Erdogan und die Integration

Man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu den Lesern der „Korrektheiten“ gehört, aber wenn es ihm darum gegangen wäre, meine Einschätzung der türkischen Politik zu bestätigen, dann hätte er dies kaum eindrucksvoller tun können als mit seinen Auftritten am Freitag im Bundeskanzleramt und am Sonntag in der Köln-Arena.

Wenn wir Deutschen von „Integration“ sprechen, dann meinen wir damit, dass Einwanderer, z.B. aus der Türkei, und ihre Kinder in die deutsche Nation  aufgenommen werden. Das heißt im Klartext: Wenn sie unseren Pass annehmen, wechseln sie ihre Nationalität und werden Deutsche.

Dazu gehört nicht, dass man Schweinshaxen essen oder samstags den Rasen mähen oder vor seinem Haus Gartenzwerge aufstellen muss. Wohl aber gehört dazu, dass man die deutsche Nation als seine eigene annimmt, dass man die deutsche Sprache spricht, dass man die demokratische Rechtsordnung und die ihr zugrundeliegenden Wertentscheidungen akzeptiert, und zwar einschließlich der religiösen Toleranz, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, des Verzichts auf private Gewaltanwendung. (Und, da das zum nationalen Grundkonsens gehört: dass man nicht am Existenzrecht Israels herumsägt.)

Wenn dagegen Erdogan von Integration spricht, tut er es mit den Worten:

„Ja zur Integration – nein zur Assimilation!“

Und macht unmissverständlich klar, dass mit „Nein zur Assimilation“ nicht etwa die Ablehnung besagter Schweinshaxen und Gartenzwerge gemeint ist, sondern die Ablehnung der Zugehörigkeit zur deutschen Nation: Wenn er sagt, die Deutsch-Türken sollten ihre türkische Identität bewahren und sich

„mit ihren Werten integrieren“,

(FAZ, 09.02.08, „Unser gemeinsames Land“, online nicht kostenlos verfügbar)

dann sagt er damit zugleich, welche Identität sie nicht annehmen – eine deutsche nämlich – und welche Werte sie nicht akzeptieren sollen – die der deutschen Gesellschaft. Sogar dort, wo er seine Landsleute aufruft, die deutsche Sprache zu erlernen, verknüpft er diesen Appell mit der Forderung nach türkischen Schulen und Universitäten in Deutschland, denn ein Deutsch-Türke müsse

„zuerst die eigene Sprache beherrschen, bevor er die zweite, also Deutsch, erlernen kann.“ (FAZ, a.a.O.)

Deutsch als Zweitsprache! Es geht also mitnichten um Traditionspflege etwa nach Art der Hugenotten, die bis heute ihr französisches Erbe hochhalten, ansonsten aber stets preußische, später deutsche Patrioten waren, sondern es geht um die bewusste, sogar institutionalisierte Ablehnung des Deutschen als Muttersprache, und zwar in alle Zukunft.

Und damit wir Deutschen nicht auf dumme Gedanken kommen, fügt er an seine Forderung nach türkischen Bildungseinrichtungen in Deutschland den denkwürdigen Satz:

„Wenn Sie versuchen, das zu verhindern, dann machen Sie einen Fehler.“

Der Manfreds-politische-Korrektheiten-Sonderpreis für politische Phantasie geht an Denjenigen, der mir plausibel macht, dass dieser Satz nicht als Drohung zu verstehen ist.

Dabei belässt er es nicht einfach dabei, „Assimilation“ abzulehnen, nein, er verteufelt sie als

„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Was denkt er sich eigentlich dabei, die Aufnahme von Türken in die deutsche Nation mit einem Begriff zu belegen, der zur juristischen Kennzeichnung der nationalsozialistischen Massenmorde entwickelt wurde?

Vielleicht denkt er sich gar nichts, das wäre die freundliche Interpretation. Im Zusammenhang mit der Serie unterschwelliger Drohungen, die er während seines Besuchs ausgesprochen hat, halte ich aber für plausibel, dass die unverschlüsselte Botschaft lautet: Versucht nicht, uns zu assimilieren, sonst verpetzen wir Euch vor aller Welt als Nazis, die einen „Völkermord“ begehen!

(Ein primitives Kalkül, das aber seine Wirkung vor allem auf denjenigen Teil der deutschen Öffentlichkeit nicht verfehlen dürfte, dem die Sorge um „das Ansehen Deutschlands in der Welt“ regelmäßig den Schlaf raubt, und der schon vorsorglich auf die Knie fällt, wenn man uns mit der bloßen Drohung konfrontiert, uns mit unserer braunen Vergangenheit in Verbindung zu bringen. Diese Marotte mutiert spätestens in dem Moment zum handfesten politischen Problem, wo wir es mit einem Spieler zu tun bekommen, der wie Erdogan zynisch genug ist, diese Schwäche auszubeuten. Dabei ist sie völlig unnötig: Für uns kann es doch lediglich darauf ankommen, keine Nazis zu sein, nicht aber darauf, ob Andere denken, wir könnten das sein. Im Übrigen kann es der präventiven Abschreckung potenzieller Feinde unseres Landes bloß dienlich sein, wenn sie uns zumindest zutrauen, wir könnten mit ihnen nach Nazimanier verfahren; mit demonstrativem Pazifismus erzielt man diesen Effekt jedenfalls nicht.)

Was Erdogan uns also als „Integration“ verkaufen will, ist die Stabilisierung der deutsch-türkischen Minderheit als Gesellschaft in der Gesellschaft, als Nation in der Nation, als Staat im Staate. (Und die Integration besteht lediglich darin, dass es sich um einen Staat eben im Staate handeln soll.)

Eine Unverschämtheit wäre diese Forderung in jedem Fall. Aus dem Munde speziell eines türkischen Regierungschefs ist sie jedoch weitaus mehr als das:

Stellen wir uns, um Erdogans Verhalten angemessen zu interpretieren, einen Moment lang vor, der armenische Ministerpräsident würde auf Staatsbesuch in die Türkei reisen, in Istanbul eine Massenversammlung mit zwanzigtausend türkischen Armeniern abhalten und diese auffordern, sich auf keinen Fall an die türkische Gesellschaft zu assimilieren, weil das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei. Der sofortige Abbruch der diplomatischen Beziehungen wäre noch die geringste Folge.

Das türkische Verständnis von Nation und Nationalstaatlichkeit basiert nämlich auf der Vorstellung der vollständigen ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Homogenität der Nation! Von der Toleranz der Türken gegenüber Minderheiten können etwa Kurden und Armenier ein Lied singen. (Die kleinasiatischen Griechen können es nicht mehr, weil ihre dreitausendjährige Kultur nach sechshundert Jahren Türkenherrschaft restlos verschwunden ist – mitsamt den Griechen selbst.) Die Forderung nach Minderheitenrechten stellt nach türkischem Verständnis einen Anschlag auf die Einheit der Nation dar und gilt als staatsfeindlicher Akt. (Dass Erdogans Islamisten mit Rücksicht auf die EU, d.h. aus taktischen Gründen, das Prinzip etwas flexibler handhaben als ihre kemalistischen Vorgänger, bedeutet keineswegs, dass sie es zur Disposition stellen würden.)

Wenn der Regierungschef eines solchen Landes an Deutschland eine Forderung stellt, die er, wäre sie an ihn selbst gerichtet, als Kriegserklärung auffassen würde, so ist dies – zumindest der Absicht nach – ein feindseliger Akt, da sie darauf abzielt, Deutschland politisch zu schwächen, und zwar im Interesse sowohl des Islam im Allgemeinen als auch der Türkei im Besonderen:

Kurzfristig geht es ihm darum, die Deutsch-Türken als Fünfte Kolonne aufzubauen, die als Pressure-Group den EU-Beitritt der Türkei unterstützt:

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands gehört die strukturelle Mehrheit des „bürgerlichen Lagers“ der Vergangenheit an – Links und Rechts sind jetzt ungefähr gleich stark. In einer solchen Situation wächst einer Wählergruppe, die sich jenseits des Links-Rechts-Gegensatzes über ethnische Gruppenidentität definiert, die Rolle eines Züngleins an der Waage zu, sofern sie es schafft, sich als nahezu geschlossener Stimmblock zu etablieren; eine solche Gruppe verfügt kraft ihrer strategischen Position über einen Einfluss, der ihr zahlenmäßiges Gewicht bei weitem übertrifft. Orientiert sie sich an den politischen Vorgaben eines fremden Staates, so ist eine verstärkte Abhängigkeit Deutschlands von dessen Interessen die zwangsläufige Folge.

Dabei können wir uns noch nicht einmal darauf verlassen, dass die demokratischen Spielregeln wenigstens formal eingehalten werden: Mit ihrem Spiel, den Zorn der Deutsch-Türken auf den deutschen Staat und „die“ Deutschen zuerst anzuheizen, um ihn dann mit staatsmännischem Gestus wieder zu dämpfen (siehe meinen Beitrag „Brandstiftung“), hat die türkische Regierung klargemacht, auf welcher Klaviatur sie in Zukunft zu spielen gedenkt.

Normalerweise könnte man es als das dumme Gerede unreifer Hitzköpfe abtun, wenn junge Türken in die Reportermikrofone rufen: „Wenn das so weitergeht, gibt es Bürgerkrieg: Türken gegen Deutsche!“ (Nicht etwa: „Deutsche gegen Türken“ – offenbar ist man sich in diesen Kreisen wohlbewusst, von wem die Aggression ausgeht.) Wenn aber die türkische Regierung offen ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur Schau stellt, solche Stimmungen nach Bedarf zu manipulieren, und die Deutsch-Türken sich darauf einlassen, so ist dies die unzweideutige Ansage, dass die türkische Seite bereit ist, zur Durchsetzung ihrer Partikularinteressen Gewalt anzudrohen und – sonst hinge die Drohung ja in der Luft – auch anzuwenden.

Und diese Interessen enden nicht mit dem EU-Beitritt der Türkei – da beginnen sie erst. Haben sich die Türken erst einmal als zweite Nation auf deutschem Boden etabliert, so wird der nächste völlig logische Schritt die Forderung nach „Gleichberechtigung“ sein, gestützt immer auch auf latente Drohungen.

Falls hier einer jener linken Pawlowschen Dackel mitliest, die bei dem Wort „Gleichberechtigung“ reflexartig mit dem Schwanz zu wedeln beginnen: Es ist ein grundlegender Unterschied, ob ich Individuen als gleichberechtigt behandle oder ein Kollektiv! Die Gleichbehandlung eines Kollektivs bedeutet, dass dessen Wertvorstellungen, Sozialnormen, Geschichtsbilder und Vorurteile denselben Anspruch auf gesellschaftliche Legitimität haben wie die der Mehrheitsgesellschaft. Im Falle eines islamischen Kollektivs also Frauenfeindlichkeit, autoritäre Erziehung, Antisemitismus, Christenhass, Intoleranz, Gruppennarzissmus und Gewaltkult. Und nicht zuletzt die Geltung der Scharia. (Wer immer noch nicht glauben will, dass es darauf irgendwann hinauslaufen wird, werfe einen Blick nach Großbritannien und lasse sich vom Erzbischof von Canterbury belehren.) Wohin schließlich die „Gleichberechtigung“ zweier Kollektive führt, von denen das eine zur Gewaltanwendung bereit ist, das andere aber nicht, mag sich Jeder selbst ausmalen.

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Erdogan ist mindestens ebensosehr Islamist, wie er Nationalist ist. Wenn er das Aufgehen der türkischen Gemeinde in der deutschen Nation um jeden Preis verhindern will, dann geht es nicht einfach um die Durchsetzung türkischer Staatsinteressen. Es geht um die Durchsetzung des islamischen Gesellschaftsmodells, um zunächst die Verdrängung, dann Zerstörung der säkularen europäischen Zivilisation.

Eines muss man Erdogan lassen: Taqqiyya – Täuschung der Ungläubigen – ist das nicht. Er ist ehrlich. Er hat seine Karten auf den Tisch gelegt.

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Türkei“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Die Bücher von Hans-Peter Raddatz, von Oriana Fallaci, von Udo Ulfkotte, von Henryk M. Broder

Brandstiftung

Es kommt mehrmals täglich vor, dass irgendwo in unserem Land ein Feuer ausbricht, manchmal auch in Wohnhäusern, und ohne dass ich die einschlägigen Statistiken zur Hand hätte mutmaße ich, dass Altbauten, zumal solche in schlechtem Zustand, stärker brandgefährdet sind als andere Häuser.

Zu den mannigfachen Brandursachen, die es geben kann, gehört auch die Brandstiftung, meist zum Zwecke des Versicherungsbetrugs. Andere Motive sind selten, kommen aber vor. So gab es auch schon Brandanschläge, die sich gezielt gegen Ausländer richteten; die Täter kann man in solchen Fällen plausibel in der Neonazi-Szene suchen.

Es ist also nicht von vornherein wahrscheinlich, aber auch nicht völlig abwegig, dass der Brand von Ludwigshafen, bei dem neun Menschen türkischer Herkunft ums Leben gekommen sind, von Rechtsextremisten gelegt worden sein könnte. Abwegig und völlig aus der Luft gegriffen ist aber die von vielen Türken geäußerte Unterstellung, die deutsche Polizei und Staatsanwaltschaft steckten mit den etwaigen Tätern unter einer Decke.

Dass rechtsextreme Gewalttäter bei den Sicherheitsbehörden Hintermänner, zumindest aber Mitwisser haben – nun, es gibt Länder, wo das üblich ist. Die Türkei zum Beispiel. Dort pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass die Mörder von Hrant Dink oder auch der christlichen Missionare im vergangenen Jahr Verbindungen zur Polizei haben. Vielleicht ist dies der Grund, warum gerade Türken der deutschen Polizei ähnliche Machenschaften zutrauen.

Trotzdem frage ich mich ganz ernsthaft, wie Menschen, die seit dreißig oder vierzig Jahren hier leben, es schaffen zu ignorieren, dass solche Praktiken und Zustände in Deutschland völlig undenkbar sind!

Und sehr wundern muss ich mich über die Rolle der türkischen Regierung in der ganzen Angelegenheit. Das normale Vorgehen unter befreundeten demokratischen Ländern wäre die Nichteinmischung. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass die deutsche Regierung die Ermordung deutscher Christen in der Türkei letztes Jahr zum Anlass genommen hätte, deutsche Polizisten, Minister oder gar die Bundeskanzlerin nach Ankara zu schicken. Die Türkei dagegen hat den Brand von Ludwigshafen von Anfang an als Staatsaffäre behandelt.

Wenn man sich aber schon einmischt, dann wäre es – wiederum unter befreundeten demokratischen Staaten – eine bare Selbstverständlichkeit, den zuständigen Behörden das Vertrauen auszusprechen und die eigenen Landsleute zu loyaler Zusammenarbeit aufzufordern. Was tut die Türkei?

Zuerst erscheint der Botschafter auf der Bildfläche und nennt es „seltsam“, dass deutsche Politiker einen fremdenfeindlichen Hintergrund ausgeschlossen hätten. Das haben sie aber gar nicht; tatsächlich hat der zuständige Ministerpräsident Beck am Montag gesagt, es gebe nach den bisherigen Erkenntnissen keinen Hinweis darauf – was zu diesem Zeitpunkt korrekt war. Die Äußerungen des Botschafters sind ganz sinnlos, es sei denn, er hätte ein politisches Vertuschungsmanöver unterstellen wollen, und genau so ist es denn von seinen Landsleuten auch verstanden worden.

Dann kündigt die türkische Regierung an, eigene Ermittler nach Deutschland zu schicken; man wolle die deutschen Behörden nicht etwa kontrollieren (aber nicht doch!), man wolle nur die stark emotionalisierte türkische Gemeinde in Deutschland „beruhigen“ (deren „Emotionalisierung“ der eigene Botschafter gerade erst angeheizt hatte).

Schließlich erscheint ein türkischer Minister und fordert die hier lebenden Türken zur „Besonnenheit“ auf.

So, und nun fragen wir uns, was das Ganze zu bedeuten hat.

Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir können ignorieren, dass das Vorgehen der Türkei hochgradig ungewöhnlich ist, und ihre Äußerungen zum Nennwert nehmen: Der Botschafter hat sich gewundert, die Regierung will die Gemüter beruhigen, der Minister ruft zur Besonnenheit auf. Punkt.

Oder wir ignorieren das nicht und machen uns daran, den Subtext zu dechiffrieren, der in dieser dreifachen Botschaft steckt:

Erstens, die türkische Regierung spricht den deutschen Behörden ihr Misstrauen aus und signalisiert das auch der hiesigen türkischen Gemeinde.

Zweitens: Was immer die deutsche Polizei ermittelt, aussage- und beweisfähig ist es nur, soweit es von türkischen Ermittlern bestätigt wird; womit uns die Türkei hochoffiziell zu verstehen gibt, dass die hier lebenden Türken, und sogar die Deutschen türkischer Herkunft, nicht etwa dem deutschen Staat Loyalität schulden, sondern dem türkischen.

Drittens: Nur die Türkei ist fähig, die Gemüter zu „beruhigen“, sprich zu verhindern, dass es zu Krawallen (wie in Frankreich) kommt; das ist die Botschaft, die hinter dem Aufruf zur „Besonnenheit“ steckt (der ja voraussetzt, dass er überhaupt nötig ist, und dass er von einem türkischen Minister ausgesprochen werden muss, um wirksam zu sein).

Der Subtext lautet also: Wir können bei Euch in Deutschland jederzeit einen Bürgerkrieg entfesseln, und es hängt allein von uns ab, ob es so weit kommt oder nicht.

Das ist eine Machtdemonstration. Und noch deutlicher für die, die es noch nicht kapiert haben: Es ist eine Drohung.

Wozu aber soll die gut sein? Erinnern wir uns, dass die türkische Regierung von Islamisten geführt wird. Zu Hause benutzt sie die Auflagen der Europäischen Union, um unter der Flagge der „Religionsfreiheit“ den türkischen Laizismus zu untergraben. Zugleich versucht sie, ihr Land in der Union unterzubringen – wohl wissend, dass die meisten Europäer das nicht wollen, und damit rechnend, dass die Regierungen diesem Druck der Völker nachgeben könnten. Um dem vorzubeugen, zeigt sie uns schon einmal die Instrumente.

Der erwünschte Nebeneffekt ist, die türkische Gemeinde in ihrer Gegnerschaft und Abgrenzung gegen die deutsche Gesellschaft und den deutschen Staat zu bestärken und sie dadurch als geschlossene Einheit zu stabilisieren, in jedem Fall aber zu verhindern, dass sie in der deutschen Gesellschaft aufgeht.

Warum? Weil sie dann nicht mehr djihad-tauglich wäre.

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Türkei“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

 

Nachschlag

Anlässlich des Beitrags „Wer hat die Hessenwahl gewonnen?“ hat Beer7 mich auf einen Kommentar von Jost Kaiser aufmerksam gemacht, der ganz anderer Meinung ist als ich. Kaiser kritisiert zunächst die FAZ dafür, dass sie Roland Koch unterstützt, sich gar mit ihm gemein gemacht habe, mokiert sich über die Vorstellung einer linken Dominanz in den deutschen Medien und zeigt sich überzeugt, dass Koch einen ausländerfeindlichen Wahlkampf geführt und seine Niederlage daher verdient habe.

Dass ich an Kochs persönlicher Glaubwürdigkeit meine Zweifel habe, habe ich schon an anderer Stelle erwähnt. Nur ist die völlig irrelevant, verglichen mit den zu erwartenden politischen Folgen seiner Niederlage. Ich habe an Jost Kaiser eine Antwort als Kommentar in seinem Blog geschrieben. Dieser Kommentar ist zunächst in der Mitte abgeschnitten worden, vermutlich weil er für einen Blog-Kommentar zu lang war. Deswegen, und als Ergänzung zu den vorherigen Beiträgen zum Thema, veröffentliche ich ihn hier. Ich steige ein mit einem Zitat aus Kaisers Artikel:

„Von Hans-Joachim Friedrichs wird nur ein Satz überliefert, der aber ist ganz gut:
‚Ein Journalist darf sich mit keiner Sache gemein machen. Auch nicht mit einer guten.‘

Angenommen, die gute Sache sei Roland Koch. Dann sieht man das bei der „F.A.Z.“ mit dem gemein machen wohl fundamental anders.“

Stimmt. genau wie die entgegengesetzte Feststellung stimmt: „Angenommen, die gute Sache sei die Gegnerschaft zu Roland Koch. Dann sieht man das mit dem gemein machen bei sämtlichen deutschen Massenmedien mit Ausnahme von FAZ und ‚Bild‘ wohl fundamental anders.“

Ob man dies eine Kampagne nennen oder annehmen will, der deutsche Journalismus sei von einem seiner periodisch auftretenden Anfälle von Herdentrieb heimgesucht worden, lasse ich dahingestellt. Wenn sich aber sämtliche Schreiber der Republik über ein Wahlplakat empören, weil Ypsilanti darauf „Ypsilanti“ und Al-Wazir „Al-Wazir“ genannt wird und keiner auf die Idee kommt, dass daran etwas lächerlich sein könnte, dann ist das wohl ein starkes Indiz mindestens für Konformismus.

(Zumal diese Sensibilität in einem merkwürdigen Missverhältnis steht zu der Selbstverständlichkeit, mit der dieselbe Presse hinnimmt, dass auf demselben Plakat Mitglieder der Linkspartei kurzerhand als „Kommunisten“ abgestempelt, sprich mit Stalin, Mao und dem Gulag in Verbindung gebracht werden. Und ganz nebenbei: Dieselben Medien, die Helmut Kohl jahrelang den „Pfälzer“ genannt und offen darauf spekuliert haben, dass „der Pfälzer“ beim Publikum ungefähr so ankommen würde wie „der Dorfdepp“, täten gut daran, die feinen Anspielungen auf CDU-Plakaten nicht mit einer Elle zu messen, gemessen an der sie selbst jahrelang blanke Demagogie getrieben haben.)

Ja, aber die CDU hat doch auf fremdenfeindliche Ressentiments spekuliert! Na, und wenn?

Wenn es legitim ist, dass viele Wähler einen Kanzlerkandidaten der CSU schon deshalb a priori ablehnen, weil sie auf keinen Fall von einem Bayern regiert werden wollen, dann kann es nicht illegitim sein, dass es Menschen gibt, die nicht von einem Muslim regiert werden wollen. (Und man stelle sich vor, was in diesem Land los wäre, wenn über Herrn Al-Wazir so geschrieben würde wie einst über Franz Josef Strauß: „Der ist gemacht aus Barbarei und Blutwurst, aus Bier und Frömmelei!“). Es ist weder neu, noch ist es auf das Thema „Migrantenkriminalität“ beschränkt, noch eine Spezialität der CDU, noch auch nur vermeidbar, dass politische Positionen in Wahlkämpfen holzschnittartig vergröbert werden. Wer damit ein Problem hat, hat ein Problem mit der Demokratie.

