Obamas Afghanistan-Strategie: Siegen unerwünscht!

Der wichtigste Punkt in Obamas Rede zur amerikanischen Strategie in Afghanistan ist die Ankündigung, dass der Rückzug im Juli 2011 beginnen werde.

Diese Aussage neutralisiert die Anstrengungen der vergangenen Monate und auch der kommenden Verstärkung amerikanischer Kräfte, die den Afghanen und den Aufständischen hätte signalisieren können, dass das Ziel des Westens in Afghanistan ein Sieg ist, und dass man alles dafür Erforderliche zu tun bereit ist. (…)

Alles, was die Aufständischen jetzt tun müssen, ist die Vermeidung einer sichtbaren Niederlage in den kommenden 18 Monaten. (…)

Es ist zu früh, von einer wahrscheinlichen Niederlage in Afghanistan zu sprechen, aber Obama hat in seiner Rede die Weichen entsprechend gestellt, und viel Zeit für Kurskorrekturen bleibt nicht.

Das Weblog Sicherheitspolitik, von dem diese Einschätzung stammt, und das ich wegen seiner mit militärischem Sachverstand untermauerten Analysen stets sehr gerne lese, trifft damit zwar einerseits den Nagel auf den Kopf. Mir scheint aber, dass „Sieg“ und „Niederlage“ Begriffe sind, die für die westliche – und das heißt: amerikanische – Afghanistan-Strategie keine Rolle spielen, jedenfalls nicht in ihrer herkömmlichen Bedeutung.

Afghanistan grenzt im Westen an den Iran, im Norden an ehemalige Sowjetrepubliken, die von Moskau als „nahes Ausland“ und eigene Interessensphäre gesehen werden, im Süden an Pakisten, dessen Atomwaffen in Griffweite von islamistischen Fanatikern sind, und im Osten an die aufstrebende Weltmacht China. Wer Afghanistan militärisch kontrolliert, verfügt über eine strategische Schlüsselposition, von der aus sich mindestens latenter Druck auf die vier genannten Staaten ausüben lässt.

In Afghanistan nicht präsent zu sein, hieße für die USA: in Mittelasien nicht präsent zu sein; denn ein anderer Stützpunkt steht ihnen in der Region nicht zur Verfügung, jedenfalls keiner, der nicht von einer potenziell feindlichen Macht kontrolliert wird.

Es geht nicht um die Taliban und nicht um Bin Laden; es geht nicht um den 11. September oder Terrorismus, und es geht schon überhaupt nicht um Frauenrechte oder dergleichen – solche Begründungen dienen allenfalls dazu, die Gefühle des heimischen Publikums zu manipulieren: Es geht um die Kontrolle Mittelasiens.

Diese Kontrolle müsste aber an dem Tage ihr Ende finden, an dem die Taliban besiegt, Afghanistan befriedet und die afghanische Regierung Herrin im eigenen Haus wäre, die den Abzug der amerikanischen Truppen fordern würde.

Deswegen darf das alles nicht geschehen: Der Krieg darf niemals enden!

Wenn man die Dinge unter dieser Prämisse betrachtet, versteht man,

  • warum die Bush-Regierung in den Monaten nach dem 11. September zögerte, von ihren europäischen Verbündeten Truppen in ausreichender Stärke zu fordern (die sie damals ohne Weiteres bekommen hätte);
  • warum Bin Laden aus einer bereits geschlossenen Falle entkommen konnte;
  • warum die Bush-Regierung die für einen Sieg in Afghanistan erforderlichen Truppen lieber in den Irak schickte;
  • warum die Bundeswehr von den Verbündeten für die beherzte Zerstörung der berühmten Tanklaster Klassenkeile bezog (es ging nämlich nicht darum, die „Zivilbevölkerung zu schonen“, sondern die Taliban zu schonen);
  • warum die Bundesregierung bis heute eine überzeugende Analyse der Lage in Afghanistan ebenso schuldig geblieben ist wie eine Definition der Kriegsziele: Das Mandat für die deutschen Truppen wird Mal um Mal verlängert, und keiner weiß warum;
  • und schließlich, warum Obama die oben zitierte, scheinbar so widersinnige Ankündigung trifft, ab 2011 aus Afghanistan abzuziehen.

