Der Generalverdacht

Die „Integrationsbeauftragte“ Maria Böhmer hat zum wiederholten Male davor gewarnt, muslimische Einwanderer unter „Generalverdacht“ zu stellen.

Da bin ich ja froh, dass ich alle Aussicht habe, Gnade vor den Augen von Frau Böhmer zu finden. Ich jedenfalls nehme für mich in Anspruch, muslimische Immigranten niemals unter den Generalverdacht gestellt zu haben, sie seien schlechte Muslime:

Ich habe ihnen niemals pauschal unterstellt, das Wort Allahs zu vergessen, das Beispiel des Propheten zu missachten und die Pflicht zum Dschihad zu vernachlässigen. Ich habe ihnen niemals unterstellt, mit dem Koran so umzugehen wie „christliche“ Theologen mit der Bibel. Ich habe niemals das stereotype Klischee verbreitet, dass „alle Religionen dasselbe wollen“ und dass deshalb auch der Koran zu jener Sorte liberaler Platitüdensammlungen gehöre, zu der gewisse Leute die Bibel umgedeutet haben. Den kindischen und opportunistischen Umgang mit der religiösen Überlieferung, der im ehedem christlichen Europa heute en vogue ist, habe ich den Muslimen niemals vorgeworfen, schon gar nicht pauschal. Die wenigen Einzelfälle, in denen auch Muslime dem sie umgebenden Vulgärliberalismus anheimgefallen sind, dürfen auf keinen Fall zu einem Pauschalurteil über die muslimische Gemeinschaft insgesamt verallgemeinert werden.

Genau dies tut man aber, wenn man die tiefgreifenden kulturellen Gegensätze zu bloß folkloristischen Farbnuancen verniedlicht, die einer „Integration“ nicht im Wege stünden.

Maria Böhmer

Wer die Muslime unter den Generalverdacht stellt, jener infantilen gottlosen Dekadenz zu frönen, die sie optimalerweise mitbringen müssten, um in die Böhmerrepublik Disneyland intergrierbar zu sein, deren Ehrgeiz sich darin erschöpft „bunt“ und „fröhlich“ zu sein, der beleidigt sie und ihren Glauben mehr, als alle Islamkritiker der Republik zusammen es jemals könnten.

Warum die Zivilisation zusammenbricht

Von Daniel Greenfield, Erstveröffentlichung unter dem Titel „What is Behind the Collapse of Civilization?“ in Canada Free Press, 11. Februar 2010

Übersetzung von Manfred

Sozialismus, Dhimmitude, niedrige Geburtenraten, Zerbrechen der Familie, Niedergang des Westens, Aufstieg des Nannystaates, Untergang der menschlichen Freiheit

Was wäre, wenn die Sympathie für Terroristen, die Drift in Richtung Sozialismus, die fallenden Geburtenraten und der kulturelle Bankrott in zivilisierten Ländern, der wirtschaftliche Verfall und der Niedergang der Familie alle eine gemeinsame Ursache hätten? Was wäre, wenn diese gemeinsame Ursache hinter der Vielzahl der Arten und Weisen stünde, in denen wir die Zivilisation um uns herum zusammenbrechen sehen? Dieser Ursache nachzugehen wird eine kurze Reise erfordern, allerdings nicht in das Reich der Geopolitik oder Weltwirtschaft, sondern in den menschlichen Geist.

Man sagt, das Kind reife zum Manne. Was aber wird aus dem Mann, wenn das Kind niemals groß wird? Mit dieser leidigen Frage ist die Zivilisation, wie wir sie kennen, konfrontiert. Diese Frage wird sie beantworten müssen, wenn sie überleben will.

Der Weg vom Kind zum Manne führt über drei Etappen: Überhöhung, Rebellion, Integration. Das Kind stellt die Eltern auf einen Sockel. Dann als Heranwachsender beginnt es gezwungenermaßen in die Erwachsenenerolle zu wechseln und reagiert darauf mit Rebellion. Die Integration findet statt, wenn es die Erwachsenenrolle annimmt.

Allgemein gesprochen findet dieser Zyklus individuell in jeder Familie statt, aber er findet auch auf der Ebene einer Generation statt, da die Rebellion einer Generation zu ihrer Integration in den größeren Zyklus einer Nation, einer Gruppe und ihrer Geschichte führt.
Und so wie die Rebellion des Heranwachsenden ihm hilft, seine Talente zu entdecken und zu seiner Integration führt, hilft die Rebellion einer Generation ihr bei der Definition ihrer Fähigkeit, sich in ihr Land einzufügen und zu seinem Gedeihen beizutragen. Wird dieser Zyklus aber im Rebellionsstadium abgebrochen, so führt dies zur Verewigung der Adoleszenz oder zu einem Fall von arretierter Entwicklung, wobei eine andauernde Rebellion sich aus dem Zwang speist, die Welt auf eine kindische Art und Weise wahrzunehmen, um die Konstanten der Kindheit aufrechtzuerhalten.

Willkommen in der Welt von heute! Aber nicht erst heute. Wir leben in einer Ersten Welt, die sich im Zustand arretierter Entwicklung befindet. Wir sind umgeben von einer Kultur, die das Produkt arretierter Entwicklung ist. Wir sind umgeben von einer Politik arretierter Entwicklung. Zeitungen lesen, den Fernseher einschalten und – Gesellschaft für Gesellschaft – auf das Niveau der Debatten blicken heißt: die Auswirkungen von Generationen zu besichtigen, die sich im Zustand verewigter Adoleszenz befinden und Kinder hervorbringen, die in eine Gesellschaft geboren werden, in der dies der Normalzustand ist.
Während es immer noch viele Erwachsene gibt, konzentrieren sich gerade Politik und Kultur um Leute, die in der Rebellionsfalle hängengeblieben sind, und ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung in jedem Land der Ersten Welt trägt ihre Weltsicht weiter.

Nehmen wir das Rebellionsstadium genauer unter die Lupe. Dies ist von vitaler Bedeutung, weil wir darin leben.

Das Rebellionsstadium ist die Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsensein. Es ist die Reaktion des Kindes darauf, dass es gezwungenermaßen entdeckt, wie die Welt der Erwachsenen wirklich aussieht, und dass es beginnt, die Pflichten eines Erwachsenen zu übernehmen. (Die Midlife-Crisis hat gewisse Ähnlichkeit damit.) Kennzeichnend für das Rebellionsstadium ist der Versuch, der Erwachsenenwelt aggressiv eine kindische Weltsicht aufzuzwingen, um die Prämissen der Kindheit auch dann noch aufrechtzuerhalten, wenn man kein Kind mehr ist.