Wenn in ein- und derselben Bevölkerungsgruppe – nämlich unter Migranten muslimischen Glaubens – Bildungsverweigerung, Machismo, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus, religiöse Intoleranz, politischer Extremismus und eben Gewaltkriminalität gleichzeitig und in deutlich höherem Maße als in der Gesamtbevölkerung auftreten, dann ist ein Zusammenhang zwischen diesen Phänomenen naheliegend; ich würde sogar sagen: Er ist offensichtlich. Und dann kann man nicht einen Aspekt herausgreifen – hier also die Kriminalität -, ohne den (sub-)kulturellen Hintergrund mitzuthematisieren. Tut man dies aber, noch dazu in der mit einem Wahlkampf notwendig verbundenen plakativen Form, dann folgt darauf der Vorwurf der „Ausländerfeindlichkeit“ so sicher wie der Donner auf den Blitz.

Dass dieser Vorwurf, wenn er praktisch von sämtlichen Medien erhoben wird (und dann auch noch mit zählbarem Erfolg), ausreichen wird, das ganze Thema auf Jahre hinaus totzutrampeln, mag Sie befriedigen, und selbstverständlich ist es Ihr gutes Recht, sich für das Thema „Migrantenkriminalität“ nicht zu interessieren. Ich bin aber sicher, es würde Sie interessieren und Ihr Kommentar wäre ganz und gar anders ausgefallen, wenn man Ihrem Sohn, wie meinem, mal eben eine Pistole an die Schläfe gehalten hätte; wenn Ihre Tochter, wie meine, sich auf der Straße, da unverschleiert, mit „Üsch fück düsch, du deutsche Schlampe“, anpöbeln lassen müsste; wenn Ihr Nachbar Ihnen, wie mir, anlässlich einer nichtigen Meinungsverschiedenheit gedroht hätte, Ihre Frau zu vergewaltigen. (Besagter Nachbar musste übrigens untertauchen, weil er als Drogenhändler von der Polizei gesucht wurde.)

In der Regel bleibt es in solchen Fällen bei der bloßen Drohung (die aber als solche bereits barbarisch ist!); dass man sich darauf aber nicht verlassen kann, zeigt die Kriminalstatistik der wenigen Bundesländer, in denen die statistische Erfassung des Migrationshintergrundes von Verdächtigen nicht aus Gründen der Political Correctness untersagt ist.

Noch sind wir nicht an dem Punkt, wo man sich in deutschen Großstädten wie im New York der siebziger und achtziger Jahre seines Lebens nicht mehr sicher sein kann. Es bedürfte aber jetzt energischer politischer Intervention zu verhindern, dass es dahin kommt. Man kann auch ohne Prophetengabe vorhersagen, dass diese Intervention unterbleiben wird, und dies nicht zuletzt deshalb, weil die Medien dem Thema das Etikett „ausländerfeindlich“ aufgepappt und damit Erfolg gehabt haben.

Dass die Publizistik sich im „Würgegriff“ der Linken befinde, dass Linke das Land zersetzten und Leute zum Schweigen brächten, die die Wahrheit sagen, das nennen Sie eine – und man sieht geradezu das Naserümpfen – „kleinbürgerliche“ Paranoia. Unter den gegebenen Umständen hielte ich das für dreist, wenn ich nicht Ihnen und Ihren politisch korrekten Kollegen die Naivität sogar abkaufen würde, mit der Sie und sie bestimmte normative Prämissen linker Ideologie so sehr als Selbstverständlichkeiten verinnerlicht haben, dass ihnen schon deshalb der Gedanke fremd sein muss, hier könne etwas „links“ sein.

Axiom linker Ideologie ist,

– dass jedes gesellschaftliche Machtungleichgewicht von vornherein verwerflich sei: also nicht nur das zwischen Reichen und Armen, sondern auch (die Liste ist äußerst unvollständig) zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, Christen und Muslimen, Israelis und Palästinensern, Weißen und Schwarzen, Männern und Frauen, Arbeitenden und Arbeitslosen, Inländern und Ausländern,

– dass solche Ungleichgewichte auf einem Unrecht beruhten, dass die jeweils stärkere Seite der Schwächeren antue,

– und dass es dieses „Unrecht“ durch die systematische Bevorzugung der schwächeren Seite auszugleichen gelte.

Und so kommt es, dass unsere Medien es keiner Begründung für wert erachten, wenn sie prinzipiell und ohne Rücksicht auf den jeweils konkreten Sachverhalt die Partei der Entwicklungsländer, Muslime, Palästinenser, Schwarzen, Frauen, Arbeitslosen und Ausländer ergreifen. So kommt es, dass die demagogische Verunglimpfung etwa von Bayern, Pfälzern, Linksparteimitgliedern und Kleinbürgern, kurz: von Inländern, als völlig unproblematisch, womöglich gar als journalistische Tugend gilt, während Kritik an Ausländern, und sei sie noch so wahrheitsgemäß, als „rassistisch“ gebrandmarkt wird. So kommt es, dass Journalisten massenhafte Gewaltkriminalität als

„sogenannte ‚Missstände'“

verharmlosen, ja veralbern, weil sie

„sehr genau spüren, wo das ‚Ansprechen‘ sogenannter ‚Missstände‘ hinführen kann, zum Glück aber diesmal – anders als 1999 („Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben“) – nicht hingeführt hat. „

Im Klartext: Sie haben ein Problem mit Deutschen, die den Kugelschreiber zücken, aber keines mit Arabern, die das Messer ziehen.

Genau das, Herr Kaiser, ist linke Ideologie.“

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Die Bücher von  Henryk M. Broder

Wer hat die Hessenwahl gewonnen?

Es konnte nicht ausbleiben, dass die Journaille uns die Niederlage von Roland Koch, sprich den Erfolg ihrer eigenen Kampagnenschreiberei als „Sieg der politischen Kultur“ verkaufen würde. Bevor ich danach frage, wer hier tatsächlich gesiegt hat, nutze ich die Gelegenheit festzuhalten, was man in diesen Kreisen unter „politischer Kultur“ versteht:

Erstens, dass es nicht darauf ankommt, ob etwas wahr, sondern ob es politisch korrekt ist,

zweitens, dass man Ausländer grundsätzlich nicht kritisieren darf [siehe meinen gestrigen Beitrag],

drittens, dass unhaltbare gesellschaftliche Zustände nicht kritisiert werden dürfen, wohl aber der, der sie anprangert,

viertens, dass der Staat nicht primär dafür da ist, seine Bürger zu schützen, sondern Gewaltverbrecher zu hätscheln,

fünftens, dass Medien, die sich viel auf ihre „Seriosität“ zugute halten, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen oder auch die ZEIT, blanken Kampgnenjournalismus treiben,

sechstens, dass sie damit Erfolg haben.

Gewonnen hat nicht die politische Kultur. Gewonnen hat diese Wahl eine linke Sozialdemokratin, deren Namen ich nicht nennen darf, weil das sonst fremdenfeindlich wäre, die ich deshalb mit Gerhard Schröder als „diese Frau XY“ tituliere, und die ihren Sachverstand durch ihren unermüdlichen Kampf gegen die Agenda 2010 unter Beweis gestellt hat; hätte sie damit Erfolg gehabt, so hätten wir jetzt anderthalb Millionen Arbeitslose mehr, aber was macht das schon?

Gewonnen haben ferner einige tausend Gewohnheitsverbrecher mit und ohne deutschen Pass, die sich bisher schon darauf verlassen konnten, dass sie keine ernsthaften Strafen zu befürchten haben, schon gar keine Ausweisung, und denen der hessische Wähler heute die Gewissheit beschert hat, dass das auch weiterhin so bleiben wird, weil sich in absehbarer Zeit kein Politiker mehr trauen wird, daran etwas zu ändern.

Gewonnen haben darüberhinaus einige hunderttausend arabische und türkische Jung-Machos, die ganz selbstverständlich und gewohnheitsmäßig und aus nichtigsten Anlässen ihren Mitmenschen, am liebsten natürlich den „Scheißdeutschen“, Prügel und Schlimmeres androhen. Wenn man ihnen Contra gibt, stellt man meist fest, dass man es mit Hunden zu tun hat, die bellen, aber nicht beißen. Nur: Weiß man’s?

Und welche Frau, welcher alte Mensch traut sich denn, ihnen Contra zu geben? (Ich als Hundertkilo-Mann habe da leicht reden.) Glaubwürdig, und für die Betroffenen einschüchternd, sind diese Drohungen durchaus, und zwar allein schon deshalb, weil alle Beteiligten wissen, dass jugendliche Gewalttäter nicht viel zu befürchten haben; der Staat wird ihnen schon noch die zweite, dritte und hundertzehnte Chance geben.

Nein, diese Hessenwahl war kein Sieg der politischen Kultur. Sie war ein Sieg der islamischen Gewaltkultur über die europäische Zivilisation.

Eine Katastrophe.

 

 

Genossen, der Schwank geht weiter!

Erinnert sich noch jemand an dieses Plakat?

An den Aufschrei, der durch das gesammelte Gutmenschentum der nördlichen Hemisphäre fuhr? Daran, dass die Vereinten Nationen ihren Antirassismusbeauftragten in Marsch setzten, um die Schweizer Mores zu lehren? [Zu meinem damaligen Beitrag] Man sollte meinen, dass diese Orgie der Political Correctness an Absurdität nicht zu übertreffen war.

Wie man sich täuschen kann. Wir Deutschen sind notorisch gründlich, und das heißt unter anderem: Es gibt keinen Irrsinn, den WIR nicht noch auf die Spitze zu treiben verstünden! Und sei es um den Preis der unfreiwilligen Satire.

In der dieswöchigen Ausgabe von „Hart, aber fair“ (Ich muss wohl eine falsche Vorstellung davon haben, was unter „fair“ zu verstehen ist.) wurde die hessische CDU endgültig moralisch vernichtet, und zwar mit diesem Plakat:

hessen.jpg

Nanu, dachte ich, als ich den strafenden Blick des Moderators sah, wo ist denn jetzt das Problem? Nun gut, die Partei „Die Linke“ umstandslos als „die Kommunisten“ zu titulieren entspricht vielleicht nicht dem neuesten Stand der Politischen Wissenschaft, aber eine Partei mit deren Vergangenheit wird sich das gefallen lassen müssen, erst recht im Wahlkampf.

Ich bin bekanntlich politisch etwas unbedarft, und so entging mir, was der Adlerblick des Gutmenschen sofort erfasste: nämlich, dass es nicht etwa unfair war, die Linken Kommunisten zu nennen, wohl aber fremdenfeindlich, Ypsilanti „Ypsilanti“ und Al-Wazir „Al-Wazir“ zu nennen. Durch die Nennung der ausländischen Namen werde nämlich unterschwellig an fremdenfeindliche Emotionen appelliert.

Man wundert sich ja schon nicht mehr, dass bestimmte Wahrheiten nicht ausgesprochen werden dürfen, wenn sie von der Political Correctness als „böse“ markiert worden sind. Dass man aber Menschen nicht einmal bei dem Namen nennen darf, der in ihrem Personalausweis steht, weil das sonst fremdenfeindlich ist, das kann doch nur Satire sein, oder?

Wie wäre denn eigentlich das folgende Plakat zu bewerten?

[Das ursprünglich hier verlinkte Bild zeigte Philipp Rösler]

Da muss in der niedersächsischen FDP wohl ein ganz besonders durchtriebener Intrigant am Werk sein, der den Wahlkampf des eigenen Spitzenkandidaten dadurch sabotiert, das er dessen Gesicht vorzeigt, noch dazu vor einem gelben (!) Hintergrund, um unterschwellig die Angst der Wähler vor der „gelben Gefahr“ auszubeuten! Man sollte die Vereinten Nationen alarmieren!

Oder darf man ausländische Namen bloß in einem kritischen Zusammenhang nicht nennen? Das wäre interessant: Man darf Menschen mit ausländischem Namen also entweder gar nicht kritisieren, oder nur, wenn man dabei ihre Namen verschweigt. Also entweder nicht kritisieren oder nicht sagen, wen man kritisiert.

(Für alle, die sich nie zu fragen trauten, was das Wort „kafkaesk“ bedeutet: Das ist kafkaesk!)

Anders gesagt: Jede Kritik an Ausländern, unabhängig von ihrem Inhalt, ist automatisch fremdenfeindlich! Wir hatten zwar schon immer vermutet, dass gewisse Leute so denken. Das sie aber die Chuzpe haben würden, ihr eigenes gestörtes Verhältnis zur Wahrheit, zur Meinungsfreiheit und zur Demokratie derart ungeschminkt zum gleichsam offiziellen Standpunkt eines öffentlich-rechtlichen Senders zu erheben, gehört zu der Sorte Überraschungen, auf die man gut hätte verzichten können.

Es ist, glaube ich, an der Zeit, wieder einmal ein paar Binsenweisheiten zum Besten zu geben:

Demokratie heißt Volkssouveränität!

Damit haben verschiedene Leute schon deshalb Schwierigkeiten, weil darin das Wort „Volk“ steckt, das ja, spätestens wenn es konkret wird, immer ein ganz bestimmtes Volk meint, im Zweifel das eigene. Dass in Deutschland das deutsche Volk souverän ist, ist zwar eine Selbstverständlichkeit, widerspricht aber der Political Correctness derart, dass ihre Verfechter ihr Möglichstes tun, diesem misslichen Zustand abzuhelfen.

Und erst „Souveränität“! Souverän ist derjenige, der sich für seine Entscheidungen nicht zu rechtfertigen braucht. Zum Beispiel der Wähler in seiner Kabine. Der darf nach jedem Kriterium entscheiden, das ihm passt. Ob er einen Politiker wählt – oder auch nicht wählt -, weil er sein Programm gut (oder schlecht) findet, oder weil er so gut aussieht, oder weil seine Ehefrau sich sozial engagiert, oder weil er (der Wähler) vor der Wahl eine Münze geworfen hat, spielt überhaupt keine Rolle – erlaubt ist alles.

Es gibt in Deutschland viele Menschen, die einen Kanzlerkandidaten der CSU schon deshalb ablehnen, weil sie auf keinen Fall von einem Bayern regiert werden wollen. (Man erinnere sich zum Beispiel, was Wolf Biermann, damals noch links, über den Kandidaten Strauß dichtete: „Der ist gemacht aus Barbarei und Blutwurst, aus Bier und Frömmelei!“ Über Bayern darf man offenbar in diesem Stil schreiben. Den grünen Spitzenkandidaten Al-Wazir darf man nicht einmal beim Namen nennen, geschweige denn mit araberfeindlichen Klischees in Verbindung bringen!)

Auch wenn es einem im Einzelfall nicht passen mag: Der Wähler darf einen Bayern wegen dessen Herkunft ablehnen. Ebenso wie er einen Muslim arabischer Herkunft ablehnen darf! Zu sagen „Ich will nicht von einem Muslim regiert werden“ ist nicht Diskriminierung, sondern: Souveränität!

Man könnte die Aufregung um das Plakat als schlechten Witz verbuchen, wenn es nicht so bezeichnend für das geistige Klima in unserem Land wäre, dass man solche Possen treiben kann, ohne Angst vor der Lächerlichkeit haben zu müssen. Bei der Wahl in Hessen geht es aber um mehr als um einen bühnenreifen Schwank:

Man muss Roland Koch nicht sympathisch finden; sogar die hartgesottenen Kollegen von der „Acht der Schwerter“ können ihn nicht ausstehen. Man muss seine Law-and-Order-Sprüche auch nicht für glaubwürdig halten; dazu hat er bei Polizei und Justiz zu oft den Rotstift angesetzt. Man muss aber sehen, dass die hessische CDU einen Versuchsballon startet: Kann man mit dem Versprechen, kriminelle Migranten auszuweisen, eine Wahl gewinnen, ja oder nein?

Lautet die Antwort „Nein“, dann verschwindet das Thema mindestens für die nächsten zehn Jahre von der Tagesordnung. Die Zeche dafür werden diejenigen Bürger zu zahlen haben, die es sich nicht leisten können, in Gegenden mit einem niedrigen Migrantenanteil zu ziehen – im Gegensatz zu all den liberalen Leitartiklern, Richtern und Politikern, die auf Kosten ihrer weniger begüterten Mitbürger ihre politisch korrekten Illusionen pflegen. Diejenigen also, die es beim besten Willen nicht als „Bereicherung unserer Kultur“ empfinden können, nahezu täglich von türkischen oder arabischen Halbstarken beleidigt, angepöbelt und bedroht zu werden – wenn sie Glück haben (Der Rentner in München hatte dieses Glück nicht.). Diejenigen Frauen, denen mit Vergewaltigung gedroht wird, wenn sie sich unverschleiert in gewissen Vierteln zeigen. Diejenigen Schüler, die sich angewöhnen mussten, ihre eigene Muttersprache mit türkischem Akzent zu sprechen, um nicht gemobbt zu werden. Diejenigen Polizisten, die in gewissen Vierteln keine Festnahme mehr durchführen können, ohne sich einer Horde von gewaltbereiten Landsleuten der Betroffenen gegenüberzusehen; wer das nicht glauben mag, lese die einschlägigen Artikel zum Beispiel im „Tagesspiegel“ nach, weiß Gott keinem Zentralorgan der Fremdenfeindlichkeit.

Morgen fällt in Hessen eine Vorentscheidung: darüber, ob deutsche Städte auch in zehn Jahren noch zur zivilisierten Welt zu rechnen sein werden.

Gelesen: Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht

Gunnar Heinsohn ist der Meistignorierte unter den bedeutenden Köpfen unseres Landes, und wahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass er gesellschaftswissenschaftliche Fragen aus allen Disziplinen (Geschichte, Soziologie, Politische Wissenschaft, Volkswirtschaft) aus einer ganz ungewohnten Perspektive – der des Demographen – analysiert und dabei obendrein zu wichtigen Erkenntnissen gelangt.

Leuten wie mir, denen eine Idee gar nicht originell genug sein kann, ist er damit sympathisch, den Wissenschaftlern, in deren Fachgebieten er wildert, eher weniger.

Vor über zwanzig Jahren etwa veröffentlichte er seine These (Heinsohn/Steiger, Die Vernichtung der Weisen Frauen, München 1985), die europäische Bevölkerungsexplosion seit Ende des 15.Jahrhunderts sei die geplante und beabsichtigte Folge der zur gleichen Zeit massiv und europaweit einsetzenden Hexenverfolgung gewesen. Mit deren Hilfe habe man das Wissen um die traditionellen Methoden der Geburtenkontrolle ausrotten wollen, um Europa nach den Bevölkerungsverlusten speziell des 14. Jahrhunderts im Sinne des Frühmerkantilismus zu „repeuplieren“.

Der besondere Charme dieser These lag darin, dass sie gleich zweibis dahin ungelöste Fragen der europäischen Geschichte beantwortete: die nach den Ursachen der Bevölkerungsexplosion und die nach den Ursachen der Hexenverfolgung. Als ich das Buch damals las, dachte ich: „Was für eine interessante These; mal sehen, was die Historiker dazu sagen“.

Nun, die Historiker sagten – nichts. Heinsohns Theorie gilt bis heute als Außenseiterhypothese, die weder aufgegriffen noch überzeugend widerlegt, sondern ignoriert wird.

Einfachheit und Originalität sind die Stärken von Heinsohns Denken. Leider sind sie nicht die Stärken des deutschen Wissenschaftsbetriebes. Und so hat auch „Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen“ (Zürich 2003) nicht die gebotenen Aufmerksamkeit erfahren. Was ein Unglück ist, weil es darin um nicht weniger geht als um die weltpolitischen Gefahren mindestens der nächsten zwnzig Jahre und darum, wie man mit ihnen fertig wird.

Wieder vertritt er eine einfache These, nämlich dass Gesellschaften umso gewalttätiger werden, je größer der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung ist. Die Faustregel lautet, dass mit erheblichen Konflikten zu rechnen ist, sobald der Anteil der 15-24jährigen über 20 Prozent bzw. der 0-15jährigen über 30 Prozent liegt. Bei einem solchen „youth bulge“, wie er im Fachjargon heißt, wächst nämlich die Bevölkerung schneller als die Anzahl der Positionen, die mit Macht und Prestige verbunden sind. Ist aber die Anzahl junger Männer deutlich größer als die Anzahl der Väter, deren Positionen übernommen werden können, dann ist der Kampf um solche Positionen die natürliche Folge.

Dieser Kampf kann in verschiedenen Formen stattfinden, die einander keineswegs ausschließen, sondern oft gleichzeitig und in Verbindung miteinander auftreten: Auswanderung, Eroberungskrieg, Völkermord, politischer Extremismus (Terrorismus, Bürgerkrieg, Revolution), massenhafte Gewaltkriminalität.

Der Autor führt dafür zahlreiche historische Beispiele an. Am Eindrucksvollsten dabei die oben schon erwähnte europäische Bevölkerungsexplosion, in deren Folge Europa die Welt eroberte und sich zugleich unzählige Kriege, Bürgerkriege, Revolutionen und Massenmorde auf dem eigenen Kontinent leistete. Er untermauert seine These, indem er aufzeigt, dass von den aktuell (2003) siebenundsechzig Nationen, die einen „youth bulge“ aufweisen, nicht weniger als sechzig (!) von Massengewalt in wenigstens einer der genannten Formen betroffen sind. Heinsohn geht davon aus, dass dieses Problem bis etwa 2025 die Weltpolitik prägen und auch den Westen mit erheblichen Gefahren konfrontieren wird. Der Höhepunkt des Jugendanteils weltweit ist, so Heinsohn, zur Zeit erreicht. Aufgrund sinkender Geburtenraten ist ab etwa 2025 mit einer zunehmenden Entspannung zu rechnen, und spätestens ab 2050 dürften „youth-bulge“-induzierte Konflikte der Vergangenheit angehören.

Heinsohn wendet sich explizit gegen klassische Überbevölkerungstheorien, die Hunger und Not als Hauptursache von Konflikten benennen, und betont, dass in keinem anderen Punkt Friedens- und Kriegsforscher weiter auseinanderliegen: Hungernde Menschen geben schlechte Krieger ab. Um Brot wird gebettelt, gekämpft wird um Macht und Reichtum!

Die brutale Konsequenz aus dieser Diagnose – die allein schon zur Ablehnung seiner Theorie führen dürfte -, lautet, dass der Kampf gegen Hunger und Armut, wenn er denn erfolgrich sein sollte, in Ländern mit einem Jugendüberschuss nicht zu einem besseren Leben führen wird, sondern dazu, dass Hunger gegen Instabilität getauscht wird. Drastisch ausgedrückt: Dass die Menschen nicht mehr verhungern, sondern gefoltert, vergewaltigt, vertrieben und ermordet werden. (Über den jüngsten Gewaltausbruch in Kenia jedenfalls wäre man im Westen weniger überrascht, wenn Heinsohns Thesen allgemein bekannt gewesen wären und man deshalb der Tatsache Beachtung geschenkt hätte, dass Kenia einen Anteil allein von Kindern (0-15 J.) an der Gesamtbevölkerung von 42% aufweist.)

