Deutschland schafft sich ab. Broder: „Na und?“

Aus der heutigen Feuilleton-Presseschau von Spiegel.de:

Drei Seiten sind dem radikalen Islamismus gewidmet. Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samed begutachten im Interview die deutsche Angst. Sagt Abdel-Samed: „Die deutsche Angst ist eine Angst vor Veränderung.  Hier ist so lange nichts passiert, dass die Menschen die statische Gesellschaft für das Maß aller Dinge halten. Broder: Da geh ich mit. Das ist auch meine einzige Kritik an Thilo Sarrazin, dass er auf dieser Panikwelle mitschwimmt. Deutschland schafft sich ab. Na und? Gesellschaften schaffen sich öfter mal ab und nicht zwangsläufig zu ihrem Nachteil.

(Quelle: Heute in den Feuilletons – SPIEGEL ONLINE )

Ach so? Nun, Herr Broder, wenn das so ist, dann kann ich mit der perfekten Lösung für den Nahostkonflikt aufwarten, nämlich der Ein-Staat-Lösung: Israel annektiert den Gazastreifen und das Westjordanland und gewährt all dessen Bewohnern das volle israelische Bürgerrecht, selbstverständlich einschließlich des Wahlrechts und des Rechts auf freie Niederlassung im gesamten Staatsgebiet. Wetten, dass die Palästinenser begeistert wären?

Damit würde Israel sich zwar abschaffen, jedenfalls als jüdischer Staat.

Na und? Gesellschaften schaffen sich öfter mal ab. Nicht wahr?

Israels Marine tötet vier Palästinenser im Taucheranzug

„… verkündet SPIEGEL online heute, und man fragt sich, warum diese Palästinenser sterben mussten. Weil sie einen Taucheranzug trugen? Weil sie Sardinenschwärme beobachten wollten? Weil sie sogar unter Wasser nach einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts suchten?“

Des Rätsels Lösung findet Ihr hier: Wenn der Froschmann zweimal klingelt | EuropeNews.

Blockade?

Die hochehrenwerten Journalisten, die – durchdrungen von journalistischem Ethos und stets im Dienste einer wissbegierigen Öffentlichkeit – über die „israelische Blockade des Gazastreifens“ reden und schreiben, vergessen – zweifellos nur aus Versehen – regelmäßig, ein paar Kleinigkeiten zu erwähnen, die das Bild von der armen blockierten Bevölkerung des Gazastreifens doch zumindest ergänzen könnten:

Humanitäre Hilfsgüter, die 2010 aus Israel in den Gazastreifen geliefert wurden  (Stand vom 8. Mai 2010):

  • 2010 wurden aus Israel bisher 230.690 Tonnen an humanitären Hilfsgütern über die für den Güterverkehr vorgesehenen Grenzübergänge in den Gazastreifen transportiert;
  • Mehr als 25 Millionen Liter (6,5 Millionen Gallonen) von hochleistungsfähigem Diesel wurden für das Kraftwerk in Gaza aus Israel in den Gazastreifen geliefert;
  • Mehr als 12.000 Tonnen von Bratöl wurden in den Gazastreifen transportiert;
  • 6.354 Bewohner des Gazastreifens reisten zur medizinischen Behandlung nach Israel ein;
  • 86 Lastwagen mit Blumen und Erdbeeren wurden aus dem Gazastreifen nach Israel importiert.

Humanitäre Hilfe, die von Israel 2009 für den Gazastreifen geleistet wurde:

  • 738.576 Tonnen an humanitären Hilfsgütern wurden über die für den Güterverkehr vorgesehenen Grenzübergänge von Israel in den Gazastreifen transportiert;
  • Mehr als 100 Millionen Liter (26 Millionen Gallonen) von hochleistungsfähigem Diesel wurden für das Kraftwerk in Gaza aus Israel in den Gazastreifen geliefert;
  • 10.544 Patienten aus dem Gazastreifen passierten gemeinsam mit ihren Begleitern die Grenze nach Israel, um medizinische Betreuung in Anspruch zu nehmen;
  • 4.883 Tonnen mit medizinischen Versorgungsgütern und Medikamenten gingen in den Gazastreifen;
  • 44.500 H1N1 Impfungen wurden aus Israel in den Gazastreifen geschickt;
  • 95 Lastwagen mit Ausrüstung für Wasser- und Abwasseranlagen wurden aus Israel in den Gazastreifen geliefert.

