Internierungslager Algenrodt – ein totgeschwiegenes Stück Zeitgeschichte

[Es ist gar nicht leicht, an Informationen über das alliierte Internierungslager Algenrodt in Idar-Oberstein zu kommen, in dem mein Großvater seit dem 26. Mai 1945 rund acht Monate lang eingesperrt war. Nachdem er im Februar 1946 mit seinen Mithäftlingen nach Diez verlegt worden war, gelang ihm im Sommer 1946, also nach über einem Jahr, die Flucht.

Der einzige Hinweis auf das Lager Algenrodt, den ich im Netz finden konnte, bezieht sich auf einen Aufsatz, den der Regierungsschuldirektor Edgar Mais aus Idar-Oberstein im Heimatkalender 1985 des Landkreises Birkenfeld veröffentlicht hat. Wenn es um die Misshandlung von Deutschen geht, hält sich das Interesse deutscher Historiker offenbar in Grenzen.

Dieses Lager war nicht etwa ein Gefängnis, in dem Menschen wegen konkreter Taten festgehalten wurden, sondern ein Sammellager für einfache Mitglieder und untere Funktionäre von NS-Organisationen, die offenbar allein ihrer Gesinnung wegen eingesperrt wurden. Mein Großvater zum Beispiel war einfaches Mitglied der NSDAP und im Zivilberuf Polizeihauptwachtmeister gewesen, der in den zwanziger Jahren in den Polizeidienst eingetreten war; im Krieg hatte er bei der Waffen-SS gedient. Wie wir im Folgenden erfahren werden, waren praktisch alle Inhaftierten kleine Fische dieser Art. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass auch nur einem von ihnen wegen einer konkreten Tat der Prozess gemacht worden wäre.

Da Algenrodt mit seinem regionalen Einzugsgebiet nicht das einzige Lager dieser Art gewesen sein dürfte, das die Alliierten in Deutschland unterhielten, vermute ich, dass wir es mit einem exemplarischen Fall zu tun haben. Ich halte es der Mühe für wert, den gesamten Aufsatz abzutippen, weil ich nicht möchte, dass das Wenige, was überhaupt bekannt ist, in den Tiefen der Archive verschwindet.

Es handelt sich um die Sorte Zeitgeschichte, die ideologisch und geschichtspolitisch unerwünscht ist, und deren wir uns deswegen nicht erinnern sollen: bezeichnend, dass Geschichtsschreibung dieser Art nur an der Peripherie stattfindet und von unbekannten Privatleuten in unbekannten Aufsätzen unbekannter Heimatkalender betrieben werden muss (während Machwerke wie „Das Amt und die Vergangenheit“ mit Steuergeldern unterstützt werden). Diesen Entstehungszusammenhang sollte berücksichtigen, wer da glauben sollte, über die unvermeidlichen Schwächen der Arbeit eines Amateurhistorikers die Nase rümpfen zu dürfen.

Der folgende Text ist die vollständige Abschrift von: Edgar Mais, Internierungslager Algenrodt, in: Landkreis Birkenfeld (Hrsg.), Heimatkalender des Lankreises Birkenfeld 1985, Baumholder 1984, S. 179-185. Zitate im Text sind durch die im Blog üblichen Zitatblöcke kenntlich gemacht. Meine eigenen Anmerkungen erkennt man daran, dass sie kursiv in eckige Klammern gesetzt sind:]

Das Zusammensein amerikanischer Familien und deutscher Gäste ist Ausdruck partnerschaftlichen Zusammenlebens der verbündeten Nationen. Alljährlich finden zu diesem Zweck bescheidene kleine Volksfeste auf dem Gelände statt, auf welchem sich einmal ein Internierungslager befand. Die Insassen, ehemalige Mitglieder der NSDAP oder ihrer Gliederungen, wurden 1945 von den Amerikanern festgenommen und auf dem Gelände der Straßburg-Kaserne im Stadtteil Algenrodt interniert.

Von den damals Inhaftierten leben nur noch wenige. Sie sprechen nicht gern über diese Zeit und halten sich mit Äußerungen zurück. Auf Befragung geben sie jedoch Auskunft, wollen aber nicht mit ihren Erlebnissen und ihrem Schicksal an die Öffentlichkeit.

[Auch mein längst verstorbener Großvater hat nie über diese Zeit gesprochen. Dass er in Algenrodt interniert war, weiß ich erst seit kurzem – den Namen hatte ich vorher nie gehört. Es war in seiner Generation noch nicht üblich, mit dem eigenen Opferstatus hausieren zu gehen.]

Wenige Tage nach dem Einmarsch der Amerikaner im März 1945 wurden die Ersten verhaftet. Die Amerikaner besaßen vorbereitete Listen, aus denen sie Bedeutung und Rang der NS-Funktionäre kannten. Wurde man der Verdächtigen habhaft, erfolgte sofort die Festsetzung. Wie immer nach einem verlorenen Krieg und dem Zusammenbruch des Regimes, wurden auch Leute denunziert, sei es von den wenigen im 3. Reich Andersdenkenden und den Verfolgten des Regimes oder aus persönlicher Rache heraus.

[Ich glaube nicht, die Verdienste des Autors zu schmälern, wenn ich seine Neigung zur Relativierung und Weichzeichnung kritisiere, die sich hier – nicht zum letzten Mal – zeigt: Es ist keineswegs „immer“ nach einem verlorenen Krieg so, dass der Sieger Jagd auf die Anhänger der alten Regierung macht, was ja die Voraussetzung für solche Denunziationen ist; es ist sogar äußerst ungewöhnlich und weder mit dem Geist noch dem Buchstaben des Kriegsvölkerrechts in Einklang zu bringen.]

Einige NS-Mitglieder bekannten sich aber auch zu ihrer Vergangenheit und wollten möglichst bald in einem Verfahren ihre Angelegenheit geregelt sehen.