Dabei können wir im Westen, zynisch aber realistisch gesprochen, noch von Glück reden, wenn die überschüssigen jungen Männer sich gegenseitig umbringen, statt den Westen ins Visier zu nehmen. Heinsohn weist zwar zu Recht darauf hin, dass deren Gewalttätigkeit, sofern sie sich ein spezifisch politisches Ventil sucht, von jeder beliebigen Ideologie oder Religion befeuert werden kann. Er unterliegt aber einer fatalen Fehleinschätzung, wenn er glaubt, deswegen die konkreten ideologischen Inhalte ausblenden, speziell den Faktor „Islam“ ignorieren zu können. Im Hinblick auf die Konsequenzen für uns ist es nämlich ein erheblicher Unterschied, ob Hutu über Tutsi herfallen, oder ob frustrierte junge Ägypter glauben, gegen die „Ungläubigen“ zu Felde ziehen und in westlichen Metropolen Bomben legen zu müssen. Hier gerät Heinsohns rein demographischer Ansatz, der stets Gefahr läuft, Sozialwissenschaft auf Bevölkerungsarithmetik zu reduzieren, an die Grenzen seiner Erklärungs- und Prognosekraft.

Westliche Staaten, die in Ländern mit einem Jugendüberschuss militärisch intervenieren, tun gut daran, sich über ihre Chancen keine Illusionen zu machen:

„Youth-bulge“-befeuerte Völker sind ungemein konfliktbereit und -fähig, weil sie über ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Kriegern verfügen, die als zweite, dritte und vierte Söhne ihrer Familien entbehrlich sind, während stagnierende oder schrumpfende Nationen (also nahezu alle westlichen) mit dem Leben ihrer Soldaten so schonend wie möglich umgehen müssen. Im direkten Konflikt drohen kriegführende westliche Staaten die Unterstützung der eigenen Bevölkerung zu verlieren, weil sie vor dem Dilemma stehen, entweder zu viele eigene Soldaten opfern oder, um dem zu entgehen, zu viele Zivilisten der Gegenseite töten zu müssen.

Die Israelis zum Beispiel haben 2006 den Libanonkrieg verloren, weil sie nicht bereit waren, gegen die in Ortschaften gut verschanzten, fanatisch entschlossenen Kämpfer der Hisbollah die einzige Strategie anzuwenden, die in solchen Fällen dem Angreifer einen Erfolg ohne untragbare Eigenverluste verspricht, nämlich diese Ortschaften mit überwältigender Feuerkraft dem Erdboden gleichzumachen und dabei den Tod von möglicherweise einigen Zehntausend Zivilisten in Kauf zu nehmen.

Aus ähnlichen Gründen kann der Westen die Taliban nicht besiegen: Auch die Paschtunenstämme beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze haben einen der größten Youth-bulges der Welt. Zieht man die jungen Männer ab, die bei Polizei und Armee beider Staaten unterkommen oder sich sonst eine wirtschaftliche Existenz aufbauen können, so bleibt immer noch ein Reservoir von rund dreihunderttausend Mann jährlich(!!!), die den Taliban als potenzielle Rekruten zur Verfügung stehen, und die gegen die bloß 38.000 Mann starken westlichen Truppen ins Feld gestellt werden können. Der Westen hat keine Chance, diesen Krieg zu gewinnen, weil er nicht bereit ist, seine überlegene Technologie in die Waagschale zu werfen; denn das hieße: die Taliban aus der Luft in ihrem pakistanischen Hinterland anzugreifen. Sie und die Zivilisten, zwischen denen sie sich bewegen. Welcher westliche Staatsmann wollte wohl dafür die Verantwortung übernehmen – und würde es politisch überleben, wenn er es täte?

Eine realistische westliche Strategie besteht nach Heinsohn unter diesen Umständen darin, sich erstens auf Konflikte mit „Youth-bulge“-Nationen dann – aber nur dann! dann aber unbedingt! – einzulassen, wenn es zwingend (!) erforderlich ist; zweitens darauf zu setzen, gegebenenfalls auch dafür zu sorgen, dass die überzähligen Krieger dieser Länder sich in internen Konflikten gegenseitig töten, statt die westliche Welt zu bedrohen. Das klassische Instrument sind dabei diktatorische Regime, in deren Sicherheitskräften ein kleinerer Teil des Jugendüberschusses unterkommt, während der große Rest bei der mehr oder minder revolutionären Opposition landet, die von ersterer Fraktion unterdrückt wird, notfalls blutig.

Solche Konflikte durch Errichtung demokratischer Strukturen zu entschärfen, ist eine Möglichkeit, die Heinsohn nicht erörtert. Er verweist darauf, dass etwa in Lateinamerika die meisten Dktaturen just zu der Zeit errichtet wurden, als der dortige Youth-bulge seinen Höhepunkt erreichte, und vermutet wahrscheinlich, dass eine Demokratie unter den Bedingungen eines Jugendüberschusses Kräfte entfesselt, die nur siegreich sein oder unterdrückt werden können, in beiden Fällen aber in eine Diktatur münden. So richtig es ist, dass Demokratie ein Regelwerk für die Austragung von Konflikten bereitstellt (und daher zu deren Entschärfung beitragen kann), so zahlreich sind doch die Beispiele von Demokratien, die bloß die Bühne für die Machtkämpfe waren, nach deren Entscheidung die Bühne selbst abgebaut wurde. Demokratie in Ländern wie Saudi-Arabien oder Ägypten würde nach dem dann unvermeidlichen Wahlsieg von Islamisten wahrscheinlich flugs wieder abgeschafft. Für ein solches Demokratie-Experiment die Sicherheit der bereits bestehenden (westlichen) Demokratien aufs Spiel zu setzen, schiene mir abenteuerlich; da ist mir das Hemd doch näher als der Rock. Ich respektiere jeden, der es aus demokratischem Idealismus trotzdem befürwortet, gebe aber zu bedenken, dass es vom Idealismus zu Illusionismus oft nur ein Schritt ist. (Zumal man in diesem Zusammenhang bedenken muss, dass gerade islamistische Politik darauf abzielt, den Jugendüberschuss durch Versklavung von Frauen auf Dauer zu stellen. In diesem Fall könnte man sich nicht einmal mit Heinsohns optimistischer Prognose für die Zeit nach 2025 trösten; die stimmt dann nämlich nicht mehr.)

Am Beispiel Israels, also desjenigen westlichen Staates, der überhaupt keine Chance hat, dem Konflikt zu entgehen, lassen sich die Probleme und Dilemmata besonders deutlich aufzeigen, in die westliche Politik in solchen Konflikten zu geraten droht. (Überhaupt scheint der Nahostkonflikt wie kein zweiter dazu zu taugen, die Brauchbarkeit von Heinsohns Ansatz zu illustrieren.)

Israel steht bekanntlich einem Feind gegenüber, dessen Jugendüberschuss gewaltig ist (im Gazastreifen ist er sogar der höchste weltweit), und das von Heinsohn zitierte Wort Arafats, wonach die Gebärmütter der Frauen den Krieg entscheiden würden, ist nur eines von unzähligen Zeugnissen dafür, dass die palästinensischen Führer sich vollkommen darüber im Klaren sind, dass die Kampfbereitschaft eines Volkes von der Anzahl an überschüssigen Söhnen abhängt – und vermutlich wissen sie umgekehrt auch, dass solche überschüssigen Söhne, wenn sie einmal da sind, zu kaum etwas anderem taugen als dazu, sich zu prügeln. Die Prognose, zu der man gelangt, wenn man Heinsohns Theorie anwendet, ist umso überzeugender, als sie sich in nichts von der unterscheidet, zu der man auch aufgrund einer im engeren Sinne politischen Analyse gelangen würde (sofern diese nicht auf Illusionen aufbaut), nämlich, dass es einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern in absehbarer Zeit nicht geben wird – wohl kann es ein Abkommen geben, das wird aber dann nicht eingehalten werden -, und zwar weil der Youth-bulge fortbesteht, die bisher sein Zustandekommen letztlich verhindert hat. Es gibt grundsätzlich vier mögliche Szenarien, wie dieser Konflikt enden kann:

1. Er schleppt sich mit der gegenwärtigen geringen Intensität noch Jahrzehnte hin, bis die palästinensischen Geburtenraten – wodurch auch immer – so weit zurückgehen, dass der Jugendüberschuss verschwindet.

2. Wie 1, nur verschwindet der Jugendüberschuss durch innerpalästinensischen Bürgerkrieg, wirtschaftlichen Zusammenbruch, Hungersnot und Flucht großer Bevölkerungsteile ins Ausland.

3. Israel massakriert bzw. vertreibt eine sechs- oder siebenstellige Anzahl palästinensischer Zivilisten. (Diese Lösung entspräche in etwa Heinsohns Analyse des Konflikts zwischen Serben und Kosovaren; ihr zufolge hätten die Serben aufgrund der Befürchtung, den Kosovaren in absehbarer Zeit aufgrund von deren Jugendüberschuss nicht mehr gewachsen zu sein, gleichsam präventiv den Völkermord versucht. Es spricht offensichtlich für die Israelis, dass sie eine solche Lösung nicht einmal in Erwägung ziehen, obwohl sie stärker bedroht sind, als die Serben es jemals waren.)

4. Der Staat Israel verliert den Konflikt und hört auf zu existieren.

In meinem Beitrag „Christlicher Fundamentalismus“ hatte ich noch argumentiert, größter Hemmschuh für die militärische Konfliktfähigkeit des Westens sei die Tatsache, dass sein Gesellschaftsmodell religiös zu wenig aufgeladen sei, als dass allzu viele Menschen bereit wären, ihr Leben dafür zu riskieren. Ich halte das weiterhin für richtig, aber zwei von Heinsohn beleuchtete Aspekte dürften mindestens ebenso wichtig sein:

Erstens, dass wir schlicht zu wenig junge Männer haben, als dass wir uns verlustreiche Kriege leisten könnten.

Zweitens, dass wir diesen Mangel nicht einfach durch Technologie ausgleichen können, weil dabei zu viele Zivilisten der Gegenseite getötet würden. Anders ausgedrückt: Was dem Westen das Genick brechen könnte, ist womöglich weniger unsere mangelnde Bereitschaft zu sterben als unsere mangelnde Bereitschaft zu töten!

Militärgeschichtlich ist dies ein Novum: Noch im Zweiten Weltkrieg wäre es allen Kriegführenden, einschließlich der Westmächte, absurd erschienen, eine Niederlage bloß deshalb in Kauf zu nehmen, weil man für einen Sieg zu viele feindliche Zivilisten hätte töten müssen. Heute dagegen gehört es zum guten Ton, beispielsweise den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki für ein Kriegsverbrechen zu halten.

Macht sich eigentlich jemand klar, dass der Westen in seiner heutigen moralischen Verfassung nicht mehr in der Lage wäre, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen? Dass ein US-Präsident, der (wie Truman im August 1945) vor der Wahl stünde, mehrere hunderttausend eigene Soldaten zu opfern oder per Atombombe mehrere hunderttausend feindliche Zivilisten zu töten, heute weder das eine noch das andere tun, sondern nur noch den Krieg abbrechen könnte? (Was 1945 bedeutet hätte, die riesigen japanisch besetzten Gebiete Asiens unter der Peitsche Japans zu belassen.)

Dies ist kein Plädoyer für brutalstmögliche Kriegführung. Selbstverständlich kann im Einzelfall die Option gegeben sein, den Krieg überhaupt zu vermeiden – bei den meisten politischen Konflikten ist dies gottlob so, weil sie nicht existenzieller Natur sind -; oder ihn, wenn man ihn schon nicht vermeiden kann, als Stellvetrteterkrieg zu führen, sprich eine dritte Partei gegen den Feind in Stellung zu bringen; oder, wenn auch das nicht geht, den dann unvermeidlichen Konflikt bei niedriger Hitze vor sich hin köcheln zu lassen (wie es die Israelis in ihrem Konflikt mit den Palästinensern tun und wie wie es wohl auch der westlichen Afghanistanstrategie entsprechen wird).

Wofür ich aber plädiere, ist Illusionslosigkeit: Es gibt Fälle, in denen eine Politik der Konfliktvermeidung, – ablenkung oder -begrenzung nicht möglich ist, wo aber zugleich die Akzeptanz einer Niederlage der Selbstaufgabe, ja dem Selbstmord gleichkäme. Was wäre denn, um nur dieses Beispiel zu nennen, wenn tatsächlich Terroristen in den Besitz von Atomwaffen gelangen würden? Hätte irgendein westlicher Staatsmann in einer solchen Situation das Recht zu spekulieren, es werde schon alles nicht so heiß gegessen wie gekocht? Würden wir akzeptieren, dass er in einer solchen Situation unser Leben seinen moralischen Skrupeln opfern würde? Zumal gegenüber einem Gegner, der solche Skrupel gar nicht kennt?

Eigentlich ist das eine Binsenweisheit, dass in existenziellen Konflikten im Zweifel Sieg vor Humanität geht. Eine Binsenweisheit, die aber in unserer Gesellschaft nicht mehr akzeptiert wird. Für deren Dekadenz ist vielmehr kennzeichnend, dass zwar ein kleiner Blogger wie ich dergleichen noch schreiben kann, ein Politiker aber, der es ausspräche, noch am selben Tag seinen Hut nehmen müsste.

Heinsohn ist ein Aufklärer; ein Mann, der Illusionen zerstört und sich wie Anderen jegliches Wunschdenken verbietet. Damit hat er wenig Aussicht auf Gehör in einer Gesellschaft, die zwar ironischerweise jede Form von individueller Sucht bekämpft (Nikotinsucht, Alkoholsucht, Tabletten-, Rauschgift-, Mager-, Fress-, Sex-, Spielsucht) aber kollektiv von ihrem eigenen Wunschdenken abhängig ist wie nur irgendein Heroinsüchtiger von seiner Spritze, und die dadurch an der kollektiven Selbstzerstörung kaum weniger konsequent arbeitet als der Fixer an der individuellen.

Wenn ich sage, Heinsohn sei ein Aufklärer, dann ist damit natürlich nicht gesagt, dass seine Thesen die Wahrheit schlechthin seien. Er entwickelt eine These von weitreichender Erklärungskraft auf erfrischenderweise weniger als 160 Textseiten und verschafft seinem Leser eine Fülle von Aha-Erlebnissen gerade dadurch, dass er sich konsequent auf eine einzige Erklärungsvariable – die Altersstruktur von Bevölkerungen – konzentriert.

Zu warnen ist aber vor der Verführungskraft solch monokausaler Theorien: Wer durch die Brille des Demographen blickt, erkennt zweifellos vieles, was ihm sonst entgangen wäre; er sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, alles andere sei deswegen irrelevant. Wo alles Demographie ist – und das ist bei Heinsohn der Fall, ungefähr so, wie bei Marx alles Klassenkampf war – schrumpft Soziologie schnell zur bloßen Rechenaufgabe. Welche geistigen Stolperdrähte hier gespannt sind, merkt man spätestens dort, wo der Autor empfiehlt, der Westen solle einen Teil des Jugendüberschusses afrikanischer und arabischer (!) Länder aufnehmen, also die Einwanderung von dort noch forcieren. Das Rezept für den kulturellen Selbstmord.

Wenn man seine Theorie aber nicht monokausal als „Erlärung für Alles“ und auch nicht deterministisch-fatalistisch missversteht, als seien Gewalt und Chaos immer, überall und zwangsläufig die Folge eines Jugendüberschusses, dann kommt man an seiner Theorie nicht vorbei. Heinsohn benennt ein Risikopotenzial, das von den gängigen politikwissenschaftlichen und soziologischen Theorien vernachlässigt wird, das man aber unbedingt berücksichtigen muss, wenn man aktuelle und historische Konflikte verstehen und erklären will, und erst recht, wenn es künftige Krisen zu meistern gilt.

Christlicher Fundamentalismus

Die Weihnachts- und Neujahrspause ist vorüber, sogar der Schreibtisch ist wieder geordnet, das Arbeitsjahr hat begonnen. Zeit, mich wieder meinem Blog zu widmen. Ach ja: Frohes Neues Jahr allerseits!

Wieder ist es einer meiner Kommentatoren, diesmal Flash, der mich zu einigen grundsätzlichen Überlegungen herausfordert, und zwar durch seine Kommentare zu meinen Beiträgen über die christlichen Wurzeln der Demokratie und über den Untergang des Römischen Reiches.

Flash ist ein fundamentalistischer Christ, und, soweit ich das beurteilen kann, einer der sympathischen, in jedem Fall aber der geistreichen Sorte. Er vertritt eine Reihe von Thesen, die ich unmöglich unkommentiert stehen lassen kann; da aber die Replik jeden Kommentarstrang sprengen würde, mache ich gleich einen Beitrag daraus.

Es gibt einfach keine Höherentwicklung von Lebensstandard und Zivilisation ohne damit einhergehende Degenerationserscheinungen, die am Ende zu heftigen Umwälzungen führen. Wir erleben m.E. zur Zeit wieder genau das: ein Anschwellen des Wohlstandes mit einhergehendem Verlust von ethischen Prinzipien.

(…)

Ein kulturell-religiöses Vakuum, das der Islam mit wachsendem Erfolg ausfüllt, wo er mit Verve hineindrängt. Es wäre schön, wenn es wenigstens christlichen Fundamentalismus gäbe, der diesem Prozeß Widerstand entgegensetzen würde – den gibt es aber nicht. Mir wäre es echt lieber, wenn im Biologieunterricht die Schöpfungsgeschichte behandelt würde und dafür der Islam chancenlos ist…“

Und an anderer Stelle:

Hier liegt eine der Ursachen für den Niedergang des Christentums in Europa: Selbstdemontage der jahrhundertelang unveränderten Schriftgrundlage durch bibelkritische Theologie.

Insofern ist das eine extrem fundamentalistische Position, die aber nicht “schädlich” oder aggresiv ist, aus dem einfachen Grund, weil eben das zugrundeliegende schriftliche Fundament nicht schädlich und aggressiv ist! Das sollte jeder Fundamentalismus-Kritiker dreimal lesen und auch begreifen. Biblischer Fundamentalismus ist ja eben gerade *pazifistisch, *geschlechterneutral, *gewaltablehnend, *legalistisch, *wissenschaftsfreundlich, *tolerant, *demokratieermöglichend, *bildungs- und leistungsfördernd etc. pp.“

Einige Zeilen zuvor:

Es wäre sicherlich lohnend, einmal von dir erklärt zu bekommen, worin das Schädliche und sogar Denkfeindliche der Schöpfungsgeschichte für die moderne Gesellschaft besteht, lieber Manfred. Das dürfte ein lohnendes, weil brandaktuelles Thema sein.“

Das ist es in der Tat, und ich bin der Meinung, dass eine Gesellschaft, die die biblische Schöpfungsgeschichte als gleichrangige und gleichartige Alternative zur Evolutionstheorie behandelt, über kurz oder lang aufhören wird, eine demokratische Gesellschaft zu sein.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich liebe das Buch Genesis. Nur betrachte ich es nicht als naturwissenschaftliches Werk, sondern als Allegorie, die das Verhältnis Gottes zur Welt und zum Menschen in literarischer Verfremdung und Verdichtung beschreibt. Die Wahrheit, die in ihr liegt, hat mit empirischer Wirklichkeit nichts zu tun. Es handelt sich um eine Glaubenswahrheit.

Solche Glaubenswahrheiten, genauer: religiöse Aussagen, unterscheiden sich fundamental von empirischen Aussagen, d.h. solchen über die äußere Wirklichkeit. Letztere können unter Berufung auf Tatsachen in Verbindung mit der formalen Logik angefochten oder bestätigt werden – das Prinzip wissenschaftlicher und überhaupt rationaler Argumentation. Entscheidend ist, dass über die Wahrheit oder Unwahrheit solcher Aussagen nach objektiven, sprich von der Willkür des Einzelnen unabhängigen Kriterien entschieden werden kann.

Es gibt allerdings Dimensionen der menschlichen Existenz – Seele, Ewigkeit, Schöpfung -, über die sich nichts aussagen lässt, was mit empirischen Argumenten gestützt werden könnte, zu denen man sich aber ungeachtet dessen verhalten muss, und denen man sich daher gar nicht anders als durch den Glauben nähern kann – worin auch immer dieser Glaube besteht: Die Grundaussage des Atheismus, Gott existiere nicht, ist ihrem Wesen nach nicht weniger religiös als die, er sei der Schöpfer des Himmels und der Erde. Beweisen oder widerlegen lässt sich weder das eine noch das andere.

Wahrheiten dieser Art haben notwendig einen anarchistischen Zug: Sie sind nicht von objektiven Gegebenheiten abhängig, und für jeden Gläubigen gilt: Was Wahrheit ist, bestimme ich!

Daran ändert sich auch prinzipiell nichts, wenn dieser Glaube von Anderen, und wären es Millionen, geteilt wird. Was sich aber dadurch ändert, ist, dass der Glaube in Gestalt der Religion sozial institutionalisiert wird, und dass das Recht, „Wahrheit“ zu dekretieren, auf ein soziales System übergeht. Dagegen ist so lange nichts einzuwenden, wie das System bereit ist, die sprichwörtliche Kirche im Dorf zu lassen, seinen Wahrheitsanspruch also auf den Bereich zu beschränken, wo Wahrheiten naturgemäß Glaubenswahrheiten sein müssen.

Welche Folgen es aber haben muss, wenn empirische Aussagen auf diesem Wege getroffen, also par ordre du Mufti dekretiert werden, und eben nicht im Wege tatsachenbezogenen rationalen Argumentierens, und welche Implikationen es hat, wenn die Gesellschaft das akzeptiert, wird klar, wenn man nach der Bedeutung des rationalen Diskursmodus für das Funktionieren einer offenen Gesellschaft fragt. Das, was ich den „rationalen Diskursmodus“ nenne, ist ein einfaches System von Spielregeln, mit deren Hilfe Konsens darüber erreicht wird, ob ein System von Aussagen wahr sein kann:

1. Es muss mit bekannten Tatsachen übereinstimmen.

2. Es muss in sich logisch sein.

3. Es muss prinzipiell durch Tatsachen widerlegbar sein.

Man kommt auf diesem Wege nicht etwa zu der Wahrheit schlechthin; mit den bekannten Fakten können durchaus mehrere konkurrierende Aussagesysteme kompatibel sein, die jeweils in sich schlüssig und prinzipiell falsifizierbar sind. Es kann auch sein, dass kein einziges der „auf dem Markt“ befindlichen Aussagesysteme wahr ist (weil noch keiner auf die Wahrheit gekommen ist). Und es ist theoretisch sogar möglich, dass prinzipiell nichtfalsifizierbare Aussagen, die man auf rein spekulativem Wege gewonnen hat (Etwa: Der liebe Gott hat einen langen weißen Bart), trotzdem wahr sind. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber möglich ist es. In einem solchen Fall könnten sie, ungeachtet ihrer inhaltlichen Richtigkeit, wegen ihres Verstoßes gegen Kriterium 3 niemals als potenzielle Wahrheiten sozial anerkannt werden.