Humanitäre Hilfsgüter, die 2008 aus Israel in den Gazastreifen geliefert wurden:

  • 263.063 Tonnen humanitäre Hilfsgüter wurden über die für den Güterverkehr vorgesehenen Grenzübergänge von Israel in den Gazastreifen transportiert;
  • Mehr als 70 Millionen Liter (18 Millionen Gallonen) von hochleistungsfähigem Diesel wurden für das Kraftwerk in Gaza aus Israel in den Gazastreifen geliefert.

(Quelle: The Israel Project)

Und die Helden, die jetzt per Schiff den Gazastreifen ansteuern und sich als todesmutige Blockadebrecher produzieren (statt ihre Hilfsgüter einfach auf dem Landweg über Israel dorthin zu bringen, was überhaupt kein Problem wäre), liefern bei dieser monatelang vorbereiteten Aktion weniger in den Gazastreifen als Israel in einer einzigen Woche.

Stellen wir nun einen kleinen Vergleich an:

Israel hat im Jahr 2009 zusammengenommen rund 830.000 Tonnen Güter in den Gazastreifen geliefert. Bei 1,5 Mio. Einwohnern sind das rund 550 Kilo pro Kopf.

Während der Berlin-Blockade 1948/49 lieferte die alliierte Luftbrücke (nach Abzug der Kohle, die im strengen Berliner Winter überlebensnotwendig war, am östlichen Mittelmeer aber eher nicht) knapp 740.000 Tonnen an die 2,2 Mio. eingeschlossenen West-Berliner. Macht pro Kopf 336 Kilo.

Israel liefert also deutlich mehr in den Gazastreifen, als die allierte Luftbrücke als Blockadebrecher ins abgeriegelte Berlin geschafft hat: Das ist das, was diese schamlose Journaille, die wir mit unseren Gebühren füttern, uns als „Blockade“ verkaufen will.

Nur so als Information für diejenigen, die immer noch glauben, dass die Medien nicht lügen.

Was für ein Friedensprozess, Frau Bundeskanzlerin?

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

sofern es Ihre Absicht war, am Montag einen bVDfI-Tag einzugelegen (bVDfI=besondere Verantwortung Deutschlands für Israel), muss ich Ihnen leider bescheinigen, dass Sie bestenfalls die besondere Verblödung westlicher Politiker in Nahostfragen zur Schau gestellt haben.

Sie haben also Angst, durch israelische Baumaßnahmen in Jerusalem „der gesamte Friedensprozess wieder gestört wird“. Gestatten Sie mir den Hinweis, dass es so etwas wie einen „Friedensprozess“ nicht gibt. Ein Friedensprozess, sofern er mehr sein soll als nur eine Gelegenheit zur Selbstinszenierung von zweitklassigen Profilneurotikern aus Europa, setzt die Bereitschaft beider Seiten voraus, die friedliche Koexistenz eines jüdischen mit einem arabischen Staat als Ziel anzustreben – was Israel längst akzeptiert und aktiv versucht hat. Damit ist weder Terrorismus vereinbar noch die Rückkehr der sogenannten Flüchtlinge (oder vielmehr die von deren Nachkommen, deren Bevölkerungsexplosion mit UN-Mitteln systematisch finanziert wurde) nach Israel. Letzteres wäre nichts anderes als das Projekt der ethnischen Unterwanderung Israels und seiner Verwandlung in einen arabisch-muslimischen Staat.

(Mir ist natürlich klar, dass Ihnen nicht einleuchtet, wo hier das Problem liegen soll. Wer – wie Sie – nichts dagegen hat und sogar fördert, dass das eigene Volk von muslimischen Immigranten unterwandert, ruiniert und – darauf wird es am Ende hinauslaufen – im eigenen Land als Volk von Untermenschen unterdrückt werden wird, grübelt wahrscheinlich den ganzen Tag darüber nach, warum die Israelis diesem leuchtenden Vorbild nicht folgen? Nun, vielleicht hängt es damit zusammmen, dass die Juden uns gewisse Erfahrungen voraushaben, die sie nicht wiederholen möchten, die uns aber aufgrund Ihrer göttlichen Politik noch bevorstehen, und dass sie nicht mit jenem masochistischen Selbstbestrafungskomplex geschlagen sind, der unser Volk, aber auch die anderen Völker des Westens, zugrunde richten wird.)

