Die „Kanzlerakte“. Agitation unter falscher Flagge.

von Dr. Claus Nordbruch

[Ich habe den Text mit freundlicher Genehmigung des Verfassers von dessen Webseite übernommen. Originalquelle: http://www.nordbruch.org/artikel/aKanzlerakte.html ]

Seit etwa 10 Jahren geht insbesondere bei Menschen, die anfällig für einfache Lösungen und Verschwörungstheorien sind, das Gerücht um, jeder neu gewählte Bundeskanzler müsse vor Ablegung seines Amtseides in den Vereinigten Staaten vorstellig werden, um dort die sogenannte Kanzlerakte zu unterzeichnen. Diese »Akte« stelle eine Art Verpflichtungserklärung gegenüber den Alliierten dar und solle Teil eines geheimen Staatsvertrages aus dem Jahre 1949 sein, mit dem sich die Alliierten unter anderem die Medienhoheit in der BRD bis zum Jahre 2099 sicherten. Falls diese Umstände der Wahrheit entsprächen, würde diese Akte alle bisherigen Kanzler der BRD von Adenauer bis Merkel als Marionetten, als willige Handlanger der Alliierten ausweisen.

Im September 1999 erklärten die Unabhängigen Nachrichten, ihnen liege »eine Unterlage vor, nach der in Kürze im Hearst-Verlag, New York, ein Buch erscheinen soll, in dem Prof. Dr. Dr. James Shirley Belege über ein geheimes Zusatzabkommen zum Grundgesetz vorlegt. Deutsche Verlage waren angeblich nicht bereit, das Buch zu verlegen. Prof. Shirley erklärt, warum: Das geheime Zusatzabkommen zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland enthalte einen Passus, nach dem die Medienhoheit (Presse, Rundfunk, Verlagswesen) bis heute und noch weit ins nächste Jahrhundert bei den Alliierten verbleibe.«[1]

Nach dieser Sensationsmeldung wurde es überraschend still um die »Kanzlerakte«. Neu entfacht wurde die Debatte um die ominöse Akte, als 2007 Generalmajor a. D. Gerd-Helmut Komossa, früherer Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), in seinem Buch Die deutsche Kartedas tatsächliche Vorliegen der »Kanzlerakte« zu bestätigen schien. Diejenigen, denen eine solche Existenz in die Weltsicht paßt und »die es ja schon immer gewußt haben«, jubilierten und kombinierten flugs, die Kanzlerakte sei eben doch kein Gerücht, sondern eine Tatsache. Zwar sei der genaue Wortlaut nicht bekannt, doch ergebe sich aus dem Zusammenhang mit dem Geheimvertrag die Ungeheuerlichkeit, daß die BRD das deutsche Volk über Jahrzehnte belogen habe.[2]

Tatsächlich behauptet General Komossa, ohne Gebrauch vom einschränkenden  Konjunktiv zu machen: »Der Geheime Staatsvertrag vom 21. Mai 1949 wurde vom Bundesnachrichtendienst unter ›Strengste Vertraulichkeit‹ eingestuft. In ihm wurden die grundlegenden Vorbehalte der Sieger für die Souveränität der Bundesrepublik bis zum Jahre 2099 festgeschrieben, was heute wohl kaum jemandem bewußt sein dürfte. Danach wurde einmal ›der Medienvorbehalt der alliierten Mächte über deutsche Zeitungs- und Rundfunkmedien‹ bis zum Jahr 2099 fixiert. Zum anderen wurde geregelt, daß jeder Bundeskanzler Deutschlands auf Anordnung der Alliierten vor Ablegung des Amtseides die sogenannte ›Kanzlerakte‹ zu unterzeichnen hatte. Darüber hinaus blieben die Goldreserven der Bundesrepublik durch die Alliierten gepfändet.«[3]

An letzterem besteht kein Zweifel: Tatsächlich werden die deutschen Goldreserven in den Kellern der Federal Reserve Bank (FED) in New York gelagert. Daß deutsche Beamte, diese Finanzreserven einsehen oder gar kontrollieren dürfen, ist bislang nicht bekannt geworden. Doch wie steht es um den Gehalt der besagten »Kanzlerakte«?

Der bis heute einzige Beleg für die Existenz des ominösen geheimen Staatsvertrages nebst Kanzlerakte ist das lediglich in Ablichtung vorliegende Schreiben 14. September 1996 eines in den Diensten des Bundesnachrichtendienstes stehenden »Staatsministers Dr. Rickermann« an einen namenlosen Minister, von dem es allerdings zwei Versionen gibt. Es bedarf keiner besonderen kriminologischen Vorkenntnisse, um eine Vielzahl von Merkwürdigkeiten in diesen Schriftstücken zu erkennen:

