Die libysche Tragödie

Sah es zu Beginn des libyschen Aufstands noch so aus, als würde Gaddafis Regime wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, so zeichnet sich nun ab, dass er die Revolte überstehen wird. Angesichts der Erfahrungen mit nahöstlichen Potentaten seines Schlages (Assad, Saddam) sollte sich niemand Illusionen darüber machen, dass Gaddafi nach einem Sieg grausam Rache nehmen und zehntausende von Menschen umbringen wird.

Dies ist kein Plädoyer für eine militärische Intervention. Dass die westlichen Staaten bislang nicht interveniert haben, ist per se nicht zu beanstanden:

Einmal gibt es keinen legitimen Interventionsgrund: Sie sind weder angegriffen worden – was die klassische Rechtfertigung für die Anwendung militärischer Gewalt ist -, noch können sie auf eine Bedrohung vitaler Interessen verweisen, aus der sich womöglich mit einiger juristischer Phantasie so etwas wie eine Notwehrsituation konstruieren ließe.

Ein Recht zur Intervention gibt es also nicht und gäbe es übrigens auch dann nicht, wenn ein Mandat des Weltsicherheitsrates vorläge. Der Sicherheitsrat überschreitet nämlich seine Kompetenzen, wenn er willkürlich eine Intervention absegnet, für die es an den rechtlichen Voraussetzungen fehlt. Dass er dergleichen bisweilen tut, zeigt nur, dass die UNO in solchen Fragen eine Diktatur der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs ist, die bei Bedarf als „Recht“ statuieren, was in ihrem Interesse liegt. Mit „Recht“ in einem einigermaßen strengen Sinne hat dies aber nichts zu tun.

Übrigens gibt es keine Rechtsnorm, die es einer Regierung verböte, einen gegen sie gerichteten Aufstand gewaltsam niederzuschlagen, und zwar unabhängig davon, wie gewalttätig der Aufstand selbst ist. Eine solche Norm wäre geradezu widersinnig, und man kann diesen Sachverhalt auch nicht dadurch umgehen, dass man die Niederschlagung des Aufstandes hysterisch zum „Krieg Gaddafis gegen das eigene Volk“ aufpumpt – ganz abgesehen davon, dass praktisch sämtliche westlichen Regierungen ihrerseits einen solchen Krieg führen, nur mit vornehmeren Mitteln.

Auch der von Hobbyvölkerrechtlern konstruierte „Völkermord“, der eine Intervention auf der Basis der Anti-Völkermord-Konvention rechtfertigen könnte, ist  bisher nicht erkennbar: Selbst wenn sich Gaddafi, wie befürchtet, mit einem Massenmord revanchieren würde, würde dieser erst dann zum Völkermord, wenn durch ihn ein ganzes Volk oder zumindest eine ethnische Gruppe in ihrer Existenz als Volk bzw. Gruppe bedroht wäre. Auch davon kann kaum die Rede sein.

Schließlich befindet sich der Westen noch in der speziellen Verlegenheit, dass jegliche westliche Intervention in der islamischen Welt gemäß der Scharia die Pflicht zum Dschihad gegen den Eindringling auslöst. Selbst wenn die meisten Muslime darauf pfeifen – ein paar Terroristen, die diese Pflicht blutig ernst nehmen, finden sich immer. Freilich: Wenn der Westen nicht interveniert, wird ihm das dort genauso angekreidet wie wenn er es tut. Dann wird es nämlich heißen, der Westen habe die Libyer im Stich gelassen – so als ob er für das Wohlergehen arabischer Völker verantwortlich wäre. Wer immer den Konflikt unter dem Gesichtspunkt betrachtet, es gehe darum, „die Köpfe und Herzen der Araber zu gewinnen“, muss sich darüber im Klaren sein, dass dies objektiv unmöglich ist.

Hätten Europa und Amerika sich einfach auf den Standpunkt gestellt, dass sie zum militärischen Eingreifen nicht berechtigt und schon gar nicht verpflichtet sind, so wäre dies unangreifbar gewesen und hätte den Aufständischen womöglich manche Illusion erspart, die sie am Ende mit ihrem Blut bezahlen müssen. Inzwischen haben sie wohl gemerkt, dass man sie mit einer Politik des möglichst geräuschvollen Nichstuns verschaukelt hat, aber jetzt können sie nicht mehr zurück.

Stattdessen erleben wir seit Wochen eine Orgie der Heuchelei: Es ist ja an sich nicht verkehrt, die Beteiligung der Arabischen Liga zur Voraussetzung für eine Intervention zu machen, allein schon, um ihr den Schwarzen Peter zuzuspielen und das Odium der „Aggression gegen den Islam“ zu vermeiden. Nur wissen alle Verantwortlichen, dass die arabischen Potentaten selber die Erde unter ihren Thron- und Präsidentensesseln beben fühlen und – aller Rhetorik zum Trotz – nicht das geringste Interesse daran haben, dass nach Mubarak und Ben Ali noch ein Dritter aus ihrem Club einer Revolution zum Opfer fällt. Die Politik der nahöstlichen Politiker muss darin bestehen, sich weit genug von Gaddafi abzusetzen, um gegenüber den eigenen Völkern ein Alibi zu haben, aber nichts zu tun, was tatsächlich zu seinem Sturz führen könnte.

Genau auf dieser Linie bewegt sich der Beschluss der Arabischen Liga, den Westen zur Einrichtung einer Flugverbotszone aufzufordern, zugleich aber jede Verletzung der libyschen Souveränität abzulehnen. Verglichen damit ist die Quadratur des Kreises ein Kinderspiel, und das wissen die Herren ganz genau. Es geht ihnen einfach darum, den Schwarzen Peter wieder dem Westen zurückzugeben, der ihn seinerseits an den Sicherheitsrat, sprich Russland und China weiterreicht.

Bei dieser Gelegenheit zeigt sich dann auch, was von den „revolutionären“ Regimen Ägyptens und Tunesiens zu halten ist: nämlich dass sie alles andere als revolutionär sind. An sich sind es ja gerade diese beiden Länder, die noch am ehesten ein Interventionsrecht geltend machen könnten, und zwar unter Hinweis auf den notwendigen Schutz ihrer Staatsbürger in Libyen und auf die sie überfordernde Flüchtlingswelle aus dem Nachbarland.