Und so sah das für einen Bürger Idar-Obersteins aus:

Er wurde 1934 Mitglied der „Arbeiterfront“ [?] und gehörte damit einer der Gliederungen der NSDAP an [Es ist nicht ganz klar, was der Verfasser hier meint; die Deutsche Arbeitsfront, falls die gemeint sein sollte, war jedenfalls keine Gliederung der NSDAP]. Sein Eintritt in die SA erfolgte verhältnismäßig spät im Jahre 1937. Weit schwerer wog sein Titel als Kreisamtsleiter; diese Bezeichnung beinhaltete die Stellung eines meist ehrenamtlichen Referenten für einen bestimmten Sachbereich, wie z.B. für Kultur oder Sport.

Nach dem Einmarsch der Amerikaner blieb dieser Bürger zunächst unbehelligt. Man kann davon ausgehen, daß er nicht auf der Liste stand, welche die Amerikaner besaßen.

Nach bangem Abwarten und nach dem Versuch, bei antifaschistischen Kräften Hilfe zu erlangen, stellt sich unser Gewährsmann den Amerikanern. Am 26. April 1945 wird er verhaftet, nachdem man ihm am Vortag mitgeteilt hatte, er solle sich bereithalten. Die Verhaftung erfolgt in seinem Wohnhaus, von dort wird er in den „Schützenhof“ gebracht, nach seinen Personalien gefragt, verhört und schließlich mit einem weiteren Festgenommenen in einem Jeep in die Holzbaracken auf der Hohl gebracht. Hier findet eine Leibesvisitation statt, persönliche Dinge werden ihm weggenommen. Am nächsten Tag kann er feststellen, daß sich außer ihm etwa 300 festgenommene Personen, überwiegend aus dem Landkreis Birkenfeld, in den Gebäuden der Hohlkaserne befinden.

Nach diesem Zwischenaufenthalt von etwa 14 Tagen werden die Inhaftierten mit einem Lastwagen nach Trier auf den Petrisberg gebracht. Man schreibt jetzt Ende Mai 1945. Unser Gefangener wird in der Steinbaracke Nr.8 untergebracht. Die Gesamtzahl der Lagerinsassen kennt man nicht. In den Speiseraum wird marschiert, das Essen dauert höchstens 5 Minuten. Der Lagerleitung gehören auch Mitgefangene an, auch sie sind z.T. wie die uniformierten Bewacher bestechlich und korrupt. Diese überall in solchen Notsituationen [Notsituationen???] auftretenden menschlichen Schwächen sprießen erst richtig ins Kraut, als die Gefangenen Verbindung zur Außenwelt aufnehmen dürfen. Ab Juni 1945 ist der Empfang von Paketen erlaubt, jedoch nicht alle erreichen den Empfänger, andere werden teilweise ausgeraubt. Einige wenige Inhaftierte können sich mit deftigen Bestechungen ihre Freiheit erkaufen, in einem Fall z.B. mit 60 Schweizer Uhren.

Der Hunger treibt die Insassen bei allen sich bietenden Möglichkeiten zum Diebstahl (Salz, Brot etc.), die Folgen sind dann Prügel und Bunkerhaft, die Amerikaner haben dazu besondere Käfige bauen lassen.

Im Januar 1946 wird dann endlich der erste Schub entlassen, unser Gewährsmann auch, die anderen Insassen werden nach Diez an der Lahn verlegt.

Nach einem Familienbesuch in Sachsen wird unser Mann erneut denunziert, verhaftet und für ein weiteres Vierteljahr ebenfalls nach Diez gebracht. Dort wird er dann endlich entnazifiziert und entlassen.

Interessant wären sicherlich noch andere Schicksale, vor allem die Gründe für die Verhaftung und die Tatsache, daß der einmal Inhaftierte kein ordentliches Verfahren erhielt, in dem Schuld oder Unschuld hätte ermittelt werden können. So zum Beispiel auch bei einem damals 17jährigen, der dem „Wehrwolf“ [sic] angehört haben sollte. Ein Verdacht bzw. eine Behauptung, die nicht zutraf.

Dem Autor erinnerlich ist eine kurze Bekanntschaft mit einem Wittlicher Kaufmann, dem beim Austreten in der Nähe des Zaunes von einem Wachtposten in den Oberschenkel geschossen wurde. Der Angeschossene mußte deshalb ins Obersteiner Krankenhaus eingewiesen werden.

Aus der Sicht des Historikers ist es bedauerlich, daß keine Aufzeichnungen ehemaliger Inhaftierter vorhanden sind. Auch über das Lager selber wissen wir mit Ausnahme des in diesem Aufsatz benutzten Zeitungsartikels nichts.

Zehn Jahre nach Kriegsende, im Jahre 1955, erschien in der jetzigen Nahe-Zeitung der o.a. Artikel über das Lager Algenrodt, der eigentlich großes Aufsehen hätte erregen müssen. Der Autor ist nicht mehr zu ermitteln, der verantwortliche Redakteur war damals Werner Bohrer. Ihm verdanken wir dieses Zeitdokument.

Die Überschrift war eigentlich schon voller Brisanz:

Über 40 Tote im Konzentrationlager Algenrodt. Mit Eisenstangen und Holzknüppeln zu Tode geprügelt. Gottesdienst über den Prügelszenen. 486 Insassen aus dem Kreis Birkenfeld. 4000 Männer und Frauen in Pferdeställen und Kellerräumen festgehalten.

Am besten läßt man den Schreiber des Zeitungsartikels weiter zu Wort kommen. Man muß dabei bedenken, daß es zwar keine Zensur mehr ab, die Bundesrepublik aber noch nicht ihre volle Souveränität besaß und die Siegermächte durchaus noch „gegenwärtig“ waren. Von daher gesehen, ein mutiger Artikel!

Algenrodt, ein Stadtteil Idar-Obersteins, ist in den Nachkriegsjahren zu einer traurigen Berühmtheit gelangt. Als Konzentrationslager, man nannte es „Anhaltelager“, ging sein Ruf hinaus in alle Teile des westlichen Deutschlands. 4000 überwiegend unbescholtene Männer und Frauen führten in Pferdeställen und Kellerräumen der ehemaligen Artilleriekaserne ein menschenunwürdiges Dasein, weil sie Mitglieder und Funktionäre der NSDAP waren. Sie verdankten zum größten Teil ihre jahrelange Inhaftierung der Denunziation durch eigene Landsleute, die sich persönlicher Dinge wegen im günstigen Augenblick rächen wollten. Wer aber einmal dort eingeliefert war, nach dem krähte kein Hahn mehr – selbst wenn eine Namensverwechslung vorlag, wie es Tatsachen bezeugen.