  1. Obgleich der Nachname Rickermann gegenwärtig von über 500 Personen in Deutschland getragen wird,[4] hat es in der Politik der BRD niemals einen Staatsminister mit diesem Namen gegeben. Auf Bundesebene ist der Titel Staatsminister eine auf Vorschlag desBundeskanzlers im Einvernehmen mit dem zuständigen Bundesminister vomBundespräsidenten (gem. § 8 ParlStG) verliehene Bezeichnung an einen Parlamentarischen Staatssekretär des Bundes für die Dauer seines Amtsverhältnisses oder für die Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe, ohne daß damit eine größere Machtkompetenzverbunden wäre.[5] Staatsminister gibt es im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt. Besagter Dr. Rickermann soll aber gar nicht in einem Ministerium, sondern im Bundesnachrichtendienst tätig gewesen sein!
  2. Wenn es einen Staatsminister im Bundesnachrichtendienst gäbe, würde dieser Politiker in der Rangordnung über dem Präsidenten des BND stehen. Wie aus dem »BND-Papier« zu entnehmen ist, ist besagter Rickermann jedoch der »Kontroll-Abt. II/OP« des BND zugeordnet. Damit wäre er aber lediglich ein Abteilungsleiter und kein Staatsminister. Darüber hinaus ist der Hinweis auf die »Kontrollabteilung II/OP« ominös. Der BND besteht aus 8 Abteilungen, eine eigene Kontrollabteilung ist in den offiziellen Dokumentationen nicht aufgeführt.[6]
  3. Das Papier wurde ganz offensichtlich mit einer Schreibmaschine geschrieben. Stellt sich die Frage, ob die Beamten des Bundesnachrichtendienstes 1996 Dokumente wirklich noch mit einer Schreibmaschine unterfertigt haben. Vielleicht haben sie das! Gewiß verfügt der bundesdeutsche Auslandsgeheimdienst, wie alle bundesdeutschen Geheimdienste, Institutionen und Ämter, jedoch über einen ausgefeilten Briefkopf, aus dem zumindest die postalischen und elektronischen Anschriften, Telephonnummern und Faxnummern ersichtlich sind. Anzunehmen, der BND verwendet als Briefkopf eine zusammengeschusterte oberste Zeile, die dilettantisch mit einfachen Großbuchstaben aufgesetzt wurde, ist weltfremd. Ganz zu schweigen davon, daß der in offiziellen Schreiben übliche und im bürokratischen Beamtenleben unvermeidliche Eingangsstempel fehlt.
  4. Warum erklärt »Dr. Rickermann« eigentlich die Kanzlerakte und den geheimen Staatsvertrag, wo doch davon auszugehen ist, daß der »sehr geehrte Herr Minister« über deren Existenz und Inhalt Bescheid weiß? Warum sollte »Dr. Rickermann« also den wesentlichen Inhalt der »Kanzlerakte« in einem Schreiben leichtsinnigerweise darlegen und dadurch das Risiko einer Indiskretion beträchtlich erhöhen? Daß »Rickermann« so freimütig aus der Mottenkisten plaudert, dient  offenbar nur dazu, uneingeweihte Leser, die den Inhalt der »Kanzlerakte« noch nicht kennen, in die Materie einzuführen.
  5. Das Schreiben ist gespickt mit einer Vielzahl von Form- und Denkfehlern.
    1. Auffällig ist, daß kein Minister direkt oder persönlich angesprochen wird, sondern das Schreiben, einem Serienbrief nicht unähnlich, mit der anonymen Grußformel »Sehr geehrter Herr Minister« beginnt. Es geht aus dem Schreiben folglich nicht hervor, an welchen Minister sich dieser Brief konkret richtet.
    2. Eine wahre Diskrepanz stellt die Anmerkung »Original bitte vernichten!« dar. Abgesehen davon, daß sie von jemanden, der die Sütterlinschrift nicht beherrscht, sehr behäbig und ganz offenbar anhand einer Schreibvorlage mühsam einen Buchstaben an den anderen reihend verfaßt wurde, fügt »Dr. Rickermann« am Vermerk »z. d. A.« (zu den Akten) kaum leserlich einen Datumsvermerk an, mit dem er pikanterweise bestätigt, das »Original erhalten« zu haben.
    3. Weder hat es am 21. Mai 1949 noch davor eine »provisorische Regierung Westdeutschlands« gegeben. Dieser Ausdruck war selbst in Zeiten der Zonenregierungen, schon gar nicht aber in bundesdeutschen Regierungskreisen üblich, sondern entspricht dem Wortgebrauch der Sowjetischen Besatzungszone. Ist dies vielleicht ein Hinweis darauf, wer der tatsächliche Urheber des Schriftstücks ist?
  6. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Geheimhaltungsstufe dieses Schreiben zu richten!Der Brief unterliegt dem Geheimhaltungsgrad »VS-Verschlußsache – Nur für den Dienstgebrauch«, gleichzeitig ist am oberen Rand aber der Hinweis »Amtlich geheimgehalten« angebracht. Aus § 11 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlußsachen (VS-Anweisung) ergibt sich jedoch, daß der Hinweis »Amtlich geheimgehalten« lediglich bei den Geheimhaltungsgraden »streng geheim«, »geheim« und »VS-vertraulich« verwendet wird. Der Vermerk »Amtlich geheimgehalten« wird am oberen und unteren Rand jeder beschriebenen Seite angebracht. Hingegen wird bei Dokumenten mit dem Geheimhaltungsgrad »VS-NfD« (»Nur für den Dienstgebrauch«) der Zusatz »Amtlich geheimgehalten« überhaupt nicht verwendet. Darüber hinaus ist derselben Vorschrift zu entnehmen, daß Dokumente mit dem Geheimhaltungsgrad VS-NfD mit Datum und Geschäftszeichen zu versehen sind, wobei das Geschäftszeichen am Schluß durch die Abkürzung »VS-NfD« zu ergänzen ist. Das Schreiben des »Staatsministers Dr. Rickermann« enthält weder Datum noch Geschäftszeichen.
  7. Auffällig sind die vielen Rechtschreibfehler in dem einfachen Text, die nicht nur auf Schlampigkeit, sondern auch auf eine niedere Schulbildung schließen lassen, die man bei einem promovierten Staatsminister ausschließen darf.  »Staatsminister Dr. Rickermann« empfiehlt dringend, die Echtheit »des gehaimen Staatsvertrages zwischen den Allierten Mächten und der provisorischen Regierung Westdeutschlands (…) abzuleugen«, schreibt von der »Medienhoheit der allierten Mächten« und unterzeichnet den Brief mit »Hochachtugsvoll«. Zu allem Überfluß kursiert in den Medien und im Internet eine zweite Fassung des Schreibens, in dem dilettantisch versucht worden war, besagte Fehler auszubessern. Auffällig ist ferner, daß in der zweiten Version die Zeilenlängen unterschiedlich zur ersten sind, womit ohnehin erwiesen ist, daß zumindest eine Fassung gefälscht wurde.
  8. Bekanntlich wurde die BRD am 23. Mai 1949 gegründet. Wie sollte es dann aber möglich sein, daß bereits am 21. Mai 1949 eine bis dahin noch nicht existente  »Bundesrepublik Deutschland« einen »Geheimen Staatsvertrag« schließen kann?