Wozu also taugt der rationale Diskursmodus, wenn nicht dazu, zu garantiert wahren Aussagen zu gelangen? Gewiss zur Eliminierung von garantierten Irrtümern – aber dazu würden schon die Kriterien 1 und 2 genügen. Wozu also Kriterium 3? Und zwar nicht im wissenschaftlichen, sondern im allgemeingesellschaftlichen, speziall politischen Kontext, d.h. dort, wo es darum geht, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen, die die Freiheit des Einzelnen beschränken? Es dient dazu, zu verhindern, dass solche Entscheidungen auf der Basis von Wahrheitsansprüchen getroffen werden, die einer Überprüfung nicht zugänglich sind, sondern von partikularen Gruppen aus eigener Machtvollkommenheit erhoben werden!

Aussagesysteme, die dem Kriterium 3 nicht entsprechen, sind ihrer Struktur nach, d.h. unabhängig von ihrem Inhalt, Glaubenssysteme; ihre Nichtüberprüfbarkeit ist gleichbedeutend mit Nichtkritisierbarkeit, mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit, und ist damit die ideologische Grundlage totalitärer Herrschaft.

Beispiele gefällig?

Der Islamismus beruht auf der Annahme, der Koran sei unmittelbar Gottes Wort; weswegen es geboten sei, jeglichen Widerstand gegen seine sozialen und politischen Forderungen mit Gewalt zu brechen.

Der Marxismus beruht auf der Annahme, das Proletariat habe die historische Mission, den Kommunismus zu errichten, und habe deshalb alle anderen Klassen zu vernichten.

Der Nationalsozialismus beruht auf einer antisemitischen Verschwörungstheorie. (Eine Verschwörungstheorie ist niemals falsifizierbar, weil sie alle ihr widersprechenden Tatsachen als Blendwerk eben der behaupteten Verschwörung abtut, also zirkulär argumentiert.)

(Und wenn man die Political Correctness als totalitäre Ideologie bezeichnet, so liegt dies im Kern daran, dass sie Tatsachenbehauptungen nicht nach dem Kriterium von „wahr“ und „unwahr“, sondern nach dem von „gut“ und „böse“ beurteilt, sich also der tatsachengestützten Kritik durch apriorische willkürliche Setzung entzieht.)

Solche Ideologien kann man nicht dadurch bekämpfen, dass man sie mit ihnen widersprechenden Tatsachen konfrontiert; gegen Tatsachen haben sie sich ja gerade immunisiert. Ich kann die Nichtexistenz der  Verschwörung der Weisen von Zion genausowenig beweisen wie die Nichtinspiration des Korans durch Gott oder die Unrichtigkeit marxistischer Axiome.

Was ich aber beweisen kann, ist die Selbstimmunisierung solcher Ideologien gegen Tatsachen durch systematisch herbeigeführte prinzipielle Nichtfalsifizierbarkeit, also durch Verletzung der Regeln des rationalen Diskurses. Diese an sich schärfste Waffe antitotalitärer Ideologiekritik muss stumpf werden, wenn diese Regeln nicht mehr als allgemein geläufig vorausgesetzt werden können. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sie jedermann explizit bekannt sind: Die Regeln der Grammatik sind es ja auch nicht, trotzdem wenden wir sie richtig an. Diese Fähigkeit ist die Voraussetzung dafür, Glaubenssysteme als solche zu erkennen und von rational begründeten empirischen Aussagesystemen zu unterscheiden. Sie ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit, totalitäre von nichttotalitären Ideologien zu unterscheiden, und eine Gesellschaft, die diese Fähigkeit verliert, hat beste Aussichten, irgendeinem Totalitarismus zum Opfer zu fallen.

Womit die Frage beantwortet sein dürfte, warum ich überhaupt nichts davon hielte, wenn der demokratische Staat selbst, noch dazu in seinen Bildungseinrichtungen (!) sich über diesen Unterschied hinwegsetzte und ihn verwischte, indem er den „Kreationismus“ in seine Lehrpläne aufnähme.

Zwei Punkte muss ich allerdings klarstellen:

Erstens: Ich habe nur von empirischen, nicht aber von normativen Aussagen gesagt, dass sie nicht religiös begründet sein dürfen; für moralische Wertentscheidungen gilt dies selbstverständlich nicht; die können als höchst individuelle Entscheidungen sehr wohl religiös begründet sein – wahrscheinlich müssen sie es sogar. Wertvorstellungen, die z.B. direkt aus der Bibel abgeleitet sind, können zwar im Einzelfall mit demokratischen Normen unvereinbar sein (Wer etwa die Todesstrafe für Homosexualität fordert, kollidiert natürlich mit dem Grundgesetz.), aber eben nur aufgrund ihres konkreten Inhalts, nicht etwa schon deshalb, weil sie religiös begründet sind.

Zweitens: Wenn ich sage, dass jede totalitäre Ideologie notwendig ein Glaubenssystem ist, so lässt das bereits aus Gründen der Formallogik nicht den Umkehrschluss zu, jedes Glaubenssystem sei totalitär.

Flash (s.o.) argumentiert so: Da sich aus der Bibel keine politischen Herrschaftsansprüche ableiten ließen, vielmehr Friedfertigkeit, Humanität und Toleranz gepredigt würden, sei gegen ein fundamentalistisches Bibelverständnis nichts einzuwenden, im Gegenteil. Motto: Das schlechthin Gute kann man gar nicht fundamentalistisch genug vertreten!

Tja, wenn es denn so einfach wäre. In mindestens zwei Punkten führt ein wörtliches Schriftverständnis bzw. der Glaube an die Verbalinspiration der Bibel und der Verzicht auf die historisch-kritische Lesart zu äußerst problematischen Konsequenzen:

Da ist zum einen die antijüdische Tendenz des Neuen Testaments. Historisch erklärbar ist sie aus der Notwendigkeit der Profilierung des frühen Christentums und seiner Abgrenzung gegen die jüdische Mutterreligion. Fasse ich die Bibel aber einfach ohne Einschränkung als Gottes Wort auf, so habe ich es mit einer angeblich göttlichen Legitimation des Antisemitismus zu tun. Der Satz „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ ist dann kaum anders zu verstehen denn als Aufruf zum Pogrom  – und genau so wurde er ja auch oft genug verstanden.

Zum anderen enthält das Neue Testament nicht nur die Bergpredigt, sondern auch die Johannesapokalypse (das neutestamentliche Gegenstück zum Buch Daniel), die Vision des Endkampfs zwischen Gut und Böse, nach der das Reich Gottes durch Vernichtung des Bösen, das bis dahin die Welt beherrscht, errichtet wird. Nicht zufällig konnte gerade dieser Text nur gegen härteste innerkirchliche Opposition durchgesetzt werden, wurde er von der Ostkirche jahrhundertelang abgelehnt, und meinte noch Martin Luther, er hätte niemals kanonisiert werden dürfen. Dieses von Anfang an weitverbreitete Unbehagen hat seinen Grund darin, dass die Apokalypse direkt an dunkle Zerstörungs- und Vernichtungstriebe appelliert, das fünfte Gebot zur Disposition stellt und dazu einlädt, Feinde nicht zu lieben, sondern mit dem „Antichristen“ zu identifizieren.

Kein Zufall ist auch, dass gerade totalitäre Ideologien eine apokalyptische Struktur aufweisen: Die Welt wird vom Bösen (den Juden/dem Kapitalismus/den Ungläubigen) beherrscht, dessen Vernichtung, gern auch im Wege des Massenmords, zur Herrschaft des Guten (der Arier/des Kommunismus/des Islam) führt. Ich will damit nicht behaupten, dass das Christentum für den Totalitarismus verantwortlich sei, wohl aber, dass in vielen Menschen eine psychische Disposition schlummert, ihr Leiden und ihre Verzweiflung an der Welt auf einen Feind zu projizieren, dessen Vernichtung die Erlösung herbeiführen soll – und da der Feind weltbeherrschend gedacht wird, vernichtet man diese Welt, das eigentliche Objekt der Furcht und des Hasses, möglichst gleich mit.

Dieser Zusammenhang zwischen Apokalyptik und Totalitarismus ist der Grund dafür, warum ich stets sehr hellhörig werde, wenn ich auf Verschwörungstheorien nach Art der Eurabia-These stoße (die ja nicht weniger behauptet als die Herrschaft des Bösen, also des Islam und der ihm angeblich konspirativ in die Hände arbeitenden europäischen Eliten), und warum ich diese Theorien mit allen Mitteln rationalen Argumentierens bekämpfe – freilich ohne nennenswerten Erfolg: Es handelt sich um ein Glaubenssystem, und wer ihm anhängt, ist, so fürchte ich, nicht nur für die Demokratie verloren, sondern für die säkulare Vernunft überhaupt.

Wenn ich nun sehe, dass sich gerade in fundamentalistischen (evangelikalen, pfingstlerischen, freikirchlichen) Kreisen die johanneische Tradition, und hier wiederum ganz besonders die Apokalypse, größter Beliebtheit erfreut, dann kann ich kaum anders, als dem christlichen Fundamentalismus mit tiefstem Misstrauen gegenüberzustehen, und dies ganz unabhängig davon, dass manche seiner Vertreter mir menschlich sympathisch sind.

Mit alldem ist allerdings nicht die Frage vom Tisch, ob eine glaubenslose Gesellschaft auf die Dauer überlebensfähig ist, und wenn Flash behauptet, dass mit der Höherentwicklung einer Gesellschaft zwangsläufig Degenerationserscheinungen verbunden seien – er verweist unter anderem auf den Zerfall der Familie -, die letztlich zum Niedergang führen müssten, dann hat er starke Argumente auf seiner Seite. Ziemlich starke sogar.

Höherentwicklung, das sagt die historische Erfahrung wie die soziologische Überlegung, geht einher mit Aufklärung und Rationalität – was für mich Grund genug ist, für Aufklärung und Rationalität einzutreten. Sie bedeuten freilich zugleich, dass Alles, auch ethische Normen, unter Begründungszwang gerät, weil sie dem primären Fundament der Ethik, der Religion, seine unhinterfragte Selbstverständlichkeit und soziale Verbindlichkeit nehmen, und Religion zu einer Frage der mehr oder minder willkürlichen individuellen Entscheidung machen – ich selbst habe ja oben gezeigt, dass jede andere Auffassung von Religion mit den Grundlagen einer offenen Gesellschaft unvereinbar ist.

Gesellschaft funktioniert, wenn die Goldene Regel beachtet wird: „Wie Ihr wollt, dass die Leute Euch tun sollen, also tut ihnen auch.“(Lk 6,31). Eine rationale Reformulierung dieser Forderung hat Kant mit seinem kategorischen Imperativ geliefert. Dass diese Regel gelten und wenigstens im Großen und Ganzen befolgt werden muss, weil die Gesellschaft sonst nicht existieren kann, lässt sich rational begründen – nicht aber, dass der Einzelne sie befolgen soll. Der kategorische Imperativ impliziert, dass man unter Umständen erhebliche individuelle Opfer in Kauf nehmen soll, um einen winzigen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten; diese Opfer reichen von der Steuerehrlichkeit bis zum Heldentod fürs Vaterland. Aus der Sicht des Einzelnen ein schlechtes Geschäft: Rationaler ist es für ihn, das von Anderen getragene Gemeinwohl in Anspruch zu nehmen, selbst aber nichts dazu beizutragen. Die Mentalität des Schwarzfahrers.

Zur Aufrechterhaltung allgemeiner sozialer Tugenden wie der Ehrlichkeit, denen man mit relativ geringem persönlichen Aufwand folgen kann, mag der menschliche Hang zum Konformismus noch hinreichen – Nutzenkalkül hin oder her -, zumindest solange der Ehrliche den Eindruck hat, nicht der Dumme zu sein.

Sobald aber dieses Minimum an geforderter sozialer Solidarität überschritten wird, sobald wirkliche Opfer zur Debatte stehen, schrumpft die Bereitschaft dazu dramatisch. Wo Solidarität selbst in der kleinsten denkbaren Gemeinschaft von Menschen, der Ehe, nicht mehr als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden kann und kaum noch ein Problem nichtig genug ist, um nicht einen Scheidungsgrund abzugeben, braucht man nach der Bereitschaft nicht mehr zu fragen, für eine Großgemeinschaft, etwa das eigene Land und dessen Freiheit – oder gar für den „Westen“ – das eigene Leben zu riskieren.

In stabilen Zeiten von Frieden und Prosperität, gleichsam im Normalbetrieb, fällt diese Schwäche kaum auf. Solange von den Bürgern bloß passive Loyalität gefordert wird, ist diese Loyalität in liberalen Demokratien vermutlich größer als anderswo. Wie aber sieht es im Fall einer existenziellen Bedrohung aus, wenn der Staat mit seinen administrativen und militärischen Bordmitteln nicht mehr auskommt und nicht nur den Geldbeutel seiner Bürger strapazieren, sondern sogar deren Leben einsetzen muss, um sich zu verteidigen? Anders gefragt: Wie konfliktfähig sind offene Gesellschaften?

Man sollte meinen, dass diejenige politische Ordnung, die ihren Bürgern das höchste Maß an Freiheit, Sicherheit und Wohlstand beschert, die liberale Demokratie also, auch das größte Maß an Unterstützungs- und Opferbereitschaft zu mobilisieren imstande ist. So ist es aber nicht.

Wenn man beispielsweise die Verlustlisten des Zweiten Weltkriegs anschaut, so fällt auf, dass die totalitären Staaten Deutschland, Sowjetunion und Japan an die zwanzig Millionen eigene Soldaten geopfert haben, die Westmächte dagegen „nur“ einige hunderttausend. Natürlich hängt das auch mit dem Kriegsverlauf zusammen – Frankreich brach früh zusammen, und bis die Westmächte in Europa wieder eingreifen konnten, hatten die Russen die Hauptarbeit bereits erledigt und zogen weiterhin das Gros der deutschen Truppen auf sich. Und selbstverständlich bin ich nicht so zynisch, die Verlustraten einer Armee als Maß ausschließlich für die Opferbereitschaft eines Volkes anzusehen; nicht selten sind sie eher ein Maß für die Brutalität und Inkompetenz ihrer Führer – eigene Soldaten draufgehen zu lassen ist in jedem Fall weder eine politische noch eine militärische Tugend.

Aber selbst wenn man diese Relativierungen berücksichtigt, bleibt der Unterschied doch frappierend, und man sollte nicht nur bedenken, dass am Beginn des Krieges die Frage stand, ob es sich wirklich lohne, für Danzig zu sterben, sondern auch, dass die Verlustquoten, die der Westen in Kauf nahm, im Zweiten Weltkrieg bereits geringer waren als im Ersten, und seitdem kontinuierlich fallen: In Vietnam warfen die USA nach 50.000 Toten das Handtuch, heute im Irak genügen schon 3.000 eigene (amerikanische) Gefallene, um den Krieg zu delegitimieren. Oder nehmen wir Deutschland: Dasselbe Volk, das sich von Hitler noch eine Verlustquote von 25 Prozent bieten ließ, ohne wirklich zu murren, stellt heute bei einer Quote noch unter der Promille(!)-Grenze bereits den Sinn von Militäreinsätzen überhaupt in Frage.

Warum und wie schaffen es totalitäre Systeme, Millionen von Menschen zum Selbstopfer zu bewegen? Durch Terror? Sicher, auch durch Terror. Überschätzen sollte man diesen Faktor aber nicht. In der Praxis des Dritten Reiches zum Beispiel spielte der Terror zwar eine bedeutende Rolle, soweit er sich gegen das Ausland oder gegen vorab ausgegrenzte Minderheiten, speziell Juden, richtete; aber er hatte den Zweck, diese Menschen zu ermorden, nicht ihr Wohlverhalten zu erzwingen. Gegen die eigenen „Volksgenossen“ war das Dritte Reich nicht wesentlich gewalttätiger als irgendeine Militärdiktatur, vermochte aber ein Maß an Begeisterung und Opferbereitschaft zu wecken, von dem etwa ein Pinochet kaum hätte träumen können.

Nein, die Sträke der totalitären Regime lag darin, dass sie in der Lage waren, den Menschen einen das eigene Leben transzendierenden Sinn zu vermitteln – wer am Bau eines „Tausendjährigen Reiches“ oder des welterlösenden Kommunismus mitzubauen glaubt, wird sich der Teilhabe an der Ewigkeit ziemlich nahe fühlen. Ihre Ideologien waren säkulare Religionen, deren gemeinschaftsstiftende und motivierende Kraft den klassischen Religionen mindestens gleichkam. Man versteht das damalige Deutschland, Russland und Japan am besten, wenn man sie als apokalyptische Massensekten auffasst, die eine ungeheure Dynamik und Leistungsfähigkeit zu entfesseln fähig waren.

Was also vom erkenntnistheoretischen oder liberalen politischen Standpunkt eine Kritik an totalitären Ideologien ist – nämlich dass sie Glaubenssysteme sind – und eine Kritik an Glaubenssystemen – nämlich dass sie eine totalitäre Schlagseite haben – ist kein zwingendes Argument gegen die Überlebensfähigkeit der von ihnen geprägten Gesellschaften, schon gar nicht, soweit ihr Überleben von ihrer Konfliktfähigkeit abhängt.

Ich bin nicht überzeugt davon, dass diese Schwäche westlicher Gesellschaften am Ende tödlich sein muss – zu deutlich und gewichtig sind die sie kompensierenden Stärken. Aber eine Schwäche ist es allemal, und insofern geht der Punkt an Flash.

Dessen Argument zielt allerdings tiefer als auf die bloße Konfliktfähigkeit westlicher Gesellschaften. Er behauptet, dass eine säkulare, aufgeklärte, rationale und liberale Gesellschaft auch ganz unabhängig von äußeren Konflikten auf die Dauer nicht existenzfähig sei, weil das von ihr erzeugte Vakuum an Spiritualität und Moral das grundlegende religiöse Bedürfnis der Menschen nach einem transzendenten Sinn vernachlässige, und dass dieses Bedürfnis sich über kurz oder lang Bahn brechen müsse, sodass wir auf die Dauer nur die Wahl zwischen einer Islamisierung und einer Re-Christianisierung hätten. Einem islamischen Fundamentalismus aber sei ein christlicher allemal vorzuziehen.

Dass eine säkulare Gesellschaft auf die Dauer dem Ansturm der Religiosität erliegen müsse, ist eine These, die ich stark anzweifle:

Es ist schon richtig, dass es diese religiösen Bedürfnisse gibt, und dass ein säkularer Rationalismus sie nicht befriedigen kann. Noch in der moralisierenden Ideologie der Political Correctness – deren Verfechter man ja nicht umsonst als „Gutmenschen“ veralbert – drückt sich ein Bedürfnis nach „Heiligkeit“ aus, das bei einem soliden Fundamentalismus zweifellos besser aufgehoben wäre als bei einer linken Ideologie. Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, wohin es führt, wenn man religiöse Kategorien – wie verkappt oder pervertiert auch immer – in die Politik einführt.

Ich kann aber überhaupt nicht erkennen, dass eine Rückbesinnung auf den christlichen Glauben – die ich für wünschenswert halte – zwangsläufig dazu führen müsste, dass man in Fundamentalistenmanier mit der Bibel in der Hand in Politik und Wissenschaft herumfuhrwerkt und die Grundlagen der säkularen Demokratie und der rationalen Wissenschaft angreift. Wozu sollte man das tun? Um die Islamisierung zu stoppen? Die beruht nicht darauf, dass der Islam irgendwelche vom Christentum vernachlässigten spirituellen Bedürfnisse erfüllen würde; das tut vielleicht der Buddhismus. Im Hinblich auf Humanität, Spiritualität, erlösende Kraft und theologische Tiefe, d.h. als Religion, ist der Islam selbst einem verwässerten Christentum oder Judentum so hoffnungslos unterlegen, dass er sich ihnen gegenüber nie anders als mit Gewalt durchsetzen konnte und kann. So gefährlich der Islam als politische Ideologie ist, so armselig ist er als Religion.

Das Christentum spielt eine wichtige Rolle beim Kampf gegen die Islamisierung, aber nur, wenn es seine Stärken ausspielt – seine religiöse Tiefe und Kraft -, nicht, wenn es fundamentalistisch versucht, die Bibel zur Basis politischer Programme und wissenschaftlicher Thesen zu machen.

Keine Regel freilich ohne Ausnahme: Wo es darum geht, den Islam frontal anzugreifen, also Muslime zu missionieren, oder, in der Sprache der entsprechenden Kreise: ins 10/40-Fenster einzudringen, können Christen, die sich das vornehmen, gar nicht fundamentalistisch genug sein. Mit ihrem wörtlichen Bibelverständnis, ihrer konservativen Sozial- und Sexualmoral, überhaupt ihrer starken Betonung sozialer Normen und nicht zuletzt ihrem – Pardon! – Fanatismus dürften gerade evangelikale Fundamentalisten unter allen christlichen Glaubensrichtungen am besten für die Mission aufgestellt sein, weil ihre Auffassung von Religion der von Muslimen am nächsten kommt. So gesehen, wäre es doch ein Fortschritt, wenn im Biologieunterricht die biblische Schöpfungsgeschichte behandelt würde.

In Saudi-Arabien.

Das Niggemeier-Urteil

Wie allgemein bekannt, hat das Landgericht Hamburg jüngst den Journalisten Stefan Niggemeier in dessen Eigenschaft als Blogger verurteilt, weil er zugelassen hat, dass einer seiner Kommentatoren rechtswidrige Äußerungen veröffentlicht hat. Und dies, obwohl der Blogger den Kommentar umgehend entfernt hatte. Das Gericht war der Meinung, der Blogger habe eine Pflicht zur Vorzensur.

Im Berliner „Tagesspiegel“ applaudierte Joachim Huber diesem Urteil: „Zensur? Nein Zivilität. Das Internet vor Gericht“, (Tagesspiegel vom 12.12.07), unter anderem mit der Begründung, dass ja auch Zeitungen eine Vorab-Auswahl unter ihren Leserbriefen treffen müssten, und dies sei deshalb auch Bloggern zuzumuten.