In dieser Phase nimmt man häufig idealistische Politikentwürfe an, die kaum realistische Pläne enthalten, dafür aber idealistische Globallösungen betonen. (Man sieht die Probleme der Welt, wie auch ein Kind sie sehen würde.) In der Rebellionsphase verwirft man häufig hergebrachte erwachsene Autorität und Regeln zugunsten alternativer Systeme, die entweder anarchisch oder gutgemeint totalitär sind. (Indem es die hergebrachte Autorität ablehnt, verwirft das Kind auch die Möglichkeit, eine Erwachsenenrolle anzunehmen, und sucht stattdessen nach maximaler Freiheit von Verantwortung entweder durch völligen Mangel an Regeln, oder durch völligen Mangel an Regeln unter dem Schutz der Sicherheit des Mammistaates.)

[Anm. d. Übers.: Greenfield schreibt „Nanny State“, und selbstverständlich bin ich mir bewusst, dass eine „Nanny“ keine Mammi ist. Ich halte aber wenig vom Import von Anglizismen; andererseits wäre eine Übersetzung mit „Kindermädchen-Staat“ ausgesprochen unelegant gewesen. Was aber mit dem „Nanny State“ gemeint ist, nämlich die Kombination von Bevormundung, Erziehung und umfassender Versorgung, das lässt sich auch ganz gut als „mütterlicher Staat“ verstehen, vgl. meinen Artikel „Mutter Staat“; die phonetische Ähnlichkeit gab für mich schließlich den Ausschlag, den Neologismus „Mammistaat“ einzuführen, in der Hoffnung, dass er sich durchsetzt.]

In der Rebellionsphase zählt als kultureller Wert nicht das tatsächlich Erreichte, sondern die Kreativität als solche. (Für ein Kind ist das Malen mit Fingerfarben wegen der Freude am Schöpferischen wichtig, nicht unbedingt wegen des objektiven Werts der Ergebnisse.) Film, Theater und Roman werden rein an ihrer Schockwirkung gemessen, was bedeutet, dass der Tabubruch die höchste Form von Drama oder Komödie wird.
(Das Kind hat eine kurze Aufmerksamkeitsspanne und ist gefesselt von allem, was es erschreckt und dadurch seine Aufmerksamkeit gewinnt.)

In der Rebellionsphase gibt es kein großes Ideensystem, nur kontextabhängige Werte. Moralität ist relativ, weil objektive Regeln zu einengend sind, der Empathie zu entbehren scheinen und wenig Raum für den Ausdruck individueller Impulse lassen. (Für das Kind sind Regeln emotional, nicht rational. Kontextbezogen, nicht ewig.) Die Rebellionsphase gipfelt in der romantischen Verklärung der eigenen Gefühle von Verwirrung, Beengung und Ohnmacht. Diese Gefühle werden auf den gesellschaftlichen Außenseiter projiziert, dem man sich näher fühlt als den Mitgliedern der eigenen Gruppe, eben weil auch er ein Außenseiter ist. Der Außenseiter scheint eine Verbindung darzustellen zu einer Form von natürlicher körperlicher und geistiger Vitalität, die einem selbst durch „konformistische“ Erziehung versagt blieb. (Das Kind sehnt sich nach natürlicher Ordnung und natürlichen Impulsen zur Verteidigung gegen die künstlichen und abstrakten Regeln der Welt.)

Es ist leicht, all diese Elemente um uns herum zu erkennen: in unseren Institutionen, in unserer Kultur und unserer Politik. Wer die gleichsam schockgefrorene Weltsicht der Rebellionsphase am Werk sehen möchte, betrachte die kulturellen Stereotype in den Vereinigten Staaten im Hinblick auf den Gegensatz zwischen den fünfziger und den sechziger Jahren, reduziert auf einfachste Klischees: Beengter Arbeitsplatz gegen Freiluftkonzert; schuften für den Mann gegen „sich selbst verwirklichen“; glauben, was alle glauben gegen Leidenschaft für das Schicksal der Welt; Dreiteiler gegen Freigeist. Diese Stereotype beinhalten, ins Negative gewendet, einen einfachen Kontrast, nämlich den zwischen der Zivilisation und ihren Gegnern [its Discontented].

Genau wie der Heranwachsende dagegen aufbegehrt, Erwachsenenrollen anzunehmen, indem er versucht, zur Kindheit zurückzukehren, versuchen Generationen, die die Erwachsenenrollen einer Zivilisation ablehnen, stattdessen diese Zivilisation in ein jugendliches Stadium zurückzudrängen. Bezogen auf eine Zivilisation, ist „jugendlich“ aber bloß ein anderer Ausdruck für „primitiv“ oder „wild“.

Den Wilden und den Barbaren romantisch zu verklären – sei es dadurch, dass man sich Jackson Pollocks statt Rembrandts an die Wand hängt, oder dass man der jeweils angesagten Bande von Drittweltschurken applaudiert, die uns vernichten wollen, oder dass man Monogamie und Ehe ablehnt, oder dass man Technologiebeschränkungen zum Schutz der Umwelt befürwortet – all das stammt aus derselben Feindschaft von Zivilisationskindern gegen – die Zivilisation, aus der sie stammen.

Werfen wir einen Blick auf Hollywood! Früher produzierte es Zelluloid-Phantasien, in denen die Mächte der Ordnung die Verkörperungen des Primitivismus abschlachteten. Heute produziert es Zelluloid-Phantasien, in denen die Verkörperungen des Primitivismus die Mächte der Ordnung abschlachten. Während Kritiker ersteres als chauvinistisch abstempeln und letzteres als politisch korrekt, drückt doch beides künstlerisch den Gegensatz von Zivilisation und Primitivismus aus. Die Wende markiert den Aufstieg derer, deren Sympathien sich von ganzem Herzen gegen die Zivilisation richten, und die die Rückkehr zu einem einfacheren und primitiveren Leben emotional mehr anspricht als der Schutz der Zivilisation. Diese Filme stellen den Aufstand gegen die Zivilisation dar. Getragen wird der Aufstand von denen, die die Zivilisation für vergiftet und für eine Bedrohung ihrer „natürlichen Impulse“ halten – fordert sie doch von ihnen, sich nicht länger wie Kinder aufzuführen und stattdessen erwachsen zu werden.

Das bringt uns zur Figur des Edlen Wilden. Den rebellischen Kindern der Zivilisation weist er den Weg zurück zu einem einfacheren und natürlicheren Lebensstil. Rechtfertigten frühere Generationen ihren Lebensstil damit, dass es darum gehe, „die Wilden zu zivilisieren“, so wollen ihre zornigen Kinder, die „Wilden“ sollten ihren Lebensstil durch die Aufforderung rechtfertigen, selbst wild zu sein. Selbstredend sind beide Ansätze rassistisch und ignorant, aber nur einer von beiden ist politisch korrekt.