Was nun den Friedensprozess angeht, so wird der so lange nicht stattfinden, wie die Palästinenser glauben, sie könnten Israel – durch Terror, durch Isolation oder durch Unterwanderung – zerstören. Erst, wenn ihnen klar (gemacht) wird, dass dies eine Illusion ist, und dass die Zeit gegen sie arbeitet, nicht für sie, erst dann kann ein Friedensprozess beginnen, der diesen Namen verdient.

Wenn Sie also durchaus den Ehrgeiz haben, sich im Nahen Osten als Friedenstifterin zu betätigen (wozu Sie freilich schon deshalb nicht qualifiziert sind, weil Ihr Geschichtsbild sich wesentlich aus dümmlichen Klischees zusammensetzt und vermutlich zur Hälfte aus FDJ-Schulungen stammt, und weil der Geist der Servilität gegenüber der jeweiligen Vormacht, den Sie anscheinend aus der DDR mitgenommen haben, sich heute in einer Art Merkeldoktrin niederschlägt, wonach Deutschland jede Wendung der USA mitmachen müsse), wenn Sie also zum Frieden in Nahost wirklich beitragen wollen, dann gewiss nicht dadurch, dass Sie Israel unter Druck setzen, Konzessionen allein schon dafür zu machen, dass die Gegenseite sich zu „indirekten Verhandlungen“ herbeilässt (Wie hoch wird erst der Preis sein, den sie für direkte Verhandlungen fordern werden?), sondern dann gibt es dazu nur einen Weg, nämlich sich hinter Israel zu stellen und die westlichen Verbündeten aufzufordern, es einem gleichzutun. Nur dann – wenn überhaupt – werden die Palästinenser sich ihren monströsen Traum, die Juden ins Meer zu jagen, aus dem Kopf schlagen. (Und je mehr die Israelis im Westjordanland und in Ost-Jerusalem bauen, desto schneller wird die Gegenseite lernen, dass ihr die Zeit davonläuft.)

Sie müssen das selbstverständlich nicht tun. Nur unterlassen Sie dann bitte auch Ihr peinliches sentimentales Geschwätz von der „besonderen Verantwortung“. Die Kluft zwischen Reden und Handeln schadet unserem Land nämlich viel mehr, als wenn sie einfach Ihren Mund halten würden.

Dr. Aaron Lerner: Was sagt uns die palästinensische Verurteilung von Terror aus Effizienzgründen?

Originalartikel „Weekly Commentary: The message in Palestinian condemnation of terror on grounds of efficacy“ erschien am 11.02.2010 bei IMRA

Übersetzung von Heplev

Bitte vergleichen Sie und finden Sie den Unterschied heraus:

„Eine verabscheuungswürdige, kriminelle Mordtat wurde heute an einem Ort verübt, der sowohl den Juden als auch den Arabern in Hebron heilig ist. Der Premierminister und der Verteidigungsminister, Ministerien der Regierung und Bürger des Staates Israel verurteilen diesen entsetzlichen Mord an unschuldigen Menschen, der während der Ramadan-Gebete stattfand.“
Erklärung des Premierministers Rabin zum Mord in Hebron am 25. Februar 1994.

„Dieser von uns verurteilte Vorfall, der nicht mit den nationalen palästinensischen Interessen vereinbar ist und der den Bemühungen der Palästinensischen Nationalen Autorität wie auch den von ihr eingegangenen Verpflichtungen vereinbar ist… Gewalt, die sich als schädigend für die höheren Interessen unseres Volkes erwiesen hat.“
Der palästinensische Premierminister Dr. Salam Fayyad, 10 Februar 2010

Die Unterschiede sind alles andere als subtil.

Wenn ein israelischer Premierminister den Angriff eines Juden auf Palästinenser verurteilt, verurteilt er ihn, weil dieser an sich eine „verabscheuungswürdige, kriminelle Tat“ ist.

Wenn ein palästinensischer Premierminister den Angriff eines Palästinensers auf einen Israeli verurteilt, verurteilt er ihn, weil er „nicht vereinbar mit den nationalen palästinensischen Interessen“ ist.

Und das ist nicht das erste Mal.

Fakt ist, dass offizielle palästinensische Verurteilungen von Terror gegen Israelis diesen ständig auf der Grundlage seiner Wirksamkeit verurteilen (er dient nicht den Interessen), statt weil er an sich falsch ist.