Nun stellt sich aber heraus, dass in Wahrheit in beiden Ländern die alten Regime trotz Abdankung der jeweiligen Galionsfigur die Macht immer noch in Händen halten. Was für uns wie eine Revolution aussieht, ist der Versuch der alten Macht, mit den diversen oppositionellen Gruppen zu einem neuen Arrangement zu gelangen. Ein Interesse an einem Sturz Gaddafis haben sie offenbar nicht.

Ein solches Interesse scheinen aber auch ihre Völker nicht zu haben, deren revolutionärer Elan sich auf das je eigene Land beschränkt. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass sich Massen von freiwilligen Kämpfern nach Libyen aufmachen würden, so wie sie in den achtziger Jahren nach Afghanistan gegangen sind. Mir ist auch nicht bekannt, dass von Ägypten aus Waffenlieferungen über die Grenze zu den libyschen Revolutionären gelangen würden – was umso erstaunlicher ist, als eben solche Waffenlieferungen über die deutlich schärfer bewachte Grenze zum Gazastreifen offenbar kein Problem darstellen.

(Nebenbei gesagt ist diese Zurückhaltung ein starkes Indiz dafür, dass Islamisten beim libyschen Aufstand keine prominente Rolle spielen; in dieselbe Richtung deutet die Tatsache, dass die islamistisch regierte Türkei in Gestalt ihres Ministerpräsidenten, des weltweit verehrten Trägers des Gaddafi-Preises für Menschenrechte, eine Intervention der NATO zugunsten der Aufständischen strikt ablehnt.)

Wir lernen daraus erstens, dass die innermuslimische Solidarität nur dann und nur so weit mobilisierbar ist, wie sie sich gegen die „Ungläubigen“ richtet; in jedem anderen Zusammenhang ist der eigene Stamm das Maß aller Dinge, und werden schon die Angelegenheiten des Nachbarlandes mit Indifferenz behandelt; zweitens, dass es so etwas wie eine „arabische Demokratiebewegung“ nicht gibt, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass Demokratie als abstrakter Wert aufgefasst würde. Was es gibt, sind Volksbewegungen, bestehend aus Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen den jeweils eigenen Diktator loswerden wollen, ohne deshalb zu westlichen Liberalen zu mutieren. Das ist kein Vorwurf gegen diese Völker, wohl aber einer gegen eine globalistische Propaganda, die sie für sich vereinnahmen will.

Die Einzigen, die in den letzten Tagen und Wochen eine respektable Figur gemacht haben, sind die Aufständischen selbst, die deswegen  jetzt auf verlorenem Posten stehen. Niemand wird ihnen helfen, weil niemand ein Interesse daran hat.

 

Gemäßigte Islamisten

Ulrich J. Becker schreibt bei aro1.com:

Fuehrender Muslimbruder bedankt sich beim Iran fuer die “Unterstuetzung” in der aegyptischen Revolution, die er als eine “islamische Erwachung”sbewegung’ beschreibt und hofft, dass sein Land so werde, wie Iran:

Kamal al-Halbavi, sagte im persischen BBC:

Die Moslembrueder wollten in Aegypten “eine gute Regierung wie die iranische, und einen guten Presidenten wie Achmadinedschad, der sehr tapfer ist.”

Die Moslembrueder scheinen offenbar nicht genug deutsches Fernsehen zu sehen und den Erklaerung deutscher ‘Nahostspezialisten’ nicht genug zu lauschen, ansonsten haetten sie doch verstehen muessen, dass die aegyptische Revolution ganz anders als die iranische sei und auch sie selbst nur eine Art konservative Demokraten seien, doch keine Islamisten und Antisemiten.

Also, einfach mehr deutsches Fernsehen sehen, liebe Moslembrueder, dann versteht ihr euch selbst gleich viel besser und dann klappts auch mit der Demokratie.

(Soviel auch zum Thema ‘Sunna und Schia versteht sich nicht’. Zumindest in Sachen Islamismus und Israelhass scheint es ja zu klappen…)

Inzwischen in Jordanien…

Passend zum momentanen ‘Demokratie’trend in der arabischen Welt schliesst sich auch der neue jordanische Justiz(!)minister an: Der Frieden mit Israel ist ihm egal. Er aeusserte oeffentlich: Israel sei der “Feind” und ein “terroristischer Staat. Als Volk und Nation muessen wir vereint gegen ihn aufstehen.“

Bitte, liebe deutsche Nahostexperten, rettet uns! Erklaert diesem Mann einfach mal wie ‘gemaessigt’ er eigentlich ist, und dann sollte er es einsehen. Danke.

[Quelle: Moslembrueder wollen nicht auf deutsche Nahostexperten hoeren und bedanken sich jetzt beim Iran fuer die “grossartige islamische Revolution” und wuenschen sich einen “guten Presidenten wie Achmadinedschad”… | ARO1 – Israel, der Nahe Osten & der Rest der Welt.]

Die Jerusalemer Erklärung

Als Vertreter der FPÖ, der Schwedendemokraten, der „Freiheit“ und von Vlaams Belang im Dezember in Israel zu Gast waren, habe ich dem Vorgang keine besondere Bedeutung beigemessen (obwohl eine Überschrift „Israel bekennt sich zum Existenzrecht islamkritischer Parteien“ ihres milden Sarkasmus wegen reizvoll gewesen wäre). Das Bedeutendste an diesen Gesprächen war, dass sie überhaupt stattfanden. Anscheinend dämmert der israelischen Rechten allmählich, dass die Islamisierung Europas die arabische Einkreisungspolitik gegenüber Israel vollenden und ihrem Staat den Garaus machen würde.