Die Romantisierung des „Anderen“ als des „Edlen Wilden“ – der, dem Stereotyp zufolge, näher an der Natur ist, impulsiv, großzügig, vergnügungssüchtig, von angeborener Vitalität und Spiritualität – hat es emotional in der Pubertät verharrenden Westlern erlaubt, mannigfache Minderheiten zu „Avataren“ ihrer eigenen blockierten Entwicklung zu machen – und stets weiter Ausschau zu halten nach einem, der für sie als Huck Finns den Jim macht, für ein eigenes Abenteuer flussabwärts und in eine unaufhörliche Kindheit, fernab von den Anforderungen und Herausforderungen der Erwachsenen-Zivilisation. Er wird sie lehren, den „Wilden“ in sich selbst zu entdecken, indem er ihnen zeigt, wie man die Zivilisation hinter sich lässt und großzügiger, spiritueller und natürlicher wird.

So praktizieren sie einen Rassismus, der ebenso schädlich ist wie alles, wogegen sie zu Felde gezogen sind, aber es ist ein Rassismus, von dem sie nicht ablassen können, weil er zugleich der einzige Grund ist, warum sie überhaupt gegen Rassismus sind. Und er wird sie vernichten, weil ihre schlimmste Fehlkalkulation die war, als jüngstes Exemplar in ihre Reihe von „Edlen Wilden“ ausgerechnet die Muslime aufzunehmen. Das wachsende Ausmaß muslimischer Gewalt lässt sie nur sich noch fester an die neu gefundenen „Wilden“ klammern, die ihnen – so hoffen sie – zeigen werden, wie man mit dieser lästigen Zivilisation ein für allemal fertigwird. Was sie ja auch tun werden. Nur dass am Ende des Weges kein verlorener primitiver Garten Eden stehen wird, sondern Sklaverei, Unterdrückung und Tod.

Blicken wir nun auf die Geburtenraten. Die Geburtenraten sind in praktisch jedem zivilisierten Land drastisch eingebrochen; aber das ist nicht überraschend, weil Heranwachsende kein besonderes Interesse daran haben, Kinder zu haben. Allgemein halten die eher traditionellen Sektoren eines Landes die Geburtenrate hoch, und einströmende Immigranten. Inzwischen heiraten in den kulturellen Zentren die Paare später, bekommen ihre Kinder viel später und in geringerer Zahl, sofern sie sich damit überhaupt belasten.

Kinder zwingen ihre Eltern ja auch dazu, eine Erwachsenenrolle anzunehmen. Viele westliche Paare ziehen es vor, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Wie ein europäisches Ehepaar es in einem Artikel ausdrückte, standen sie vor der Wahl zwischen einem Auto und jährlichem Urlaub einerseits, und Kindern andererseits. So trafen sie ihre Wahl. Dasselbe taten viele Andere, ohne dass es Schlagzeilen gemacht hätte.

Arretierte Entwicklung bedeutet verzögerte Reife. Das Erziehungssystem hat sich aufgebläht, um dem gerecht zu werden, sodass jetzt größere Mengen von jungen Leuten ihre höhere Bildung erst mit Ende Zwanzig vollenden. Verringerte Sexualmoral bedeutet außerdem spätere oder gar keine Ehe. Eine „Ich-zuerst“-Kultur sichert darüberhinaus höhere Scheidungsraten. Das alles wirkt zusammen, die Geburtenraten niedrig zu halten. Der alles übertreffende Faktor ist aber die Flucht vor der Erwachsenenrolle durch Konzentration auf Selbstverwirklichung und Vergnügungssucht statt der Übernahme von Erwachsenenpflichten. Das bedeutet, dass eine Rebellionskultur zugleich eine Kultur niedriger Geburtenraten ist (ein ironischer Kontrast zu dem Edlen Wilden, dem sie nachzueifern versuchen).

Erwachsensein heißt das Selbst zu transzendieren. Im Gegensatz dazu tut verewigte Adoleszenz dies niemals. Politik, Kunst, Kultur, Institutionen und die ganze Welt sind nichts als Projektionen des Selbst. Politik reduziert sich auf die Unterstützung von Politikern, die deinen Ärger wiederspiegeln oder versprechen, sich um dich zu kümmern. Kunst reduziert sich auf Kreativität als Selbstzweck ohne wirklichen schöpferischen Erfolg. Institutionen machen entweder Regeln für alles und jeden oder arbeiten selbst regellos. Moralischer Relativismus oder anekdotische Beweisführung dominieren die öffentliche Rhetorik. Es gibt viel Reichtum, aber der ist so schnell verprasst wie gewonnen. Eine solche Kultur kann nicht sehr lange überleben, weil das, was sie aufbaut, unter ihrem Gewicht zusammenbricht.

Die Rebellion einer Generation spielt, wie die des Heranwachsenden, eine sehr wichtige Rolle für die Regeneration einer Kultur. Eine kurze Rebellionsphase nutzt die Perspektive eines Kindes, um die Kultur durchzurütteln und neue Ideen und Perspektiven einzubringen. Manche dieser neuen Ideen und Perspektiven werden dann in das existierende System integriert, um es zu bereichern und zu stärken. Dieser Zyklus kann eine Zivilisation auf neue Niveaus und zu neuen Höhen führen.

Wird dieser Zyklus aber abgebrochen, dann endet die Rebellionsphase niemals. Stattdessen stagniert sie. Neue Ideen werden alt, weil es nichts gibt, das sie ersetzen könnte, weil diese Ideen niemals in irgendetwas integriert worden sind, das größer wäre als sie selbst. Stattdessen rebelliert die nächste Generation, die gegen nichts mehr rebellieren kann außer gegen die Rebellion selber, dadurch, dass sie neue Extreme findet, zu denen sie strebt. Politik wird immer zersetzender, auch wenn sie immer inhaltsleerer wird. Hochkultur verflüchtigt sich zum Zeitgeist. Die niedere Kultur appelliert einfach schamlos an Schock und Spektakel.

Der Jugendkult dominiert die Kultur, wodurch „Carpe Diem“ zum einzigen moralischen Gesetz wird, da Jeder im täglichen Gewusel seinen selbstsüchtigen Bedürfnissen folgt, um den Fortgang der Zeit zu leugnen. Die Religion bricht zusammen, abgesehen von Kulten und Mysterienreligionen, die geheime Wege zur Unsterblichkeit versprechen. Die Geburtenrate bricht ein, und das Familienleben, Zentrum jeder Zivilisation, bricht ebenfalls zusammen. Die Industrie siecht dahin und wird durch persönliche Dienstleistungen ersetzt. Die Drecksarbeit will keiner machen, und in jedem Fall reißen die fallenden Geburtenraten Lücken an der Basis der Gesellschaft auf, sodass Migration eine neue Unterklasse hereinbringt, die eine gelangweilte Oberschicht als exotisch und aufregend ansieht. Die Anbetung des Edlen Wilden endet mit der Vernichtung der Zivilisation.
Wir sind diesen Weg schon früher gegangen, und er führt immer an denselben Punkt: Wenn eine Zivilisation es nicht schafft, den Zyklus fortzusetzen, und sich ins Erwachsensein zu integrieren, bedeutet das, wenn man es nicht verhindert, ihre Zerstörung. So wie ein Mensch, der darauf besteht, ein Kind zu bleiben, nicht selbständig überleben kann, so wird auch eine Zivilisation, die vor sich selbst davonläuft, in den Flammen untergehen, die sie selbst entfacht hat.