Die Wahrheit, dass ein Sieg nicht gewollt ist, darf niemand aussprechen, weil sonst zu Hause die öffentliche Unterstützung für den Krieg zusammenbräche. Deswegen muss man dem amerikanischen Publikum, das allmählich ungeduldig wird, von Zeit zu Zeit eine neue Strategie unterbreiten, die – diesmal aber wirklch! – den Sieg zu bringen verspricht, und zgleich dafür sorgen, dass sie eben nicht zu einem Sieg führt.

Dem deutschen Publikum kann man solche Wahrheiten erst recht nicht zumuten, weil es sonst sofort den Abzug aller deutschen Streitkräfte fordern würde – und dies zu Recht!

Ich glaube schon, dass die Präsenz Amerikas in Mittelasien für seine europäischen Verbündeten, also auch für uns, einen gewissen Kollateralnutzen abwirft. Diesen Nutzen würden wir aber auch ohne eigene Kriegsbeteiligung einsacken. Schon deshalb ist mir der Preis zu hoch:

Was die USA aus ihrer Präsenz machen, obliegt ausschließlich ihrer Entscheidung, sie werden sich da nicht hineinreden lassen: Deutschland stellt also letztlich Hilfstruppen für eine Politik, die nicht von der gewählten deutschen Regierung mitkonzipiert wird, über die sie die deutsche Öffentlichkeit sogar belügen muss, und die ausschließlich eine amerikanische Weltmachtstrategie begünstigt.

Indem sie für eine solche Politik das Leben deutscher Soldaten riskiert und opfert, rückt die Bundesrepublik, ein demokratischer Staat, sich selbst in die Nähe absolutistischer Doudezfürstentümer des achtzehnten Jahrhunderts, die ihre Untertanen als Soldaten an fremde Mächte vermieteten.

6 Gedanken zu „Obamas Afghanistan-Strategie: Siegen unerwünscht!“

  1. Dies wird besonders deutlich, wenn man die beiden zentralen Prämissen berücksichtigt, die Brzezinski seinem Hauptwerk „The Grand Chessboard“ – aber auch all seinen anderen Schriften – zu Grunde legt. In deutscher Übersetzung heißt das Buch: „Die einzige Weltmacht“. Dieser Titel bezeichnet den ersten Grundsatz, nämlich den erklärten Willen der USA, vorerst die „einzige“ und – wie Brzezinski es nennt – sogar „letzte“[2] Weltmacht zu bleiben. Noch entscheidender ist jedoch die zweite Prämisse. Ihr zufolge ist Eurasien „das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird.“[3]

    Diesem zweiten Grundsatz liegt die Einschätzung zu Grunde, dass eine Macht, die in Eurasien die Vorherrschaft gewinnt, damit auch die Vorherrschaft über die gesamte übrige Welt gewonnen hätte. „Dieses riesige, merkwürdig geformte eurasische Schachbrett – das sich von Lissabon bis Wladiwostok erstreckt – ist der Schauplatz des global play.“[4] „[…] wobei eine Dominanz auf dem gesamten eurasischen Kontinent noch heute die Voraussetzung für globale Vormachtstellung ist.“

    http://hintergrund.de/index.php?option=com_content&task=view&id=235&Itemid=63

    Kein Kommentar.

  2. In Südkorea und Deutschland haben die USA ja auch noch Truppen stationiert, obwohl der jeweilige Krieg lange vorbei ist. Es kann natürlich sein, dass die Afghanen das von ihrer Mentalität nicht akzeptieren würden, fremde Truppen auch ohne Krieg auf ihrem Boden zu haben. Wenn es wirklich die Strategie wäre, diesen Konflikt am Köcheln zu halten, um dort präsent bleiben zu können, dann ist es mE keine gute Strategie. Denn die Amerikaner sind viel isolationistischer als es früher zB die Engländer waren. Ich glaube nicht, dass die solche Kämpfe noch jahrzehntelang akzeptieren und die lassen sich auch nicht jahrzehntelang dermaßen an der Nase herumführen. Ich schätze, Obama konnte sich einfach nicht so richtig entscheiden und hat jetzt einen faulen Kompromiss gewählt.