Es ist daher aus israelischer Sicht durchaus naheliegend, islamkritische Parteien gleichsam koscher zu stempeln und ihre Diffamierung als „rechtsradikal“ dadurch wenigstens zu erschweren. Aus genau demselben Grund ist es für diese Parteien naheliegend, Kontakte nach Israel zu suchen. Hier haben sich zwei auf der gesunden Grundlage gemeinsamer Interessen gefunden, ohne einander große Zugeständnisse zu machen: Auf israelischer Seite wurde der Kontakt auf Initiative einzelner Politiker und Parteien aufgebaut, nicht etwa auf Initiative von Regierungsstellen, während andererseits die Stellungnahmen der europäischen Rechtspolitiker nichts enthalten, was nicht auch der Deutsche Bundestag hätte absegnen können.

Die Aufregung im israelkritischen bis antisemitischen Teil der Rechten, man habe sich hier von Israel „instrumentalisieren“ lassen, war insofern völlig gegenstandslos: Mit demselben Recht könnte man sagen, man habe umgekehrt Israel instrumentalisiert.

Ob das Bekenntnis zum Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels nun „einseitig“ war, wie die Kritiker bemängeln, oder ob man besser ein klares und entschiedenes „Einerseits-Andererseits“ formuliert hätte, ist schon deswegen belanglos, weil der Einfluss europäischer Staaten auf den Fortgang des Nahostkonflikts gegen Null tendiert. Dass die herrschende Politkaste sich und dem Volk gerne etwas Anderes einredet – wie schön kann man sich doch im Nahen Osten als Staatsmann von internationalem Format produzieren -, ändert an diesem Sachverhalt nichts.

Einfluss haben (bzw. erstreben) diese Parteien aber auf den Gang der Innenpolitik ihrer jeweiligen Länder. Statt um Kaisers Bart – also über die Nahostpolitik von Weltmächten wie der „Freiheit“ – zu streiten, wäre es weitaus sinnvoller gewesen, die Jerusalemer Erklärung unter dem Gesichtspunkt zu analysieren, was sie über die Programmatik und die ideologische Ausrichtung dieser Parteien aussagt. Nichts Gutes, fürchte ich.

Zunächst fällt auf, dass nicht etwa der Islam als Bedrohung thematisiert wird: Stets geht es um den „fundamentalistischen Islam“, den „Islam als totalitäres System“ (mit dem die „gemäßigten Muslime“ selbstredend nichts zu tun haben), man bekennt sich zur Aufklärung, die der Islam „noch nicht“ durchlaufen habe, verwahrt sich gegen „Terror“ und den „politischen Missbrauch von Religionen“ und erwähnt nicht, dass dieser „Missbrauch“ schon zu den Praktiken des Propheten Mohammed gehörte.

Dabei wäre es gerade in Israel doch passend, darüber zu sprechen: Die Palästinenser lehnen die Anerkennung Israels ja nicht deshalb ab, weil sie Islamisten wären, sondern weil sie Muslime sind. Die nationalistische Fatah denkt in diesem Punkt nicht anders als die islamistische Hamas. Israel könnte die Anerkennung sofort haben, wenn es bereit wäre, den Nachkommen der arabischen Flüchtlinge von 1948 (welche Nachkommen inzwischen dank Milliardenzahlungen aus dem Westen mehrere Millionen Menschen zählen) die „Rückkehr“ ins israelische Kernland zu ermöglichen; wenn es sich also der muslimischen Massenmigration genauso bereitwillig öffnen würde wie Europa. Israel würde dann aufhören, ein jüdischer Staat zu sein und geriete unter islamische Herrschaft. Die „Beleidigung Allahs“, die darin lag, dass ein nichtmuslimischer Staat im Dar al Islam gegründet wurde, wäre damit getilgt. (Dies ist übrigens auch der Grund dafür, dass die Palästinenser alles Andere lieber wollen als eine Zwei-Staaten-Lösung.)

Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass die Jerusalemer Erklärung gerade nicht ein Bekenntnis zum Recht Israels enthält, seine ethnische, religiöse und kulturelle Identität zu verteidigen. Mit einer solchen Erklärung hätte man für Israel nichts Anderes gefordert als das, was man auch für das eigene Land anstrebt.

Wenn man es denn anstrebt.

Eine solche Position wäre schlüssig und konsequent gewesen; sie hätte auch die Doppelmoral sowohl antisemitischer Rechter als auch (umgekehrt) proisraelischer, aber sonst multikulturalistischer europäischer Juden offengelegt, die für das eine Land fordern, was sie dem anderen verweigern wollen.

Die Jerusalemer Erklärung fordert aber nichts von alldem; sie bleibt strikt innerhalb der Leitplanken der liberalen, im Unterschied und Gegensatz zur konservativen, Islamkritik. Die oben konstatierte seltsame Leisetreterei gegenüber dem Islam ist mithin nicht etwa eine taktische Rücksichtnahme auf eine unvorbereitete öffentliche Meinung. Sie ist Ausfluss einer bestimmten Ideologie:

Wir betrachten uns als Teil des weltweiten Kampfes der Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten gegenüber allen totalitären Systemen und deren Helfershelfern. Damit stehen wir an vorderster Front des Kampfes für die westlich-demokratische Wertegemeinschaft.

Für die Werte-, nicht etwa Völker– oder wenigstens Kulturgemeinschaft! Werte sind universell; wer sie bejaht, tritt damit einer Wertegemeinschaft bei. Völker und Kulturen dagegen sind partikular.

Dabei lehnen wir jenen kulturellen Relativismus ab, der unter dem Vorwand der Achtung fremder Kulturen und Traditionen toleriert, dass Menschen, insbesondere nicht-islamische Minderheiten, in Teilen des muslimischen Kulturkreises in ihrem Recht auf Freiheit, Gleichheit und Mitbestimmung eingeschränkt werden. Dies gilt für alle Teile der Welt, selbstverständlich in erster Linie auch für Europa, da die Menschenrechte universell und geografisch unteilbar sind.

Der Kampf gegen die Islamisierung Europas ist also nur deshalb und nur insofern gerechtfertigt, als er mit dem Kampf für die Menschenrechte in der islamischen Welt verbunden wird.