Die Rebellionsphase geht in die adulte Phase durch Integration über. Mit dieser Integration bestimmt und akzeptiert der Heranwachsende die Erwachsenenrolle und die Pflichten, die damit einhergehen. Durch Integration sieht der Lernende sich selbst als Lehrer, der Sohn als Vater, die Tochter als Mutter, der Arbeiter als Manager – und eine Generation geht den nächsten Schritt in der Geschichte ihres Volkes. Die Kreativität und die neuen Ideen, die sie mitbringt, werden auf konstruktive Weise integriert und formen das nächste Kapitel in der großen Erzählung ihrer Zivilisation.

Erwachsene Rollenmodelle sind naturgemäß der Schlüssel zu dieser Integration. Der Niedergang der Familie, im öffentlichen wie im privaten Leben, macht Integration viel schwieriger; speziell wenn eine Kultur darauf besteht, erwachsene Rollenmodelle abzuwerten und stattdessen negative Modelle anzubieten. Die Mythen und Erzählungen einer Kultur leiten den Heranwachsenden auf dem Weg ins Erwachsenendasein. Dasselbe gilt für die Pflichten, die er zu erfüllen hat. Wenn sich die Erzählungen einer Kultur an der Rebellionsphase orientieren und die Pflicht beinhalten, an an nicht endenden Erziehungsprogrammen teilzunehmen, dann macht auch dies den Übergang zur Erwachsenenrolle viel schwieriger. Wenn man das Ganze nun mit einem Mammistaat unterlegt, der bereits per se ein Symptom für eine Rebellionskultur ist, die versucht, Ersatzeltern zu schaffen, die auf einen aufpassen – dann wird es noch schwerer für die nächste Generation, erwachsen zu werden.

Erwachsensein bedeutet, die aufsässige Kreativität der Rebellionsphase in die konstruktive Kreativität des Erwachsenenalters zu überführen. Aufsässige Kreativität ist eine, die in Zurückweisung jeder Art von Einschränkung existiert. War aufsässige Kreativität einst ein Zeichen jugendlicher Rebellion, so ist sie heute in der Ersten Welt allgegenwärtig.
Im Gegensatz dazu ist es schwer geworden, konstruktive Kreativität zu entdecken, also eine, die der Welt etwas gibt und darauf abzielt, ein Endprodukt hervorzubringen, womit Menschen etwas anfangen können, statt einfach nur den eigenen Widerstand gegen Regeln kundzutun. Im Ergebnis leidet Amerika an einem Niedergang der angewandten [non-theoretical] Wissenschaften wie auch seiner Kultur. Und wir sind belastet mit Politikern, die höchst kreativ alle möglichen Arten großer Ideen formulieren, aber nicht konstruktiv im Sinne der Fähigkeit, sie zu durchdringen und zu Ende zu denken .

Sozialismus. Dhimmitude. Niedrige Geburtenraten. Zerbrechen der Familie. Niedergang des Westens. Aufstieg des Mammistaates. Untergang der menschlichen Freiheit. Die Bewunderung von Jedem, der bereit ist, der Zivilisation den Garaus zu machen – alles hat einen gemeinsamen Nenner: diesen.

Der Heranwachsende rebelliert gegen das Erwachsensein, indem er versucht, wie ein Kind zu leben, ohne Furcht vor Konsequenzen, mit Idealismus statt Ideen, mit Selbstverwirklichung statt Verantwortung. Eine Kultur, die gegen die Zivilisation rebelliert, versucht so zu funktionieren, wie sie es von den primitiven glaubt, also ein Kinderdasein zu führen. Die Ergebnisse sind um uns herum zu besichtigen.

Sie haben den Staat in eine Mammi verwandelt, die für sie sorgt. Sie haben Mörder für ihre Impulsivität bewundert. Sie haben Familie und Kinder als Hindernisse auf ihrem Weg beiseitegeräumt. Sie haben Industrie und Technik den Krieg erklärt, weil sie ihrer Anbetung des Primitiven entgegenstehen. Sie haben ihre Kultur auf diejenigen Dinge gebaut, die sie am meisten schockieren und ihre Politik auf das, was sie inspirierend finden. Sie haben der Zivilisation den Rücken gekehrt und versucht, den Erwachsenenpflichten zu entkommen, deren Erfüllung man von ihnen erwartet. Aber die Vergangenheit bietet kein Entkommen vor der Zukunft, und der Mensch kann nicht zurück in die Kindheit – er kann höchstens die verschrobene Parodie eines Kindes darbieten.

Die Rebellionsphase kann nicht unaufhörlich andauern. Sie ist schon vor langer Zeit öde geworden. Doch durch ihre Unfähigkeit vorwärtszuschreiten hat sie Generation für Generation in die Falle ihres abgebrochenen Zyklus gesperrt. Und der einzige Ausweg für die Erste Welt ist, kindisches Zeug beiseitezufegen und sich für das Erwachsenwerden zu entscheiden. Wenn wir dies im Angesicht des Dschihad nicht schaffen – dann schaffen wir es nie!


Nach dem 11. September gab es einen kurzen Moment, wo eine Kultur, die man gelehrt hatte, das Erwachsensein zu vergessen, auf einmal erfuhr, wie es ist, erwachsen zu sein. Manche kehrten um. Viele andere nicht. Jedes Jahr nähert sich das Messer ein wenig mehr unserer Kehle. Technik allein wird es nicht abhalten. Nur ein erwachsener Geist, erwachsene Entschlossenheit, erwachsener Wille, uns um jeden Preis zu verteidigen, wird es schaffen. Und wenn sie endlich die lang verworfene Erwachsenenrolle annehmen, werden die endlos pubertierenden Kulturen der Ersten Welt endlich erwachsen werden.

Obamas Afghanistan-Strategie: Siegen unerwünscht!

Der wichtigste Punkt in Obamas Rede zur amerikanischen Strategie in Afghanistan ist die Ankündigung, dass der Rückzug im Juli 2011 beginnen werde.

Diese Aussage neutralisiert die Anstrengungen der vergangenen Monate und auch der kommenden Verstärkung amerikanischer Kräfte, die den Afghanen und den Aufständischen hätte signalisieren können, dass das Ziel des Westens in Afghanistan ein Sieg ist, und dass man alles dafür Erforderliche zu tun bereit ist. (…)

Alles, was die Aufständischen jetzt tun müssen, ist die Vermeidung einer sichtbaren Niederlage in den kommenden 18 Monaten. (…)

Es ist zu früh, von einer wahrscheinlichen Niederlage in Afghanistan zu sprechen, aber Obama hat in seiner Rede die Weichen entsprechend gestellt, und viel Zeit für Kurskorrekturen bleibt nicht.