[Zwischenfrage: Ist es eigentlich zulässig, ein Lager dieser Art ein „Konzentrationslager“ zu nennen? Ja, das ist durchaus zulässig, jedenfalls, wenn man sich den Unterschied zwischen einem Konzentrationslager – wie Dachau – und einem Vernichtungslager – wie Auschwitz – bewusst macht:

Konzentrationslager wurden (und werden!) errichtet, wenn es Machthabern darum geht, politisch missliebige Personengruppen, denen man aber keine Gesetzesverstöße nachweisen und die man deswegen nicht der Justiz überantworten kann und will, im Schwarzen Loch eines rechtsfreien Raumes verschwinden zu lassen und sie dort willkürlicher, brutaler und entwürdigender Behandlung auszusetzen.

Erfunden wurde die Einrichtung wie der Begriff des Konzentrationslagers – im oben genannten Sinne – bekanntlich von den Briten im Burenkrieg. Totalitäre Diktaturen jedweder Couleur haben sich dieses Mittels im innerstaatlichen Machtkampf bedient, aber die westlichen Demokratien haben geradezu eine Tradition daraus gemacht, solche Lager in den von ihnen besetzten Ländern zu errichten. Von den britischen Burenlagern zieht sich eine gerade Linie bis nach Bagram und Guantánamo, und Algenrodt und vergleichbare Lager in Deutschland sind nicht etwa Ausnahmen von der Regel, sondern Glieder einer Kette. Es gehört offenbar zu den immanenten Tendenzen westlicher Demokratien, unter Missachtung des Völkerrechts (dessen Grundlagen gelegt wurden, als die Souveränität von Staaten noch etwas galt) den Feind für vogelfrei zu erklären. Der universelle Geltungsanspruch der liberalen Ideologie schlägt um in einen Totalitarismus, der dem militärischen wie ideologischen Feind nicht einmal die Rechte zugestehen will, die selbst ein verurteilter Verbrecher hat.]

Gleich nach dem Einrücken amerikanischer Truppen in den Märztagen des Jahres 1945 rollte die Verhaftungswelle an. Es war eine denkwürdige Karwoche, als man mit der Aufforderung „Kommen Sie mit!“ in die Familien einbrach und in den meisten Fällen – die im Kreis Birkenfeld bekannten Verhaftungen weisen es heute einwandfrei aus! – unbescholtene Parteimitglieder über das örtliche Gefängnis und das Trierer Russenlager am 26.Mai in das Lager Algenrodt einwies. Frauen wie Männer wurden in Zellen zusammengeworfen und politische Gegner übten Funktionen aus, die ihnen Tür und Tor öffneten. Das persönliche Eigentum galt nichts, und manch einer der Inhaftierten fand nach seiner Rückkehr nur noch einen kärglichen Rest seiner Habe vor. Wie schnell war man damals zum „Kriegsverbrecher“ gestempelt, und wie gerne hätte man in späteren Jahren diese Voreiligkeit wieder rückgängig gemacht.

In verschiedenen Räumen, die untereinander durch Stacheldraht abgeteilt waren, hatte man die Inhaftierten nach dem Grad ihrer „Gefährlichkeit“ untergebracht. Im Bau 13 saßen die sog. Kriegsverbrecher, darunter Bürger Idar-Obersteins, die man kaum mit diesem Titel belegen kann. Im Keller, der sog. „Dunkelkammer“, saßen meist zehn Vernehmungsaspiranten, die sechs Wochen kein Tageslicht sahen, keine Waschmöglichkeit hatten und keine Erlaubnis, eine „Toilette“ aufzusuchen. Dazu war ein Eimer da, den man je nach Laune dem Betroffenen samt Inhalt über den Kopf kippte. Daß sich dabei Schwerkriegsbeschädigte befanden, störte die Bewacher nicht. Die Auswahl für die Dunkelzellen wurde willkürlich getroffen. Sie mußten nur besetzt sein.

Später baute man darüber noch 100 feste Zellen und über ihr [sic], frivolerweise, die Kirche, in der Idar-Obersteiner Geistliche predigten. Bei einem Thema allerdings „Ihr müßt nun ernten, was ihr gesäet habt…“ kam es zu einem stillen Protest, der allerdings für die Gefangenen peinliche Folgen hatte.

Meistens in den Nachtstunden begann das Martyrium der Inhaftierten. Mit Knüppeln schlug man auf sie ein, unvorstellbare Mißhandlungen waren an der Tagesordnung, und über 40 Tote sind die Folge dieser von den Amerikanern als auch von den Franzosen geübten Rache. Selbst über 80 Jahre alte Gefangene schliefen ohne Stroh und Decke auf dem blanken Pferdestallboden.

Die Verpflegung war zum Sterben etwas zuviel, zum Leben jedoch entschieden zu wenig. Morgens, meist zwischen 10 und 11 Uhr, gab es zwei Scheiben Brot und drei Viertel Liter warmes Wasser. Zwischen 15 und 17 Uhr gab es eine Suppe – ebenfalls drei Viertel Liter – mit Haferspreu und Kartoffelschalen. Es war klar, daß sich schon nach wenigen Wochen gesundheitliche Schädigungen einstellten, und Gewichtsabnahmen bis auf 80 Pfund herab waren keine Seltenheit.