Die Frage ist, ob sich der ehemalige militärische Geheimdienstchef Komossa bei seinen Aussagen tatsächlich auf das »Rickermann-Papier« gestützt hat. Dies bestätigte General gegenüber derJungen Freiheit im Dezember 2007. Ihm liege »das zitierte Papier des BND in Ablichtung« vor. Er habe es als »Zeitdokument des Jahres 1949« verstanden: »Hinsichtlich der Vorbehaltsrechte benutzte ich dabei das sogenannte ›BND-Papier‹, das mir dienstlich zugänglich war, was ich aber nicht bewerten wollte und konnte. Auch heute weiß ich nicht, ob es echt oder Fälschung ist. Letzteres ist zu vermuten. Dieses in dem Buch nicht zu vermerken, war sicherlich ein Fehler. (…) Es war nicht meine Absicht, mit diesem Hinweis auf die ›Rechte der Alliierten‹ den Eindruck zu vermitteln, als würden diese heute noch wirksam sein.«[7] Ergänzend meinte Komossa: »Leider ist das Ganze durch Kürzung des Manuskripts im Lektorat mißverständlich geworden. Das bedauere ich sehr.«[8] Diese Bemerkungen sind erstaunlich! Abgesehen davon, daß die Alliierten sehr wohl auch heute noch Sonderrechte in bzw. über Deutschland genießen oder ausüben (dieFeindstaatenklausel der UN-Charta von 1945 gilt nach wie vor ebenso wie entsprechendeArtikel des Überleitungsvertrages vom 1955,[9] der besatzungsrechtliche Fragen regelt, die auch nach Abschluß des Zwei-plus-Vier-Vertrages im Jahre 1990 ausdrücklich weiter fortbestehen)kann das »zitierte Papier des BND« keinesfalls als »Zeitdokument« aus dem Jahr 1949 betrachtet werden: Abgesehen davon, daß es – wie aus »Rickermanns« Datumsvermerk »14.8.96« ersichtlich ist – daß das Schreiben erst in den 1990er-Jahren erstellt, und nicht bereits 1949 aufgesetzt worden ist, war der BND 1949 noch gar nicht gegründet worden. Reinhard Gehlen, dem damaligen Chef der Vorgängerorganisation des BND, zufolge, wurde die neue deutsche nachrichtendienstliche Organisation »von amerikanischer Seite finanziert, wobei vereinbart wird, daß die Mittel dafür nicht aus den Besatzungskosten genommen werden. Dafür liefert die Organisation alle Aufklärungsergebnisse an die Amerikaner«.[10] Der – grammatikalisch behäbig verfaßten – Eigendarstellung des BND ist zu entnehmen: »Am 1. April 1956 begann der Bundesnachrichtendienst als eine dem Bundeskanzleramt angegliederte Dienststelle seine Tätigkeit. Die Entscheidung der damaligen Bundesregierung lautete: ›Es wird eine Dienststelle Bundesnachrichtendienst eingerichtet. Sie ist dem Bundeskanzleramt angegliedert.‹«[11]Obendrein hat Komossa einer Leserin der Deutschen Stimme gegenüber behauptet, daß das Dokument ihm »›dienstlich zugänglich‹ gewesen [sei]. Das kann wohl kaum möglich sein, denn das Dokument, selbst wenn es echt wäre, soll erst aus dem Jahre 1996 stammen – als Komossa längst in Pension war. Viel wahrscheinlicher ist, daß er es zugeschickt bekam und ohne nähere Prüfung in sein Buch aufnahm, was für einen Fachmann wie ihn sehr bedenklich erscheint.«[12]