Da mein Leserbrief zum Thema der „Tagesspiegel“-Zensur zum Opfer gefallen ist – ts, ts, warum nur? – veröffentliche ich ihn hier:

„Wer die Kommentarspalten von Internetblogs mit den Leserbriefspalten von Zeitungen gleichsetzt, weiß nicht, wovon er redet. Blogkommentare nehmen sowohl auf den jeweiligen Beitrag als auch aufeinander Bezug. Da werden in Rede und Gegenrede die Argumente ausgetauscht, sicherlich auch manche Polemik; da entsteht ein Maß an lebendiger Öffentlichkeit, das für das Medium „Zeitung“ naturgemäß unerreichbar ist – das aber davon abhängt, dass die Kommentare in Echtzeit erscheinen können.

Eine Vorzensur durch den Blogger zu verlangen ist so, als würde man dem Fernsehen die Live-Übertragung von Diskussionsrunden verbieten, aus Angst, da könnten irgendwelche rechtswidrigen Dinge geäußert werden. Die zu Recht beliebten Kommentatorendebatten könnten dann nur noch in Blogs stattfinden, deren Betreiber es sich leisten können, rund um die Uhr einen Zensor vom Dienst zu bezahlen, und das sind die allerwenigsten.

Das Urteil gegen Stefan Niggemeier ist nicht deshalb skandalös, weil der Blogger verpflichtet wird, auch die Kommentare zu kontrollieren, sondern weil er dies vorab tun soll: Otto Normalverbraucher wird von der Nutzung des Mediums „Weblog“ faktisch ausgeschlossen, wenn diese an unzumutbare Bedingungen („keine spontanen Kommentare“) oder unerfüllbare Voraussetzungen („ständige Kontrolle“) geknüpft wird.

Hier ist daran zu erinnern, dass Meinungs- und Pressefreiheit sogenannte Jedermanns-Grundrechte sind. Sie sind also nicht das Oligopol der schreibenden Zunft; erst recht nicht das sprichwörtliche Privileg von zweihundert Leuten, zu entscheiden, was das Volk lesen darf. Zumindest sollten sie das nicht sein.

Das Internet verschafft, durchaus im Sinne unserer Verfassung, buchstäblich Jedem die Möglichkeit, sich publizistisch zu betätigen. Es ist gewiss verständlich, dass diejenigen, die sich bisher exklusiv als Inhaber der „Vierten Gewalt“ fühlen durften, über den ihnen drohenden Bedeutungsschwund frustriert sind; menschlich nachvollziehbar ist auch, dass sie die Schuld für den Erfolg von Weblogs nicht bei sich und den von ihnen gestalteten Medien suchen. (Manches Blog – darunter auch mein eigenes  – würde gar nicht existieren, gäbe es im etablierten Journalismus mehr Mut zu unkonventionellen Standpunkten, mehr analytische Tiefe, weniger Herdentrieb, weniger Political Correctness.)

Verständlich also ist das alles. Es rechtfertigt nur keine Sprüche vom Kaliber:

‚Es ist überhaupt kein Fortschritt, wenn die früheren Klosprüche heute die Wände des Internets verunzieren. Wahrlich erstaunlich ist es, wie sehr die professionellen und die selbst ernannten Welterklärer in Text- und Videoblogs die Sau rauslassen … Das Netz pumpt offensichtlich manches Ego zur XXL-Größe auf.‘

Solche Parolen sind erstens selber kaum mehr als bessere Klosprüche und zweitens unschwer als das Gemaule von schlechten Verlierern zu erkennen.“

So viel zum Thema „Islamophobie“:

Salzburger Nachrichten, 5. Dezember 2007:

Der „Rat der Religionsgelehrten“ der Kairoer Al-Azhar-Universität, einer der wichtigsten Bildungsinstitutionen der islamischen Gesellschaft, hat jenen Moslems, die als Wirtschaftsflüchtlinge bei der illegalen Einreise nach Europa ums Leben kommen, den Status von „Märtyrern“ für die Ausbreitung des islamischen Weltreichs verliehen. Da dieses Gremium eine kollegiale Lehrautorität für alle Moslems ist, wiegt diese Lehrmeinung schwer als grundsätzliche und über Ägypten hinaus verbindliche Anerkennung der Unterwanderung des „christlichen Abendlandes“ durch Moslem-Immigranten zum Zweck der Islamisierung Europas. …“

[Zum Rest dieses Artikels der „Salzburger Nachrichten“]

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Political Correctness und Schwarze Magie

Dem deutschen Fußballtrainer Winni Schäfer, der damals die Nationalelf Kameruns betreute, kam eines Tages bei einem Turnier in Mali sein Co-Trainer abhanden: Die Polizei hatte ihn unter der Anschuldigung verhaftet, den Stadionrasen verhext zu haben.

Wir aufgeklärten Mitteleuropäer grinsen natürlich, wenn wir solche Anekdoten hören. Wo wir doch über derlei finsteren Aberglauben turmhoch erhaben sind.

Ach ja?

„Was haben Harvardpräsident Larry Summers, der Taliban John Walker, die Verantwortlichen bei Delta Airlines und die Herausgeber der New York Times mit Frauen vom Stamm der Yanomamo im Dschungel des Amanzonasgebiets gemeinsam?“

So beginnt ein Aufsatz des konservativen amerikanischen Kolumnisten Jack Wheeler, der unter dem Titel „The Secret to the Suicidal Liberal Mind“ die provozierende These vertritt, dem „Liberal Mind“ – zu deutsch: dem Gutmenschentum – liege ein archaischer Glaube an die Macht der Schwarzen Magie zugrunde, der in Gestalt sozialistischer, pazifistischer und kulturrelativistischer Theorien bloß oberflächlich rationalisiert worden sei. Political Correctness sei der Versuch, durch masochistische Selbsterniedrigung den „Bösen Blick“ potenzieller Neider zu vermeiden.

(Die vollständige deutsche Übersetzung von Wheelers Text, von dem ich hier nur Auszüge verwende, ist bei der Acht der Schwerter erschienen und nach dessen Ende von Deep Roots im Counterjihad eingestellt worden; ich empfehle auch die Lektüre der dortigen Kommentare, speziell Nr.5 von Guggelgobbel.)

„(…) Bei den Yanomamo und anderen Stämmen tief in den Regenwäldern des Amozonas, die immer noch den arachaischen Lebensstil der Jäger und Sammler unserer Vorfahren aus der Altsteinzeit pflegen, ist es ein allgemein anerkannter Brauch, dass eine Frau, nachdem sie ein Kind zur Welt gebracht hat, tränenreich verkündet, ihr Kind sei hässlich.

In einer lauten, selbsterniedrigenden Klage, die der ganze Stamm hören kann, fragt sie, warum die Götter sie mit einem so erbärmlich abstoßenden Kind verflucht haben. Sie tut das, um die neidische schwarze Magie des bösen Blicks, des Mal Ojo, zu bannen, die sie und ihre Stammesmitglieder treffen würde, wenn bekannt wäre, dass sie glücklich über ihr wunderschönes Baby ist.

Anthropologen beobachten in den meisten primitiven und traditionellen Kulturen, dass ‚jedes Individuum in der ständigen Angst vor der magischen Aggression anderer lebt … es gibt nur eine Erklärung für unvorhersehbare Ereignisse: die neidische schwarze Magie eines anderen Dorfmitglieds.'“

Wobei man hinzufügen möchte, dass der Glaube an die Schwarze Magie ein Spezialfall des offenbar allgemeinmenschlichen Glaubens an die Kraft des Wünschens, in diesem Fall des bösen Wünschens ist:

Nicht wenige Menschen haben Schuldgefühle, wenn sie einen Angehörigen verlieren, mit dem sie jahrzehntelang in Fehde gelebt haben. Sie können sich hundertmal sagen, dass ihre feindseligen Gefühle mit dem Tod des Betreffenden nichts zu tun haben – die Schuldgefühle bleiben trotzdem.

Ich bin Biathlon-Fan, und jedesmal, wenn ein deutscher Biathlet an den Schießstand tritt, versuche ich, seine Kugel ins Ziel zu bringen, in dem ich vor meinem geistigen Auge das Bild einer hochklappenden weißen Scheibe beschwöre. Natürlich glaube ich üüüüüüberhaupt nicht, dass das irgendeinen Effekt haben könnte; esoterischer Kokolores ist mir selbstredend völlig fremd, ich bin schließlich Rationalist – verteufelt nur, dass mein wirkliches Verhalten so gar nicht dazu passt.

Und ist eine betende Kirchengemeinde wirklich so unähnlich jenen indigenen Völkern, die ein bestimmtes Ereignis auf magische Weise herbeizuführen suchen, indem sie es kollektiv herbeiwünschen? Gewiss würde jede Kirchengemeinde den Verdacht weit von sich weisen, magischen Praktiken zu frönen; das Gebet richtet sich schließlich an Gott, damit der das Ereignis herbeiführt. Nun ja – auch das ist Magie. Magie per Satellit sozusagen.

Der Glaube an die Magie des Wünschens ist also ziemlich universell; damit aber zwangsläufig auch der an den „Bösen Blick“.

 

 

„Denken Sie einen Augenblick über das Ausmaß nach, zu dem Stammesmitglieder in einer “primitiven” Stammeskultur ihr Leben mit Aberglauben, Hexerei, Voodoo, “schwarzer Magie” und dem “bösen Blick” ausfüllen. Für sie besteht die Welt daraus, Dämonen, Kräfte, Geister und Götter zu zähmen, die alle böswillig und gefährlich – in einem Wort: neidisch – sind.

Ein Großteil wenn nicht die Mehrheit der traditionellen Stammeskulturen, sei es am Amazonas, in Afrika oder auf den pazifischen Inseln, kennt das Konzept des natürlichen Todes nicht. Tod ist immer Mord.

(…)

Neid ist die Quelle für den Glauben der traditionellen Kulturen an schwarze Magie, die Furcht vor dem neidischen bösen Blick.

Der grundlegende Ursache dafür, dass gewisse Kulturen statisch bleiben und sich nie weiterentwickeln (zum Beispiel Dörfer in Ägypten und Indien, die über Jahrtausende hinweg bis heute ungefähr gleich geblieben sind) ist das überwältigende Ausmaß, in dem die Menschen dieser Kulturen von Neid und Neidvermeidung beherrscht sind: Anthropologen nennen das die Neidbarriere.

Die Mambwe in Sambia zum Beispiel betrachten ‚erfolgreiche Menschen als düster, übernatürlich und gefährlich.‘ In mexikanischen Dörfern ‚bestimmt die Furcht vor dem Neid anderer Leute jedes Alltagsdetail und jedes Vorhaben.‘

(…)

Es ist die ultimative Ironie moderner Zeiten, dass linke Intellektuelle des marxistischen Typus sich selbst für die progressive Avantgarde des aufgeklärten zeitgenössischen Denkens halten – wobei in Wirklichkeit ihre Denkweise nichts als Atavismus ist, die Rückentwicklung zu einer primitiven Stammesmentalität. Was die Linke ‚Ausbeutung‘ nennt, nennen Anthropologen ’schwarze Magie‘.

Der Soziologe Helmut Schoeck (der auch die oben erwähnten anthropologischen Beobachtungen zusammengetragen hat) fasst in seinem bahnbrechenden Werk ‚Envy: A Theory of Human Behavior‘ zusammen:

Eine selbstmitleidige Neigung, über die Überlegenheit oder Vorteile anderer nachzusinnen, kombiniert mit einem vagen Glauben daran, er sei die Ursache für die eigene Entbehrung, findet sich auch unter gebildeten Mitgliedern unserer modernen Gesellschaften, die es eigentlich besser wissen müssten. Der Glaube der primitiven Völker an schwarze Magie unterscheidet sich nur wenig von modernen Ideen. Während der Sozialist sich vom Arbeitgeber ausgeraubt sieht oder der Politiker in einem Entwicklungsland sich von den Industrieländern ausgeraubt sieht, sieht sich der primitive Mensch von seinem Nachbarn ausgeraubt, und zwar dadurch, dass es dem letzteren geglückt ist, mittels schwarzer Magie einen Teil der Ernte des ersteren auf sein eigenes Feld zu zaubern.

Der primitive Atavismus linker Binsenweisheiten wie “die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer” illustriert am besten das Argument, dass man nur auf Kosten anderer gesund sein kann. Dass man, um eine gute Gesundheit zu haben und vor Energie und Vitalität zu strotzen, jemand anderen krank machen oder zu schwacher Gesundheit bringen muss – gerade so wie man, um reich zu sein, andere arm machen muss.

Die Gesunden sind gesund, weil sie unrechtmäßig die Kranken ausgebeutet und ausgesaugt haben, indem sie den gerechten Gesundheitsanteil des Kranken mit Hilfe von schwarzer Magie an sich gezogen haben. Also sind die Kranken krank, weil die Gesunden gesund sind. Wenn das absurd ist, dann ist es gleichermaßen absurd, dass die Armen arm sind, weil sie von den Reichen ausgebeutet wurden.“

Hier macht Wheeler es sich doch etwas leicht: Die Linken reden wahrlich viel Stuss, wenn der Tag lang ist, aber bisher haben sie noch nicht behauptet, die Gesunden seien schuld, dass die Kranken krank sind. Außerdem kann es im Einzelfall durchaus sein, dass der Reichtum von Wenigen auf der Armut von Vielen beruht. (Wenn Plantagen von Sklaven bewirtschaftet werden oder Drittweltpotentaten knappe Steuermittel und Hilfsgelder auf ihre Privatkonten umleiten, ist der kausale Zusammenhang zwischen Reichtum und Armut kaum von der Hand zu weisen.) Irrational und daher aberglaubeverdächtig – das macht Wheelers Argumentation so spannend – ist aber die Selbstverständlichkeit, mit der das Gutmenschentum auch dort davon ausgeht, dass ein solcher Zusammenhang bestehen müsse, wo das offensichtlich absurd ist:

Der Gutmensch ist fest überzeugt, dass der Westen reich ist, weil er die Dritte Welt ausbeute, an deren Armut er mithin ein Interesse habe. Wenn das richtig wäre, dann dürfte der Westen (das Kapital, die Konzerne) nichts so sehr fürchten wie Drittweltländer, die es zu Wohlstand bringen. Was aber geschieht wirklich in den Chefetagen besagter Konzerne, wenn sich ein armes Land – etwa China – tatsächlich auf den Weg zum Wohlstand macht? Da knallen die Korken! Da pilgern Delegationen von Managern in das neue Gelobte Land und liefern sich einen Wettlauf darum, wer zuerst investieren und den neuen Markt erschließen darf!

Der Gutmensch ist fest überzeugt, dass „wir den Arabern das Öl rauben“, und selbst der Hunderter, den er an der Tankstelle lassen muss, überzeugt ihn nicht davon, dass wir dieses Öl kaufen. Und dass die Araber ein Interesse daran haben, es uns zu verkaufen. (Was sollen sie denn sonst aus ihrem Öl machen? Einen Milchshake?)

Wenn Migranten selbst in der zweiten und dritten Generation es überwiegend nicht schaffen, in kostenfreien öffentlichen Schulen mehr als einen Hauptschulabschluss zu erwerben – und oft nicht einmal den -, dann ist der deutsche Staat schuld. Wenn sie daraufhin arbeitslos sind – wer ist daran schuld? Natürlich die Politik, die „die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht“.

Mit anderen Worten: Der Gutmensch geht davon aus, dass es zwischen Leistung und Erfolg keinen Zusammenhang gibt, wohl aber zwischen dem Erfolg des Einen und dem Misserfolg des Anderen. Für diese Vermutung sprechen keinerlei ökonomischen Argumente, übrigens auch keine marxistischen:

Es ist schon richtig, dass Kapitalismus nicht „gerecht“ ist, auch nicht im Sinne von Chancengleichheit; denn es liegt auf der Hand, dass der, der Kapital einsetzen kann – egal woher er es hat -, größere Chancen hat als der, der das nicht kann. Nichtsdestoweniger ist das Vorhandensein von Kapital die Voraussetzung dafür, dass der Faktor Arbeit produktiv eingesetzt und entsprechend entlohnt werden kann. Dass es sich um ein Positivsummenspiel handelt, bei dem beide gewinnen, wenn auch der Eine mehr, der Andere weniger, ja dass eine Wirtschaft, die auf Tausch beruht, mit logischer Zwangsläufigkeit ein Positivsummenspiel sein muss, ist so offensichtlich, dass die gegenteilige Auffassung unter ernsthaften Menschen keiner Diskussion würdig ist. Wird sie dennoch vertreten, so handelt es sich offenkundig um einen Aberglauben, dessen massenhafte Verbreitung allein schon ein Indiz für seinen voraufklärerischen Ursprung ist.

Und hier beginnt das Spiel von Neid und Neidabwehr:

„Die Angst vor dem Neid

Die Begünstigung der Neidischen und die Einschüchterung derer, die vor ihnen Angst haben, war und ist der Weg zur Macht aller modernen Demagogen, von Lenin und Hitler bis zu Jasir Arafat und Osama bin Laden.

Die drei großen politischen Pathologien des 20. Jahrhunderts sind alles Neidreligionen: Nationalsozialismus, der den Rassenneid gegenüber “den reichen, ausbeuterischen Juden” predigt; Kommunismus, der den Klassenneid gegenüber “der reichen, ausbeuterischen Bourgeoisie” predigt; und Moslemterrorismus, der den Kulturneid gegenüber “dem reichen, ausbeuterischen Westen” predigt.

(…)

Und hier erkennen wir auch die geheime Furcht an der Quelle des selbstmörderischen gutmenschlichen Denkens. Es ist der Neid, der einen Nazi, einen Kommunisten oder einen Terroristen ausmacht. Es ist die Angst vor dem Neid, die einen Gutmenschen ausmacht und die die Quelle seiner “Schuld” ist.

Das kann man am einfachsten an den Kindern wohlhabender Eltern erkennen. Erfolgreiche Geschäftsleute zum Beispiel, die ihren Wohlstand selbst erarbeitet haben, haben normalerweise einen gewissen Respekt für ihre eigenen Anstrengungen und das Wirtschaftssystem, das Erfolg ermöglicht.

Ihre Kinder, die nicht dafür arbeiten mussten, sind einfachere Zielscheiben für die Schuldeinredereien der Neidischen. Somit nehmen sie eine Haltung gutmenschlichen Mitgefühls als Neidabwehrschild ein: “Bitte beneidet mich nicht wegen des Geldes meines Vaters – schaut doch all die linken Anliegen und sozialen Regierungsprogramme an, die ich unterstütze!”

Teddy Kennedy ist der Archetypus dieses Phänomens

Das ist auch der Grund, warum Hollywood so gutmenschlich ist. Die riesigen Geldmassen, die Filmstars verdienen, stehen in einem so groben Missverhältnis zu dem Aufwand, der dafür notwendig ist, dass sie das Gefühl haben, es wäre unverdient. Und deshalb entschuldigen sie sich dafür. Die Strategie der Gutmenschen ist es, sich für ihren Erfolg zu entschuldigen, um die Neidischen zu besänftigen.

Gutmenschentum ist damit keine politische Ideologie oder ein Glaubenskonzept. Es ist ein Neidabwehrschild, eine psychologische Strategie zur Vermeidung, beneidet zu werden.

Ein definitives Charakteristikum sowohl von Neid als auch von Neidangst ist Masochismus. Neid ist nicht nur Hass gegenüber jemanden, der etwas hat, was man selber nicht hat – er ist die Bereitschaft, in masochistischer Weise jegliche Chance darauf, dieses Etwas jemals zu bekommen, aufzugeben, solange es nur die Person, auf die man neidisch ist, auch nicht hat.“

Dass den typisch linken politischen Programmen der Neid und dessen Mobilisierung zugrundeliegt – und nicht etwa das Klasseninteresse von Arbeitern oder gar Arbeitslosen – erkennt man, wenn man sich klarmacht, wie eine rationale Interessenpolitik aussehen müsste: Sie dürfte nicht in Kauf nehmen, dass der zu verteilende Kuchen kleiner wird, weil sie in diesem Fall wenig Aussicht darauf hätte, den Anteil der Arbeiter im gleichen Maße zu vergrößern, wie das Gesamtprodukt sich verkleinerte. Tatsächlich sehen linke Programme aber anders aus: „Verteilungsgerechtigkeit“ ist alles – Wachstum ist nichts. Nach dem Motto: Wenn Alle hungern, ist das wenigstens gerecht.

„Man kann die Leidenschaften der Linken als masochistische Verrücktheiten sehen. Was könnte idiotischer und masochistischer sein als gegen einen Raketenabwehrschild zu sein? Diese Opposition ist unverständlich, wenn man sich nicht von Rhetorik und rationalen Erklärungen frei macht und erkennt, dass dieses Volk in seinem emotionalen Kern nicht möchte, dass das Land verteidigt wird.

Der Irrsinn des Schwindels “Globale Erwärmung” kann nicht anders verstanden werden, als dass seine masochistischen Befürworter nicht wollen, dass ihre Zivilisation floriert [Nun ja, ein paar andere Erklärungen würden mir schon einfallen, M.]. Die kulturzerstörende Einwanderungspolitik, vor der Pat Buchanan warnt, sie würde “den Tod des Westens” bedeuten, wurde von denjenigen eingeführt, die nicht wollen, dass ihre Kultur überlebt.

Die Tödlichkeit gutmenschlichen Neidappeasements ist, dass persönlich empfundene Schuldgefühle auf die verschiedenen Gesellschafts- oder Stammeskollektive projiziert werden, denen der Gutmensch angehört und die Teil seines Selbstbildes sind. Selbsthass wird zu Hass auf die eigene Gesellschaft oder Rasse transformiert.

Weiße männliche Gutmenschen werden zu Autorassisten und Autosexisten: rassistsisch gegen ihre eigene Rasse und sexistisch gegen ihr eigenes Geschlecht. Billige Demagogen wie ökofaschistische Umweltbewegte, Feminazis, Tier- und Homosexuellenrechtler, penetrante Rassenbewegte wie Jesse Jackson und Al Sharpton beziehen all ihre Stärke aus der Angst der Gutmenschen vor dem bösen Blick.

Gerade so wie die Frau aus dem Stamm im Amazonasgebiet sagt, ihr Baby sei hässlich, sagt der weiße männliche Gutmensch, sein Geschlecht, seine Rasse, sein Land, seine Zivilisation oder sogar seine ganze Spezies sei hässlich.

Eine Spielart der Angst vor dem Bösen Blick, die Wheeler nicht behandelt, die aber in denselben Kontext gehört, ist neben der Angst vor dem Neid die Angst vor dem Bösen Blick des Rachsüchtigen, auch diese darstellbar anhand typischer Gutmenschenphrasen, etwa dem von der „Natur“, die „sich rächen wird“. Das dahinterstehende Weltbild ist unschwer als steinzeitlicher Animismus zu dechiffrieren: Als Weltbild von Bärenjägern, die nach erfolgter Jagd umfangreiche Beschwichtigungsrituale vollführen, um die gekränkte Seele des Bären zu versöhnen und von seiner Rache verschont zu bleiben.