  • Ob unsere Vorstellung von Menschenrechten in der islamischen Welt überhaupt verwirklicht werden kann, ohne dass die Gesellschaft kollabiert,
  • ob der Versuch, dies durchzusetzen, nicht viel eher zu einer Verhärtung des Islam und zu einer Betonung seiner totalitären Aspekte führen würde – dies war jedenfalls in den vergangenen 14 Jahrhunderten regelmäßig das Ergebnis einer Infragestellung des Islam als Grundlage der muslimischen Gesellschaften -, und zwar bis hin zur Talibanisierung,
  • ob wir überhaupt berechtigt sind, der islamischen Welt unsere Wertmaßstäbe aufzudrängen,

sind Fragen, die im Kontext einer universalistischen Ideologie gar nicht gestellt werden können.

Damit erübrigt sich für diese Ideologie auch die Frage, ob Völker das Recht haben, selbst zu bestimmen, wer zu ihnen gehören soll und wer nicht; dieses Recht haben sie nicht, wenn man den „Westen“ als „Wertegemeinschaft“ definiert, der man folglich beitreten kann.

Es erübrigt sich die Frage, ob zum Selbstbestimmungsrecht der Völker auch das Recht gehört, im eigenen Land entsprechend den eigenen Traditionen gemäß den Werten der eigenen Kultur zu leben; dieses Recht haben sie nicht, sofern diese Traditionen und Kulturen dem westlichen Wertekonsens widersprechen.

Es erübrigt sich die Frage „Wem gehört das Land?“: Das wirtschaftliche, kulturelle und soziale Kapital eines Landes gehört nicht denen, deren Vorfahren es über Generationen hinweg aufgebaut haben, sondern Allen, die gerade dort wohnen.

Dies sind die Implikationen des Begriffs „Wertegemeinschaft“, eines Begriffs, der nicht zufällig zu den Standardfloskeln westlicher Politiker gehört. Wir sehen, dass diese „Wertegemeinschaft“ eine Reihe von „Werten“ ausschließt, die für die Völker Europas immer noch maßgeblich sind, nicht aber für ihre Eliten.

Deren Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie ist hohl, da Demokratie nicht als kollektive Selbstbestimmung eines Volkes aufgefasst wird (Demos=Volk), das sich seiner Zusammengehörigkeit bewusst ist, sondern einer bloßen „Bevölkerung“ als einer Ansammlung von Einzelpersonen. Und auch die Freiheit, wenn sie nicht in Anarchie oder (zu deren Bändigung) eine Diktatur abgleiten soll, setzt eine Kultur voraus, die auf dem Ethos der Selbstkritik, der Gleichwertigkeit aller Individuen, der Ächtung von Gewalt, der abstrakten Loyalität gegenüber der Nation und ihrer freiheitsverbürgenden Ordnung beruht – alles Wertorientierungen, die dem Islam fremd sind und die er deshalb nicht hervorgebracht hat, aus Gründen, die ich ausführlich in „Das Dschihadsystem“ dargelegt habe.

Die Möglichkeit von Freiheit und Demokratie beruht also auf einer in jeder Generation neu zu erbringenden Sozialisationsleistung, auf der Kontinuität des sozialen Zusammenhangs, letztlich auf der Wahrung der Kollektividentität der Völker, die diese Errungenschaften hervorgebracht haben. Die Rede von der „Wertegemeinschaft“ impliziert die Vorstellung, man könne diese Werte beliebig in andere Länder exportieren; sie impliziert umgekehrt, man könne Menschen mit ganz anderen Wert- und Verhaltensmustern in beliebiger Zahl nach Europa verpflanzen – sofern sie sich nur formal zu diesen Werten bekennen -, ohne die sozialen Voraussetzungen der freiheitlichen Demokratie zu zerstören.

Die Ideologie der „Wertegemeinschaft“ stempelt Jeden zum Dissidenten, ja zum Aussätzigen, der an der „Gemeinschaft“ nicht teilhat, sofern er in den genannten Punkten anders denkt als die westlichen Eliten; und dabei sind die Andersdenkenden immer noch die Mehrheit: Sich im eigenen Lande zu Hause zu fühlen, ist auch ein Menschenrecht – ür die Mehrheit, nicht aber  für die Eliten, und wenn diese Eliten mir dieses Recht absprechen, habe ich mit ihnen keine „Wertegemeinschaft“. „Wertegemeinschaft“ ist ein Kampfbegriff der westlichen Eliten gegen ihre Völker.

Angesichts des Tenors der Jerusalemer Erklärung ist es nur ein schwacher Trost, wenn es im letzten, im allerletzten Satz, schwammig und ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem vorher Gesagten heißt:

Das Recht auf Heimat ist ein Menschenrecht, welches für alle Völker zu wahren und umzusetzen ist.

Das zeigt bestenfalls, dass bei diesen Parteien noch nicht alles verloren ist – wobei es schlimm genug ist, dass ihnen die Implikationen der gängigen Phraseologie offenbar nicht klar sind. Pessimistisch betrachtet, ist es nicht mehr als ein Alibisatz.

Die Rückkehr des Zwölften Imams

MEMRI berichtet Beunruhigendes:

Iranian Website: Khamenei Claims He Was Visited by Hidden Imam

In a speech to the Iranian leadership and foreign ambassadors, Iranian Supreme Leader Ali Khamenei said that the present world order, led by the West and the U.S., contravenes God’s decrees and is consequently collapsing before our eyes. He said that one of the reasons for the collapse is the awakening of the Muslim world under Iran’s leadership.

The Khandaniha website posted an audio address by a cleric from Ahvaz province, Mir Ahmad Reza Hajati, in which he claims that Khamenei told his associates that the Hidden Imam had appeared to him and promised to arrive during his term as Supreme Leader. [Hervorhebung von mir, M.]

Sources: Website of the Supreme Leader (Iran), July 10, 2010; www.khaandaniha.com, July 9, 2010

viaThe MEMRI Blog – Full Blog Entry.