Auf militärische Disziplin legte man großen Wert. Betrat ein Offizier das Lager, mußte alles strammstehen (selbst Frauen hatten die Hände anzulegen) und wenn nicht gegrüßt wurde, entzog man eben einmal auf 24 Stunden das warme Wasser. Keiner der Insassen wird die sog. „Filmnacht“ vergessen, eine Blutnacht, die einer Filmvorführung über das Konzentrationslager Dachau auf dem Fuß folgte. Was man dort als abscheulich hingestellt hatte, sollte hier „zum Abgewöhnen“ wiederholt werden. Nachdem man die Bewachungssoldaten betrunken gemacht hatte, wurden 50 Mann in den „Dunkelkammern“ zusammengeschlagen, daß ihre Schreie kilometerweit zu hören waren.

[Es handelte sich also nicht etwa um bedauerliche Ausschreitungen von Einzelpersonen, sondern um gezielte Politik: Die Bewacher wurden „scharf gemacht“ in dem Sinne, wie man Bluthunde scharf macht.]

Mit der Übergabe des Lagers an die Franzosen im Juli 1945 änderte sich zunächst nichts. Erst bekam man 24 Stunden lang nichts zu essen und unter der Leitung des Capitaine Thomas, des Oberleutnants Goldstrich und eines Unteroffiziers namens Corbin, den man als üblen Schläger ewig in Erinnerung halten wird, begann ein Leidensweg, den man sich scheut, in aller Öffentlichkeit zu schildern.  Schießereien waren an der Tagesordnung, und wenn man nachts das Schlägerkommando in den Hallen auftauchen sah, suchte man sofort volle Deckung, um vor Schußverletzungen sicher zu sein. Dieses Leidensmaß konnte ein später hinzugekommener älterer französischer Offizier, den man das „Posthörnchen“ nannte, auch nicht wesentlich mildern. Sein Verständnis und seine menschliche Haltung gaben manchen Inhaftierten den Glauben an die Menschheit zurück. Mit der Aera „Salin“, dem Nachfolger von Capitaine Thomas, hörten die Schlägereien, nicht aber die Schikanen, auf, die noch durch den deutschen Lagerleiter Schmidt, einen Saarländer, unterstützt wurden.

Die Internierten sprechen mit Hochachtung vom Roten Kreuz Idar-Obersteins, von den helfenden Händen der Bevölkerung und dem Verständnis der kath. Geistlichen und des evangel. Pfarrers von Oberstein. Sie haben geholfen, wo es ging, und manch einer gedenkt des tunesischen Berwachungssoldaten, der beide Augen zudrückte mit dem Bemerken „Du Gefangener, ich Gefangener“. Sie sahen sich allerdings außerstande zu helfen, wenn alle Insassen eines Blocks wie Hunde bellen mußten, wenn ihnen das heiße Essen ins Gesicht geschüttet wurde oder wenn das mit Boxhandschuhen ausgestattete „Boxkommando“ kam, um Insassen einzelner Zellen nach Belieben zusammenzuboxen. Wen nimmt es Wunder, wenn man lieber sterben wollte, als noch länger die sadistischen Grausamkeiten dieser Lagerleitung zu ertragen?

Mit der Verlegung nach Diez in den Fastnachtstagen 1946 wurde es dann langsam besser, wenn auch Paketsperren, stundenlanges Antreten und Schikanen noch immer an der Tagesordnung waren. Die körperlichen Mißhandlungen hatten aber ein Ende, und den Angehörigen war es möglich, mit den Inhaftierten in briefliche Verbindung zu treten.

Um einseitiger Schilderung vorzubeugen, soll ein anderer, damals noch jugendlicher Insasse zu Wort kommen, der heute [1984] den Zeitungsbericht kritisch kommentiert:

Der Bericht zeigt die Mehrzahl der Fakten richtig auf. In seiner Tendenz vermittelt er jedoch ein Zerrbild, das dem Alltag in dem Internierungslager Algenrodt nicht gerecht wird.  Die Lebensbedingungen waren hart. Es gab ein strenges Reglement, Schikanen und auch Ausschreitungen des Bewachungspersonals. All dies muß jedoch im Zusammenhang mit dem Schicksal der Deutschen im Jahre 1945 gesehen werden. Damals gab es Millionen von Kriegsgefangenen, Vertriebenen und Flüchtlingen, unsere Städte lagen in Trümmern und überall herrschte Elend und Not. Vor diesem Hintergrund war ein Lagerleben in Algenrodt als „noch erträglich“ und das Verhalten der Besatzungsmächte – amerikanische und später französische Militärverwaltung – als „nicht aus dem Rahmen fallend“ angesehen worden.

[Nach dem Motto: Wenn ohnehin alles in Trümmern liegt, kommt es auf ein KZ auch nicht mehr an. Dass der Kommentator die Zustände verbal zu beschönigen versucht, verursacht leichten Brechreiz; zugleich ist aber gerade dieser Wille zur Schönfärberei, verbunden mit der gleichzeitigen Bestätigung praktisch aller Tatsachenbehauptungen des Zeitungsartikels, der denkbar stärkste Beleg dafür, dass diese Behauptungen tatsächlich der Wahrheit entsprechen.]

Das soll nicht sagen, dass die Menschen im Lager nicht gelitten hätten; unter Hunger, einem ungewissen Schicksal, nicht wenige auch unter den Schikanen des Bewachungspersonals.

Bei einer Bewertung der Lagersituation darf nicht übersehen werden, daß die Bewcher davon ausgingen, sie hätten die „Super-Nazis“, die Terror und Elend über die Welt gebracht hatten, vor sich. Dies war ein Irrtum, …

[Nein, das war gewollte Ignoranz! Einen bloßen Irrtum hätte man ganz leicht aus der Welt schaffen können. Allein die Verhöre, wenn sie denn ernsthaft mit dem Willen zur Wahrheitsfindung geführt worden wären, hätten zu der Einsicht führen müssen, dass wahrscheinlich die meisten Internierten biedere Familienväter waren, die im guten Glauben gehandelt hatten, ihrem Land und dessen legaler Regierung dienen zu müssen. Das herauszufinden war aber gerade nicht der Sinn der Sache!]

… obwohl nicht zu verkennen war, daß die Mehrheit der Internierten zur unteren Führungsschicht des NS-Staates gehörten. Viele waren jedoch auch per Zufall, aufgrund Denunziation oder falscher Einschätzung verhaftet worden.