In dieselbe Kerbe haut „Gewalt erzeugt nur Gegengewalt“ – wobei dem Gutmenschen gar nicht auffällt, dass dieser Spruch, sofern er richtig ist, nichts weiter besagt als dass Gegengewalt die erwartbare, weil vernünftige Reaktion auf einen Angriff ist, und dass er deshalb gerade kein Argument dafür liefert, auf Gegengewalt zu verzichten, wenn man angegriffen wird. Was gemeint ist, erschließt sich aus der dazugehörigen zweiten Phrase: „Gewalt erzeugt nur Hass.“

Ja, das wird wohl so sein. Na und? Der Hass als solcher schadet doch niemandem, es sei denn…

Es sei denn, man unterstellt, dass bereits dem Hass an sich die Kraft innewohnt, den Gehassten zu schädigen. Das ist aber nichts anderes als der Glaube an den bösen Blick. Was den Gutmenschen also treibt, ist die Furcht davor, gehasst zu werden; was er als „Politik“ ausgibt, ist ein animistisches Beschwörungsritual. Solange der Gutmensch in der Minderheit ist, versucht er den Bösen Blick von sich abzulenken, indem er sich von dem Kollektiv distanziert, dem der Hass gilt.

Haben die Gutmenschen es aber zur Mehrheit gebracht, dann schlägt die Stunde der Political Correctness: Der private Aberglaube mutiert dann zu einer heidnischen Stammesreligion, die auf einem Abwehrzauber basiert: Das Gemeinwesen distanziert sich von sich selbst, beschimpft und schädigt sich, um gleichsam einen magischen Kreis aufzubauen, der vor dem Bösen Blick schützt.

Damit kennen wir auch die Ursache der eigentümlichen exorzistischen Rituale, die stets einsetzen, wenn die Political Correctness verletzt wird: Der Übeltäter wird dann als böse gebrandmarkt und aus dem Kreis der Guten verbannt.

Wenn etwa die Wahlniederlage Roland Kochs voll Erleichterung und Genugtuung mit dem Kommentar quittiert wird, nun sei „die politische Kultur wiederhergestellt“, so bedeutet dies, übertragen aus der Sprache der politischen Kommentatoren in das wesentlich angemessenere Idiom indianischer Medizinmänner, dass der den Stamm vor dem Bösen Blick schützende magische Kreis „wiederhergestellt“ ist, indem der Frevler, der ihn durch seinen blasphemischen Schadenzauber zu beschädigen drohte, aus der Mitte des Stammes verstoßen ist.

„Angst vor dem Neid ist in der menschlichen Psyche sehr tief eingegraben. Sie kann eine Kultur über Tausende von Jahren hinweg von der Weiterentwicklung abhalten. Nur eine jugendliche Kultur voller Elan und Selbstvertrauen kann sie abschütteln, was diese Kultur dann florieren lässt.

(…)

Und doch sind diese Reserven aufgezehrt. Amerikas höchste Eliteuniversitäten sind zu faschistischen Jauchegruben des Neidappeasements degeneriert. Ihr Überleben liegt nur noch an der Trägheit ihres Prestiges. Delta und andere Fluglinien gefährden die Sicherheit ihrer Passagiere, indem sie Zufallskontrollen machen anstatt rassische Rasterkontrollen bei arabischen und anderen moslemischen Männern.

In der Tat ist das ganze Phänomen der political Correctness … nichts weiter als eine großangelegte Übung in Neidappeasement.

(…)

Den Neid zurückweisen ist der Schlüssel dazu, “den Tod des Westens” zu verhindern, der Schlüssel für Amerikas weitergehendes Wohlergehen. Ich schlage vor, dass diese Zurückweisung mit Ihnen anfängt.

Angst vor dem bösen Blick ist das einzige, was dem bösen Blick seine Macht verleiht. Ohne Angst vor ihm ist der böse Blick machtlos. Also: Wenn sich das nächste Mal der böse Blick auf Sie richtet und von Ihnen fordert, sich für Ihre Existenz zu entschuldigen, dann sollten Sie vorschlagen, dass sich die Forderer selbst mit Sadomaso-Spielchen befassen und Sie dabei rauslassen sollten.“

Carl Schmitt angewandt: Der Westen und der Islam

Es gibt bekanntlich nichts Praktischeres als eine gute Theorie, und wir werden sehen, ob die Theorie Carl Schmitts, die ich im vorherigen Beitrag dargestellt habe, zum Verständnis des westlich-islamischen Verhältnisses beiträgt. (Ich weise darauf hin, dass der vorliegende Beitrag ohne den vorherigen schwer zu verstehen ist.)

Die Freund-Feind-Unterscheidung kann nur von politischen Einheiten vorgenommen werden, die sich eben dadurch als politische Einheiten ausweisen. Ein z.B. wegen innerer Zerrüttung oder Zerstrittenheit als politische Einheit zerstörter Staat kann als Staat durchaus weiterexistieren, wenn auch gleichsam nur auf Abruf. Er kann weiterhin eine Verwaltung, auch eine Polizei oder Müllabfuhr besitzen – das macht ihn aber nicht zur politischen Einheit. Die ist eben definiert durch die Fähigkeit, eine Feinderklärung auszusprechen und gegebenenfalls auch durchzufechten.

Eine revolutionäre Partei kann, wenn sie fähig ist, den Staat zum Feind zu erklären, durchaus eine politische Einheit sein; der Staat, der diese Feindschaft nicht beantworten kann, ist keine. Die Hisbollah ist eine politische Einheit, nicht aber der libanesische Staat. Die RAF war eine politische Einheit, die EKD ist keine. Die NATO, sofern sie als verlängerter Arm der USA fungiert, ist eine, die EU ist es nicht. (Die einzelnen Staaten der EU sind im Verhältnis zueinander keine politischen Einheiten, weil sie faktisch keinen Krieg gegeneinander führen können; bloße Gegnerschaft gibt es zwar, sie ähnelt aber eher der Gegnerschaft politischer Parteien innerhalb eines Staates. Im Verhältnis zu Nicht-EU-Akteuren dagegen sind die Staaten der Union sehr wohl politische Einheiten – und die EU selbst gerade deswegen nicht: Eine Feinderklärung der EU wäre faktisch nichts anderes als eine gleichlautende Erklärung ihrer 27 Mitgliedsstaaten.)

Grundsätzlich kann also jede Assoziation von Menschen eine politische Einheit bilden, unabhängig von ihrer Rechtsform, Ideologie oder Größe. Das einzige Kriterium ist ihre Fähigkeit, einen Konflikt auf Leben und Tod auszutragen. Für die Feinderklärung kommt es übrigens nicht darauf an, ob die solchermaßen zum Feind erklärte Gruppe ihrerseits eine politische Einheit darstellt oder nicht. Die Juden der dreißiger und vierziger Jahre waren es nicht, wurden von den Nazis aber dafür gehalten; in einem solchen Fall beruht die Feinderklärung auf einem Irrtum, ist aber in ihren Konsequenzen genauso fatal und real. Feind ist, wer zum Feind erklärt wird. Man hat dies Schmitts „Dezisionismus“ genannt – eine Feststellung, die, wenn als Vorwurf gemeint, völlig sinnlos ist: Hier wie überall geht es ihm um das Empirisch-faktische, nicht um das, was sein soll.

Freilich zeigt das Schicksal der Nazis auch, dass man sich vor irrtümlichen und mutwilligen Feinderklärungen hüten sollte, da sie am Ende nicht nur für die davon Betroffenen, sondern auch für den Erklärenden selbst fatal sein können.

Ich hätte mich mit alldem gar nicht so intensiv auseinandergesetzt, wenn wir nicht spätestens seit dem 11. September 2001 vor der Frage stünden, ob der Westen den Islam schlechthin als Feind ansehen muss. Dass der Westen zum Feind erklärt worden ist, ist offensichtlich. Die delikate Frage aber lautet, wer die politische Einheit ist, die diese Erklärung vorgenommen hat. Sind die Qaida (und mit ihr Hamas, Hisbollah, die Taliban etc.) selbständige Einheiten, oder sind sie im Sinne Carl Schmitts bloße Teileinheiten einer politischen Einheit „Islam“?

Diese zweite Alternative wird bekanntlich nicht nur von linken Gutmenschen verneint, sondern auch z.B. von der amerikanischen und britischen Regierung, die nicht von übertriebenem Pazifismus angekränkelt zu sein scheinen. Aus ihrer Sicht ist der Feind des Westens „der Terrorismus“. Allenfalls wird zugestanden, dass die Terroristen eine politische Basis in Form des Islamismus hätten – der aber radikal vom „wahren“ Islam zu unterscheiden sei.

Was es mit dieser Trennung – hier der Islamismus, da der „wahre“ Islam – auf sich hat; dass dies bestenfalls die Unterscheidung von politischen Aktivisten und konservativen, aber politisch passiven Muslimen ist; dass diese Unterscheidung aber keine ideologischen Implikationen hat, das ist auch in diesem Blog schon ausführlich dargelegt worden und zumindest im islamkritischen Milieu kein Diskussionspunkt mehr. Macht aber eine solch passive muslimische Massenloyalität gegenüber islamistischen Positionen den Islam schon zu einer politischen Einheit im Schmittschen Sinne?

Bisher habe ich den Begriff der politischen Einheit nur in Bezug auf Staaten, Parteien und Terrororganisationen gebraucht – also sozialen Systemen, die über eine formale Hierarchie und ein identifizierbares Entscheidungszentrum verfügen, das die Feinderklärung aussprechen kann. Eine solche Struktur ist aber für die Einstufung eines sozialen Systems als politische  Einheit nicht an sich erforderlich, sondern nur, soweit die Fähigkeit zur Freund-Feind-Unterscheidung und zum faktischen Konflikt davon abhängt. Diese Funktion aber kann durchaus auch von alternativen Strukturen erfüllt werden, z.B. durch ein verbindliches Regelsystem, das die Freund-Feind-Unterscheidung an abstrakte Kriterien bindet, sie damit von einer expliziten politischen Einzelfallentscheidung unabhängig macht und auch eine nach Millionen zählende Gruppe von Menschen in die Lage versetzt, koordiniert zu handeln.

Ein solches Regelsystem liegt beim Islam vor: Die islamische Religion beruht auf der systematischen Unterscheidung zwischen der islamischen Umma und den „Ungläubigen“, und das islamische Recht hat dies zu einem ausgeklügelten System konkretisiert, das auf der Unterscheidung zwischen dem „Dar al-Islam“ und dem „Dar al-Harb“ basiert (also dem Herrschaftsbereich des Islam und dem der „Ungläubigen“) und statuiert, dass es zwischen beiden keinen Frieden, allenfalls einen Waffenstillstand geben dürfe. Der Islam beruht also – worauf? Auf der Unterscheidung zwischen Freund und Feind!

Die Stärke und Fruchtbarkeit von Schmitts Theorie – die ja nicht mit Blick auf den Islam entwickelt wurde – lässt sich kaum eindrucksvoller demonstrieren als dadurch, dass man mit ihrer Hilfe auf rein deduktivem Wege, d.h. durch bloße Anwendung der Theorie, zu demselben Ergebnis gelangt, das Kohorten von Orientalisten, Sozialwissenschaftlern, Historikern etc. auf empirisch-analytischem Wege gewonnen haben: dass der Islam eine wesentlich politische Religion ist.

Alle nichtislamischen Religionen, alle Kulturen, die nicht nach islamischen Regeln funktionieren, und vor allem alle Staaten, die nicht von Muslimen beherrscht werden, sind eindeutig und für alle Ewigkeit als „Feind“ markiert. Hieraus erklären sich die „blutigen Grenzen des Islam“ (S.Huntington): Der Islam liegt ja nicht nur mit dem Westen in Konflikt, sondern mit allen, auch nichtwestlichen Kulturen, mit denen er in unmittelbaren Kontakt gerät.

Zur Definition der politischen Einheit gehört aber nicht nur die Fähigkeit zur Feinderklärung, sondern auch die, sie tatsächlich als Einheit durchzufechten. Daran scheint es zu hapern:

Die diversen Terrorgruppen agieren doch auf eigene Faust und eigene Rechnung, und ihre Methoden werden von den meisten Muslimen abgelehnt. Sind sie also – trotz der Allgemeingültigkeit der islamischen Feinderklärung – nicht doch selbständige Einheiten, die man nicht einer politischen Einheit „Islam“ zuordnen kann? So könnte es scheinen – wenn nicht jeder Konflikt eines westlichen mit einem islamischen Akteur zu einer reflexartigen Solidarisierung der meisten Muslime führen würde; und zwar auch dann, wenn der Westen sich offensichtlich nur gegen gewaltsame Übergriffe wehrt, und sogar dann, wenn der islamische Akteur an sich verhasst ist. (Ein Beispiel: Saddam Hussein galt bis 1990 überall in der islamischen Welt als Schurke, und ein frommer Muslim war er auch nicht, im Gegenteil. Zum Helden wurde er in dem Moment, wo er selbstverschuldet, und sogar durch Überfall auf ein islamisches Land mit den USA in Konflikt geriet.) Man sieht: Um die Einheit der Muslime zu stiften, bedarf es durchaus keines koordinierenden Generalstabes; sondern jeder islamische Akteur kann diese Einheit herstellen, sofern er in der Lage ist, den Westen herauszufordern. Auch hier wirkt sich die koordinierende Kraft des islamischen Regelsystems aus, das der innerislamischen Solidarität einen so hohen Stellenwert zuweist, dass Jeder, auch ein Terrorist, sie als Selbstverständlichkeit voraussetzen kann.

Die Fähigkeit des Islam, als politische Einheit zu agieren, wird also von seiner dezentralen Struktur nicht nur nicht behindert, sondern sogar gefördert, weil er unabhängig vom Funktionieren irgendeiner „Schaltzentrale“ ist und sogar den Vorteil dessen auf seiner Seite hat, der ein Spiel mit verteilten Rollen spielen kann.

An dieser Stelle ist der Einwand fällig, ich würde den Islam als einen monolithischen Block behandeln. Schließlich gebe es auch Muslime, die die Offene Gesellschaft des Westens aufrichtig befürworteten, persönlich tolerant seien und es ablehnten, sich gegen den Westen für eine islamische Solidarität vereinnahmen zu lassen. Darüberhinaus seien die meisten – auch die frommen und konservativen – Muslime politisch passiv, und ihre Solidarität etwa mit den Palästinensern habe eher den Charakter einer bloß moralischen Unterstützung, sei also politisch irrelevant. Und man könne die doch nicht alle mit den Islamisten über einen Kamm scheren. Kurz: So etwas wie einen Islam gebe es nicht, es gebe nur viele Muslime – analog zu Maragaret Thatchers Diktum, so etwas wie eine Gesellschaft gebe es nicht, es gebe nur Individuen. (Vielleicht ist dieser – gerade auf der Insel populäre – radikale Individualismus dafür verantwortlich, dass die Briten, die so militant gegen den islamischen Terrorismus vorgehen, jede andere Form von Djihad gegen das eigene Land tolerieren und ihm sogar Vorschub leisten – logisch: Wenn es so etwas wie den einen Islam nicht gibt, dann gibt es auch nicht so etwas wie den einen Djihad.)

Dieser Einwand beruht auf einem Missverständnis: Wenn ich den Begriff „soziales System“ verwende, dann ist damit nicht eine nach objektiven Kriterien abgrenzbbare Gruppe von Menschen gemeint (hier also: alle Muslime), sondern ein System gegenseitiger Verhaltenserwartungen, hier also die gegenseitige Erwartung, dass Muslime die islamischen Normen als verbindlich akzeptieren, politisch sich also als Teil einer Wir-Gruppe verstehen, die Solidarität einfordern kann, wenn sie mit einer Sie-Gruppe in Konflikt gerät. Dass es eine Minderheit von Muslimen gibt, die diese Erwartungen ablehnen, weil sie Westler sind, die ihren Glauben als Privatsache ohne politische Implikationen behandeln, bedeutet nicht, dass das soziale System „Islam“ nicht existiert, sondern nur, dass diese Personen nicht dazugehören – es sei denn unfreiwillig (mit der Konsequenz, dass es schwierig sein kann zu unterscheiden, welchen Muslimen man trauen kann und welchen nicht).

Anders sieht es bei den frommen, konservativen, traditionellen, kurz: „gemäßigten“ Muslimen aus: Die gehören durchaus zum System. Man macht sich überhaupt zu wenig klar, wie sehr jeder Extremismus von den „Gemäßigten“ lebt: Eine Gruppe wie die RAF hätte niemals entstehen können ohne eine gemäßigte Linke, die ihr die ideologischen Versatzstücke lieferte und aus der sich der Terrornachwuchs rekrutierte. Ein Drittes Reich hätte nie existieren können ohne den ganz normalen Antisemitismus des Durchschnittsdeutschen. Eine ETA, eine IRA, eine Hamas, eine Hisbollah schwimmen in ihrem „gemäßigten“ Umfeld wie der Fisch im Wasser.
Alleine das Wort „gemäßigt“ ist bezeichnend: Gemäßigt sein kann man ja nur in Bezug auf einen Extremismus, der damit gleichsam zum Normalzustand erklärt wird, und die „Mäßigung“ besteht eben darin, von dessen Zielen ein paar Abstriche zu machen, eventuell auch die Methoden abzulehnen (…wobei man aber doch verstehen müsse, dass…). Ein Gemäßigter ist jemand, der die Prämissen der Extremisten teilt und nur vor den Konsequenzen zurückschreckt. [Zum Thema „Gemäßigte Muslime“ siehe auch Fjordman]
Wie wichtig die Gemäßigten sind, erkennt man daran, dass es faktisch unmöglich ist, die Verantwortung für islamischen Extremismus dem Islam selbst zuzuschreiben, ohne den Einwand zu ernten, die meisten Muslime seien doch gemäßigt…
Zusammengefasst liefern die Gemäßigten den Extremisten die Ideologie, die Rekruten und die politische Abschirmung. Ohne sie könnte der Islam als politische Einheit nicht existieren.
Der Gegensatz zwischen dem Westen und dem Islam ist nicht einer von Völkern – die als solche irgendeinen Kompromissfrieden schließen könnten, auch nicht zwischen Religionen, denn der Westen ist keine, und ungeachtet seiner christlichen Wurzeln hat er auch keine, und der Islam ist nicht das, was wir unter einer Religion verstehen, also ein Glaubenssystem, das man als Privatsache behandeln könnte. Der Gegensatz ist einer von zwei einander ausschließenden Gesellschaftskonzepten, und als solcher eher mit dem Ost-West-Konflikt vergleichbar als etwa mit den nachreformatorischen Religionskriegen. Er ist sogar noch tiefer als der Ost-West-Konflikt: Nicht nur, weil der Kommunismus seine Herkunft aus der westlichen Aufklärung nie völlig verleugnen konnte, sondern auch und vor allem, weil er sich – anders als der Islam – territorial abgrenzen konnte. Aber selbst diese Abgrenzung bewahrte ihn nicht davor, vom Westen als dem kreativeren, produktiveren und effizienteren System vor immer neue Herausforderungen gestellt zu werden, die seine Anpassungsfähigkeit schließlich überforderten.
Die Unvereinbarkeit von westlicher und islamischer Zivilisation birgt ein ungleich größeres Konfliktpotenzial, weil diese beiden Systeme einander durchdringen: Auf der einen Seite sind die islamischen Länder voll und ganz in das westlich dominierte Weltsystem einbezogen und unterliegen dadurch einem Anpassungsdruck, der traditionelle Strukturen und Werte über den Haufen wirft. Auf der anderen Seite ist der Islam in Gestalt muslimischer Einwanderer auch im Westen präsent und unterminiert schleichend dessen säkulare Ordnung. Beide Systeme können gar nicht anders, als einander zu zersetzen! Eine verwestlichte islamische Gesellschaft wäre zwar durchaus noch muslimisch in dem Sinne, dass ihre Angehörigen Muslime wären, aber nicht mehr islamisch im Sinne der gesellschaftlichen Dominanz und Verbindlichkeit islamischer Normen; als politische Einheit würde der Islam aufhören zu existieren. Und dass ein islamisierter Westen keine Offene Gesellschaft mehr wäre, dürfte auf der Hand liegen.
Einer von beiden wird auf der Strecke bleiben, und ich gehe davon aus, dass dies der Islam sein wird. Bleibt zu hoffen, dass er, wie Ronald Reagan von der Sowjetunion sagte, „mit einem leisen Winseln untergeht, nicht mit einem großen Knall“.

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

Gelesen: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen

Wer die Werke des konservativen deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt anders als mit spitzen Fingern anfasst; wer womöglich vergisst, die Floskeln „geistiger Wegbereiter Hitlers“ und „Kronjurist des Dritten Reiches“ zu erwähnen; wer ihn gar zustimmend zitiert, gerät in unserem Land nahezu unvermeidlich unter Faschismusverdacht.

Für diese reflexhafte Abwehr gibt es gute und schlechte Gründe. Zu den schlechten komme ich später. Die guten beziehen sich eher auf seine Person und Biographie als auf sein Werk. Ich selbst hatte mich bisher nur einmal mit Schmitt auseinandergesetzt, vor fast zwanzig Jahren, als ich während meines Studiums seinen „Leviathan“ zu analysieren hatte, geschrieben 1938, in dem es von antisemitischen Gehässigkeiten nur so wimmelte.

Dabei war die darin entwickelte Theorie in sich durchaus nicht antisemitisch; der Autor hätte seine Invektiven ebensogut weglassen können, ohne die Integrität seiner Argumentation zu beeinträchtigen; er schien mir kein Antisemit im ideologischen Sinne zu sein, und seine judenfeindlichen Ausfälle waren offenbar Lippendienste, die er dem Regime leistete. Das machte ihn mir aber nicht sympathischer, eher im Gegenteil: Schmitt war seinem ganzen geistigen Habitus nach, den er selbst im „Leviathan“ nicht verleugnen konnte, ein Aufklärer gewesen, dem man nicht einmal die schwache Entschuldigung ideologischer Verblendung zugutehalten konnte. Das ungewöhnlich Widerliche war noch nicht einmal, dass er dem Naziregime gegenüber loyal gewesen war; darin unterschied er sich nicht von den meisten seiner damaligen Landsleute, und den Standpunkt „Right or wrong – my country“ halte ich zwar für falsch, wenn er zur Unterstützung eines solchen Regimes führt – aber selbst dann finde ich ihn noch zumindest menschlich respektabel. Gar nicht respektabel, sondern im höchsten Maße ekelhaft ist es aber, sich ohne Not, wider besseres Wissen und auf Kosten Dritter bei den Machthabern dadurch anzubiedern, dass man auf einer Minderheit herumtrampelt, die schon am Boden liegt.

Nein, sympathisch war und ist er mir nicht, dieser Carl Schmitt. Wenn ich aber Ideen beurteile, dann kommt es nicht auf den Charakter dessen an, von dem sie stammen, sondern darauf, ob ich aus ihnen lernen kann.