Werfen wir einen Blick zurück auf die Einzelheiten der Anklagen, die PA-Staatsanwälte gegen die wenigen palästinensischen Terroristen eingereicht haben, die sie verhafteten (die meisten, um sie vor der israelischen Justiz zu schützen) und – das stimmt so – sie wurden nicht für den Mord an Israelis verurteilt, sondern stattdessen dafür, dass sie „entgegen der palästinensischen Interessen“ handelten.

Das ist nicht nur eine technische Frage.

Es ist eine Frage, die an den Kern der Natur dessen geht, wie die Palästinenserführung scih Israel gegenüber verhält.

Und es sollte als wichtige Warnung für die politischen Entscheidungsträger dienen.

Wenn der Grund dafür, dass es heute falsch ist Israels zu ermorden, der ist, dass dies den palästinensischen Interessen nicht dient und nicht, dass es schlicht falsch ist Israelis zu ermorden, was geschieht dann, wenn die Umstände so sind, dass es den palästinensischen Interessen dient Israelis zu ermorden?

Und wenn man davon ausgeht, dass diese der Fall ist: Welche Einschränkungen sind für die Bewaffnung, Ausbildung usw. der palästinensischen Sicherheitskräfte nötig?

Wer hat Angst vor einem Palästinenserstaat?

Scharons politisches Meisterstück: der Abzug aus dem Gazastreifen

Viele Israelis werden es bezweifeln, ich aber glaube, dass Ariel Scharons Schachzug, den Gazastreifen zu räumen, ob seiner Genialität in jedes Lehrbuch der Politik gehört. Wer immer geglaubt hatte, die Palästinenser hätten vor allem ein Interesse am Ende der Besatzung und an der Errichtung eines eigenen Staates, wurde eines Anderen belehrt, und es waren die Palästinenser selbst, die diese Lehre erteilten.

Gerade die Tatsache, dass die schlicht Unbelehrbaren, also Leute vom Schlage eines Norman Paech, die Räumung leugnen und den Streifen allen Ernstes als immer noch besetztes Gebiet sehen wollen, zeigt, wie sehr die palästinensische Propaganda durch diesen Akt an Glaubwürdigkeit verloren hat. Es zeigt zugleich, dass es den pro-palästinensischen Aktivisten hierzulande nicht darum geht, den Palästinensern zu helfen, sondern Israel zu schaden.

Was wollen die Palästinenser eigentlich?

Wäre es das Ziel der Palästinenser gewesen, die Besatzung zu beenden, so war dieses Ziel in Bezug auf den Gazastreifen mit dem Abzug im August 2005 erreicht, und es war offensichtlich, dass die israelische Politik darauf abzielte, auch das Westjordanland zu räumen. Die Raketen, die seitdem vom Gazastreifen auf Israel abgefeuert wurden, konnten demgemäß nur als Aufforderung verstanden werden, das Westjordanland nicht zu räumen (weil sonst auch von dort die Raketen fliegen würden).

Wäre es ihr Ziel gewesen, einen eigenen Staat zu errichten, so kann – wiederum seit August 2005 – absolut niemand sie daran hindern. Dieser Aspekt wird wenig gesehen, deshalb möchte ich ein wenig darauf eingehen:

Nach klassischer völkerrechtlicher Theorie existiert ein Staat dann, wenn drei Voraussetzungen gegeben sind:

– ein Staatsvolk,

– eine Staatsgewalt,

– ein Staatsgebiet.

Die Palästinenser erheben bekanntlich den Anspruch, eine Nation im politischen Sinne zu sein; die Existenz eines potenziellen Staatsvolks wird man also unterstellen dürfen.

So etwas wie Staatsgewalt existiert ebenfalls in Gestalt der Autonomiebehörde bzw. (seit dem Hamas-Putsch im Streifen) in Form der Hamas-Behörden.

Seit Israel seine Truppen zurückgezogen und den Gazastreifen zu Ausland erklärt hat, existiert dort auch ein potenzielles Staatsgebiet – da ja kein anderer Staat auf den Streifen Anspruch erhebt, auch Ägypten nicht.

Es ist wichtig zu wissen, dass es bei Vorliegen dieser drei – rein faktischen! – Voraussetzungen nicht darauf ankommt, ob Drittstaaten einen neuen Staat anerkennen oder nicht!

Zumindest im Gazastreifen – vorläufig allerdings nur dort – könnten die Palästinenser seit August 2005 also jederzeit  einen vollwertigen Staat gründen, und sie wären dabei von niemandes Erlaubnis abhängig, auch nicht von der Israels. Wenn sie das nicht tun, heißt dies, dass sie es nicht tun wollen.