Das Lager war ein Teil einer ehemaligen Artilleriekaserne, nämlich eine große Reithalle, Pferdeställe und Geräteschuppen. Als Bett dienten Holzgestelle (zum Teil) mit Strohsäcken und einer Decke. Persönliches Eigentum gab es nicht. Jeder trug die Kleidung, die er bei seiner Verhaftung anhatte. Manche hatten nur eine Hose und ein Hemd. Uhren waren, wie überall in Deutschland, ein begehrtes Objekt der Wachsoldaten; sie haben in der Regel bereits beim Eintreffen in das [sic] Lager den Besitzer gewechselt.

Es gab einen Sonderbau für sogenannte Kriegsverbrecher, in dem sich etwa 300 Menschen befanden. Die meisten standen im Verdacht, kriminelle Handlungen begangen zu haben; so etwa Mißhandlungen von Menschen im besetzten Ausland oder an abgeschossenen Flugzeugpiloten, bei Judendeportationen oder bei Tätigkeiten als Mitglied der Geheimen Staatspolizei pp.

Schließlich gab es den in dem Bericht erwähnten Keller, die sogenannte Dunkelkammer (2×2 m). Der normale Internierte kannte diese nur vom Hörensagen. Angeblich waren dort nur „schwere“ Kriegsverbrecher, die auf ihre Aburteilung warteten, untergebracht.

Es waren kleine Zellen, die außer einem Brett zum Liegen keinerlei Einrichtungen enthielten. In diesen „Löchern“ wurden auch Vergehen gegen die Lagerordnung (etwa Kassiber schieben) geahndet. Drei Tage Bunker bedeutete auch drei Tage Prügel. Ohne Zweifel, scheußliche Verletzung der Menschenwürde.

Ich kann nicht bestätigen, daß es 40 Tote, wie die Überschrift angibt, gegeben hat. Jedenfalls nicht infolge von Mißhandlungen. Wahrscheinlich sind insgesamt 40 Menschen verstorben. Das wäre bei dem unterschiedlichen Alter (15-80 Jahre) und den äußeren Lebensbedingungen durchaus denkbar.

[Greise unter solchen Umständen zu inhaftieren, fällt für den Kommentator offenbar nicht unter „Misshandlungen“.]

Ein besonderes Problem war der Hunger (siehe Bericht des DRK). Erwähnt werden muß aber, daß die Franzosen, m.E. seit Herbst 1945, die Zusendung von Lebensmittelpaketen zuließen. Da die meisten Internierten aus der französischen Besatzungszone waren, schleppten die Angehörigen Brot und andere Lebensmittel herbei. So gab es Satte und Hungrige.

Jeder Paketempfänger war gehalten, etwa 1/10 der Lebensmittel an Nicht-Paketempfänger abzugeben. Der französische Kommandant meinte, es brauche eigentlich niemand zu hungern. Dies war übertrieben. In Wirklichkeit verhinderten die Pakete, die überwiegend unter großen Opfern der Angehörigen aufgebracht wurden, die Katastrophe. Wahrscheinlich hat man sie deshalb zugelassen.

Als weiteres Dokument sei ein Bericht des IKRK vom 4.12.1945 angefügt:

Betr.:
Lager Idar-Oberstein (Algenrodt)
Lg.Nr. 51 Ziv.- u. Polit.Int.Lager
Gew.Macht: franz.
(lt. IKRK-Besuch vom 3.12.45)

Belegstärke:
3795 Personen (3618 Männer und 177 Frauen)

Unterkunft:
Holzbaracken und Stengebäude. Fenster ohne Scheiben, Strohsäcke schlecht gefüllt oder leer. Decken nicht ausreichend. Keine Heizung.

Hygiene:
Waschgelegenheit unzureichend.
Latrinen primitiv und nicht genügend desinfiziert.

Ernährung:
550 Kalorien
9,00 Uhr = 100 gr. Brot, 1/2 l Kaffee
15,00 Uhr = 100 gr. Brot, 1 l Suppe

Bekleidung:
Nicht ausreichend.

Disziplin:
Sehr streng. Arrestzellen im Keller, Größe 2×2 mtr.

Gesundheitswesen:
Zur Betreuung der Gefangenen standen 10 Ärzte zur verfügung. Keine Medikamente, sonst kaum Instrumente (2 Thermometer im Revier). Allgemeine Unterernährung.
532 Fälle von Hungerödemen
150 Fälle von Skorbut
leichte Fälle wurden im Revier behandelt = 58 Fälle
Größe des Lager-Reviers war 60 Betten
schwere Fälle kamen in Ziv.-Krankenhäuser = 153 Fälle

Die Delegation des IKRK befürchtet eine Katastrophe bei Fortdauer dieser Lagerzustände.

Dies alles geschah mitten unter uns. Die Folgen der NS-Zeit und des verlorenen Krieges werden in unserem Heimatraum genau so verschwiegen wie die Zeit des 3. Reiches selbst. Die Beteiligten, seien sie führend, nachlaufend duldend oder ablehnend gewesen, halten sich bedeckt.

Offenbar bleibt es der Nachwelt überlassen, das Thema aufzuarbeiten. Dann wird man nach schriftlichen Quellen suchen, die Zeitgenossen aber wird man nicht mehr fragen können.

17 Gedanken zu „Internierungslager Algenrodt – ein totgeschwiegenes Stück Zeitgeschichte“

  1. biedere Familienväter waren, die im guten Glauben gehandelt hatten, ihrem Land und dessen legaler Regierung dienen zu müssen.“

    Das mag so stimmen. Aber gestern habe ich mir die Gesichter der Anti-Sarrazin Demonstranten in Mainz angeschaut. Auf die würde Deine Aussage auch zutreffen. Ist es eine Entschuldigung für das nicht-selbst-denken, dass man bieder und einfach ist?