Bekanntermaßen beschäftige ich mich in diesem Blog unter anderem mit linker Ideologie, und hier speziell mit der Political Correctness, die nach dem Niedergang des Marxismus die letzte Klammer zu sein scheint, die eine ideologisch entkernte Linke noch zusammenhält. Zu den Wesensmerkmalen dieser Ideologie gehört es, dass sie prinzipiell nicht zwischen Eigen und Fremd, Wir und Sie, Freund und Feind unterscheidet, zumindest nicht, soweit das eigene Gemeinwesen betroffen ist – es sei denn, um sich auf die Seite des Fremden, der Sie-Gruppe und des Feindes zu stellen.

Grund genug also, sich mit demjenigen Werk zu befassen, das die Unterscheidung von Freund und Feind zum Dreh- und Angelpunkt des politischen Denkens und Handelns erklärt, nämlich mit Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ (als Aufsatz erschienen erstmals 1927, als Buch mit Erweiterungen 1932; zitiert wird nach der 7. Auflage 2002; Hervorhebungen im Original).

Ich werde zeigen, dass Schmitts Ansatz tatsächlich grundlegende Gesetzmäßigkeiten der Politik enthüllt; dass er deswegen dazu beiträgt, den Begriffsnebel der Political Correctness zu lichten, der politische Debatten in Deutschland und im Westen überhaupt zu einer oft so konfusen und fruchtlosen Angelegenheit macht; und dass wir im Lichte dieser Erkenntnisse über das Wesen und die politische Funktion der Political Correctness klarer sehen und dabei Einiges über das Verhältnis zwischen dem Westen und dem Islam lernen werden. (Letzteres Thema werde ich aber erst im nächsten Beitrag am Sonntag oder Montag behandeln, damit dieser Artikel nicht uferlos lang wird.)

„Eine Begriffsbestimmung des Politischen kann nur durch Aufdeckung und Feststellung der spezifisch politischen Kategorien gewonnen werden. Das Politische hat nämlich seine eigenen Kriterien, die gegenüber den verschiedenen, relativ selbständigen Sachgebieten menschlichen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, Ästhetischen, Ökonomischen in eigenartiger Weise wirksam werden. Das Politische muss deshalb in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden kann. Nehmen wir an,  dass auf dem Gebiet des Moralischen die letzten Unterscheidungen Gut und Böse sind; im Ästhetischen Schön und Häßlich, im Ökonomischen … Rentabel und Unrentabel. Die Frage ist dann, ob es auch eine besondere, jenen anderen Unterscheidungen zwar nicht gleichartige und analoge, aber von ihnen doch unabhängige, selbständige und als solche ohne weiteres einleuchtende Unterscheidung als einfaches Kriterium des Politischen gibt und worin sie besteht.“ (S.26)

Das klingt nicht nur einleuchtend, es gehört sogar zu den zentralen Theoremen eines der Hauptstränge der modernen Soziologie, nämlich der Theorie funktinaler Differenzierung bzw. der Systemtheorie (für die hier stellvertretend der Name Niklas Luhmanns stehen soll), dass gesellschaftliches menschliches Denken und Handeln sich nach Sachgebieten gliedern lässt (in der Soziologie: gesellschaftlichen Teilsystemen, die als Kommunikationssysteme aufgefasst werden), die jeweils einer binären Leitunterscheidung folgen; zu den von Schmitt genannten Unterscheidungen wären also unter anderem hinzuzufügen: Legal/Illegal im Recht, Wahr/Unwahr in der Wissenschaft, Sieg/Niederlage im Sport, Öffentlich/Nichtöffentlich in der Publizistik usw. Die hohe Leistungsfähigkeit moderner Gesellschaften erklärt sich nach Luhmann daraus, dass jedes ihrer Teilsysteme auf eine einzige gesellschaftliche Funktion reduziert und daher in der Lage ist, die aus der Umwelt stammenden Informationen nach bloß einem grundlegenden Kriterium zu verarbeiten.

„Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.“ (S.26)

Die zentrale These.

Hier scheinen sich die Wege zu trennen: Der Soziologe betrachtet als Leitunterscheidung des Systems „Politik“ die von Regierung und Opposition, nicht die von Freund und Feind. Freilich ist der Gegensatz eher einer des leitenden Erkenntnisinteresses als ein solcher des Inhalts. Die Thesen widersprechen einander in Wahrheit nicht, und zwar deshalb, weil sie unterschiedliche Fragen beantworten:

Luhmann interessiert sich dafür, wie die moderne Gesellschaft funktioniert, und setzt deshalb den liberalen, demokratischen Rechtsstaat als Gegebenheit voraus, analysiert das politische System im Rahmen dieser Vorgabe und abstrahiert weitgehend von der Außenpolitik.

Schmitt dagegen fragt nach den Gesetzmäßigkeiten von Politik überhaupt. Die Voraussetzungen, die Luhmann umstandslos als gegeben ansieht – und im Rahmen seines Erkenntnisinteresses auch als gegeben ansehen darf -, stellen sich ja keineswegs von alleine ein, sondern sind ihrerseits von einer Voraussetzung abhängig: davon nämlich, dass die politischen Akteure die ihnen zugedachten Rollen tatsächlich spielen, d.h. mit verfassungskonformen Mitteln arbeiten, insbesondere keine Gewalt anwenden; dass keiner von ihnen versucht, den Staat und seine Ordnung durch Revolution von innen oder Krieg von außen zu eliminieren – dass also ein Feind entweder nicht vorhanden ist oder ausgeschaltet wird.

Der Staat, der seine Bürger vor Unrecht und Gewalt schützen soll, muss also zunächst seine eigene Existenz und innere Ordnung verteidigen. Da diese politisch nicht anders als durch einen Feind angefochten werden kann, ist es keineswegs eine willkürliche Setzung, sondern liegt in der Natur der Sache, dass Schmitt die Unterscheidung von Freund und Feind als primäre, die von Regierung und Opposition als bloß sekundäre politische Unterscheidung behandelt.

Innerhalb des Staates als einer organisierten politischen Einheit, die als Ganzes für sich die Freund-Feindentscheidung trifft, außerdem neben den primär politischen Entscheidungen und im Schutz der getroffenen Entscheidung ergeben sich zahlreiche sekundäre Begriffe von ‚politisch‘. (…) Doch bleibt auch hier stets ein – durch die Existenz der alle Gegensätze umfassenden politischen Einheit des Staates allerdings relativierter – Gegensatz und Antagonismus innerhalb des Staates für den Begriff des Politischen konstitutiv.“ (S.30)

Von daher ist auch klar, dass „Feindschaft“ etwas anderes meint als bloß irgendeine Form von Gegnerschaft:

„Denn zum Begriff des Feindes gehört die im Bereich des Realen liegende Möglichkeit eines Kampfes. (…) Ebenso wie das Wort Feind, ist hier das Wort Kampf im Sinne einer seinsmäßigen Ursprünglichkeit zu verstehen. Es bedeutet nicht Konkurrenz, nicht den ‚rein geistigen‘ Kampf der Diskussion … Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten.“ (S.33)

Das bedeutet aber keineswegs, dass Politik nur, oder auch nur überwiegend, aus Krieg und dessen Vorbereitung bestünde; Schmitts Theorie ist weder militaristisch noch sozialdarwinistisch:

„Der Krieg ist durchaus nicht Ziel und Zweck oder gar Inhalt der Politik, wohl aber ist er als reale Möglichkeit immer vorhandene Voraussetzung, die das menschliche Handeln und Denken in eigenartiger Weise bestimmt und dadurch ein spezifisch politisches Verhalten bewirkt.

Darum bedeutet das Kriterium der Freund- und Feindunterscheidung auch keineswegs, dass ein bestimmtes Volk ewig der Freund oder Feind eines bestimmten anderen sein müsste, oder dass eine Neutralität nicht möglich oder nicht politisch sinnvoll sein könnte. Nur steht der Begriff der Neutralität, wie jeder politische Begriff, ebenfalls unter dieser letzten Voraussetzung einer realen Möglichkeit der Freund- und Feindgruppierung, und wenn es auf der Erde nur noch Neutralität gäbe, so wäre damit nicht nur der Krieg, sondern auch die Neutralität selbst zu Ende, ebenso wie es mit jeder Politik, auch einer Politik der Vermeidung des Kampfes, zu Ende ist, wenn die reale Möglichkeit von Kämpfen überhaupt entfällt. Maßgebend ist immer nur die Möglichkeit dieses entscheidenden Falles, des wirklichen Kampfes, und die Entscheidung darüber, ob dieser Fall gegeben ist oder nicht.“ (S.34f.)

Feindschaft ist also durchaus nicht etwas Wünschenswertes oder auch nur Unvermeidliches – im Gegenteil, sie ist sogar äußerst gefährlich, und es ist in aller Regel kluge Politik, sie zu vermeiden, sie also gar nicht erst entstehen zu lassen – was aber voraussetzt, dass man sie als Möglichkeit einkalkuliert. Ist die Feindschaft entstanden, so bleiben immer noch mannigfache Optionen, sich zum Feind zu verhalten: Man kann unter Umständen durchaus versuchen, ihn zu versöhnen – ebenso wie man versuchen kann, ihn auszumanövrieren, einzudämmen oder eben zu vernichten. Nur Eines kann man nicht: ihn ignorieren. Die Unterscheidung von Freund und Feind macht nicht deswegen das Wesen des Politischen aus, weil Feindschaft erstrebenswert wäre, sondern weil eine politische Einheit, die nicht in der Lage ist, einen tatsächlich vorhandenen Feind als solchen zu identifizieren und gegebenenfalls auch zu bekämpfen, ihm zu Opfer fällt und aufhört zu existieren.

Der aktuelle (1927) Hintergrund, auf den Schmitt sich bezieht, ist die Weimarer Republik, der er abspricht, eine politische Einheit zu sein, eben weil sie strukturell nicht in der Lage sei, die Freund-Feind-Unterscheidung zu treffen. In seinem „Corollarium I: Übersicht über die verschiedenen Bedeutungen und Funktionen des Begriffes der innerpolitischen Neutralität des Staates (1931)“, das dem „Begriff des Politischen“ als Anhang beigefügt ist, setzt er sich mit dem Verfahren zur Änderung der Weimarer Reichsverfassung gemäß deren Artikel 76 auseinander:

„Solche Vorstellungen von einer Neutralität der gleichen Chance bei der staatlichen Willensbildung liegen auch … der [von Schmitt abgelehnten, der Verf.] herrschenden Auffassung des Art. 76 RV zugrunde. Nach ihr enthält Art. 76 nicht nur eine Bestimmung über Verfassungsänderungen …, sondern er begründet auch eine schranken- und grenzenlose, absolute Allmacht und eine verfassunggebende Gewalt. (…) Diese herrschende Auffassung des Art. 76 nimmt der Weimarer Verfassung ihre Substanz und ihren ‚Boden‘ und macht sie zu einem gegenüber jedem Inhalt indifferenten, neutralen Abänderungsverfahren, das namentlich auch der bestehenden Staatsform gegenüber neutral ist. Allen Parteien muss dann gerechterweise die unbedingt gleiche Chance gegeben werden, sich die Mehrheiten zu verschaffen, die notwendig sind, um mit Hilfe des für Verfassungsänderungen geltenden Verfahrens ihr angestrebtes Ziel – Sowjet-Republik, nationalsozialistisches Reich, wirtschaftsdemokratischer Gewerkschaftsstaat, berufsständischer Korporationsstaat, Monarchie alten Stils, Aristokratie irgendwelcher Art – und eine andere Verfassung herbeizuführen.“ (S.98f.)

Genau diesem Konstruktionsfehler ist die Weimarer Republik, soweit es die staatsrechtliche Seite angeht, auch zum Opfer gefallen: Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, mit dem die gesamte gesetzgebende Gewalt auf die Reichsregierung – sprich auf Hitler – übertragen wurde und dieser praktisch uneingeschränkte Vollmacht gab, von der Verfassung abzuweichen, war verfassungsmäßig legal.

(Zumindest inhaltlich, und nur darauf kommt es hier an. Ob sein Zustandekommen verfassungskonform war, das Dritte Reich also tatsächlich legal errichtet wurde, steht auf einem anderen Blatt: Die Regierung Hitler hat vor der Wahl vom 5. März 1933 die KPD verboten, sie dann trotzdem an der Wahl teilnehmen lassen, um hinterher unter Berufung auf das Verbot ihre Mandate zu annullieren. Ein solches Vorgehen spottet jeder staatsrechtlichen Würdigung und lässt zumindest erhebliche Zweifel zu, ob der Reichstag in seiner so manipulierten Zusammensetzung überhaupt befugt war, auch nur irgendetwas zu beschließen, geschweige denn die Außerkraftsetzung der Verfassung.)

Eine solche Verfassung mit der eingebauten Möglichkeit zur Selbstabschaffung ist äußerst ungewöhnlich:

„Die Leistung eines normalen Staates besteht aber vor allem darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, ‚Ruhe, Sicherheit und Ordnung‘ herzustellen und dadurch eine normale Situation zu schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, dass Rechtsnromen überhaupt gelten können, weil jede Norm eine normale Situation voraussetzt und keine Norm für eine ihr gegenüber völlig abnorme Situation Geltung haben kann.

Diese Notwendigkeit innerstaatlicher Befriedung führt in kritischen Situationen dazu, dass der Staat als politische Einheit von sich aus, solange er besteht, auch den ‚inneren Feind‘ bestimmt. In allen Staaten gibt es deshalb in irgendeiner Form das, was das Staatsrecht der griechischen Republiken als polemos-Erklärung, das römische Staatsrecht als hostis-Erklärung kannte, schärfere oder mildere, ipso facto eintretende oder auf Grund von Sondergesetzen justizförmig wirksame, offene oder in generellen Umschreibungen versteckte Arten der Ächtung, des Bannes, der Proskription, Friedloslegung, hors-la-loi-Setzung, mit einem Wort, der innerstaatlichen Feinderklärung. (…) Für einen konstitutionellen bürgerlichen Rechtsstaat gilt das, trotz aller verfassungsgesetzlichen Bindungen des Staates, nicht weniger, sondern eher noch selbstverständlicher als für jeden anderen Staat. Denn im ‚Verfassungsstaat‘ ist, wie Lorenz von Stein sagt, die Verfassung ‚der Ausdruck der gesellschaftlichen Ordnung, die Existenz der staatsbürgerlichen Gesellschaft selber. So wie sie angegriffen wird, muss sich daher der Kampf außerhalb der Verfassung und des Rechts, also mit der Gewalt der Waffen entscheiden.‘

(…) Die abgeschwächten Formen der hostis-Erklärungen sind zahlreich und verschiedenartig: Konfiskationen, Expatriierungen, Organisations- und Versammlungsverbote, Ausschluss von öffentlichen Ämtern usw.“ (S.46ff.)

Wer dies für einen antidemokratischen oder gar totalitären Ansatz hält, sollte sich bewusst machen, dass das Grundgesetz einen ganzen Katalog von Sanktionen gegen Verfassungsfeinde bereithält: vom Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen (Art. 9 Abs.2) und Parteien (Art. 21 Abs. 2) über die Verwirkung von Grundrechten (Art. 18), das Widerstandsrecht gegen Putschisten (Art. 20 Abs. 4) bis hin zum Einsatz der Streitkräfte gegen Aufständische (Art. 87a Abs.4). Das darin konkretisierte Konzept der „militanten Demokratie“ bedeutet ein Diskriminierungsgebot zu Lasten von Verfassungsfeinden, also die verfassungsrechtliche Festschreibung der – Unterscheidung von Freund und Feind.

Die bundesdeutsche Linke freilich hat dies sehr wohl erkannt, daraus aber nicht den Schluss gezogen, dass Schmitts Theorie richtig, sondern den, dass die Bundesrepublik ein „faschistoider“ Staat sei. Es schien ihr nicht aufzufallen, wie sehr sie ihre eigenen Absichten demaskierte, wenn sie ein demokratisches Gemeinwesen schon deswegen diffamierte, weil es ein solches zu bleiben gedachte.

Damit kommen wir zu den schon angekündigten schlechten Gründen, aus denen weite Teile der deutschen Öffentlichkeit Schmitts Ideen tabuisieren:

Seine Thesen sind dem Aussagetypus nach empirischer Natur – was noch nicht bedeutet, dass sie richtig sein müssen, sondern dass sie sich auf Tatsachen und nicht auf Normen beziehen. Er beschreibt die Welt, wie sie seiner Meinung nach tatsächlich ist, nicht wie sie sein sollte. Er geht dabei nicht davon aus, dass der Mensch von Natur aus gut sei. Viele Menschen lehnen Theorien dieser Art ab, weil die Konsequenzen, die aus ihnen zu ziehen wären, ihren Wertvorstellungen zuwiderlaufen:

„Theoretiker der Politik wie Macchiavelli, Hobbes, öfters auch Fichte, setzen mit ihrem ‚Pessimismus‘ in Wahrheit nur die reale Wirklichkeit oder Möglichkeit der Unterscheidung von Freund und Feind voraus. Bei Hobbes, einem großen und wahrhaft systematischen politischen Denker, sind daher die ‚pessimistische‘ Auffassung des Menschen, ferner seine richtige Erkenntnis, dass gerade die auf beiden Seiten vorhanden Überzeugung des Wahren, Guten und Gerechten die schlimmsten Feindschaften bewirkt, endlich auch das ‚Bellum‘ Aller gegen Alle nicht als Ausgeburten einer furchtsamen und verstörten Phantasie, … sondern als die elementaren Voraussetzungen eines spezifisch politischen Gedankensystems zu verstehen.

Weil sie immer die konkrete Existenzialität eines möglichen Feindes im Auge haben, bekunden diese politischen Denker oft eine Art Realismus, die geeignet ist, sekuritätsbedürftige Menschen zu erschrecken. Man darf … doch wohl sagen, dass die Menschen im allgemeinen, wenigstens solange es ihnen erträglich oder sogar gut geht, die Illusionen einer ungefährdeten Ruhe lieben und ‚Schwarzseher‘ nicht dulden.

(…)

Dieses Schicksal ist Macchiavelli widerfahren, der, wenn er ein Macchiavellist gewesen wäre, statt des Principe wohl eher ein aus rührenden Sentenzen zusammengesetztes Buch geschrieben hätte.“ (S.64f.)

Die reflexhafte, nicht auf Argumente gestützte Ablehnung von Theorien dieser Art basiert ihrer Aussagenlogik nach auf dem Fehlschluss von der Bejahung einer Norm auf die Wahrheit einer Tatsachenbehauptung; ein paar Beispiele:

Die normativ-wertende Aussage, dass Krieg niemals wünschenswert sei, lässt logisch nicht den Schluss zu, er sei (empirisch) niemals notwendig.

Wenn man sagt, Politik solle dem Wohl der Bürger dienen, so rechtfertigt dies keineswegs den Schluss, Macht spiele in der Politik keine Rolle.

Gleiches Einkommen für Jeden kann man wünschenswert finden. Aus diesem Wunsch aber bereits die Schlussfolgerung zu ziehen, dies sei erreichbar, wäre eine Verletzung der Formallogik.

Für die Auffassung, Männer und Frauen seien in ihren psychischen und kognitiven Strukturen wesentlich gleich, lassen sich zweifellos viele gute Argumente finden. Die Norm, dass sie gleichberechtigt sind, ist aber kein solches Argument.

In gewisser Hinsicht basiert das gesamte Denken der politischen Linken auf dieser fehlerhaften Logik: Ich hatte an anderer Stelle gezeigt, dass die politische Identität der Linken auf der Akzeptanz einer normativ wertenden Prämisse basiert, nämlich auf der Ablehnung jeglichen gesellschaftlichen Machtungleichgewichts, und zwar ohne Rücksicht auf dessen etwaige Funktionalität, d.h. unter systematischer Missachtung der empirischen Voraussetzungen für das Funktionieren von Gesellschaft schlechthin. Daher ist die Linke, wenn sie ihre Identität bewahren will, geradezu darauf angewiesen, Wunsch und Wirklichkeit zu vermengen.

Dabei ist oft schwer zu sagen, wo die kindische, als solche aber aufrichtige Naivität aufhört und die zynische Heuchelei anfängt, die bloß anderer Leute Naivität ausbeutet:

„Den politischen Gegnern einer klaren politischen Theorie wird es deshalb nicht schwer, die klare Erkenntnis und Beschreibung politischer Phänomene und Wahrheiten im Namen irgendeines autonomen Sachgebiets als unmoralisch, unökonomisch, unwissenschaftlich und vor allem – denn darauf kommt es politisch an – als bekämpfenswerte Teufelei hors-la-loi zu erklären.“ (S.65)

Genau so funktioniert Political Correctness.

Die empörte Ablehnung der These, dass die Freund-Feind-Unterscheidung den Kern des Politischen ausmache, kann eine mächtige Waffe sein, mit der man – wen wohl? – den Feind bekämpft (und die linke Herrschaftskritik wird bekanntlich schnell leise, wenn es um ihre eigene Herrschaft geht). Normative Wertvorstellungen unterliegen der moralischen Leitunterscheidung „Gut/Böse“, wobei es in der Natur der Sache liegt, dass Jeder seine eigenen Werte für „gut“, entgegenstehende für „böse“ hält. Wenn ich von der Gültigkeit von Werten auf die Wahrheit von Tatsachenbehauptungen schließe, dann stempele ich bestimmte Meinungen als böse, und nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, auch als unwahr ab. So entsteht ein totalitär geschlossenes Denksystem, das sich selbst bestätigt und gegen Überprüfung immunisiert.

Belustigen könnte die Vehemenz, mit der Schmitts Ansatz der Freund-Feind-Unterscheidung ausgerechnet von der Linken abgelehnt wird – einer politischen Richtung, deren Verlautbarungen von Vokabeln wie „Kampf“, „Widerstand“ und „Klassenfeind“ nur so strotzen. Die prominente Rolle, die allein das Wortpartikel „anti-“ spielt (antifaschistisch, antikapitalistisch, antiimperialistisch, antizionistisch, antimilitaristisch etc.), sollte ausreichen, die politisch korrekte Linke der blanken Heuchelei zu überführen. Der „Anti-Schmittianismus“ der Linken hat nicht etwa den Sinn, die Feinderklärung schlechthin aus der Welt zu schaffen, schon gar nicht den, selbst darauf zu verzichten, sondern zu verhindern, dass die eigene politische Einheit, sei es der eigene Staat, sei es der Westen als Ganzes, eine solche Unterscheidung vornehmen kann.

Damit bin ich für heute am Ende. Ich glaube gezeigt zu haben, dass Schmitt ein vernünftiges und allgemeingültiges Kategoriensystem entwickelt hat. Ob es brauchbar ist, muss sich, wie bei jeder Theorie, in der Anwendung erweisen. Beim nächsten Mal werde ich sie also testen. Am Islam.