Der Zwölfte Imam, der seit gut tausend Jahren verschwunden ist, ist nach schiitischen Glauben nicht tot, sondern lebt in der Verborgenheit, um eines Tages als Mahdi – vergleichbar einem Messias – wiederzukehren, um die Führung der Muslime zu übernehmen und den Islam zum Sieg zu führen. Vergleiche meine Artikel „Der Mahdi und das Atomprogramm“ und „Hussein Obama“.

Wenn der oberste religiöse Führer des Iran davon überzeugt ist, dass der Zwölfte Imam noch zu seinen Lebzeiten (Chamenei ist immerhin schon 71) wiederkehren wird, dann geht er davon aus, dass ein Krieg nicht nur bevorsteht, sondern dass der Iran ihn gewinnen wird.

Antisemitismus? Nein, schlimmer!

Bloggerkollege Liza zerpflückt den Gaza-Beschluss des Deutschen Bundestages und siegt intellektuell mit gefühlt zwölf zu null über die, die in Berlin das Volk treten, pardon: vertreten. Seine Analyse gipfelt in der zutreffenden Diagnose:

Judenmörder mögen in Würde leben, Juden hingegen nicht einmal leben – das ist es, was der Bundestagsbeschluss in letzter Konsequenz bedeutet.

Wie von einem antideutschen Blogger nicht anders zu erwarten, zieht er den Schluss:

Keiner der Abgeordneten versteht sich als Antisemit, doch der Beschluss ist ein Dokument des Konsens und Gemeinsinn stiftenden neuen Antisemitismus – einstimmig beschlossen im Deutschen Bundestag. Wenn es um Israel geht, kennt man hierzulande keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche.

Was uns daran erinnert, dass ein naheliegender Schluss nicht selten ein Kurzschluss ist.

Es stimmt schon, das mit Beschlüssen dieser Art der Antisemitismus gezüchtet wird; ich glaube nur nicht, dass er selber ein Produkt antisemitischer Ideologie ist. Die Wahrheit ist schlimmer: Würde man nur von den Juden Selbstmord verlangen, so wäre zwar auch dies höchst schäbig, würde aber immerhin implizieren, dass alle anderen westlichen Völker fortexistieren dürfen. Die Ideologie, der diese Abgeordneten folgen, fordert aber von allen abendländischen bzw. westlichen Völkern und von allen demokratischen oder auch nur zivilisierten Staaten, Selbstmord zu begehen.

Antisemitismus ist, wenn Juden diskriminiert werden. Ein Staat, der seinen eigenen Soldaten für erfolgreiche Einsätze mit dem Staatsanwalt droht, und der seine eigenen Grenzen für massenhaften Immigrations-Dschihad öffnet; ein Staat, der an der Abwicklung des eigenen Staatsvolkes und der Vernichtung der eigenen Souveränität arbeitet, diskriminiert Juden keineswegs, wenn er von Israel fordert, dasselbe zu tun.

[Siehe auch: „Vom Weltbild der Israelhasser“]

Mieser Charakter – und er kann es immer noch mieser!

von Heplev, zuerst veröffentlicht auf seinem Blog „Heplev – Abseits vom Mainstream“

Dass er ein Narziss ist, sollte inzwischen eigentlich jedem klar sein. Dass er schlechte Manieren hat, dürfte jedem, der etwas genauer hinsieht, ebenfalls klar sein. Aber was er sich jetzt mit dem besuchenden Premierminister Netanyahu geleistet hat, hat nichts mehr mit Manieren zu tun, sondern mit einer Überheblichkeit, die ihresgleichen sucht.

Benjamin Netanyahu kam zu Besuch ins Weiße Haus. Wenn man das überhaupt Besuch nennen kann, denn er wurde wie ein niederer Untertan vor dem herrischen König behandelt: absolut keine Fotos, kein Pressetermin, keine „gemeinsame Erklärung“ und die „Unterhaltung“ bestand aus der Vorlage von 13 Forderungen, die der Israelis gefälligst unterschreiben sollte. Diskussion unerwünscht. Und als der Meister der Überheblichkeit seinen Willen nicht bekam, spielte sich folgende Szene ab:

Obama steht auf und verkündet seinem „Gast“: „Ich gehe jetzt in den Wohnflügel, um mit Michelle und den Mädchen zu Abend zu essen.“ Und während er loszog, forderte er Netanyahu auf, über die Fehler seines Verhaltens nachzudenken. „Ich bin da. Lassen Sie mich wissen, wenn es etwas Neues gibt.“

Während er Völkermörder, Despoten, Tyrannen und Terror-Regime hofiert wie eine läufige Hündin den Rüden, werden Verbündete mit einer Arroganz und Hochmütigkeit behandelt, die der vermeintlichen Freundschaft Hohn sprechen. Und im Fall Israels geht das alles noch einen Schritt weiter: Die einzige funktionierende Demokratie des Nahen Ostens, ein Schlüsselpartner, vor allem im militärischen und geheimdienstlichen Bereich, von dem die USA mehr profitieren als von jedem anderen Verbündeten, wird als unwerter Befehlsempfänger behandelt, den man prügelt, wann immer Lust dazu besteht.

Barack Hussein Obama ist kein Präsident. Er ist eine Schande für den Staat, an dessen Spitze er steht. Diese Lachnummer eines Staatsoberhauptes ist nur noch peinlich.

Dass die israelische Delegation sich noch eine ganze Stunde im Roosevelt aufhielt, um darüber zu beraten, wie die beste Antwort auf den Hochfahrenden aussehen sollte, ist mir unverständlich. Es spricht für die Israelis, dass sie überhaupt so lange überlegten, bevor sie gingen.

Letztlich ist Obamas Verhalten keine wirkliche Überraschung, nur noch dessen Ausmaß. Noch erbärmlicher sind nur Medien, die nach dieser Szene Netanyahu für das verantwortlich machen, was da in Washington ablief (z.B. Ha’aretz). Oder solche, die die Absage eines Abendessens 1998 durch Netanyahu mit dem Geschehen im Weißen Haus gleichsetzen (The Telegraph) – damals hatte Bibi den britischen Außenminister Robin Cook ausgeladen, nachdem dieser sich in den „besetzten Gebieten“ in israelfeindlicher Weise verhalten und geäußert hatte.