  2. Mein Stiefgroßvater war auf den Rheinwiesen interniert und wurde dadurch zum Kommunist und ist später nach Ostberlin gegangen. Er hat dort zwei Finger verloren und infolge seiner Hungererfahrngen eine lebenslange Neigung zu Adipositas davongetragen. Auch hätte er bei einer zukünftigen Begegnung mit einem Ami direkt zuschlagen wollen.
    Für weitere Details war ich leider noch zu jung bzw. er schon zu alt, weil er tot bevor politisches Bewußtsein bei mir vorhanden.
     
    Interessanterweise schildert auch Ernst von Salomon im Fragebogen, dass die negriden Besatzer am ehesten Mitgefühl zeigten.

  3. @ Kassandra:

    Gegenfrage: Würdest Du es für gerechtfertigt halten, diese Demonstranten ihres Nichtselberdenkens wegen in ein KZ einzuweisen? Also ich nicht.

  4. @ Manfred

    Nein, das natürlich nicht.
    Aber es ist doch immer das gleiche. Die Mehrheit der Menschen denken nicht, laufen einem Schrittmacher hinterher und am Ende haben sie von nichts gewusst, haben keine Schuld, keine Verantwortung. Man hat sie betrogen.

    Da fällt mir ein Zitat (in etwa) von Dávila ei :

    „Der Sozialismus ist die Philosophie der fremden Schuld.“

  5. Dieser Artikel hat mir schlagartig längst vergessene Äußerungen meines Vaters in Erinnerung gerufen. Er war nach Kriegsende in amerikanischer ‚Kriegsgefangenschaft'(?). Er schlief auf dem blanken Fußboden und hungerte. Den Kommandanten/Aufseher bezeichnete er als Sadisten. Sein Rücken wurde nachhaltig geschädigt und er verlor alle Zähne.

    Ich wollte damals in den 60/70er Jahren mit meiner jugendlichen Fassungslosigkeit über das „größte Verbrechen der Menschheit“ von den Leiden meiner Eltern und Großeltern (Bombardierung, Flucht, Vertreibung, Misshandlung, Hunger) nichts hören. Das hat sich zwar längst geändert, trotzdem bin ich über die emotionale Härte meiner Jugend immer mal wieder erschreckt. 

    Vielen Dank für diesen Artikel. 

  6. Solange das derzeitige System besteht, wird es da keine Änderungen geben. Jede Erinnerung daran, daß auch Deutschen massiv Unrecht angetan wurde ist politisch unerwünscht. Die heutige Denkvorschrift lautet eben: Deutsche = Böse. Auf höherer Ebene: Weiße Europäer = Böse. Ein simples Weltbild das keinerlei Kritik braucht und auch keine verträgt.
     
    OT:
    Auch wenn mancher mich dafür (verbal) steinigen mag: Genau aus dem Grund, daß die Mehrheit eben immer irgendeinem Leithammel hinterherläuft ohne wirklich nachzudenken bin ich kein Demokrat. Ich war es früher mal. Ich dachte tatsächlich, daß es eine gute Sache ist die Menschen wählen zu lassen was sie wollen. Die nackte Realität hat mich davon überzeugt, daß das allgemeine Wahlrecht zu den dümmsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte gehört. Die Masse wählt eben den Politiker der am meisten Geschenke verspricht. Die Demokratie in Verbindung mit dem allgemeinen Wahlrecht ist eine Einbahnstraße in den Sozialismus!

  7. @ Kassandra:

    Aber es ist doch immer das gleiche. Die Mehrheit der Menschen denken nicht…

    Ja, aber der Zusammenhang, in dem das Argument stand, war doch der, dass der Kommentator die Gesinnung der Inhaftierten als Zeichen ihrer tiefen Bösartigkeit und damit als exkulpierenden Gesichtspunkt für die an ihnen verübten Grausamkeiten gelten lassen wollte. Wenn es „immer das gleiche“ ist, läuft Dein Argument darauf hinaus, politischen Dissens grundsätzlich als Rechtfertigung oder zumindest relativierende Teilrechtfertigung für die Einrichtung von Konzentrationslagern gelten zu lassen. Wenn man damit erst einmal anfängt, müsste man es auch für legitim halten, dass nach 1933 Kommunisten in KZs inhaftiert wurden, denn deren ideologische Verblendung steht doch außer Frage: Sie unterstützten immerhin ein Regime, das zur gleichen Zeit Millionen von Menschen ermordete und wollten dieselbe Art von Regime auch in Deutschland einführen. Wenn man diese Konsequenz ablehnt, muss man die Praktiken der Alliierten genauso rückhaltlos ablehnen. Wenn man solche Praktiken für akzeptabel hält, solange es nur „die Richtigen“ trifft, nimmt man in Kauf, dass es der Willkür der bloß faktischen Machthaber überlassen bleibt, zu bestimmen, wer „die Richtigen“ sind, deren Menschenrechte zur Disposition stehen.

  8. 1.Zu diesem Thema ist das Speziallager II in Weimar/Buchenwald zu nennen. An das Speziallager II, in dem die Russen nach der Auflösung des KZ Deutsche internierten, und zwar nach dem hier beschriebenen Modus, also willkürlich usw., erinnert heute ein Museum, das sich in unmittelbarer Nähe des KZ befindet. Seinerzeit kannte ich die Initiatorin, deren Vater in diesem Lager umkam. Obwohl die Überlebenden zur Verschwiegenheit verpflichtet waren, wurde darüber im geheimen erzählt. Während der Wende sah eine Gruppe von Angehörigen die Stunde gekommen (vielleicht war es eine Gnade der Revolution) und ging an die Öffentlichkeit. An der Stelle des heutigen Museums stellten sie Holzkreuze mit den Namen auf. Damals interessierte sich sogar die FAZ für dieses Thema und der Journalist Peter Merseburger. Die KZ-Überlebenden, die jedes Jahr in Weimar ihre Befreiung feiern, waren keineswegs solidarisch und wollten die Errichtung des Museums verhindern.
    2.Das Thema „Rheinwiesen“ ist im Rheinland bekannt, jedenfalls solange, wie noch Kinder der Betroffenen leben.
    3. Manchmal erhält man auch „alliierte Hilfe“. Vor noch gar nicht langer Zeit wurde im Fernsehen von englischen Historikern berichtet, die ein Kriegsverbrechen in Niedersachsen (?) aufdeckten, vielleicht erinnert sich hier jemand. Es gab auch Fernsehberichte über damals Jugendliche, die zu Zwangsarbeiten nach Frankreich abtransportiert wurden.
     