Das Weblog Sicherheitspolitik, von dem diese Einschätzung stammt, und das ich wegen seiner mit militärischem Sachverstand untermauerten Analysen stets sehr gerne lese, trifft damit zwar einerseits den Nagel auf den Kopf. Mir scheint aber, dass „Sieg“ und „Niederlage“ Begriffe sind, die für die westliche – und das heißt: amerikanische – Afghanistan-Strategie keine Rolle spielen, jedenfalls nicht in ihrer herkömmlichen Bedeutung.

Afghanistan grenzt im Westen an den Iran, im Norden an ehemalige Sowjetrepubliken, die von Moskau als „nahes Ausland“ und eigene Interessensphäre gesehen werden, im Süden an Pakisten, dessen Atomwaffen in Griffweite von islamistischen Fanatikern sind, und im Osten an die aufstrebende Weltmacht China. Wer Afghanistan militärisch kontrolliert, verfügt über eine strategische Schlüsselposition, von der aus sich mindestens latenter Druck auf die vier genannten Staaten ausüben lässt.

In Afghanistan nicht präsent zu sein, hieße für die USA: in Mittelasien nicht präsent zu sein; denn ein anderer Stützpunkt steht ihnen in der Region nicht zur Verfügung, jedenfalls keiner, der nicht von einer potenziell feindlichen Macht kontrolliert wird.

Es geht nicht um die Taliban und nicht um Bin Laden; es geht nicht um den 11. September oder Terrorismus, und es geht schon überhaupt nicht um Frauenrechte oder dergleichen – solche Begründungen dienen allenfalls dazu, die Gefühle des heimischen Publikums zu manipulieren: Es geht um die Kontrolle Mittelasiens.

Diese Kontrolle müsste aber an dem Tage ihr Ende finden, an dem die Taliban besiegt, Afghanistan befriedet und die afghanische Regierung Herrin im eigenen Haus wäre, die den Abzug der amerikanischen Truppen fordern würde.

Deswegen darf das alles nicht geschehen: Der Krieg darf niemals enden!

Wenn man die Dinge unter dieser Prämisse betrachtet, versteht man,

  • warum die Bush-Regierung in den Monaten nach dem 11. September zögerte, von ihren europäischen Verbündeten Truppen in ausreichender Stärke zu fordern (die sie damals ohne Weiteres bekommen hätte);
  • warum Bin Laden aus einer bereits geschlossenen Falle entkommen konnte;
  • warum die Bush-Regierung die für einen Sieg in Afghanistan erforderlichen Truppen lieber in den Irak schickte;
  • warum die Bundeswehr von den Verbündeten für die beherzte Zerstörung der berühmten Tanklaster Klassenkeile bezog (es ging nämlich nicht darum, die „Zivilbevölkerung zu schonen“, sondern die Taliban zu schonen);
  • warum die Bundesregierung bis heute eine überzeugende Analyse der Lage in Afghanistan ebenso schuldig geblieben ist wie eine Definition der Kriegsziele: Das Mandat für die deutschen Truppen wird Mal um Mal verlängert, und keiner weiß warum;
  • und schließlich, warum Obama die oben zitierte, scheinbar so widersinnige Ankündigung trifft, ab 2011 aus Afghanistan abzuziehen.

Die Wahrheit, dass ein Sieg nicht gewollt ist, darf niemand aussprechen, weil sonst zu Hause die öffentliche Unterstützung für den Krieg zusammenbräche. Deswegen muss man dem amerikanischen Publikum, das allmählich ungeduldig wird, von Zeit zu Zeit eine neue Strategie unterbreiten, die – diesmal aber wirklch! – den Sieg zu bringen verspricht, und zgleich dafür sorgen, dass sie eben nicht zu einem Sieg führt.

Dem deutschen Publikum kann man solche Wahrheiten erst recht nicht zumuten, weil es sonst sofort den Abzug aller deutschen Streitkräfte fordern würde – und dies zu Recht!

Ich glaube schon, dass die Präsenz Amerikas in Mittelasien für seine europäischen Verbündeten, also auch für uns, einen gewissen Kollateralnutzen abwirft. Diesen Nutzen würden wir aber auch ohne eigene Kriegsbeteiligung einsacken. Schon deshalb ist mir der Preis zu hoch:

Was die USA aus ihrer Präsenz machen, obliegt ausschließlich ihrer Entscheidung, sie werden sich da nicht hineinreden lassen: Deutschland stellt also letztlich Hilfstruppen für eine Politik, die nicht von der gewählten deutschen Regierung mitkonzipiert wird, über die sie die deutsche Öffentlichkeit sogar belügen muss, und die ausschließlich eine amerikanische Weltmachtstrategie begünstigt.

Indem sie für eine solche Politik das Leben deutscher Soldaten riskiert und opfert, rückt die Bundesrepublik, ein demokratischer Staat, sich selbst in die Nähe absolutistischer Doudezfürstentümer des achtzehnten Jahrhunderts, die ihre Untertanen als Soldaten an fremde Mächte vermieteten.

Raus aus Afghanistan?

Es kommt nicht häufig vor, dass ich mir in einer wichtigen politischen Frage unschlüssig bin, aber im Hinblick auf den Afghanistankrieg bin ich es schon seit einiger Zeit. Die Zweifel, ob es wirklich richtig war und ist, deutsche Soldaten an den Hindukusch zu schicken, nagen nicht erst seit dem erfolgreichen Angriff von Donnerstag nacht und dessen verheerendem Echo im In- und Ausland an mir.

Ich glaube, man sollte die Gelegenheit zu einigen grundlegenden Überlegungen nutzen: Wozu sind unsere Truppen eigentlich dort, und wozu halten unsere Soldaten dort ihren Kopf hin?

Jedenfalls sind sie nicht dort, um den Afghanen einen Gefallen zu tun. Das ist nur das Ammenmärchen, das unsere Politiker einer vollkommen infantilisierten deutschen Öffentlichkeit erklären, der man erfolgreich eingeredet hat, Militäreinsätze seien etwas „Böses“ und dürften deshalb – wenn überhaupt – jedenfalls nicht aus Eigeninteresse angeordnet werden, sondern ausschließlich, um Witwen und Waisen zu helfen, die Hungernden zu speisen, die Nackten zu kleiden und die Tränen der Mühseligen und Beladenen zu trocknen. Das einzige Eigeninteresse, zu dem man sich dabei allenfalls noch verstohlen bekennt, ist die Hoffnung, dass die Welt uns Deutsche wieder lieb haben möge.

Ein solches Weltbild ist hochgradig neurotisch; ein Volk, das ihm anhängt, will offenkundig belogen sein, und dementsprechend wird es auch belogen.