Was für ein Friedensprozess, Frau Bundeskanzlerin?

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

sofern es Ihre Absicht war, am Montag einen bVDfI-Tag einzugelegen (bVDfI=besondere Verantwortung Deutschlands für Israel), muss ich Ihnen leider bescheinigen, dass Sie bestenfalls die besondere Verblödung westlicher Politiker in Nahostfragen zur Schau gestellt haben.

Sie haben also Angst, durch israelische Baumaßnahmen in Jerusalem „der gesamte Friedensprozess wieder gestört wird“. Gestatten Sie mir den Hinweis, dass es so etwas wie einen „Friedensprozess“ nicht gibt. Ein Friedensprozess, sofern er mehr sein soll als nur eine Gelegenheit zur Selbstinszenierung von zweitklassigen Profilneurotikern aus Europa, setzt die Bereitschaft beider Seiten voraus, die friedliche Koexistenz eines jüdischen mit einem arabischen Staat als Ziel anzustreben – was Israel längst akzeptiert und aktiv versucht hat. Damit ist weder Terrorismus vereinbar noch die Rückkehr der sogenannten Flüchtlinge (oder vielmehr die von deren Nachkommen, deren Bevölkerungsexplosion mit UN-Mitteln systematisch finanziert wurde) nach Israel. Letzteres wäre nichts anderes als das Projekt der ethnischen Unterwanderung Israels und seiner Verwandlung in einen arabisch-muslimischen Staat.

(Mir ist natürlich klar, dass Ihnen nicht einleuchtet, wo hier das Problem liegen soll. Wer – wie Sie – nichts dagegen hat und sogar fördert, dass das eigene Volk von muslimischen Immigranten unterwandert, ruiniert und – darauf wird es am Ende hinauslaufen – im eigenen Land als Volk von Untermenschen unterdrückt werden wird, grübelt wahrscheinlich den ganzen Tag darüber nach, warum die Israelis diesem leuchtenden Vorbild nicht folgen? Nun, vielleicht hängt es damit zusammmen, dass die Juden uns gewisse Erfahrungen voraushaben, die sie nicht wiederholen möchten, die uns aber aufgrund Ihrer göttlichen Politik noch bevorstehen, und dass sie nicht mit jenem masochistischen Selbstbestrafungskomplex geschlagen sind, der unser Volk, aber auch die anderen Völker des Westens, zugrunde richten wird.)

Was nun den Friedensprozess angeht, so wird der so lange nicht stattfinden, wie die Palästinenser glauben, sie könnten Israel – durch Terror, durch Isolation oder durch Unterwanderung – zerstören. Erst, wenn ihnen klar (gemacht) wird, dass dies eine Illusion ist, und dass die Zeit gegen sie arbeitet, nicht für sie, erst dann kann ein Friedensprozess beginnen, der diesen Namen verdient.

Wenn Sie also durchaus den Ehrgeiz haben, sich im Nahen Osten als Friedenstifterin zu betätigen (wozu Sie freilich schon deshalb nicht qualifiziert sind, weil Ihr Geschichtsbild sich wesentlich aus dümmlichen Klischees zusammensetzt und vermutlich zur Hälfte aus FDJ-Schulungen stammt, und weil der Geist der Servilität gegenüber der jeweiligen Vormacht, den Sie anscheinend aus der DDR mitgenommen haben, sich heute in einer Art Merkeldoktrin niederschlägt, wonach Deutschland jede Wendung der USA mitmachen müsse), wenn Sie also zum Frieden in Nahost wirklich beitragen wollen, dann gewiss nicht dadurch, dass Sie Israel unter Druck setzen, Konzessionen allein schon dafür zu machen, dass die Gegenseite sich zu „indirekten Verhandlungen“ herbeilässt (Wie hoch wird erst der Preis sein, den sie für direkte Verhandlungen fordern werden?), sondern dann gibt es dazu nur einen Weg, nämlich sich hinter Israel zu stellen und die westlichen Verbündeten aufzufordern, es einem gleichzutun. Nur dann – wenn überhaupt – werden die Palästinenser sich ihren monströsen Traum, die Juden ins Meer zu jagen, aus dem Kopf schlagen. (Und je mehr die Israelis im Westjordanland und in Ost-Jerusalem bauen, desto schneller wird die Gegenseite lernen, dass ihr die Zeit davonläuft.)

Sie müssen das selbstverständlich nicht tun. Nur unterlassen Sie dann bitte auch Ihr peinliches sentimentales Geschwätz von der „besonderen Verantwortung“. Die Kluft zwischen Reden und Handeln schadet unserem Land nämlich viel mehr, als wenn sie einfach Ihren Mund halten würden.

Trauma

von Lila

(Erstveröffentlichung in Lilas Blog „Letters from Rungholt“ am 25.09.09, Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autorin)

[Zum besseren Verständnis für die, die Lila nicht kennen: Die Autorin ist Deutsche und lebt mit ihrer Familie in einem Kibbuz im Norden Israels. Ihr ältester Sohn leistet zur Zeit Wehrdienst in der israelischen Armee.

Sie legt ausdrücklich keinen Wert darauf, den Kommentarstrang zu diesem Artikel in ihrem Blog noch zu verlängern. Wenn Ihr also kommentieren möchtet, dann bitte hier.]

Bei meinen Gesprächen in Deutschland habe ich nicht sehr tief gegraben, und kleine persönliche Eindrücke zählen ja eigentlich nicht. Trotzdem – ich hatte bei meinem letzten Besuch in Deutschland nicht das Gefühl, daß es eine Art von selbstverständlicher Solidarität mit deutschen Soldaten gibt, die in Afghanistan kämpfen. Das sind andere Deutsche, das sind Leute, die man nicht kennt, die sind weit weg, die haben die falsche Wahl getroffen, die hätten verweigern sollen, die müssen schon damit fertigwerden, was Soldatsein bedeutet.

