AfD: die Feigheit und ihr Preis

Das Wahlergebnis der AfD kann niemanden ernsthaft überraschen. Noch nie in der Geschichte der BRD ist es einer Partei ohne Unterbau, d.h. ohne Vertretung in Kommunal- und Landesparlamenten gelungen, in den Bundestag einzuziehen. Die Grünen schafften es erst, nachdem sie bereits in etlichen Landtagen vertreten waren, und sie schafften es als Partei eines linken Milieus, das fünfzehn Jahre Zeit gehabt hatte, sich zu formieren und seine Tentakeln bis weit in die etablierten Eliten vorgeschoben hatte. Die PDS als zweite Newcomerin in der Geschichte der BRD war als ehemalige Staatspartei der DDR in den neuen Ländern fest verwurzelt.

Erstaunlich und erklärungsbedürftig ist daher nicht, dass die AfD an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, sondern dass sie so knapp gescheitert ist. Die Gründe für ihren Erfolg und für ihren Misserfolg liegen nahe beieinander: Die AfD wäre nicht in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde gelangt, wenn die Medien ihr nicht eine Chance – und zwar eine mehr als nur faire Chance – gegeben hätten: Sie haben sie ebenso hochgeschrieben wie vor zwei Jahren die Piraten, und wer behauptet, sie sei „totgeschwiegen“ worden, muss in einem anderen Land leben als ich.

Insofern ist es absurd, wenn zahlreiche Kommentatoren speziell bei PI – und nicht zuletzt solche, die sonst mit dem Totschlagwort „Verschwörungstheorie“ nicht schnell genug bei der Hand sein können – nun Wahlfälschung und Wahlbetrug wittern. Wenn man die AfD zuverlässig vom Bundestag hätte fernhalten wollen, hätte es dazu weiß Gott einfachere Mittel gegeben, allein schon wegen des Zugriffs der etablierten Parteien auf die öffentlich-rechtlichen Sender.

Nein, die AfD ist – wie zuvor die Piraten – als programmatisch ungefährlich wahrgenommen worden. Den Mediengewaltigen war klar, dass eine solche Partei, selbst wenn sie im Bundestag vertreten wäre, dort keinen grundsätzlichen Kurswechsel für die BRD propagieren, geschweige denn durchsetzen würde. Daher hatten sie kein Problem damit, die Berichterstattung über den drögen Wahlkampf dadurch ein wenig zu würzen (und ihre Auflagen und Quoten ein wenig zu steigern), dass sie der AfD ein Forum gaben.

Die AfD verdankt mithin ihr durchaus respektables Wahlergebnis nicht ihrer eigenen Stärke, sondern drei Faktoren, die sich naturgemäß verschleißen und daher in vier Jahren nicht mehr gegeben sein werden:

  • Erstens dem Reiz des Neuen, der ihr die Unterstützung der Medien verschafft hat;
  • zweitens der daraus resultierenden Erwartung namentlich (aber nicht nur) rechter Wähler, die AfD habe eine echte Chance, weswegen es auf ihre tatsächlichen politischen Inhalte nicht so sehr ankomme; eine Anhängerschaft, die sich so deutlich von taktischen Erwägungen leiten lässt, wird in dem Moment auseinanderlaufen, wo diese Erwägungen gegenstandslos sein werden;
  • drittens der Entschlossenheit wiederum besonders ihrer rechten Anhänger, beide Augen zuzudrücken und sich einzureden, die AfD sei eine wirkliche Alternative und werde, einmal im Bundestag, die Themen des rechtsoppositionellen Spektrums auf die Tagesordnung setzen. Dass sie tatsächlich von all diesen Themen nur ein einziges, nämlich die Kritik am Euro, vertritt, und auch diesen nicht etwa abschaffen, sondern bloß die Südländer aus der Eurozone drängen will, sei nicht mehr als taktischer Kniff, sich eine Vertretung im Bundestag buchstäblich zu erschleichen.

Zur Ehrenrettung von Herrn Lucke sei gesagt, dass er einer solchen Illusion nicht die geringste Nahrung gegeben hat. Nicht er hat seine Anhänger betrogen, sondern diese sich selbst. Wären die Kniefälle der AfD vor der Political Correctness nur Taktik gewesen, man müsste ihrer Führung bescheinigen, aus erbärmlich inkompetenten Taktikern zu bestehen. Es ist nämlich ein gewaltiger Unterschied, ob man bloß darauf verzichtet, sich ein betont rechtes Profil zuzulegen, oder ob man aktive Affirmation der herrschenden Ideologie betreibt:

Es konnte keinen taktischen Grund geben, den Satz, Deutschland brauche Zuwanderung, ins Programm zu schreiben, ethnische Vielfalt („Pluralität“) als „Bereicherung“ zu preisen, Islamkritiker aus der Partei zu werfen, Wahlplakate in türkischer Sprache zu drucken, die gesamte EU-Problematik auf den Euro zu reduzieren (und damit durchblicken zu lassen, dass man selbst den EU-Beitritt der Türkei für kein wirkliches Problem hält), und sich beim Thema „Meinungsfreiheit“ nicht einmal zu klassischen liberalen Positionen durchzuringen. Das konnte keine Taktik sein, war also Überzeugung. Als Taktik wäre diese Politik mit dem gestrigen Abend gescheitert.

Die Stimmen, die der AfD zum Einzug in den Bundestag gefehlt haben, waren die Stimmen enttäuschter Oppositioneller, die gerne eine Alternative unterstützt hätten, aber beim besten Willen nicht erkennen konnten, warum sie eine Partei wählen sollten, die ihre Interessen und Überzeugungen nicht nur nicht vertritt, sondern geradezu verteufelt. Die aber erkennen mussten, dass gerade ein Erfolg der AfD diesen Kurs bestätigt und zementiert hätte.

Die Analysen der Meinungsforscher besagen, dass nur eine kleine Minderheit der AfD-Wähler in dieser Partei eine regierungsfähige Alternative sieht. Die AfD hat Protestwähler angezogen (und zwar aus allen politischen Lagern) – Wähler also, die die AfD nicht wegen, sondern trotz ihres angepassten Auftretens gewählt haben. Protestwähler bedient man durch Protest. Wie groß das Protestpotenzial in Deutschland ist, erkennt man gerade daran, das selbst eine bloß halbherzig protestelnde Partei wie die AfD es bis knapp an die bewusste Hürde schaffen konnte. Insofern hätte sich für die Partei ein strammer Rechtskurs zwar wahrscheinlich nicht ausgezahlt (zumindest hätte er ihr eine ganz andere Art von publicity verschafft), wohl aber der Wille, der weitverbreiteten Unzufriedenheit eine kraftvolle Stimme zu geben, und der Mut zu Provokation, Klartext und Polemik. Die AfD hat ihre Chance verpasst, weil es ihr an diesem Mut gefehlt hat.