  3. Die Zentralasienstrategie der USA ist längst gescheitert. Tatsächlich haben die Amerikaner wohl das Gegenteil ihrer Intentionen erreicht.
    Denn noch vor ein paar Jahren herrschte in dieser Region ein fröhliches „Jeder gegen Jeden“. Der schiitische Iran gegen das überwiegend sumnitische Pakistan, die einzelnen Turkrepubliken gegen Russland und ihre eigenen Islamisten, Russland gegen China. Doch nun dank der Präsenz der Amerikaner ist Zentralasien zum ersten Mal seit der Mongolenherrschaft vereint (mehr oder weniger). Und zwar gegen die USA.

    Chinesen und Russen haben ihre Differenzen (das Vordringen chinesischer Energie-Konzerne in die Turkrepubliken und chinesischer Siedler nach Sibirien) begraben und arbeiten gemeinsam daran, die USA aus der Region zu verdrängen. In den Turkrepubliken haben sie das auch bereits geschafft, die USA mussten ihre dortigen Stützpunkte bereits aufgeben.
    Die kleinen ehemaligen Sowjetrepubliken wissen spätestens seit dem Georgienkrieg, wo ihr Platz ist. Den Iran braucht man gar nicht erst zu erwähnen, an die Zuverlässigkeit Pakistans glaubt niemand.

    Vor allem aber dürften diese Allianzen nicht mehr nur kurzfristig sein. Denn mit der „Shanghaier Organisation“ hat sich nun eine solide Plattform für weitere Zusammenarbeit etabliert. Vor der Afghanistan-Intervention war diese Einrichtung nicht mehr als ein subalternes russisch-chinesisches Gesprächsforum, doch in den letzten Jahren haben sich die Kompetenzen und die Mitgliederzahlen drastisch erweitert. Gemeinsame Manöver, eine Zentrale für Terrorismusbekämpfung, Zusammenarbeit bei der Rüstung, gegenseitige Beistandsverpflichtungen. Hinzukommt seit einiger Zeit eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit, die in Sub- und Partnerorganisationen koordiniert wird. Neben Russland und China sind in dieser „Ost-Nato“ alle Turkrepubliken. Iran und Indien besitzen bereits „Beobachterstatus“
    (Der Westen sollte sich also mit Angriffen auf den Iran nicht nur wegen des Atomprogramms beeilen. Sollte er wirklich Vollmitglied werden, wären Russland und die Volksrepublik vertraglich verpflichtet, ihm im Kriegsfall militärisch beizustehen).

    Vermutlich haben die USA in Afghanistan nicht ihre Vorherrschaft gesichert, sondern die einzige Koalition geschaffen, die diese herausfordern könnte…

  4. Eine amerikanische Strategie, wie Manfred sie beschreibt, bedeutet auch für Europa nichts Gutes.
    Zunächst einmal werden wir für den Abwehrkampf gegen den Islam auf die USA nicht zählen können – deren Focus liegt dann in Asien und ist gegen Russen und Chinesen gerichtet.
    Die Dinge deuten eher daraufhin, dass die USA mit den Muslimen gemeinsame Sache machen. So hat selbst Bush nie direkt Kritik am Islam geäußert (von den Anbiederungsversuchen seines Nachfolgers ganz zu schweigen). Auch wurde offenbar nichts gegen die Saudis unternommen – obwohl die Masse der 09/11-Täter einschließlich bin Ladens Saudis sind und Saudi-Arabien die Masse der islamistische Terrororganisationen finanziert. Auch die Gelder und Hassprediger für die zahlreichen Moscheeprojekte weltweit stammen größtenteils aus diesem Land. Wer nach den Wurzeln für die zahlreichen religiösen Konflikte in Asien sucht, stößt fast immer auf Saudis.
    Und auch im Irak scheint man den Mullahs weitestgehend das Feld überlassen zu haben, solange sie nur still bleiben.
    Auch die Drogenwirtschaft in Afghanistan scheint die USA nicht zu stören. Offensichtlich glauben gewissen Kreise in den Vereinigten Staaten, Kriminelle und Islamisten nutzen zu können.