Um der gesamten Groteske die Krone aufzusetzen: Bereits im September 2006 erklärten die in der Vergangenheit schon öfter mit brisanten, aber meist nicht überprüfbaren Meldungen in Erscheinung getretenen Politischen Hintergrundinformationen (PHI) recht freimütig: »Diese Geschichte beruht auf einer reinen Fälschung eines Herrn M. aus München, der inzwischen verstorben ist und langjähriger Abonnent der PHI war und mit einem PHI-Redakteur persönlich befreundet. Dieser Mann war ein überzeugter Nationalist. Er zeigte unserem Redakteur das Original seiner Fälschung und die alte Schreibmaschine, mit der er sie angefertigt hatte und erklärte sinngemäß dazu, die Sieger und die Juden hätten so viele Dokumente zum Nachteil Deutschlands gefälscht, also habe er auch etwas gefälscht um die Autorität der, wie er es nannte, ›westdeutschen Marionettenregierung‹ zu untergraben und er dachte sich auch eine Geschichte dazu aus, nämlich daß man im Bundeskanzleramt nach einer Kopie oder Korrespondenz über diese Kanzlerakte suchen würde. Diese Korrespondenz erfand unser Herr M und sandte sie an verschiedene rechte Vereine, welche diese Kopie fleißig weiter kopierten, bis sogar ein amerikanischer Professor über die erfundene Geschichte ein Buch schrieb.«[13]

Da wäre es doch ein Leichtes, ein Exemplar dieses Buches in die Hände zu bekommen, sollte man meinen. Doch dies ist mitnichten der Fall! Ende 2007 erklärten die Unabhängigen Nachrichten: »Schon in der Ausgabe 1999 hatten wir mit allem Vorbehalt über eine solche ominöse ›Kanzlerakte‹ berichtet, weil wir die Echtheit der Informationen nicht belegen konnten. Alle Nachforschungen nach einem gewissen Prof. Dr. Dr. James Shirley, der darüber in einem Buch berichtet haben soll, blieben erfolglos, ebenso alle Recherchen nach dem Buchtitel bzw. bei dem angeblichen Verlag, der Hearst-Group in den USA.«[14] Dieses Ergebnis deckt sich mit den Untersuchungsergebnissen des Verfassers: Die Hearst Corporation, so der korrekte Name, ist ein gewaltiger US-amerikanischer Zeitungs- und Zeitschriftenverlag (CosmopolitanEsquire,Oprah Magazine) mit Sitz in New York, der sich auch auf dem Unterhaltungsprogramm im Fernsehen ausgebreitet hat. Es gibt in diesem Hause keine Buchveröffentlichung eines James Shirleys.

Auf der Internetseite Direkt zur Kanzlerin! können sich Bürger mit ihren Anliegen direkt an die Kanzlerin wenden. Diese Möglichkeit nutzte am 6. Oktober 2007 ein Bürger. Unter Bezugnahme auf Komossas Buch fragte dieser Merkel, ob die gemachten Angaben der Wahrheit entsprächen. Die Antwort des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 19. November 2007: »Der ›geheime Staatsvertrag‹, den Sie erwähnen, ist dem Reich der Legenden zuzuordnen. Diesen Staatsvertrag gibt es nicht. Und die Bundeskanzlerin mußte selbstverständlich auch nicht auf Anordnung der Alliierten eine sogenannte ›Kanzlerakte‹ unterschreiben, bevor sie ihren Amtseid ablegte.«[15] Nun könnte man einwerfen, daß auch das Presse- und Informationsamt der  Bundesregierung lügen kann. Gewiß, nur kann man angesichts der erdrückenden Beweislagedieser Aussage des Amtes Glauben schenken.

Abgesehen davon: Vertritt man allen Ernstes die naive Auffassung, daß im politischen Hintergrund agierende Drahtzieher (Bilderberger, Trilaterale Kommission, CFR usw.) nicht in der Lage wären, jeden Kanzler und Präsidenten für das anglo-amerikanische Einflußgebiet durch Intrigen, Geheimdienstmachenschaften und Medienlenkung gefügig zu machen, ohne dafür vom ihm oder ihr eine Unterschrift auf einem abstrusen Papier einfordern zu müssen?! Es ist erfreulich zur Kenntnis nehmen zu können, daß sich führende Köpfe der Nationalen Opposition in Deutschland einen klaren Geist behalten haben und nicht den Verschwörungstheoretikern auf den Leim gegangen sind: »Doch was auf den ersten Blick wie eine Sensation aussah, erweist sich bei näherem Hinsehen als Totalfälschung«,[16] heißt es beispielsweise mit Recht in der Deutschen Stimme.

