Wie man Antisemitismus züchtet

Die Berliner Politik reagiert auf den Zwischenfall vor der Küste des Gazastreifens genau so, wie man es seit Jahren gewohnt ist.

„Die Bundesregierung ruft die Parteien des Nahost-Friedensprozesses auf, alles zu vermeiden, was in dieser Situation die Lage verschärfen und weitere Menschenleben gefährden könnte“, unterstrich Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Er teilte mit, dass die EU-Botschafter am Nachmittag in Brüssel zu einer Sondersitzung zusammentreffen.

Der Regierungssprecher wies auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im internationalen Recht hin. „Der erste Anschein spricht nicht dafür, dass dieser Grundsatz eingehalten worden sei. Aber nach dem ersten Anschein soll man nicht abschließend urteilen“, gab Wilhelm zu bedenken.

(Quelle: Bundesregierung)

Nun, dann sehen wir uns einmal an, was der „erste Anschein“ sagt:

(beide Videos übernommen von PI)

Aus beiden Videos geht zunächst einmal eines hervor: Von „Erstürmung“, wie es in nahezu allen MSM-Berichten immer noch heißt, kann überhaupt keine Rede sein. Was man sieht, ist ein schlichtes An-Bord-gehen eines Prisenkommandos, dessen Soldaten einzeln von Hubschraubern abgeseilt und sofort von den Schiffsinsassen brutal angegriffen werden.

Der „erste Anschein“, von dem der Regierungssprecher spricht, wohl wissend, dass 99,9 % aller Deutschen diese Videos entweder überhaupt nicht oder mit israelfeindlicher Kommentierung zu sehen bekommen werden, besagt also das Gegenteil von dem, was er behauptet. Trotzdem wird beim Durchschnittsdeutschen hängenbleiben, das „Prinzip der Verhältnismäßigkeit“ sei nicht eingehalten worden, zumal es zu diesen Regierungserklärungen ja eine mediale Begleitmusik gibt, die noch um einiges drastischer klingt.

Wir haben es also mit dem bekannten Muster zu tun, den Israelis etwas vorzuwerfen, was sie eben nicht tun: Eine „Erstürmung“ nach Entebbe-Manier mit Blendgranaten, Tränengas und dergleichen hätte wahrscheinlich zu einem unblutigen Ausgang der Auseinandersetzung geführt, aber einen genauso entrüsteten Aufschrei der veröffentlichten Meinung hervorgerufen. Um den zu vermeiden, haben die Israelis versucht, ohne Gewalt auszukommen und sind gerade deswegen in eine Situation geraten, in der sie schießen mussten.

Einen Vorwurf – nämlich auf die brutale Reaktion der „Aktivisten“ nicht vorbereitet gewesen zu sein – muss man den israelischen Streitkräften also durchaus machen, aber gerade nicht den der „unverhältnismäßigen“ Gewaltanwendung oder gar mutwilligen Brutalität.

Es ist nicht die erste Stellungnahme dieser Art. Das besondere Gschmäckle entsteht dadurch, dass dieselbe Regierung (bzw. dieselbe politische Klasse, weil es in diesem Zusammenhang ja nicht darauf ankommt, wer gerade regiert) sich sonst bei jeder Gelegenheit zur „besonderen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels“ bekennt, zur „deutsch-israelischen Freundschaft“, zu den „einzigartigen Beziehungen“, und was dergleichen Phrasen mehr sind.

Insbesondere bekennt sich Berlin unermüdlich zum „Existenzrecht Israels“ und gibt dadurch subtil zu verstehen, dass dieses Existenzrecht aus deutscher Sicht keine Selbstverständlichkeit, das „Bekenntnis“ dazu mithin ein moralisches Verdienst ist.

Wenn eine solche Regierung bzw. politische Klasse gleichzeitig jeden Versuch Israels, seine Existenz faktisch zu sichern, in mehr oder weniger vornehmen Worten verurteilt; wenn sie die israelische Position niemals inhaltlich unterstützt, dann kann beim Normalbürger gar kein anderer Eindruck hängenbleiben als der, dass die von der israelfeindlichen Propaganda gezeichnete Bild vom „Apartheidstaat“ und seiner Brutalität ein Foto der Realität sei. Wo doch unsere sooo israelfreundliche Regierung auch nichts Anderes sagt.