Ich habe es ein paarmal vorsichtig angesprochen, daß nun auch deutsche Soldaten Todesangst haben müssen, schnelle Entscheidungen fällen müssen, die fatal falsch sein können, daß nun auch Deutsche Kriegssituationen erleben. Aber ich verstand schnell, daß sich vielleicht jemand sich mit ihnen identifiziert – aber nicht unter den Leuten, die ich kenne. Diese Probleme gehen wohl niemand anders an als die, die sich mit ihnen rumschlagen müssen.

Wenn ich von meinem Primus erzählte, meinten mehrere Gesprächspartner, „na ja, kein Wunder, bei euch werden die Kinder ja auch indoktriniert“. Darauf habe ich versucht, zu erklären, daß für Kinder, die hier aufwachsen, keine Indoktrination nötig ist, um zu verstehen, daß das Land bedroht ist. Und daß sie selbst bedroht sind.

Primus lag als Baby im Plastikzelt gegen Saddams Raketen (woran ihn nur Bilder erinnern), die Kinder erinnern sich noch gut an die Terrorwelle und mehrere Male, als wir Bus, Einkaufszentrum, deutsche Botschaft und Flughafenhalle schnell räumen mußten, und sie hören Nasrallah und Ahmedinijad in den Nachrichten. Sie haben mitgekriegt, wie viele Soldaten im Laufe der Jahre gefallen sind, traumatisiert nach Hause gekommen sind, sie kennen zwei Männer, die wegen Fehlentscheidungen ins Gefängnis mußten.

Sie wissen, daß sie ruhig schlafen konnten, weil unter anderem die Armee uns beschützt hat. Sie haben alle Männer und Frauen ihrer Verwandtschaft und Bekanntschaft in Uniform gesehen. Da kann man als fairer Mensch schlecht sagen: okay, das war nett von euch, euer Leben für uns in die Schanze zu schlagen, aber ich gehe lieber meinem eigenen Vergnügen nach und gehe in die USA studieren – sucht nicht nach mir, ich bin nicht dabei, paßt schön selbst auf euch auf.

Denn es ist auch eine Art der Indoktrination, Kindern beizubringen, daß außer dem eigenen persönlichen Erfolg, Fortkommen und Vergnügen nichts den Einsatz wert ist. Die Gemeinschaft, die Heimat, eine Art Solidarität mit anderen Deutschen? Man traut sich ja kaum, Volk zu sagen, weil die unsympathischsten, un-empathischsten Egoisten das Wort mit Beschlag gelegt haben. Aber ob man es will oder nicht, man gehört zu einer größeren Einheit, einem Stamm oder Volk oder Staat, bei jedem fächert sich das Gefühl der Zugehörigkeit anders auf. Aber es ist keine Schande, stolz auf sein Land zu sein und bei Fußballspielen die Hymne mitzusingen und die Fahne hochzuhalten und sich zu freuen, wenn die eigene Nationalmannschaft Erfolg hat. Man muß ja deswegen nicht gleich den zweiten Weltkrieg im Stadion noch einmal austragen.

Wenn also große Teile der jungen Deutschen es vorziehen, statt Wehr- oder Zivildienst gar nichts zu tun außer dem eigenen Fortkommen oder Vergnügen oder am besten beiden zu leben, dann ist auch das das Ergebnis einer Art Indoktrination, einer Beeinflussung. Man lebt den Kindern bestimmte Werte vor, und bis zu einem gewissen Grade verhalten sie sich dementsprechend.

Die Kehrseite dieser Werte bekommen nun die Soldaten zu spüren, die traumatisiert und eventuell auch stigmatisiert aus Afghanistan wiederkommen. Keiner weiß, was für tiefe Spuren der Krieg hinterläßt, der ihn nicht selbst erlebt hat. Ich habe ihn nicht erlebt, aber ich lebe seit 20 Jahren mit einem Mann mit Kriegstrauma. So tief er es auch in sich vergräbt, es ist doch da und hat ihn verändert, und manchmal kommt es zum Vorschein. Er hat Glück, es hindert ihn nicht am normalen Leben und er kann ohne Hilfe damit umgehen. Aber ich kann ein bißchen ermessen, wie schwer das Leben mit solchen Erinnerungen ist, die immer wieder hochkommen.

Nicht umsonst sind die drei erfolgreichsten israelischen Filme der letzten drei Jahre, Beaufort, Waltz with Bashir und Lebanon, dem Libanonkrieg von ´82 gewidmet, unter dessen Nachwirkungen mein Mann wie seine ganze Generation leidet.

In Israel gibt es heute mehr Verständnis und Hilfe für Menschen mit posttraumatischen Störungen, ob Terroropfer oder Soldaten oder Zivilisten unter Raketenbeschuß (im Norden und Süden). Es ist keine Schande mehr, halum krav zu sein, shell shocked, und es gibt ein ganzes Netzwerk der Hilfe, damit die Betroffenen in eine Art Normalität zurückkehren können. Israelische Psychologen und Psychiater gelten mit guten Grund als Speerspitze der Traumaforschung. Die Studienteilnehmer gehen ihnen nicht aus. Ja, sie können auch die Auswirkungen von Trauma auf Kinder- und Enkelgenerationen schwerst Traumatisierter erforschen.

In Deutschland sind die Traumatisierungen des Zweiten Weltkriegs noch nicht aufgearbeitet – meine Mutter, die zu Kriegsende ein Kleinkind war, bekommt Panikanfälle beim Heulen der Sirenen, und mein Vater, der den Krieg als kleiner Junge erlebt hat, hat entsetzliche Erlebnisse gehabt, ohne die er ein anderer Mensch geworden wäre, da bin ich sicher.

Ich habe in den letzten Jahren mit den Freunden und Freundinnen meiner Eltern, alle inzwischen so um die Sechzig, Siebzig, sehr interessante Gespräche geführt, bei denen ich ihre Kindheitsschicksale erfahren habe – erstaunliche Geschichten von Menschen, die ich seit meiner Kindheit kenne, und deren Albträume, Verlusterlebnisse, Ängste und Erinnerungen an Hunger, Flucht und Gefahr ich nicht kannte, und meine Mutter auch nicht. Es ist alles noch da – aber keiner hat es wahrgenommen, keiner hat geholfen.