Gewiß, trotzdem spricht vieles dafür, daß die Regierungen der BRD nicht zum Wohle Deutschlands handeln. Die einseitige, vom Strafgesetzbuch geschützte Geschichtsschreibung gehört in diesem Zusammenhang ebenso erwähnt wie beispielsweise eine seit Jahrzehnten betriebene Einwanderungspolitik, die offenbar darauf ausgerichtet ist, Deutschland demographisch und kulturell zu verändern, die zunehmende Islamisierung des Herzens Europas bei einer gleichzeitiger Verstärkung prozionistischer Positionen, das stete Abwandern deutscher Eliten aus Deutschland, das Absinken großer Bevölkerungsschichten in die Armut oder der Einsatz deutscher Soldaten außerhalb deutscher Grenzen. Nur bedarf es keiner Flucht in abstruse Verschwörungstheorien, um die Gründe und Ursachen dieser verheerenden Entwicklungen zu erklären!

Eine Analyse des Fundaments, auf dem die BRD aufgebaut ist, führt zu den gesuchten Antworten.[17] Wir sprechen hier von der Akzeptanz und Verfechtung der Doktrin von der doppelten Kollektivschuld der Deutschen. Dies ist das Selbstverständnis der BRD! Der Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg hat bereits vor vielen Jahrzehnten die Basis, auf welcher der westdeutsche Staat nach dem Krieg aufgebaut wurde, wie folgt formuliert: »Die Erkenntnis von der unbestrittenen und alleinigen Schuld Hitlers ist vielmehr eine Grundlage der Politik der Bundesrepublik.« Auch der 1938 nach Britannien emigrierte Publizist Sebastian Haffner (eigentlich Raimund Pretzel), der als eindringlicher Befürworter der deutschen Teilung maßgeblich an der Umerziehung des deutschen Volkes beteiligt gewesen ist, teilte diese Ansicht. Wer am heutigen Status quo (gemeint war das als volkspädagogisch wertvoll erachtete Geschichtsbild) rüttele, der bedrohe, Haffner zufolge, gar die Grundlagen des europäischen Friedens. In seiner Bundestagsrede vom 9. November 1988 bekannte Bundestagspräsident Philipp Jenninger, daß sich alle politischen Fragen in der Bundesrepublik Deutschland »im vollen Bewußtsein um Auschwitz« drehten. Der ehemalige Landgerichtspräsident Rudolf Wassermann sekundierte 1994: »Wer die Wahrheit über die nationalsozialistischen Vernichtungslager leugnet, gibt die Grundlagen preis, auf denen die Bundesrepublik Deutschland errichtet worden ist. […] Wer Auschwitz leugnet, greift nicht nur die Menschenwürde der Juden an, der rüttelt auch an den Grundfesten des Selbstverständnisses dieser Gesellschaft.«[18] Joschka Fischer hatte bereits 1987 »Auschwitz als Staatsräson« bezeichnet. Als Außenminister bekräftigte er seine Ansicht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 18. Februar 1999: »Alle Demokratien haben eine Basis, einen Boden. Für Frankreich ist das 1789. Für die USA die Unabhängigkeitserklärung. Für Spanien der Spanische Bürgerkrieg. Nun, für Deutschland ist das Auschwitz. Dann kann nur Auschwitz sein. Die Erinnerung an Auschwitz, das ›Nie-mehr Auschwitz‹, kann in meinen Augen das einzige Fundament der neuen Berliner Republik sein.« Entsprechende Erklärungen gibt es unzählige. Die Geisteshaltung der Repräsentanten dieses Systems und die Folgen ihrer Taten sind dementsprechend.

Am 20. Juni 2008 schrieb General Komossa dem Verfasser unter anderem: »Betroffen macht vor allem, daß nicht kritisiert wird, wenn in den Medien heute immer noch wahrheitswidrig die Behauptung verbreitet wird, daß die Deutsche Wehrmacht im Kriege im Gegensatz zu ihren Gegnern eine Unzahl von Verbrechen begangen hat, daß im Fernsehen im Jahre 2008 Filme gezeigt werden, die offensichtlich nicht frei von Manipulationen sind, in der Absicht, den deutschen Soldaten vor der Weltöffentlichkeit zu verunglimpfen. Eine Steigerung solcher ›Informationen‹ ist zu erwarten. Denn die Erlebnisgeneration stirbt aus! Auch ist nicht zu verstehen, daß Richter es heute immer noch zulassen, daß der deutsche Soldat –  natürlich ganz allgemein und nicht namentlich genannt – als Mörder bezeichnet werden kann. Lobenswert wäre es doch, wenn Kritiker sich doch besser gegen die Verunglimpfung des deutschen Soldaten einsetzen würden, der auf vielen Schauplätzen des Unfriedens in der Welt sein Leben einsetzt. Täglich aufs Neue!  Die Verletzung der soldatischen Ehre der Väter, die – in gutem Glauben, für unser Land zu kämpfen – in sechs Jahren ihr Leben eingesetzt und so oft verloren haben, verletzt auch die Würde des deutschen Soldaten heute, in unserer Zeit. Die Bundeswehr wurde nicht von Mördern aufgebaut und geformt, sondern von verantwortungsbewußten Soldaten, die vorher für ihr Land kämpfen mußten, und die sich noch einmal in den Dienst des Landes stellten.«[19] Diese Einschätzung ist richtig – diese Fehlentwicklungen konnten aber nur auf dem Nährboden entstehen und gedeihen, der das Fundament der BRD genannt wird! Einer »Kanzlerakte« bedurfte es hierbei nicht.