  9. Damals interessierte sich sogar die FAZ für dieses Thema…

    Klar, es ging ja auch um die Russen, nicht die Amerikaner oder Franzosen.

  10. Falls es interessiert, habe ich hier den Bericht eines jungen PWO. In einem Ort nahe bei Mainz hat der Bürgermeister a.D. sich dafür eingesetzt, die Geschehnisse um das Ende des WK II, d.h. die Bombadierung und Zerstörung des Ortes durch US und britische Bombenangriffe
    zu dokumentieren und  durch die Befragung von Zeitzeugen festzuhalten. U.a. ist der Bericht des jungen Mannes aus diesem Ort in der Kriegsgefangenschaft dokumentiert:

    Bericht des jungen PWO:

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    In der Woche vor Ostern kam der als Polizist wieder eingesetzte G.  Eschborn und sagte zu  meiner Mutter:“ Marieche, Dei Buwe müsse sich bei de Amerikaner melde, sonst werde sie erschosse. Wenn sie sich morgens melden, sind sie mittags wieder zuhause.“ Dies geschah dienstags nach Ostern, 3.April 1945.

    Wir meldeten uns in Mainz am Fischtor, Ecke Uferstrasse, da war die amerikanissche Kommandatur. Es waren mindestens 30-35 Mann aus Weisenau. Einen schickten sie heim, H. Leser, denn er hatte im Krieg ein Bein verloren. Eine Prothese hatte er noch nicht, er hatte zwei Krücken Wir kamen dann von der Kommandatur aus in die Haftanstalt in der Dieter-von-Isenburg-Strasse. Da wurden wir von deutschen Wächtern behandelt wie Schwerverbrechern.

    Die Wächter versorgten uns einmal am Tag mit Kommisbrotsuppe, die nach Schimmel schmeckte. Liesbeths Vater, Herr Kern, war in der Haftanstalt Hausmeister. Durch ihn erfuhr Liesbeth, dass wir in der Haftanstalt Mainz waren. Liesbeths Vater wusste auch, dass wir am nächsten Tag vom Kitchen wegkommen. Als wir auf amerikanische Laster geladen wurden, brachte uns Liesbeth einen Fleischmagen. Dann wurden wir nach Bad Kreuznach in die Gaststätte Concordia gebracht. Dort bekamen wir alles abgenommen, was wir hatten. Alle Taschen mussten wir leer machen und auf einen Haufen werfen. Unser Nachbar, Hugo Kreischer, hatte eine Zigarettenspitze in der Hosentasche; er wurde deswegen mit der Peitsche verdroschen. Wir, die noch nicht durchsucht waren, hatten den Fleischmagen an der Wand entlang gerollt an die, die schn durchsucht waren. Von Kreuznach aus wurden wir in ein Gefangenenlager nach Eckelsheim (Rheinhessen) gebracht. Wir waren  froh für den Fleischmagen, denn wie wir in Eckelsheim ankamen, waren wir total ausgehungert. Wir assen den Fleischmagen und sagten: „In der Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot.“

    In dem Gefangenenlager war alles ein Matsch. Kurz vor der Dunkelheit sagten die amerikanischen Bewacher durch die Lautsprecher:“Alles hinlegen.“ Keiner wollte sich in den Schlamm legen. Dann sagten sie nochmals.“Alles hinlegen.“ und schossen schliesslich mit dem MG über die Köpfe hinweg.

    In Eckelsheim wurden wir auf Sattelschlepper verladen, oftmals 80 Mann auf einen Wagen. Aber 100 Mann mussten drauf. Also fuhr der Fahrer los, beschleunigte und bremst plötzlich ab. Alle fielen dadurch nach vorn und so war noch Platz für die restlicen 20 Mann. Mehrere Sattelschlepper gefangener Soldaten fuhren in Richtung Saargebiet. In der Gegend von Saargemünd fuhren sie neben einer zerstörten Brücke die Böschung hinunter. Da geschah es, dass ein Sattelschlepper umfiel, ob es dabei Tote gab, weiss ich nicht. Den Negern, welche uns fuhren war alles egal. Gleich nach passieren der saarländischen Grenze wurden wir in offene Kohlenwaggons verladen und fuhren dann als Kriegsgefasngene durch ganz Frankreich.

    Die Franzosen waren uns nicht gut gesinnt; sie sie warfen Steine und andere schwere Sachen auf die in offenen Waggons fahrende Gefangenen; andere Franzosen zeigten mit der Hand über den Hals: „Jetzt bekommt ihr die Hälse abgeschnitten.“

    In Cherbourg angekommen, marschierten wir von der Bahn ins Lager 9 auf der Höhe und konnten den Hafen sehen. Die Gefangenen, die vor uns angekommen waren, wurden per Schiff nach England oder USA gebracht, aber wir blieben in Cherbourg. Ich wäre gern mal in die USA gekommen. Nutzlos liefen wir mit den Buchstaben POW (prisoners of war) auf dem Rücken herum. Solange noch Krieg war, ging es uns verhältnismässig gut. Kartoffeln wurden schiffsweise vor dem Gefangenenlager haushoch aufgestapelt von den POW`s.

    Sie gingen schnell in Fäulnis über, auf dem Boden lief die Brühe. Der Stapel wurde von Tag zu Tag kleiner. Wir hungerten, aber die Kartoffeln verfaulten.

    Nun, der Krieg war aus und die Amerikaner übergaben die Küche den Deutschen. Wir wurden danach gerade noch am Leben erhalten.

    In Zelten untergebracht lagen wir nachts wie die Heringe. Wenn wir morgens aufstanden und vors Zelt gingen, wurde es uns schwarz vor den Augen und viele fielen vor Entkräftung um.