Dabei spricht selbstverständlich nichts dagegen, wenn man schon einmal dort ist, sein Möglichstes zu tun, um der Zivilbevölkerung zu erträglichen Lebensbedingungen zu verhelfen. Es gibt aber viele Länder auf der Welt, deren Bevölkerung leidet, und denen man ebensogut helfen könnte wie Afghanistan – Zimbabwe zum Beispiel oder Somalia. Wenn es nicht geschieht, so deshalb, weil wir kein eigenes Interesse daran haben.

(Den häufig gegen den Afghanistan-Einsatz vorgebrachten Einwand, wir würden den Menschen dort unsere Lebensweise aufzwingen, möchte ich allerdings doch zurückweisen: Es geht – wenn überhaupt – darum, die Taliban zu hindern, den Menschen mit grausamer Gewalt ihre Vorstellungen aufzuzwingen. Ich habe auf vielen, vielen Seiten dargelegt, dass die Taliban das sind, was bei konsequenter Anwendung des Islam herauskommt, und dass man Islam und Islamismus nicht sinnvoll als Gegensätze auffassen kann. Das heißt aber nicht, dass deswegen alle oder auch nur die meisten Moslems so leben wollen, wie die Taliban es von ihnen verlangen – es heißt „nur“, dass es eine westliche freiheitliche Demokratie dort schon deshalb nicht geben wird, weil sie nicht gewollt ist – und jeder, der sich nicht selbst betrügt, sieht, dass es eine solche Demokratie in Afghanistan selbst dann nicht gäbe, wenn die Taliban nicht existierten. Die Afghanen könnten aber durchaus ein stabiles Regime wünschen, unter dem sich endlich einmal leben (und nicht nur sterben) ließe, und es spricht nichts dagegen, sie dabei zu unterstützen. Aber eben nur, wenn man sowieso schon da ist; eigens deswegen hinzugehen wäre verrückt gewesen.)

Erinnern wir uns: Der Anlass für die Intervention des Westens war der 11.September. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die USA das Recht hatten, zurückzuschlagen und die Infrastruktur der Qaida in Afghanistan zu zerstören. Dass sie die Taliban darüberhinaus so weit in Schach halten wollen, dass eine Wiederherstellung dieser Infrastruktur nicht möglich ist, ist meines Erachtens auch vernünftig.

Es stimmt schon, was Peter Scholl-Latour sagt: dass nämlich die Bedrohung durch Al Qaida und Taliban inzwischen längst von Pakistan ausgeht und nicht mehr von Afghanistan, und dass Pakistan allein wegen seiner Atomwaffen, verbunden mit seiner politischen Instabilität, eine Gefahr ersten Ranges darstellt, und zwar für den gesamten Westen. Dies ist freilich kein Argument gegen, sondern für das Engagement in Afghanistan, und ich bin ziemlich sicher, dass es in Washington wie auch in allen übrigen westlichen Hauptstädten das zentrale und entscheidende Argument ist.

Die Präsenz in Afghanistan dient – wie schon Bushs Atomdeal mit Indien und jetzt Obamas Kuscheln mit Teheran – der Einkreisung Pakistans; der Westen braucht eine eigene (nicht von Verbündeten abhängige) strategische Position vor Ort, um gegebenenfalls schnell in Pakistan intervenieren zu können. Sein Ziel muss es also sein, Afghanistan so weit zu kontrollieren, dass er dort frei operieren kann. Deswegen müssen die Taliban bekämpft weden, nicht weil sie Mädchen am Schulbesuch hindern!

Die völlige Befriedung Afghanistans mag wünschenswert sein – sie ist aber weder aus westlicher Sicht notwendig, noch ist sie objektiv erreichbar. Ein Land, in dem jedes Jahr dreihunderttausend junge Männer ohne Job, Bildung und Perspektive ins kampffähige Alter kommen, bringt (noch dazu nach dreißig Jahren Krieg) zwangsläufig eine gewaltgetränkte Gesellschaft hervor; die Taliban werden immer genügend Kämpfernachschub haben. Wenn man sich dies bewusst macht, wird einem klar, wie töricht die „Strategie“ ist, dem Schutz der Zivilbevölkerung oberste Priorität einzuräumen, also notfalls auf die Bekämpfung des Feindes zu verzichten, um „die Herzen und Köpfe der Afghanen zu gewinnen“, weil sie sonst „den Taliban in die Arme getrieben werden“.

Für wie dumm hält man die Menschen dort eigentlich? Die verstehen vom Krieg mit Sicherheit mehr als unsere Sesselpupser in Berliner Ministerien und Abgeordnetenbüros. Ich bin sicher, sie wissen sehr wohl zu unterscheiden, ob eine Kriegspartei den Tod von Zivilisten notgedrungen in Kauf nimmt oder mutwillig. Für einen Afghanen gibt es viele Gründe, sich den Taliban anzuschließen, und die wenigsten davon werden irgendetwas mit einer vorwerfbaren „Schuld“ des Westens zu tun haben.

Die masochistische Gutmenschenmarotte, die „Schuld“ bei sich selber zu suchen, wenn Andere einen beschießen, ist als Grundlage militärischer Strategie nicht nur ungeeignet, sondern Wahnsinn! Kommandeure, die aus solchen Erwägungen vor dem Kampf zurückschrecken und feindliche Einheiten entkommen lassen, handeln in krimineller Weise verantwortungslos gegenüber den ihnen anvertrauten Soldaten, die diesen feindlichen Einheiten irgendwann gegenübertreten müssen, und gegenüber genau der Zivilbevölkerung, um deren Schutz es angeblich geht, die aber am stärksten unter den Terroranschlägen zu leiden hat, die von diesen Einheiten ausgehen.

Eben diese Strategie ist aber jetzt von der Obama-Regierung für Afghanistan vorgegeben worden, und die Amerikaner fallen damit von einem Extrem ins andere: Hatten sie unter Bush den Eindruck erweckt, dass sie Zivilisten selbst dort nicht schonen, wo das durchaus möglich ist, so schonen sie sie jetzt sogar dann, wenn das überhaupt nicht zu verantworten ist. Das Gegenteil einer falschen Strategie ist nicht automatische eine richtige.

(Und als Deutscher fühlt man sich an den alten Witz aus der DDR erinnert: Wofür steht in der folgenden Grafik der gerade Strich?

Unbenannt

Das ist der Funktionär, der von der Linie abweicht.)

Für die Verbündeten der USA stellt sich aber jetzt die Frage, ob es denn sein kann, dass man gezwungen wird, die eigene Strategie über den Haufen zu werfen, nur weil in Amerika der Präsident gewechselt hat. Ich finde, das kann nicht sein, und ich finde, die Bundeswehr sollte eine Lehre aus Afghanistan mitbringen: sich militärisch nur dann und dort zu engagieren, wo sie selber die strategische Federführung hat. Wo das nicht möglich ist, sollte Deutschland sich besser fernhalten.