In den 50er und 60er Jahren ging es um wirtschaftlichen Aufbau und Vergessen, um Errichten einer gewissen Normalität, danach um Aufarbeitung von politischer Schuld und gesellschaftlichem Versagen. Alles ehrenwert und wichtig und menschlich verständlich. Doch der persönliche Preis, den damals schuldlose Kinder bis heute in Form von Albträumen zahlen, ist kein Thema und kann es wohl auch nicht mehr werden. Doch ich bin mir sicher, daß jeder meiner deutschen Leser nur ein bißchen zu graben brauchte bei denen, die im Zweiten Weltkrieg Kinder waren, um auf ähnliche Traumata zu stoßen. Verschwiegen, verdrängt oder zu drolligen Anekdoten umfrisiert – „wie der Vater damals aus der Gefangenschaft wiederkam und die Kinder ihn nicht erkannt haben“ – aber die Traumata sind noch da.

Ich möchte mir wünschen, daß das Vergessen und Verdrängen nicht ein zweites Mal geschieht. Ich habe großes Mitgefühl mit den Afghanistan-Veteranen. Ich würde das Entstehen einer marginalisierten, ins Kriminelle abdriftenden Randgruppe von Veteranen in Deutschland nur mit Grausen sehen können. Und das ist eine Aufgabe für alle – egal was man politisch von diesem Einsatz hält, den Menschen darf man die Solidarität nicht verweigern. Die Soldaten zahlen einen Preis für die Entscheidungen von Politikern, auch die, die diese Politiker nicht gewählt haben. Wie schön wäre es, wenn sie in eine Atmosphäre der Solidarität, des Verständnisses und der Hilfe zurückkehren könnten.

Bei meinen Überlegungen zur Solidarität und moralischen Verpflichtung dem Nächsten gegenüber fiel mir ein Kollege ein. Er ist etwas älter als ich, ein besonders netter Mensch, und seine Kinder sind etwas älter als meine. Sein Sohn ist Offizier bei der Marine, und der Vater ist sehr stolz auf ihn. Ich habe nie mit ihm über Politik gesprochen.

Neulich sprachen wir am Telefon, wir wollten uns treffen. Er meinte, er kann bei mir vorbeikommen. „Aber du wohnst doch in Tel Aviv, was machst du denn in den Semesterferien im Norden?“, fragte ich. „Da bin ich einmal die Woche. Ich fahre jeden Dienstag an den Checkpost XY, hole von dort palästinensische chronisch Kranke aus der Gegend um Jenin ab, fahre sie nach Haifa ins Krankenhaus und abends wieder zurück. Wir haben so einen Fahrdienst organisiert, ich und noch ein paar andere Leute“, meinte er.

Auch das ist Solidarität, die sich nicht nur auf die eigenen Leute erstreckt – oder gerade doch. Ihm tun die Palästinenser leid, die wegen israelischer Checkpoints ihre lebenswichtigen Therapien versäumen – auch wenn diese Checkpoints als Reaktion auf terroristische Angriffe entstanden sind und es im Moment noch keine Alternative zu ihnen gibt. Und er möchte auch nicht, daß wir als Israelis das menschliche Antlitz verlieren, das in unserer Situation nur so schwer zu bewahren ist – wie die deutschen Soldaten in Afghanistan als vermutlich einzige Deutsche wirklich nachvollziehen können.

Es gibt immer wieder Menschen, die sich mit tätiger Hilfe dagegen wehren, dieses menschliche Antlitz zu verlieren. Der Sohn dient in seiner Uniform mit Abzeichen und verteidigt das Heimatland, und der Vater leistet Hilfe für Hilfsbedürftige, die unter dieser Verteidigung schuldlos leiden. Beide Verhaltensweisen gehören zur selben Art der „Indoktrination“, für die ich in Deutschland so wenig Verständnis erwarten kann.

Ja, sind wir denn unseres Bruders Hüter? Wir sind es. Und wir sollten „Bruder“ nicht so eng definieren, daß nur noch das Gesicht übrigbleibt, das uns im Spiegel anguckt.

Aus dem Wörterbuch des Gutmenschen: „Internationale Gemeinschaft“

Angesichts des sich erhöhenden Drucks auf Israel muss man kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass dem Ausdruck „Internationale Gemeinschaft“ eine neue Hochkonjunktur bevorsteht. Grund genug, noch einmal daran zu erinnern, dass dieser Terminus in sich eine Lüge darstellt:

Es handelt sich nämlich um eine sinnentstellende Scheinübersetzung von “international community“, was soviel bedeutet wie “Gesamtheit” (der Staaten), (internationale) “Allgemeinheit”.

Das deutsche Wort “Gemeinschaft” bezeichnet aber eine Gruppe, deren Mitglieder einander zu einem hohen Maß an Solidarität verpflichtet sind: vom Rechtsbegriff der “Versichertengemeinschaft” über “verschworene Gemeinschaft”, “Gemeinschaft der Gläubigen” bis hin zur “Volksgemeinschaft”.

Besonders akzentuiert wird der Begriff in der deutschen Geistesgeschichte durch die Gegenüberstellung von “Gemeinschaft” und “Gesellschaft”, wobei der Begriff der “Gemeinschaft” einen romantischen Beiklang hat: Der “Gemeinschaft” zu dienen gilt traditionell als erhabener und edler als bloß in der “Gesellschaft” seine schnöden Interessen zu verfolgen.

Eine “Internationale Gemeinschaft” in diesem Sinne existiert nicht, „Staatengesellschaft“ wäre viel treffender. Der Ausdruck „Internationale Gemeinschaft“

passt hervorragend zu einer deutschen Außenpolitik, die sich grundsätzlich hinter dieser “Gemeinschaft” versteckt,

enthält ein unausgesprochenes “Pfui” gegenüber allen Staaten, die das nicht tun,

ist für demagogische Zwecke wie geschaffen,

und wird genau deshalb von der deutschen Journaille in jedem zweiten Satz über den Nahostkonflikt verwendet.