Jetst alle sterben

Auf ein von Türken bewohntes Haus im baden-württembergischen Backnang ist ein Brandanschlag verübt worden. Im Hinterhof des Hauses fand die Polizei verkehrt herum gesprühte Hakenkreuze und die Parole: „Jetst alle sterben!“

Nun sind wir von unseren glatzköpfigen Volksgenossen ja einiges gewöhnt, sogar linksgedrehte Hakenkreuze. Aber die Parole „Jetst alle sterben!“ hat nie und nimmer ein Deutscher geschrieben.

Wir hatten uns schon beim Brand von Ludwigshafen gewundert, warum die Türken in Deutschland so verbissen darauf bestanden, es müsse ein Anschlag gewesen sein, obwohl das von Anfang an die unwahrscheinlichste aller denkbaren Möglichkeiten war. Danach gab es diesen merkwürdigen „Anschlag“ von Marburg. Und den von Sittensen. Wir mussten erleben, dass mittlerweile schon zu Zimmerbränden türkische Fernsehteams anrücken. Es gab eine Türkische Gemeinde Deutschland, die von „einer Reihe von Brandanschlägen“ fabulierte und daraus politische Forderungen ableitete.

Und nun also „Jetst alle sterben!“

Wir werden uns mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass es Leute gibt, die es darauf anlegen, die türkische Minderheit in Deutschland durch fingierte „Neonazi-Anschläge“ in Bürgerkriegsstimmung zu versetzen.

Hirngespinste?

Aus dem „Spiegel“ Nr. 08/2008, 18.02.2008, S. 49 – nach dem Brand von Ludwigshafen:

„Sollte es ein Anschlag gewesen sein“, sagt der Mann, „und alles spricht wohl dafür, dann wird es Hassausbrüche geben – ein Wunder wäre es nicht.“ Ein dünnes Lächeln, er legt den Kopf schief. „Nicht dass ich Gewalt gutheiße, aber …“ Er lässt den Satz ausklingen.

Der Mann ist Enver Bakirci, Rechtsanwalt, Lokalpolitiker der islamistischen Saadet-Partei. Früher, erzählt Bakirci, seien Ministerpräsident Erdogan und er Weggefährten gewesen, beide in der frommen Refah-Partei, Erdogan in Istanbul und er, Bakirci, in Gaziantep. Doch nachdem Ende der neunziger Jahre die Refah-Partei verboten wurde, gründete Erdogan die AKP und machte mit seinem europafreundlichen Kurs Karriere, und Bakirci trat der fundamentalistischeren Gruppierung bei – und er, Bakirci, sitzt heute noch in demselben Büro, Distriktvorsitzender für Karanfils Viertel, Wortführer der schweigenden Mehrheit, wie er sagt.

Bakirci ist das personifizierte Misstrauen, gegen die Aufklärer von Ludwigshafen, gegen Deutschland, gegen die Moderne. Erdogan will die Türkei nach Europa führen; doch Bakirci will die europäisierten Türken zurückholen. Und Vorfälle wie in Ludwigshafen kann er politisch nutzen – „weil sie die Dramatik verdeutlichen“.

Er sitzt in seinem kleinen, aufgeräumten Büro, zwischen hohen Bücherstapeln, ein Mann Ende 50, er pustet in die Hände, der Mantel fest zugeknöpft, die Heizung ist ausgefallen. Er kaut Rosinen und erklärt, warum Assimilierung und Globalisierung gefährlich seien: weil sie seine Landsleute überforderten, weil sie sie ihrer Religion und Identität entfremdeten. Und weil Europa in Wahrheit überhaupt nicht tolerant sei.

„Die westliche Zivilisation war nie fair, sie hat uns Muslime kolonialisiert, uns Türken zu Verlierern gemacht“, sagt er. „Aber wenn herauskommt, dass in Ludwigshafen Feinde des Islam am Werk waren – so wird ein einziger Funke genügen.“

Genügen? „Für ein Desaster!“

Und wenn es ein Unfall war?

„Dann wird es andere Anlässe geben, andere Funken.“ Er lächelt, geht an den Schrank, holt sich mehr Rosinen.

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