Es stimmt schon, dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, aber es steht nirgendwo geschrieben, dass Deutschland sie selber verteidigen muss. Nein, ich plädiere nicht dafür, nach Art eines Schwarzfahrers ein Kollektivgut – in diesem Fall die von Amerika gewährleistete Sicherheit des Westens – kostenlos in Anspruch zu nehmen – jedenfalls plädiere ich nicht für Trittbrettfahrerei als Prinzip. Das Leben der eigenen Soldaten nicht für die Umsetzung einer verfehlten Strategie zu opfern ist aber keine Trittbrettfahrerei, und wenn die Meinungsverschiedenheiten zu den federführenden Amerikanern, aber auch zu den europäischen Verbündeten, nicht mehr sinnvoll überbrückbar sind, dann kann man sich mit Anstand zurückziehen und sollte es auch tun.

Kinder an die Macht?

Wer kennt sie nicht: die Tüddeleltern, die ihrem Kind jeden Wunsch erfüllen, sofern es ihn nur laut, ausdauernd und schrill genug vorträgt; die ganz begeistert sind von der Lebensfreude ihres Sprösslings, wenn er andere Erwachsene mit irgendwelchen Gegenständen bewirft oder stundenlang im Restaurant auf und ab läuft; die sich nicht trauen, ihr Zweijähriges um halb acht ins Bett zu legen, weil man das Kind ja nicht in seiner Entfaltung stören darf; und die höchstens dann ausfallend werden, wenn ein geplagter Mitmensch zaghaft anfragt, ob das liebe Kleine nicht vielleicht …

Wer kennt sie nicht? Nun, Klaus Wowereit und seine rote Gurkentruppe zum Beispiel.

In Berlin soll nach dem Willen der SPD jeglicher Kinderlärm in Zukunft ohne Einschränkung erlaubt werden. Man darf Kitas in Wohnhäusern eröffnen, ohne für entsprechende Schalldämmung zu sorgen, und wer das Pech hat, eine Familie mit besagten Tüddeleltern zu Nachbarn zu haben, womöglich noch in der Wohnung über dem eigenen Kopf, hat juristisch auch dann keine Chance, wenn das liebe Kleine von morgens um sechs bis abends um elf hin und her durch die Wohnung trampelt und in unregelmäßigen Abständen Schreianfälle bekommt. So etwas gibt es nicht? O doch, Freunde, ich versichere Euch: So etwas gibt es! Und noch etwas versichere ich, und zwar aus Erfahrung: Drei Monate mit solchen Nachbarn, und Ihr seid reif für die Nervenheilanstalt!

Rein theoretisch müsste gerade bei den in Berlin regierenden roten Parteien, und ebenso bei den auf der Reservebank lümmelnden Grünen die Sensibilität für das Thema „Lärm“ ganz besonders groß sein, wimmelt es dort doch nur so von Gewerkschaftsfunktionären, die die gesundheitlichen Folgen von Dauerlärm auswendig herunterbeten können, und auch bei den Grünen – und ganz besonders dort! – wird niemand ernsthaft bestreiten, dass Lärm unter die Kategorie „Umweltverschmutzung“ fällt.

Nur zählt das plötzlich nicht mehr:

„Wir wollen nicht, dass Kinderlärm mit Autolärm oder Presslufthämmern gleichgesetzt wird“

„Ziel ist es, Kinderlärm zu privilegieren. Er ist unverzichtbar für die Entwicklung eines Kindes.“

Mit anderen Worten: Ob Lärm gesundheitsschädlich ist, ist keine medizinische Frage, sondern eine politische. Lärm, für den man nicht die bösen Kapitalisten verantwortlich machen kann, ist nicht gesundheitsschädlich und daher zu privilegieren.

Natürlich fördert es mitnichten die Entwicklung eines Kindes, wenn ihm jegliche Rücksichtslosigkeit gegenüber Erwachsenen erlaubt wird. Ich habe selber zwei Kinder großgezogen und musste ihnen klarmachen, dass es Situationen gibt, wo sie toben können und dürfen, soviel sie wollen, und Situationen, wo das eben nicht geht. Wer freilich zu feige ist, seine Kinder überhaupt zu erziehen, weil er unter dem Einfluss linker Ideologie glaubt, das sei irgendwie „repressiv“, dem muss eine solche Forderung unerträglich erscheinen. Es geht in diesem Zusammenhang auch nicht so sehr um die „Rechte“ von Kindern, sondern um die Pflicht von deren Eltern (oder wer auch immer die Verantwortung trägt), ein Minimum an Rücksicht gegenüber Mitmenschen zu üben.

Der interessanteste Aspekt an der Initiative der SPD freilich ist die Tatsache, dass die Opposition nicht widerspricht. Das wundert einen bei den Grünen so wenig wie bei der FDP. Bei der CDU allerdings, die immer noch den Anspruch erhebt, eine bürgerliche, womöglich sogar konservative Partei zu sein, passt das beflissene Abnicken dieser roten Unverschämtheit nicht zu dem Bild, das ihr klassischer Stammwähler von ihr haben soll; wohl aber passt es hervorragend zu dem in den letzten Jahren vorherrschend gewordenen Eindruck, dass die Union bereit ist, jeden linken Unfug zu schlucken, wenn es gilt, sich selbst als „modern“ und „liberal“, in jedem Falle aber zu verkaufen. (Die größte Angst des Mainstream-Konservativen ist bekanntlich die vor dem Vorwurf, rückständig zu sein, und seine Gegenstrategie lautet, sich gegen diesen Vorwurf zu immunisieren, indem er die Ideologie und das Programm derer übernimmt, die ihn erheben.)

Wie tief unsere Gesellschaft von linker Ideologie durchdrungen und wie weit daher ihre Infantilisierung fortgeschritten ist, erkennt man gerade an solch scheinbar unpolitischen Materien wie dieser hier. Linke Ideologie erklärt die Existenz sozialer Machtungleichgewichte zu etwas prinzipiell Bösem und rechtfertigt damit die Privilegierung der angeblich „Unterprivilegierten“.

Deswegen versucht die Linke stets denjenigen zu privilegieren, der in der schwächeren sozialen Position ist (oder es so darstellen kann), also Entwicklungsländer gegen Industrieländer, Frauen gegen Männer, Arme gegen Reiche, Palästinenser gegen Israelis, ethnisch-religiöse Minderheiten gegen Mehrheiten. Dasselbe tut sie aber auch in scheinbar ganz unpolitischen Bereichen: Die Interessen von Radfahrern etwa haben stets Vorrang vor denen von Autofahrern. Das Prinzip lautet, dass der Stärkere dafür bestraft werden muss, dass er das ist.

Und deswegen haben sich Erwachsene von Kindern tyrannisieren zu lassen, und ist der Vorwurf der „Kinderfeindlichkeit“ noch vernichtender als der der „Ausländerfeindlichkeit“. („Kinderfeindlich“ ist bereits, wer von Kindern bzw. deren Eltern Selbstverständlichkeiten einfordert, in derselben Weise, wie „ausländerfeindlich“ ist, wer die die vielzitierte „kulturelle Bereicherung“ beim besten Willen nicht als solche empfinden kann und dies auch sagt.)