Warum?

Vielleicht weil dies den Verzicht auf alle Gebiete außerhalb des Gazastreifens bedeuten würde? Mitnichten. Niemand könnte einem palästinensischen Staat verwehren, offiziell Anspruch auf das Westjordanland zu erheben, so wie auch niemand der alten Bundesrepublik verwehren konnte, die Wiedervereinigung als Staatsziel zu proklamieren.

Ob er das Westjordanland – oder was immer er sonst fordern würde – tatsächlich bekäme, stünde natürlich auf einem anderen Blatt, aber er würde den Anspruch nicht schon dadurch verwirken, dass er ihn nicht sofort durchsetzen könnte.

Einen eigenen Staat haben heißt aber: Pflichten haben!

Und genau hier liegt der springende Punkt:

Ein Palästinenserstaat könnte nämlich nicht nur, er müsste seine Ansprüche explizit zu Protokoll geben! Und das würde bedeuten, dass die Hamas die Vernichtung Israels nochmals, und diesmal mit dem ganzen Gewicht einer staatlichen Willensbekundung, vor aller Welt fordern – oder dieses Ziel aufgeben müsste.

Und natürlich müsste ein Staat die Verantwortung für die militärischen Angriffe auf sich nehmen, die von seinem Territorium gegen das Nachbarland vorgetragen werden. Für die Wahrnehmung des Konflikts durch die Augen selbst des verblödeten westlichen Publikums würde es vermutlich einen Unterschied bedeuten, ob zwei Staaten gegeneinander kämpfen, oder ob man denselben Konflikt – so wie jetzt – als Konflikt zwischen einem Staat und einer auswärtigen „Zivilbevölkerung“ verkaufen könnte.

Die Existenz eines eigenen Staates würde den Palästinensern nicht nur Rechte verschaffen, die sie haben wollen, sondern auch Pflichten auferlegen, die sie nicht haben wollen. Insbesondere solche Pflichten, die sie daran hindern könnten, ihr Nachbarvolk zu massakrieren.

Deshalb wollen sie ihn nicht.

Mutmaßungen über Tibet

Auch wenn einige meiner Stammleser mir jetzt den Kopf abreißen: Ich bin mir nicht sicher, dass China im Unrecht ist, wenn es die Unruhen in Tibet niederschlägt.

Mir kommt die chorale Einstimmigkeit unserer Medien allzu verdächtig, weil allzu vertraut vor.

Es ist erst wenige Wochen her, da behandelte man die Unabhängigkeit des Kosovo als ein quasi selbstverständliches Recht,

– obwohl sie im Völkerrecht nicht die geringste Grundlage findet,

– obwohl die Kosovaren nicht einmal einen ausnahmsweise exkulpierenden Notstand für sich geltend machen können,

– obwohl das Milosevic-Regime schon lange gestürzt ist und

– obwohl Serbien zur Gewährung einer so weitgehenden Autonomie bereit war, dass die serbische Souveränität nur noch symbolischer Natur gewesen wäre.

Wenn unsere Medien das offensichtliche Unrecht der Abspaltung Kosovos als „Recht“ behandeln, so haben wir es mit der kombinierten Auswirkung von gleich zwei Journalisten-Unsitten zu tun:

Zum einen fragen sie nicht nach Recht im juristischen Sinne, sondern nach „Gerechtigkeit“. Was soviel bedeutet wie: Wer „Opfer“ ist, ist im Recht.

Zum anderen bleiben die Täter-Opfer- bzw. Gut-Böse-Rollen, einmal verteilt, bis ans Ende aller Tage erhalten:

Seit dem Krieg gegen Kroatien 1991 sind die Serben uwiderruflich als „Täter“ bzw. als „die Bösen“ gebrandmarkt, was es den Kosovaren bereits in den neunziger Jahren leicht machte, sich als „die Guten“ zu präsentieren, obwohl ihre UCK schon damals keinen Deut sauberer war als etwa die ETA oder die IRA. Eher schlimmer, denn die UCK war – und ist – obendrein in die Organisierte Kriminalität verstrickt. Für die Medien sind die Kosovo-Albaner trotzdem „die Guten“, aber nicht, weil sich dies aus dem Sachverhalt ergäbe, sondern weil es zur unhinterfragten Selbstverständlichkeit geworden ist, dass Interessen und Ansprüche des serbischen Staates illegitim seien.