    Einige gingen zum Sanitäter und sagten: „Wir waren 12 Tage nicht auf dem Klo“, denn sie meinten, dies sei doch schädlich. Der Sani sagte: „Bei dieser Kost ist dies normal.“ Die Brennesesseln unter dem Stacheldraht waren ganz schnell aufgegessen. Sie wurden mit einem Dosendeckel kleingeschnitten, mit etwas Lemonpuder bestreut und gegessen.

    Beim Verpflegungsholen stellten sich dreimal soviele an die Zauntür als benötigt, denn unter der Rampe des Verpflegungslagers befanden sich Hafersäcke  für die Reitpferde der Amerikaner. Hier bedienten wir uns. Die Unterhosen wurden unten zugebunden und, wenn die  Luft rein war, durch den Hosenlatz mit Hafer gefüllt. So ging es oft ins Lager zurück.

    Der Hafer wurde mit einem Stein zerklopft. Um ihn danach zu Hafermehl zu verreiben, hatten wir zwei Blechdosen mit verschiedenen Durchmessern vorgerichtet. Bei der grösseren Dose waren mit einem Nagel zahlreiche Löcher in den Boden geschlagen worden und zwar von aussen nach innen und bei der kleineren von innen nach aussen. Die kleinere wurde in die grössere gesteckt, so dass sich „Zähne“ der Löcher gegenüberstanden und wie eine „Reibe“ wirkten, wenn  man die kleinere Dose in der grösseren hin und her drehte. Zwischen diesen Zähnen wurde der zerklopfte Hafer dann zu Mehl gemahlen. So hatten wir eine Zutat und Bereicherung für unsere Wassersuppe.

    Pfingsten 1945 werde ich nie vergessen. Im Lager wurde durch Lautsprecher bekannt gemacht, in einer halben Stunde sei Gottesdienst. Alle Zelte waren leer, Tausende von Kriegsgefangene nahmen teil. Nach dem Sanktus wurde das Lied von Schubert gesungen:

    Heilig, heilig, heilig ist der Herr,
    er der nie begonnen:
    er, der immer war,
    ewig ist und sein wird,
    bleibt immerdar.

    Ich hatte es noch nie gehört, konnte aber auch, wie alle anderen mitsingen; für mich war das wie ein Wunder des heiligen Geistes.

  11. Das „Rheinwiesen“ Desaster ist berüchtigt.

    Bacque weist anhand von Dokumenten und von Zeugenaussagen nach, da

    ß in den amerikanischen und später in den französischen Gefangenen- und Arbeitslagern zusammen 800 000 bis eine Million Menschen zu Tode gekommen sind. Ca. drei Viertel der Toten lastet Bacque den Amerikanern an, also an die 750 000:
     
    Die Zahl der Opfer liegt zweifellos bei mehr als 800 000, beinahe mit Sicherheit bei mehr als 900 000 und durchaus wahrscheinlich bei mehr als einer Million. Die Ursachen ihres Todes wurden wissentlich geschaffen von Armee-Offizieren, die über genügend Lebensmittel und andere Hilfsmittel verfügten, um die Gefangenen am Leben zu erhalten. Hilfe-Organisationen, die versuchten, den Gefangenen in den amerikanischen Lagern zu helfen, wurde die Erlaubnis dazu von der Armee verweigert. Das alles wurde damals verheimlicht und dann unter Lügen verdeckt……..Akten sind vernichtet, geändert oder als geheim unter Verschluß gehalten worden. Dies geht bis auf den heutigen Tag so weiter.

     http://www.rheinwiesenlager.de/Rheinwiesen.htm

  12. In enger Beziehung zu dem Lager in Idar-Oberstein steht offenbar das Schicksal meines Vaters. Er war im Nov. 1939 zur Geheimen Feldpolizei (GFP) eingezogen worden. Den Krieg verbrachte er in der Normandie. Nach einer Verwundung geriet er in amerikanische Gefangenschaft und wurde wegen seines Kriegsaufenthaltes in Frankreich, vor allem aber wegen seiner Waffengattung den Franzosen übergeben. Nach einem Aufenthalt in einem obdachlosen Lager bei Koblenz wurde er in Idar-Oberstein inhaftiert. Von dort aus erfolgte die Entlassung, völlig unterernährt, ohne Zähne und hochgradig an Furunkeln leidend.

  13. Hallo,,
    auch mein Grossvater war unschudig dort. Er hat ebenfalls sein ganzes Leben nichts erzählt. Jetzt hat er vor 5 Jahren durch Zureden meiner Grossmutter über sein Leidensweg berichtet. Suche seit Jahren Berichte von diesem Lager und habe bis heute
    nur diesen gefunden. All das was hier geschrieben wurde ist wahr und ist von meinem Grossvater ebenfalls so erzählt worden.
    Auch der Bruder von Herrn Göbbels war dort und wurde jeden Tag mit den Aufsehern zusammen fotografiert. (er war im Lager der Promi und wurde besser behandelt)
    Nach Wachwechsel um 24.00 Uhr, kamen angetrunkene amerikanische Aufseher und haben wahllos Gefangene in regelmässigen Abständen mit Gummi- und Holzknüppel tot geschlagen. Schlagen und Töten war fast jeden Tag Tagesordnung.
    Es gab keine Zeugen und Gerichte, es gab nicht mal Beweise. Vermutungen und erfundene Behauptungen reichten.
    Hier muss die Geschichte NEU und RICHTIG sowie WAHRHEITSGEMÄSS überarbeitet werden.
    Dies gehört ebenfalls zu unserer Geschichte.
    Schade, dass die Amerikaner weiter im Miltärdienst nichts dazugelernt haben. (siehe Irak usw.)
    Aber hier sollte jeder selbst sich intensiv mal mit der deutschen Geschichte befassen, und wird hier eine andere Geschichte finden und nicht diese aus Schulzeiten und Medien.
    Hier sollte mal jeder, sich mit Herrn Henry Ford, Morgan, Rockefeller, usw. befassen.
    Was stand im Dawes und Young Plan? Hier nur ein paar Tipps und viel Spass an der wahren Geschichte!
    Und es gibt noch mehr davon!!!

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