Um sich diesem Verdacht gar nicht erst auszusetzen, beugt sich die CDU der Diktatur linker Ideologen.

Phrasenschweine oder: Die Sprache des Kindergartens

Unter Sportreportern ist es guter Brauch, dass der, der eine Phrase absondert – etwa: „Das Eins-zu-Null hat dem Spiel gutgetan“ – fünf Euro ins Phrasenschwein werfen muss. Behaupten sie jedenfalls. (Es gab sogar einmal unter dem Titel „So werde ich Heribert Faßbender“ eine regelrechte Phrasensammlung.) Ich weiß nicht, ob besagtes Schwein wirklich existiert, aber es sollte existieren – fünf Euro sind jedenfalls eine gerechte Strafe für „So kann’s gehen im Fußball“.

Gerecht wäre natürlich auch, wenn die politischen Journalisten gleichermaßen zur Kasse gebeten würden, zum Beispiel für Sätze wie:

„Ein Ende der Gewalt im Gazastreifen ist nicht in Sicht.“

Wenn für Phrasen dieser Art keine fünf Euro abgedrückt werden müssen, dann dürfte das vor allem daran liegen, dass sie gerade wegen ihrer Banalität geballte Ideologie transportieren.

Was so beiläufig daherkommt, dass man es kaum noch hört, enthält in jedem Falle die Botschaft: „Ich bin eine Selbstverständlichkeit.“ Und worin besteht die?

Von Journalisten erwartet man, dass sie das treffende Wort finden. Für das Geschehen im Gazastreifen also das Wort „Krieg“, nicht das unspezifische „Gewalt“, das auch für eine Ohrfeige oder ein Wirtshausprügelei stehen kann. Den meisten Europäern ist aber noch erinnerlich, dass Krieg irgendetwas mit Politik zu tun hat, und dass meistens zwei Parteien gegeneinander kämpfen. Das Wort „Krieg“ würde also sofort fünf Fragen provozieren:

Wer kämpft

gegen wen

aus welchem Grund

mit welchem Ziel

und mit welchem (vorläufigen) Ergebnis?

Also fünf politische Fragen, die man auch politisch beantworten müsste.

Die sich aber erübrigen, sobald nur von „Gewalt“ die Rede ist. „Gewalt“ ist das Sinnlose und obendrein Böse, und deswegen geht es bei ihr nur darum, ob irgendein „Ende in Sicht“ ist. Das ist die Ideologie „Krieg ist keine Lösung“, versteckt in einem einzigen Wort und mit diesem in die Köpfe der Hörer, Leser und Zuschauer geschmuggelt, die gar nicht erst die Chance bekommen (sollen), irgendetwas zu hinterfragen.

Denn natürlich ist es Unsinn zu behaupten, Krieg sei keine Lösung. Krieg setzt einen politischen Konflikt voraus. Gelingt es, diesen friedlich zu lösen: gut. Wenn nicht, ist der Krieg der deadlock breaking mechanism. Eine Partei zwingt der anderen eine Lösung auf, sobald sie deren Gewaltpotenzial zerschlagen hat. Das ist ein unerfreulicher Vorgang, aber zu einer Lösung führt er allemal. Diejenigen Fälle, in denen Krieg wirklich „keine Lösung“ war – man denke an den Dreißigjährigen Krieg – sind die, in denen es nicht zu einer militärischen Entscheidung kam.

Weil das so ist, lautet die einzig interessante Frage im Zusammenhang mit einem Krieg nicht, ob ein „Ende in Sicht“ ist, sondern:

Wer gewinnt?

Für Drittstaaten kommt die Frage hinzu: Ergreife ich Partei und, wenn ja, für wen?

(Ich weiß, das sind alles Platitüden, und bis vor wenigen Jahren wusste das auch Jeder. Heute aber – heute leben wir einer Zeit, wo man beweisen muss, dass der Regen von oben nach unten fällt, nicht etwa umgekehrt.)

Heute kommen diese Drittstaaten gar nicht auf die Idee, so zu fragen. Stattdessen fordern sie – na was wohl? – ein „Ende der Gewalt“, und höchstrangige Delegationen reisen in die Region, um „zu vermitteln“ (wohlgemerkt: zwischen einem demokratischen Staat und einer faschistischen Terrororganisation; dass Beide somit gleichrangig seien, ist eine weitere ideologische Setzung, die man uns unterjubelt, ohne uns zu fragen).

Sarkozy und Assad - Staatsmänner unter sich, voll Sorge um den Weltfrieden

Erfreulicherweise – denn die Liquidierung der Hamas ist nun weiß Gott wünschenswert – haben diese Missionen keine Ergebnisse, sie dienen ja auch nur der gockelhaften Selbstinszenierung von Politikern, die möglicherweise selber glauben, dies sei Politik.

Erwachsene Menschen im Dienste des Mediensystems bringen es dann fertig, über die Scheinaktivitäten dieser – pardon! – aufgeblasenen Hampelmänner zu berichten, ohne in schallendes Gelächter auszubrechen. Täten sie es, müssten sie ja zugeben, dass es Wichtigeres gibt als die Frage, ob „ein Ende der Gewalt in Sicht“ ist.

So aber entpolitisiert man den Zuschauer, macht man aus einer politischen eine moralische Frage, spült man jeden Gedanken mit Emotionen weg, suggeriert man eine pazifistische Ideologie, und spielt man sich als Volkspädagoge auf, dessen Publikum die Reife von Kindern im Vorschulalter hat: „Seid doch lieb zueinander! Krieg ist keine Lösung! Der Klügere gibt nach!“

Diese Art Journalismus zielt unzweideutig darauf ab, den Zuschauer in einen Zustand infantiler Urteils-Unfähigkeit zu versetzen, und niemand sollte sich über Moderatoren wundern, die wie umgeschulte Kindergartentanten nicht nur aussehen,

Hannelore Fischer, ARDSusanne Conrad, ZDF

sondern sich auch eines dazu passenden Tonfalls befleißigen. Das Deprimierende daran ist, dass dieses Konzept funktioniert: dass sich die Nation also tatsächlich aufs Töpfchen setzen lässt und sich mit dem Daumen im Mund Gute-Nacht-Geschichten anhört.

Würden wir uns in der Sportberichterstattung die journalistischen Standards bieten lassen, die man uns dort zumutet, wo es um unsere vitalen Interessen geht, so klänge das Ergebnis ungefähr so:

Ein Ende dieses brutalen Macho-Spiels, in dem so viel gefoult wird, ist nicht in Sicht. Die Anwohner leiden unter dem Lärm. Der Versuch des französischen Staatspräsidenten, das Spiel vorzeitig abzupfeifen, ist gescheitert. Unsere Quellen vor Ort verraten uns den Spielstand nicht.“

So etwas hat Heribert Faßbender nie getan.