Die Apologeten dieses Phantasieprodukts tragen in erheblichem Maße zur Lähmung des Denkens und zur Hinwendung an den Fatalismus und Nihilismus bei; beides Faktoren, die der politischen Passivität dienlich sind. Die Verbreiter der Kanzlerakte-Lüge dienen somit den Systemtragenden.

© Dr. Claus Nordbruch 8/2008


[1]http://www.fk-un.de/UN-Nachrichten/UN-Ausgaben/1999/UN9-99/artikel1.htm

[2]Vgl. »Die Kanzler-Akte«, in: Der Reichsbote, Nr. 1/2008, S. 8.

[3]Gerd-Helmut Komossa, Die deutsche Karte. Das versteckte Spiel der geheimen Dienste, Graz  2007, Seite 21f.

[4]Vgl. www.verwandt.de/karten/absolut/Rickermann.html

[5]Vgl. http://www.bundesrepublik.org/Bundesregierung/Staatsminister/0/DETAILS/Staatsminister+(Begriffserkl%E4rung)/

[6]Diese acht Abteilungen gliedern sich wie folgt auf:

  • Abteilung 1 – Operative Aufklärung. Klassische nachrichtendienstliche Arbeit. Gewinnung und Steuerung geheim operierender Informanten. Pflege der Beziehungen zu Nachrichtendiensten anderer Staaten. Schlüsselstellung sog. Residenturen, d.h. Auslandsdienststellen des BND.
  • Die Abteilung 2 – Technische Informationsgewinnung mit technischen Mitteln durch Filterung der internationalen Kommunikationsströme. Bearbeitung verschlüsselter Nachrichten.
  • Abteilung 3 – Auswertung. Start- und Endpunkt der gesamten nachrichtendienstlichen Arbeitskette im BND. Die operativ und technisch beschafften Nachrichten werden zusammengeführt und analysiert. Über die Ergebnisse werden die Bundesregierung und andere Behörden informiert. Weiterhin ist hier das Lage- und Informationszentrum (LIZ) angesiedelt, in dem rund um die Uhr das aktuelle weltpolitische Geschehen beobachtet wird.
  • Abteilung 4- Steuerung und Zentrale Dienstleistung. Verwaltung von Personal, Finanzen und Rechtwesen.
  • Abteilung 5 – Operative Aufklärung / Auswertung. Operative Beschaffung und Auswertung von Informationen über „asymmetrische Bedrohungen“ (Internationaler Terrorismus und Drogenhandel, Geldwäsche, Terrorfinanzierung, illegale Migration)
  • Abteilung 6 – Technische Unterstützung. Versorgt die anderen Abteilungen mit technischen Dienstleistungen. Wesentliche Arbeitsfelder: Forschung und Entwicklung von nachrichtendienstlichen Techniken, Signalverarbeitung aus Kommunikationssystemen, Softwareentwicklung, DV-Unterstützung bei der nachrichtendienstlichen Arbeit
  • Abteilung 7 – Schule des Bundesnachrichtendienstes u.a.mit Laufbahnlehrgängen für den öffentlichen Dienst als auch Fortbildungen in den Bereichen nachrichtendienstliche Methodik und Technik sowie Sprachen.
  • Abteilung 8 –Sicherheit, Geheimschutz und Spionageabwehr ist zuständig für den Schutz der Mitarbeiter und der nachrichtendienstlichen Verbindungen vor sicherheitsgefährdenden Angriffen als auch für den Schutz von Einrichtungen und Gegenständen sowie Arbeitsmethoden und Arbeitsergebnissen.

[7]Hans-Joachim von Leesen, »Ein Windei von Verschwörungstheoretikern«, in: Junge Freiheit v. 18.1.2008.

[8]Email von Gerd-Helmut Komossa an den Verfasser vom 20.6.2008.

[9] Korrekt lautet der Name dieses Dokuments ›Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen vom 26.5.1952‹. Dieser ist ein Zusatzvertrag zum Deutschlandvertrag zwischen der BRD, den USA, Großbritannien und Frankreich und Teil der ›Pariser Verträge‹, die am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnet wurden und am 5. Mai 1955 in Kraft traten.