Zugleich kommt besagter Normalbürger gar nicht darum herum, sich zu fragen, warum um alles in der Welt unsere Regierung die Freundschaft eines so schrecklichen Staates zu suchen scheint? Zumal wenn verantwortliche Politiker immer wieder mit staatstragendem Tremolo darauf hinweisen, „gerade wir als Deutsche“ sollten uns mit Kritik zurückhalten? Richtig: Er kann nichts anderes glauben, als dass es gegenüber Israel eine Art Kritikverbot speziell für Deutsche gebe. Dementsprechend kann er israelfeindliche Propaganda in den Medien auch nicht als solche wahrnehmen. Unter der Voraussetzung eines „Kritikverbots“ kann solche Propaganda ja nichts anderes sein als objektive, im Zweifel sogar zu israelfreundliche Berichterstattung.

Spricht der Normalbürger aber seine Vermutung aus, hier bestehe ein Kritikverbot – eine Vermutung, die ihm tagtäglich suggeriert wird -, wird ihm dies prompt als „Antisemitismus“ angekreidet. Wer sich unter solchen Umständen nicht in ein Irrenhaus versetzt fühlt, ist nicht normal.

Wen aber wird er für diesen Zustand verantwortlich machen? Genau.

23 Gedanken zu „Wie man Antisemitismus züchtet“

  1. Seit die Hamas hier ungehindert um die Häuser zog und durch deutsche Polizisten Israelfahnen aus Wohnungen geholt wurden, ist das ganze Existenzrecht-Gerede für mich nur noch leeres Gewäsch. Mir hat es die Augen geöffnet, als die ÖRs die Palästinenser zeigten, die in die geräumten Gebiete nachrückten und sie verwüsteten.

  2. Mit der Objektivität ist es immer so eine Sache – besonders aber in Bezug auf Israel …
    Wenn ich lese, dass kommunistische Abgeordnete an Bord waren, scheint mir der Schluss naheliegend, dass es sich um eine im wahrsten Sinne des Wortes linke Aktion gehandelt hat.
    Andererseits: Fand der Angriff nicht in INTERNATIONALEN Gewässern statt? Und: Sollte der Konvoi tatsächlich nichts als Hilfsgüter geladen gehabt haben – warum dann diese militärische Intervention? War das Existenzrecht Israels tatsächlich in Gefahr? Oder nur seine Selbstherrlichkeit?

  3. Sollte der Konvoi tatsächlich nichts als Hilfsgüter geladen gehabt haben – warum dann diese militärische Intervention?

    Gegenfrage: Sollte der Konvoi nichts als Hilfsgüter geladen haben – warum wurde dann sowohl das israelische Angebot abgelehnt, die Ladung in Aschdod zu löschen und auf dem Landweg nach Gaza zu bringen, als auch das ägyptische Angebot, dasselbe über ElArisch abzuwickeln?

    Hätte man den Transport so durchgelassen, dann wäre absehbar gewesen, dass dasselbe wieder und wieder geschieht, und zwar wieder ohne Sicherheitsüberprüfung. Dann wären mit Sicherheit Waffen und andere sicherheitsrelevante Güter auf dem Seeweg nach Gaza gelangt. Der Sinn der sogenannten oder auch „Blockade“ ist aber gerade der, das zu verhindern.

  4. Schön. DIESE Information besaß ich aber nicht.
    Ein schaler Nachgeschmack (16 Tote – bei Stühlen/Schlagstöcken gegen Schnellfeuerwaffen) bleibt aber trotzdem – mmhhm?

