerdings kann ich ihre Fans beruhigen: Da sie genau das getan hat, was ein Politiker in vergleichbarer Lage auch täte, können sie hoffen, dass sie, wie besagter Politiker, bloß eine Schamfrist einhält, um zuerst auf ihren Bischofssessel und dann auf den des Vorsitzenden zurückzukehren – man wird ihr Beides schon warmhalten.

Hoffen wir nur, dass sie bis dahin aus ihren Erfahrungen mehr gelernt haben wird als nur die Platitüde „Du sollst nicht besoffen autofahren“.