[10]Reinhard Gehlen, Der Dienst, Mainz-Wiesbaden 1971, S. 149.

[11]http://www.bnd.bund.de/cln_027/nn_355470/DE/Wir__Ueber__Uns/Geschichte/Geschichte__node.html__nnn=true

[12] Holger Szymanski, »Die Kanzlerakte. Vermeintliche ›Enthüllungen‹ eines ehemaligen Bundeswehrgenerals«, in: Deutsche Stimme, Nr. 2/2008, zitiert nach

http://www.deutsche-stimme.de/Ausgabe2008/Sites/02-08-Akte.html

[13]Zitiert nach http://freezonechef.servertalk.in/viewtopic.php?t=2741

[14] http://www.fk-un.de/UN-Nachrichten/UN-Ausgaben/2007/UN12-07/2007-12-1.htm

[15]http://www.direktzu.de/kanzlerin/messages/13569

[16] http://www.deutsche-stimme.de/Ausgabe2008/Sites/02-08-Akte.html

[17] Claus Nordbruch, Sind Gedanken noch frei? Zensur in Deutschland, München 22001 sowie Claus Nordbruch, Der Angriff. Eine Staats- und Gesellschaftskritik an der Berliner Republik, Tübingen 2003 und Claus Nordbruch, Machtfaktor Zionismus. Israels aggressive Außenpolitik, Tübingen 2008.

[18] Alle Zitate in Claus Nordbruch, Sind Gedanken noch frei? Zensur in Deutschland, München ²2001, S. 41f.

[19] Email von Gerd-Helmut Komossa an den Verfasser vom 20.6.2008.

Wie deutsche Außenpolitik funktioniert

Der „Spiegel“ hat uns diese Woche wieder faszinierende Einblicke in die Abgründe deutscher Diplomatie gewährt. „Diplomatie“ bedeutet bekanntlich so viel wie „Doppelzüngigkeit“, und man wird der deutschen Außenpolitik bescheinigen müssen, dass sie es in dieser Kunst zu vollendeter Meisterschaft gebracht hat.

Doppelter Boden I: Iran

Da erfahren wir also, dass die Bundesregierung auf der einen Seite einzelne Unternehmer im Iran-Geschäft massiv behindert, dass sie Exportbürgschaften beschränkt, dass sie außerdem eine „Strategie der Entmutigung“ verfolgt nach dem Motto: „Liebe deutsche Wirtschaft, verzichte bitte auch auf legale Geschäfte mit dem Iran, es könnte ja sein, dass wir sie für illegal erklären“ – ohne letzteres zu tun.

Auf der anderen Seite nimmt sie es hin, dass das Volumen des deutsch-iranischen Handels stetig zunimmt, und drängt darauf, Sanktionen – wenn überhaupt – nur im Weltsicherheitsrat beschließen zu lassen, wo Russen und Chinesen jede durchschlagende Sanktion verhindern werden. Was man am Werderschen Markt natürlich weiß.

Einseitige Sanktionen Deutschlands, erst recht der EU, etwa bei Investitionsgütern für die Ölindustrie, würden den Iran zwar empfindlich treffen, sie wären auch ohne weiteres legal, aber sie sind politisch nicht gewollt.

Auf der einen Seite tut Berlin also mehr, als es zugibt, indem es die deutsche Wirtschaft unter Druck setzt, ohne das an die große Glocke zu hängen, auf der anderen Seite deutlich weniger, als es tun müsste, um einen messbaren Erfolg zu erzielen.

Doppelter Boden II: Irak

Dass die beiden BND-Agenten, die während des Irak-Krieges in Bagdad stationiert waren, auch für die Amerikaner spionierten, das konnte man schon immer vermuten; der „Spiegel“ hat es jetzt bestätigt. Während also Schröder und Fischer lautstark gegen den Krieg polterten, unterstützten sie direkt die Kriegführung der USA.

„Sei immer bei den Siegern, Germania!“

Die Liste der Doppelbödigkeiten ließe sich beliebig verlängern, etwa um die Beteiligung an der UNIFIL-Mission im Libanon, („Unsere Marine kreuzt vor der libanesischen Küste; das heißt, sie stellt sich bis an die Zähne bewaffnet vor ein fest verrammeltes Fenster, während die Tür – … der Landweg von Syrien her – sperrangelweit offensteht.“) oder das Engagement in Afghanistan.

Das Muster – dass nämlich Deutschland irgendetwas tut, aber stets zu wenig; immer genug, um nicht der Untätigkeit bezichtigt zu werden, und immer zu wenig, um die proklamierten Ziele zu erreichen – dieses Muster ist immer dasselbe. Und das liegt nicht etwa daran, dass Deutschland immer denselben Fehleinschätzungen aufsitzen würde. Der scheinbare Widersinn hat vielmehr Methode.

Diese Methode lautet, in internationalen Konflikten möglichst nicht Partei zu ergreifen. Kommt man aber nicht darum herum, dann ergreift man am besten Partei für beide Seiten. Dabei dosiert Berlin seine Unterstützung jeweils so, dass sie für die eine Seite wertvoll ist, der anderen aber nicht wehtut.