    Als nunmal professioneller Schreiberling versuche ich mich immer in mein Gegenüber zu versetzen … Da landen also militärische Elite-Sturmtruppen, um mein Vorhaben (ich sende keine Waffen, sondern nur Hilfe nach Palästina) zu vereiteln. Wie reagiere ich? Wütend? Wirklich aggressiv? Die per Video angeprangerten Aktionen: Plastikstuhl gegen Schnellfeuergewehr sind ziemlich entlarvend. Wie gesagt: Es scheint eine „linke“ Nummer gegen Israel gewesen zu sein. Genauso „link“ sind aber überzogene Reaktionen. Nochmals betont: Ich bin da hin- und hergerissen.

  5. Kommunisten und Ökofaschisten wünschen in Wahrheit keine Hilfe für Gaza. Sie brauchen das palästinensische Elend für ihre dauerhafte Haßpropaganda gegen Israel.

    Demokratie, Freiheit und Menschenrecht in Israel. Das ist den Gewohnheitsverbrechern ein Dorn im Auge.

  6. Einige Hintergrundinfos zur Hilfsorganisation.

    http://www.israelnetz.com/themen/hintergruende/artikel-hintergrund/datum/2010/06/01/die-ihh-eine-tuerkische-hilfsorganisation/

    Ich denke, das Problem bei der ganzen Sache ist, dass die Israelis als einzige die richtige Wahrnehmung im Umgang mit solchen Provokationen haben. Allerdings stehen ihnen gegenüber 100erte anderer Staaten mit einer ideologisch gefärbten Wahrnehmung gegenüber. Wenn unsere Eliten einigermaßen nüchtern wären, dann würden Sie zwar Israel im Hintergrund einiges Husten, wie es sein kann, dass Steinzeitbewaffnete gegen Elitesoldaten zum Schlag ausholen können und sich derart provozieren lassen können, aber sie würden der generellen israelischen Linie beipflichten.

    Mega Dux

  7. „Demokratie, Freiheit und Menschenrecht in Israel.“

    Ausgerechnet in Israel soll es soetwas geben? Absurd.

  8. Lieber V.

    unter den Bedingungen unter denen die Juden wieder in ihr Land zurückdurften und ihren sicherlich links geprägten Staat aufbauen durften, ist das die beste Demokratie des Nahen Ostens, die es geben konnte. Nur weil die Israelis ebenfalls zuschlagen und Gewaltanwandung als legitimes staatliches Mittel zur Durchsetzung von aus ihrer Sicht berechtigter Interessen sehen, verletzen sie weder die Demokratie noch die Freiheit und noch die Menschenrechte.

    Das bedeutet nicht, dass die verantwortlichen für die konkrete Aktion auf den sog. „Hilfsflottenkonvoi“ nicht rechenschaftspflichtig sein müssen oder bei Fehlern zur Verantwortung gezogen werden müssen. Doch hier werden „die Israelis“ ständig stigmatisiert. Und das finde ich zum K…

    Von allen Seiten provoziert, gegängelt und gedrückt – ist es da nicht verständlich, dass die nicht immer cool bleiben können? Vor allem dann nicht, wenn die eigenen Kameraden am Boden liegen und nah am abgeschlachtet werden sind. Da braucht nur ein Schuß fallen, und schon ist die Situation verloren.

    Mega Dux

  9. Ich weiß nicht, was genau passiert ist und die meisten anderen Menschen in Deutschland auch nicht. Wäre etwas ähnliches vor Somalia oder Japan passiert, kämen wir auch gut damit aus, es nicht genau zu wissen und könnten uns einige Tage lang zurückhalten mit Bewertungen.

    Reaktionen türkischer Jugendlicher am Dienstag:

    – Israel hat die Türkei bombardiert
    – Da waren auch Deutsche auf dem Schiff, warum sind die Deutschen nicht so wütend auf Israel wie wir?
    – Wenn wir jetzt Juden begegnen würden, dann brächten wir sie um
    – Der Iran soll Atombomben auf Israel schmeißen. Scheißegal wenn die Palästinenser mit dabei draufgehen, hauptsache die Juden sterben alle

    PI berichtete ja auch über „Proteste“ in Köln (Türkenmob ist so ein häßliches Wort…)