Gelesen: Bryan Ward-Perkins, Der Untergang des Römischen Reiches und das Ende der Zivilisation

…und was das mit uns zu tun hat

Jahrhundertelang haben im Westen nur Wenige bezweifelt, dass das Ende des (west-)römischen Reiches die größte Katastrophe war, die jemals das Abendland heimgesucht hat -und dies auch im Vergleich zu den Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts.

„In Europa gehen die Lichter aus“, sagte der britische Außenminister Sir Edward Grey bei Kriegsausbruch 1914, „und wir werden es nicht mehr erleben, dass sie angezündet werden“. Das stimmte für ihn und seine Generation, aber einige Jahrzehnte später – im Westen nach 1945, im Osten nach 1989 – war Europa so weit, die Lichter wieder anzuknipsen, und musste dafür tatsächlich nicht viel mehr tun, als einen Schalter umzulegen.

Der Untergang Roms dagegen bedeutete, dass es fast tausend Jahre dunkel blieb.

So zumindest lautet seit Renaissance und Aufklärung das vorherrschende Geschichtsbild gebildeter Europäer. Völlig unangefochten war es nie: Christliche, speziell katholische, Historiker hatten schon immer nach Kräften versucht, das „finstere Mittelalter“ zu rehabilitieren – war es doch zugleich die Zeit unangefochtener Herrschaft der Kirche gewesen. Deutschnationale Historiker wiederum schwelgten geradezu in der Kaiserherrlichkeit des Mittelalters, sahen in der Zerstörung der römischen Zivilisation ein Zeichen der Überlegenheit des Germanentums und verklärten als „germanische Lebenskraft“, was vordem zu Recht als Barbarei gegolten hatte.

Ob aus christlicher oder nationalistischer Sicht: Die Verachtung des spätkaiserlichen Rom und die Verklärung des Mittelalters war immer das Geschichtsbild der Reaktion und der Gegenaufklärung gewesen.

Ich selbst bin kein Geschichtswissenschaftler und deshalb über die Debatten unter Althistorikern nicht auf dem Laufenden; daher bin ich erst durch das Buch des Archäologen und Historikers Bryan Ward-Perkins darauf aufmerksam geworden, dass es in den letzten Jahrzehnten Mode geworden zu sein scheint, den Untergang der römischen Zivilisation zu einem freundlichen „Übergang“ zu stilisieren und das enorme Zivilisationsgefälle zwischen Antike und Mittelalter kleinzureden.

Nach diesem – von Ward-Perkins heftig kritisierten – Geschichtsbild waren die Germanen nicht etwa als brutale Eroberer und Plünderer ins Römische Reich eingefallen, sondern friedlich „eingewandert“ und hätten sich „integriert“. Die Verträge, mit denen die Römer die gewaltsame Landnahme bisweilen legalisierten (und die von den Germanen regelmäßig gebrochen wurden), seien nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel gewesen; und Rom habe sie auch keineswegs unter dem Druck militärischer Niederlagen geschlossen (um sich gegenüber den brandschatzenden Horden wenigstens Atempausen zu verschaffen), sondern im Zuge einer wohlüberlegten und vorausschauenden Integrationspolitik (die gleichsam nur versehentlich zum Ende des Reiches geführt habe). Der dramatische Verfall der Baukunst im frühen Mittelalter deute lediglich auf veränderten architektonischen Geschmack hin, das Ende der Geldwirtschaft sei bloß eine gewisse Umstrukturierung gewesen, das antike Geistesleben, Kunst und Philosophie, sei nur christianisiert worden usw.

Ward-Perkins überprüft diese Thesen, indem er eine Reihe von Indikatoren untersucht, die der historischen und archäologischen Forschung zugänglich sind: Von der Verbreitung des Schriftgebrauchs über die Nutzung hochwertiger Güter (insbesondere Keramik), die Größe und Qualität von Bauten, die Nutzung von Münzen bis hin zur Schulterhöhe von Rindern.

Er interpretiert seine Befunde durchaus zurückhaltend, gibt auch zu, wo die Daten eine alternative Interpretation zulassen. Überhaupt bestechen die Fairness der Darstellung ebenso wie ihre Anschaulichkeit und der leichtfüßige Stil – die klassischen Tugenden der angelsächsischen Geschichtsschreibung machen Ward-Perkins‘ Buch zu einer nicht nur informativen, sondern auch ausgesprochen angenehmen Lektüre.

Bei aller Abgewogenheit ist das Ergebnis doch eindeutig: Während des 5. und 6. Jahrhunderts verschwanden auf dem Gebiet des weströmischen Reiches alle Güter, deren Produktion von einem komplexen System gesellschaftlicher Arbeitsteilung abhängt – von hochwertigem Essgeschirr bis zur Philosophie, vom Ziegeldach bis zur Kanalisation, von der Kupfermünze bis zur öffentlichen Sicherheit. Die Wirtschaft zerfiel in kleinräumige Einheiten bis hin zur Subsistenz- und Tauschwirtschaft. Der Lebensstandard gerade armer Menschen fiel auf vorantikes Niveau.

Was da verschwand, war schlicht und einfach: die Zivilisation.

Den Prozess, der zu diesem Ergebnis führte, beschreibt Ward-Perkins als eine Abwärtsspirale nach Art eines Teufelskreises: Das Römische Reich besaß eine Berufsarmee, seine Sicherheit war mithin von Steuereinnahmen abhängig. Steuern konnten nur von Provinzen aufgebracht werden, die nicht verwüstet waren. Diese gegenseitige Abhängigkeit – der Sicherheit von den Einnahmen, der Einnahmen von der Sicherheit – war die Achillesferse des Reiches. Kleinere Einbrüche konnte das System verkraften, nicht aber die immer schnellere Abfolge germanischer Plünderungsfeldzüge, die ab 401 nacheinander mehrmals Italien (gipfelnd in der Plünderung Roms 410), Gallien, Britannien, Spanien und schließlich Afrika heimsuchten:

„Historiker debattieren darüber, wann genau die militärische Stärke der römischen Armee abnahm. Meiner Meinung nach wird das Chaos im ersten Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts einen plötzlichen und dramatischen Abfall der Leistungsfähigkeit verursacht haben. Einige der verlorenen Gebiete erlangte man im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts zeitweise zurück; aber viele (ganz Britannien und ein großer Teil Galliens und Spaniens) wurden niemals mehr wiedergewonnen, und selbst zurückeroberte Provinzen brauchten viele Jahre, um steuerlich wieder vollständig zu gesunden – wie wir gesehen haben, musste die Steuererleichterung [von achtzig Prozent! d.Verf.], die den Provinzen Italiens 413 bewilligt worden war, 418 verlängert werden, obwohl Italien in den Jahren dazwischen von weiteren Angriffen verschont geblieben war. Darüber hinaus war die Erholung des Imperiums nur kurzlebig; im Jahr 429 wurde ihr durch die erfolgreiche Überfahrt der Vandalen nach Afrika und die Verwüstung der letzten verbliebenen sicheren Steuerbasis des Westreiches ein endgültiges Ende gesetzt. Bis 444, als Valentinian III. eine neue Umsatzsteuer einführte, hatte die Situation gewiss ein prekäres Stadium erreicht. In der Präambel zu diesem Gesetz erkannte der Kaiser die dringende Notwendigkeit an, die Stärke der Armee durch Extragelder zu erhöhen, beklagte aber die augenblickliche Lage, in der ‚weder für die neu rekrutierten Truppen noch für die alte Armee genug Mittel von den ausgelaugten Steuerzahlern erhoben werden können, um sie mit Nahrung und Kleidung zu versorgen.'“ (S.52f.)

Wenn der Befund, dass das Ende des Römischen Reiches den Zusammenbruch nicht nur einer Zivilisation, sondern – für Europa – der Zivilisation schlechthin bedeutete, wie kommt es dann, dass in den letzten Jahrzehnten ein Paradigma Raum gewinnen konnte, vielleicht sogar vorherrschend geworden ist, das etwas ganz Anderes nahelegt?

Ward-Perkins führt mehrere Gründe an, die alle etwas mit den politisch-ideologischen Trends der Nachkriegszeit zu tun haben:

Erstens hat das Image der alten Germanen etwas mit der Einstellung zu Deutschland zu tun. Je weiter der Zweite Weltkrieg zurückliegt, desto beliebter wird Deutschland, und je beliebter Deutschland ist, desto besser sehen die Goten aus. Das ist zwar sachlich absurd, aber psychologisch irgendwie nachvollziehbar.

Zweitens benötigt das sich einende Europa so etwas wie einen historischen Mythos, und den liefert eher das nachrömische christliche Abendland (speziell das Frankenreich) als das Imperium Romanum, zu dem weite Teile des heutigen EU-Gebietes gar nicht gehörten, wohl aber Nordafrika und der Nahe Osten.

Drittens ist mit dem Niedergang des Marxismus auch das Interesse an Wirtschaftsgeschichte zurückgegangen, und überhaupt sind für eine „postmoderne“, „postmaterialistische“ Gesellschaft religions- und kulturgeschichtliche Fragen offenbar interessanter als die „harte“ Politik-, Wirtschafts- oder gar Militärgeschichte.

Viertens aber – und hier wird es brisant und hochaktuell – haben wir es hier mit den Auswirkungen einer kulturrelativistischen Political Correctness zu tun (Ward-Perkins selbst benutzt diesen Ausdruck allerdings nicht), die prinzipiell von der Gleichwertigkeit aller Kulturen ausgeht, das Wort „Zivilisation“ auf keinen Fall im wertenden Sinne verwenden will – also wenn überhaupt, dann nur im Plural und auf keinen Fall als Gegensatz zur Barbarei. Barbarei gibt es nicht, es gibt höchstens „andere Kulturen“. Und gar Imperien! Na, die sind doch von vornherein bäbäh.

„Ich denke auch, es liegt eine wirkliche Gefahr für die Gegenwart in einer Vorstellung der Vergangenheit, die sich explizit vornimmt, jede Krise und jeden Niedergang auszuradieren. Das Ende des römischen Westens erlebte Schrecken und Verwerfungen einer Art, von der ich ehrlich hoffe, sie nie durchleben zu müssen; und es zerstörte eine komplexe Zivilisation, wobei die Bewohner des Westens auf einen Lebensstandard, der typisch für prähistorische Zeit war, zurückgeworfen wurden. Die Römer waren vor dem Untergang genauso wie wir heute sicher, dass ihre Welt für immer im Wesentlichen unverändert bleiben würde. Sie lagen falsch. Wir wären gut beraten, nicht so selbstgefällig zu sein.“ (S.190)

Ward-Perkins beschließt sein Buch mit diesen vorsichtigen Andeutungen, ohne sie weiter auszuführen. Das ist sein gutes Recht, schließlich schreibt er als Historiker, nicht als politischer Essayist, erst recht nicht als Agitator.

Es ist ja auch so eine Sache mit den „Lehren aus der Geschichte“ – oft genug lernt man genau das Falsche (wie Ludwig XVI. von Frankreich zu seinem Leidwesen erfahren musste, der auf keinen Fall wie Karl I. von England auf dem Schafott enden wollte, und gerade deshalb eine wankelmütige Politik trieb, die ihn schließlich auf eben dieses Schafott brachte). Das heißt aber nicht, dass es überhaupt nichts aus der Geschichte zu lernen gäbe. Wenn ich auch keinem Historiker unterstelle, die Geschichte direkt fälschen zu wollen, so ist es doch verblüffend, wie passgenau das neue „postmoderne“ Paradigma eines sanften Übergangs von der Antike zum Mittelalter auf die Bedürfnisse einer ganz bestimmten politischen Agenda zugeschnitten zu sein scheint:

Was dem Reich in der letzten Phase seiner Existenz fehlte, war militärische Stärke. Das ist offensichtlich und wird von niemandem bestritten. Bestritten wird, dass es diese Stärke überhaupt benötigte. Die römisch-germanischen Ansiedlungsverträge, z.B. mit den Goten 382 und 419, seien kluges Konfliktmanagement gewesen und hätten militärische Gewalt überflüssig gemacht.

Was es tatsächlich mit diesen Verträgen auf sich hatte, habe ich oben schon beschrieben: Sie waren das Ergebnis militärischer Niederlagen, wurden von den Germanen zuerst mit Gewaltandrohung erzwungen und dann nach Belieben verletzt. Natürlich fehlte es schon damals nicht an Schönrednern, die das militärische Versagen der Kaiser zu humanitären Großtaten umlogen; wenn aber anderthalb Jahrtausende später Historiker derlei groteske Propaganda ernstnehmen, so ist die Vermutung naheliegend, dass hier die Auswirkungen eines ideologisch verinnerlichten Pazifismus zu besichtigen sind, der niemals und unter keinen Umständen konzedieren kann, dass militärische Stärke und die Bereitschaft, von ihr Gebrauch zu machen, jemals etwas Gutes sein könnten.

Wer so denkt, braucht auch keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass es problematisch sein könnte, wenn eine komplexe Gesellschaft so vollständig entmilitarisiert wird wie die römische – und unsere heutige. Das, was wir heute die „postheroische“ Mentalität nennen, existierte unter römischen Zivilisten auch damals schon. Zur Aufstellung größerer Truppenverbände fehlte den Römern nicht nur das Geld – es fehlten Soldaten! Wohl wollte der römische Bürger beschützt werden – aber selber in der Armee dienen? Um Gottes willen! An eine Wehrpflicht, wie sie bis zum Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts existiert hatte, war nicht zu denken, und so mussten die Kaiser teils auf ausländische (wiederum: Germanen!), teils auf minderwertige Truppen zurückgreifen, auf Sklaven zum Beispiel.

Jahrhundertelang hatten die Legionen nur die Grenze zu schützen gehabt, und so lange hatte ihre qualitative Überlegenheit die geringe Mannschaftsstärke kompensiert. Tödlich wurde diese Schwäche erst, als es im späten 4. und im 5. Jahrhundert darum ging, die Fläche zu verteidigen und die staatliche Ordnung als solche aufrechtzuerhalten.

Der moderne Westen ist mit solchen Problemen nur – aber immerhin schon! – insofern konfrontiert, als sie es ihm erschweren, fremdes Territorium zu kontrollieren (Irak, Afghanistan). Die innere Sicherheit können wir noch getrost der Polizei überlassen. Sollte sich dies eines Tages ändern, könnte sich die postheroische Mentalität nicht nur, wie bisher schon, als problematisch, sondern als fatal entpuppen.

Überhaupt bestand das Problem der Römer nicht so sehr darin, dass die Barbaren ihnen die eine oder andere Provinz abgeknöpft hätten, um sie selbst zu beherrschen: Britannien etwa den Angelsachsen zu überlassen hätte schwerlich den Bestand des Reiches gefährdet. Das Problem war vielmehr, dass die Germanen innerhalb des Reiches eine Provinz nach der anderen verwüsteten. Die Germanen waren in erster Linie am Kampf an sich, in zweiter an Beute und erst dann an Herrschaft über ein abgrenzbares Territorium interessiert. Das Reich ähnelte daher in seiner Endphase eher einem heutigen „failed state“ vom Schlage Somalias als einer kriegführenden Macht. Wieder so eine Parallele, die dem postmodernen Gutmenschen übel aufstoßen muss.

Man ist im Westen – durchaus zu Recht – stolz darauf, dass die moderne Demokratie vielfältige Mechanismen entwickelt hat, gesellschaftliche Konflikte und Probleme friedlich und ohne direkte staatliche Gewaltanwendung zu lösen. Vergessen wird oft, dass diese Mechanismen nur deswegen und nur so lange funktionieren, wie der Staat notfalls Gewalt anwenden kann.

Auch dies gehört nämlich zu den Lehren aus der römischen Geschichte, die gewisse Menschen nicht zur Kenntnis nehmen möchten, weil sie jeglichem pazifistischen Illusionismus den Garaus machen würden: Die Ansiedlungsverträge mit den Germanen hätten als freundliches Entgegenkommen durchaus eine Befriedungswirkung haben können – wenn Rom in der Lage gewesen wäre, ihre Einhaltung zu erzwingen; so aber waren sie wertlos.

Nun ist die Auflösung der Staatsgewalt ein Prozess, der durchaus nicht nur Länder wie Somalia betrifft. Speziell die Großstädte – nicht nur der Dritten, sondern auch der Ersten Welt – weisen wachsende weiße Flecken auf, in denen die Staatsgewalt faktisch nicht mehr vertreten ist, und die in vielen Ländern bereits existierenden Reichen-Gettos, wo sich die Wohlhabenden gleichsam auf Inseln der Ordnung im Meer des Chaos verschanzen, haben eine frappierende Ähnlichkeit mit römischen Garnisonsstädten, die von ihren Besatzungen oft jahrelang gehalten wurden, während in dem sie umgebenden Land die Barbaren tobten. Man sollte sich also keineswegs darauf verlassen, dass solche Zustände „bei uns nicht möglich wären“.

Wenn die brutalen Raubzüge der Germanen als „Integration“ und „Immigration“ verniedlicht werden, so erkennt man schon an der Wortwahl, woher der Wind weht. Einer der entscheidenden Fehler der römischen Reichspolitik – der aus ebenso naheliegenden wie höchst aktuellen Gründen nicht als solcher benannt werden darf – war, dass man die Germanen überhaupt in großen Massen auf das eigene Territorium gelassen hat; kleine Gruppen hatte man schon früher aufgenommen und dezentral angesiedelt – was schnell dazu führte, dass sie sich an die vorherrschende „Romanitas“ anpassten und loyale Bürger wurden. Beim Gotenvertrag von 382 ging es aber darum, ein Großkollektiv aufzunehmen – mit eigenen politischen Führern und umfassender – sogar militärischer – Autonomie.

Eine Anpassung an die Romanitas fand unter diesen Umständen nicht statt und konnte auch nicht stattfinden. Vielmehr wurde die Mentalität des germanischen Kriegers konserviert, der Kriegführen und Beutemachen als eine Frage der „Ehre“ ansah und für die unheroische Lebensweise der Römer nur Verachtung übrig hatte. Konserviert wurde sie dadurch, dass es den Germanen erlaubt war, als kompakte Einheit, als Staat im Staate, als Gesellschaft in der Gesellschaft zu existieren. Es gab für sie keinen Grund, sich anzupassen. Im Gegenteil: Als „heroische“, an Begriffen der „Ehre“ orientierte Gesellschaft, in der Gewaltanwendung als Tugend, zumindest aber nicht als Makel galt, konnten sie mit der postheroischen römischen Gesellschaft machen, was sie wollten; und das wussten sie auch.

Kommt uns das irgendwie bekannt vor?

[Siehe zu diesem Thema auch das Interview des Deutschlandfunks mit dem Archäologen Michael Schmauder]

Ist das schon rassistisch?

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) und ihr umstrittener Vorsitzender Christoph Blocher werben mit diesem Plakat um Wählerstimmen:

SVP Plakta Schwarzes Schaf

„…die Art und Weise, wie sie mit dem Schüren von Überfremdungsangst auf Stimmenfang geht, hat dieses Jahr selbst den UN-Berichterstatter für Rassismus, Doudou Diène, auf den Plan gerufen. Er verlangte den Rückzug des SVP-Wahlplakats, auf dem ein schwarzes Schaf aus dem Land ‚befördert‘ wird.“

Sollte bei den Vereinten Nationen nicht bekannt sein, dass der Ausdruck „Schwarzes Schaf“, der hier visualisiert wird, im Deutschen mitnichten einen Menschen schwarzer oder dunkler Hautfarbe bedeutet, sondern eine Metapher für Menschen ist, die sich unlauterer oder krimineller Praktiken bedienen? Und dass dieses Plakat daher – für jeden Menschen deutscher Muttersprache offensichtlich – die Ausweisung von Kriminellen fordert?

Das könnte man meinen – Deutsch gehört bekanntlich nicht zu den Amtssprachen der Vereinten Nationen -, gäbe es nicht auch im Englischen den Ausdruck „Black Sheep“:

  1. A sheep with black fleece.
  2. A member of a family or other group who is considered undesirable or disreputable.

Also wieder keine rassistischen Implikationen. 

Es gehört zur Souveränität eines Staates, darüber entscheiden zu können, wen er auf seinem Territorium duldet und wen nicht. Unter Gesichtspunkten der Rechtsstaatlichkeit ist dagegen nichts einzuwenden, solange die Ausweisung

a) nicht willkürlich, sondern auf der Grundlage von Gesetzen erfolgt; der Gleichheitsgrundsatz steht dem nicht entgegen – er verpflichtet den Gesetzgeber nur, materiell Gleiches gleichzubehandeln, berechtigt ihn aber auch, materiell Ungleiches ungleich zu behandeln. Im Hinblick auf das Aufenthaltsrecht ist die Staatsangehörigkeit ein zulässiges Unterscheidungskriterium. Eine Pflicht zur Duldung von Straftätern gibt es nicht.

b) sich nicht gegen eigene Staatsbürger richtet; es versteht sich von selbst, dass Staatsbürger ein Aufenthaltsrecht im eigenen Land haben. (Wahrscheinlich würde Blocher am liebsten alle Kriminellen ausweisen, auch die mit Schweizer Pass, aber das geht in einem Rechtsstaat nun einmal nicht, und er fordert es auch nicht.)

Von Rassismus kann also nicht die Rede sein, wohl aber von „political correctness“ im verächtlichen Sinne des Wortes: Hier wird eine Forderung, die man richtig oder falsch finden kann, die aber weder rassistisch noch undemokratisch oder illegitim ist, nicht mit Argumenten bekämpft, sondern mit moralischer Verdammung. Es geht offensichtlich nicht darum, Minderheiten zu schützen, sondern missliebige Meinungen mundtot zu machen. Es geht darum, demokratischen Staaten die Verfolgung völlig legitimer Eigeninteressen zu verwehren.

Und es hat ä Gschmäckle, wenn eine Organisation wie die Vereinten Nationen, die überwiegend Staaten vertritt, die die Menschenrechte mit Füßen treten, ausgerechnet auf der Schweiz herumhackt, einer der ältesten und stabilsten Demokratien der Welt. Was hier stattfindet, ist der Versuch, den Westen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen: Aus dem Katalog der westlichen Werte, auf den die UNO sich verbal immer noch beruft – Menschenrechte, Demokratie, Gleichheit, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit -, pickt man sich genau diejenigen heraus (Antirassismus), die man gegen den Westen einsetzen zu können glaubt (und wenn man die Anklagen noch so sehr an den Haaren herbeizerren muss), und lässt den Rest unter den Tisch fallen.

Dass die vereinigten Gutmenschen aller westlichen Länder gierig nach der Gelegenheit zur Selbstgeißelung greifen und sich vor den Karren einer antidemokratischen Agenda spannen lassen – nun, wen wundert das noch?

[Zum selben Thema hier noch ein paar Anmerkungen von Roger]