Auf diese Weise wird die Diplomatie – also die Doppelzüngigkeit – zur Kunstform erhoben. Eine Kunst ist es ja nicht, andere Akteure zu betrügen. Eine Kunst ist es, sich selbst in eine Position zu manövrieren, in der die Betrogenen einem noch dankbar sein müssen. Sofern einem dies gelingt, hat man überall seine Eisen im Feuer und ist stets und automatisch bei den Siegern.

Die Methode Fouché und die Methode Talleyrand

Nicht, selbst zu siegen ist also das Ziel einer solchen Politik, sondern: bei den Siegern wohlgelitten zu sein und jederzeit den Daumen im Brei zu haben. Die Geschichte kennt diesen Politikstil als den der Herren Fouché und Talleyrand, die von Beginn der Französischen Revolution bis in die Restaurationsepoche unter Louis XVIII. trotz aller Regierungswechsel fast immer in der Regierung saßen, aber natürlich nie als Regierungs- oder Staatschef – sonst wären sie ja dem nächsten Umschwung zum Opfer gefallen, statt davon zu profitieren. (Wer es genauer wissen möchte, dem empfehle ich die wunderbare Fouché-Biographie von Stefan Zweig). Der Unterschied zwischen Beiden war fein, aber beachtenswert:

Fouché war darauf aus, Situationen herbeizuführen, in denen es von ihm, und von ihm allein abhing, wer an die Macht kam bzw. an der Macht blieb; „Verrat“, sagte er, „ist eine Frage des Datums“; für eine solche Politik des Königmachens bzw. Königmordens musste er nahe am Zentrum der Macht sein. Talleyrand dagegen seilte sich ab, wenn die Dinge sich zuzuspitzen schienen, wartete ab, bis die Würfel gefallen waren, und stellte sich dann in den Dienst des Siegers.

Das heutige Deutschland ist der Talleyrand unter den Nationen.

Deutsche Außenpolitik – funktioniert sie überhaupt?

Kann aber der Stil eines noch so durchtriebenen und erfolgreichen Politikers (Talleyrand hielt sich länger in der Regierung als Fouché) der eines ganzen Staates sein, noch dazu eines Staates von der Größe Deutschlands? Zumal wenn dieser Stil so offensichtlich opportunistisch, prinzipienlos, unaufrichtig und hässlich ist wie der der deutschen Außenpolitik? Könnte es sein, dass eine solche Politik mehr schlau ist als klug?

Grundsätzlich ist es ja wahr, dass eine Politik, von der das Wohl und Wehe von achtzig Millionen Menschen abhängt, nicht schön sein muss. Sie muss nicht moralisch wertvoll im Sinne altruistischer Prinzipien sein. Erst recht sollte sie niemandem heilige Schauer über den Rücken jagen. Sie sollte erfolgreich sein, und es ist schon einiges erreicht, wenn das Land nicht von Krieg, Anarchie oder Hungersnot heimgesucht wird. Warum also beunruhigt mich so sehr die spezielle Hässlichkeit deutscher Außenpolitik?

Ich behaupte nicht, dass meine Gedanken in diesem Punkt ausgereift wären, und ich bitte schon einmal um Verzeihung, dass ich mehr Fragen als Antworten habe.

Ich will meine Kritik aber auch nicht auf den Gemeinplatz beschränken, dass wir eines Tages dringend auf die Unterstützung Anderer angewiesen sein könnten, dass es sich dann rächen könnte, wenn wir sie heute um unsere Unterstützung betteln lassen, und dass wir den Unterschied zwischen Schlauheit und Klugheit sehr bitter zu spüren bekommen könnten. Das ist zwar so, aber mir geht es um etwas Fundamentaleres:

Nationalstolz ist eine Ressource, die in Deutschland knapper ist als anderswo, und darin liegt eine Schwäche, die latent ist, d.h. im Normalbetrieb nicht auffällt, die aber in einem Krisenfall urplötzlich zu Tage treten könnte. Ich glaube nicht, dass diese Schwäche nur, oder auch nur überwiegend, mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zusammenhängt, oder mit der Achtundsechziger-Hypothek. Sie könnte auch damit zusammenhängen, dass man so selten plausible Gründe bekommt, auf das eigene Land stolz zu sein.

Wieviel Stabilität, wieviel inneren Zusammenhalt, wieviel Loyalität und Opferbereitschaft seiner Bürger kann eigentlich ein Staat erwarten, der das Wesen seiner Politik ständig hinter schwülstigen und hohlen Phrasen verbergen muss, und dies nicht im Sinne einer schmückenden Übertreibung, sondern im Sinne einer Lüge? Der sich zur Rechtfertigung seines nie versiegenden Opportunismus auf moralische Prinzipien beruft, also auf genau das Gegenteil seiner wirklichen Motive? Der seine Bürger systematisch belügen muss, um nicht von ihnen verachtet zu werden?