    Es ist nicht wichtig, was passiert ist oder nicht, wichtig ist, dass mal wieder ein mehr oder minder nichtiges Ereignis zum Anlass genommen wird wütend zu werden und Genozid zu fordern!!! Wo bleiben unsere Justizorgane? Im Kämmerlein, wie befohlen, denn sollte Erdogan seine Drohung wahrmachen, haben wir doch wohl kaum eine Wahl, auf wessen Seite wir uns stellen. Wie sähe es denn bei uns in den Großstädten aus, wenn D zugunsten Israels in einen Konflikt eingriffe? Was genau sehen die NATO Statuten im Falle eines türkischen Angriffes vor und werden unsere Eliten nicht Wege finden eventuelle Sicherungen zu umgehen, um den „Frieden“ im Innern nicht zu gefährden?

    Macht euch nichts vor, es wird nicht irgendwann anfangen, man wird uns nicht Bescheid sagen. Wir sind schon mitten im Krieg!

    Wenn man entschieden gegen diesen ekelhaften Rassenhass und den unreflektierten Antisemitismus vorgeht steht man übrigens allein auf weiter Flur. Keine Spur von denen, die sonst immer so gerne die deutsche Verantwortung betonen. Das Antisemitismusverbot gilt nur für Deutsche, Türken sind ausgenommen.

  10. apokryphe:

    das, was viele (zu ihrem glück?) wenn überhaupt nur medial/ übers netz erfahren, erlebe ich täglich live. und ja: es ist alles wirklich so schlimm, wenn nicht noch schlimmer und nein, nicht pierre vogel ist das hauptproblem, sondern die „völlig normalen“ durchschnitts „jugendlichen“, die völlig gleichgeschaltet als riesige empörungsmaschine funktionieren. viele scheinen ja zu glauben, wenn übergriffe und beleidigtsein eine gewisse, nicht mehr tolerable/ ignorierbare stufe erreichten, dann würden alle irgendwie „aufwachen“ und sich „was tun.“ abgesehen davon, dass man es ja auch schon heute schafft einen großteil der bereicherung totzuschweigen muss ich in diesem zusammenhang immer an den frosch im glas denken, das langsam erwärmt wird.

    nur ein wirklich radikales umdenken, das bedeutet ein niederreißen der gedanklichen barrikaden, welche die 68er errichtet haben um uns vor unserem hitler-gen zu schützen, kann uns noch retten.

    (verzeiht bitte die kleinschreibung)

  11. @Kairos
    So weit ich weiß, hat sich Pierre Vogel zu diesem Thema noch nie öffentlich geäußert. Da gibt er sich keine Blöße.

  12. Irgendwann hab ich schon mal was drüber geschrieben: eine spezielle Situation, eine Entwicklung ist immer schon weiter fortgeschritten, als man es wahrzunehmen fähig ist.

    Wenn man die Facebook- oder auch Live-Kommentare der türkischen Mitbürger so über sich ergehen läßt, ist das wie ein Katalysator für den eigenen Erkenntnisfortschritt.

    Allahu Akhbar! (sarkastisch gemeint).

  13. Anhalter durch die Galaxis sagt:
    20. Juni 2010 um 18:20

    Haha.. Wenn sogar schon solche hyper-pro-israelischen Figuren einen dicken Hals über die israelische Politik bekommen, dann ist ganz schön die Kacke am Dampfen, wa ? Könnte das vielleicht-eventuell etwas mit der Politik Israels zu tun haben ?

    (Ein Kommentar zu einem Beitrag von Wadinet zu Niebels verhindertem Gaza-Ausflug: http://www.wadinet.de/blog/?p=2787)

    Ich finde dieser Kommentar, über den ich heute zufällig gestolpert bin, untermauert deine hier entwickelte Theorie recht anschaulich. Bei anderen Kommentaren kann man das oft nicht so gut raus lesen, aber ich glaube inzwischen, dass die von dir hier beschriebenen Mechanismen doch, ohne das die meisten das freilich merken würden, eine tendenziös Anti-Israelische Stimmung in breiten Schichten der Bevölkerung erzeugen.

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