Einem ähnlichen Medienchor sind wir täglich ausgesetzt, wenn es um den Nahost-Konflikt geht. Da werden die Palästinenser als „Opfer“ präsentiert, weil der israelische Staat seine Pflicht erfüllt, sich und seine Bürger gegen Terroristen zu verteidigen, und kaum einer fragt danach, ob diese Rollenzuweisung, die sich irgendwann in den achtziger oder neunziger Jahren durchgesetzt hat, irgendetwas mit der Realität zu tun hat; vor allem aber: welchen Maßstäben sie folgt.

Und nun also Tibet. Seit Jahren das Lieblingskind der Political Correctness, gegen das niemand etwas sagen will, weil es alle romantischen Klischees bedient – von der östlichen Weisheit bis zum Befreiungskampf des unterdrückten Volkes ist alles vertreten, was das Herz grüner Parteitagsdelegierter höher schlagen lässt.

Ich will mich über die Tibeter bestimmt nicht lustig machen (eher über ihre einheimischen Fans); ich bin mir auch keineswegs sicher, dass die chinesische Regierung im Recht ist. Trotzdem würde ich deren Perspektive gerne kennenlernen, und dies nicht nur aus dem Mund eines steifen Funktionärs, der seine Floskeln herunterbetet. So bekommen wir die chinesische Sicht nämlich präsentiert. Nach und nach sickern aber Informationen durch, die mich nachdenklich stimmen:

Aussagen und Videos von Touristen, die behaupten, die Unruhen seien ohne erkennbaren Anlass losgebrochen; es seien tatsächlich Geschäfte und öffentliche Gebäude angezündet und tatsächlich Chinesen angegriffen worden. Und warum muss der Dalai Lama seinen Rücktritt für den Fall androhen, dass seine Landsleute zu den Waffen greifen? Das kann doch nur bedeuten, dass diese Gefahr real besteht?

Angenommen, die Chinesen sagten die Wahrheit. Angenommen, die Unruhen seien tatsächlich inszeniert worden – wenn auch nicht vom Dalai Lama -, angenommen, sie hätten tatsächlich bereits vor Einschreiten der Staatsmacht bürgerkriegsartige Dimensionen erreicht, und angenommen, dabei seien tatsächlich friedliche chinesische Bürger getötet worden. Ist unter solchen Umständen nicht jeder Staat, Diktatur oder nicht, verpflichtet, solche Unruhen niederzuschlagen, notfalls auch mit eiserner Faust?

Früher war es auch in demokratischen Staaten üblich, dass die Polizei bei bürgerkriegsartigen Unruhen in die Menge schoss, um die Kontrolle zurückzugewinnen. Und üblich waren auch schwere Strafen für Unruhestifter.

Wenn das heute in Europa alles sanfter vonstatten geht, wenn regelmäßig die De-Eskalation versucht wird, so ist dies gewiss kluge Strategie. Ein Anspruch, auf den Gewalttäter sich berufen könnten, ist es aber keineswegs!

Schon gar nicht, wenn Unbeteiligte betroffen sind, wenn ihr Eigentum zerstört oder sie selbst getötet werden. Ein de-eskalierend pazifistischer Staat mag eine gute Presse haben, aber er verletzt seine Schutzpflichten gegenüber dem loyalen Bürger.

Mir scheint, dass man die Unruhen in Gang gesetzt hat, um eine PR-Schlacht gegen China zu entfesseln; mir scheint, dass man von den Kosovaren und den Palästinensern gelernt hat, wie man die Schwächen des westlichen Mediensystems für sich ausbeutet. Und allem Anschein nach haben auch die Chinesen ihre Schlussfolgerungen aus der Tatsache gezogen, dass die freie Berichterstattung (z.B. aus dem Gazastreifen) nicht die differenzierte journalistische Analyse gefördert hat, sondern die Sensations- und Meinungsmache durch spektakuläre Gewaltbilder. Kann man ihnen wirklich übelnehmen, dass sie sich das nicht antun wollen, von der Journaille auf dieselbe unfaire und verleumderische Art und Weise durch den Dreck gezogen zu werden wie Israel?

„Mir scheint“ heißt: Ich weiß es nicht. Die Informationen sind zu spärlich. Wer aber nach einem Olympiaboykott ruft, muss mir schon stärkere Argumente anbieten, als bisher erkennbar sind.