    Die USA werden also die Islamisierung Europas dulden – um sich der Hilfe der Muslime gegen ihre vermeintlichen Feinde zu sichern. Darüber hinaus werden wir Europäer uns auch noch die Feindschaft Russland und Chinas zuziehen, sollten wir die USA weiter unterstützen…

  5. Offensichtlich glauben gewissen Kreise in den Vereinigten Staaten, Kriminelle und Islamisten nutzen zu können.Die USA werden also die Islamisierung Europas dulden….

    ..und forcieren, da die USA nicht bereit sind, die 50 oder 60 Millionen Türken und Nordafrikaner, überwiegend aus islamischen Ländern, in den nächsten 20 Jahren aufzunehmen, zu deren Aufnahme sie aber ständig die europäische Union drängen.
    USA ist mitnichten an einem starken Konkurrenten im geopolitischen global play interessiert.

  6. Die gesamte Argumentation kann ich nicht nachvollziehen. Erstens waren die Amis vor 9/11 auch nicht in Afghanistan präsent, jedenfalls nicht mit Armeeeinheiten.
    Zweitens, was wäre der prinzipielle Unterschied zum Irak? Auch dort könnte man ja die gleiche Strategie fahren und einen Pseudo-Kampf führen, um für immer drin zu bleiben. Tut man aber nicht, und Saddam hat man auch nicht laufen lassen.
    Drittens: um Länder wie Afghanistan oder Irak dauerhaft besetzt zu halten, benötigt man keinerlei vorgeschobene Argumentation! Die Lage wird sich allermindestens in Afghanistan NIE mehr auf eine im westlichen Sinne „funktionierende“ Ebene stabilisieren (lassen).  Es wird immer genug Anschläge, Korruption und Talibanisierung geben, um dauerhafte Präsenz zu begründen. Ein freier oder gefangener oder toter Osama b. L. würde da keinen Unterschied machen. Wenn man ihn kriegen könnte, würde man ihn präsentieren – immerhin muß das ganze Volk für diesen Krieg bei Laune gehalten werden.
    Das wäre auch mein vierter Einwand. Die Masse ist niemals dumm und kann, speziell in den USA, nicht dauerhaft „verarscht“ werden. Schließlich ist die Armee Teil des Volkes und stellt Informationskanaäle aus erster Hand dar.  Das Volk weiß also, ob da ein pseudokampf oder ein echter Kampf geführt wird, und dieser Kampf kann immer nur solange geführt werden, wie das Volk noch mehrheitlich dahintersteht.
    Das wird aber nicht ewig so sein, und keine Regierung kann hoffen, es mit Tricksereien so hinzukriegen. Nicht zuletzt halte ich auch die amerikanischen Strippenzieher für schlau genug, zu begreifen, daß man doch nicht die ganze Welt quasi-polizeilich kontrollieren kann, indem man dort Armeepräsenz zeigt.
    Ich halte das Problem für viel simpler zu kennzeichnen: all diese Entscheider mit Einfluß auf die Dinge sind auch ur Menschen. Und Menschen können nicht JEDES Problem lösen. Ich denke, die Amis würden lieber heute als morgen Afghanistan verlassen – aber sie können nicht. Das Land würde seine Funktion als Dschihad-Ausbildungsbasis sofrt wiedergewinnen. Die Amis können aber auch nicht „siegen“, denn um eine taliban-resistente Gesellschaft zu bekommen, müßte man die ganze Bevölkerung austauschen oder gehirnwaschen.
    Das Ganze ist also ein „catch-22“: die Amis können nicht siegen, aber auch nicht gehen.
    Ist genauso, wie mit der muslimischen Übernahme Europas: sie ist nicht wünschenswert, aber die wirksamen Gegenmittel sind undurchführbar in einer Welt, wie sie nun einmal ist.  Wie gesagt: man soll mir doch mal einen rein theoretischen, detaillierten Plan aufstellen, wie die Anzahl und der Einfluß der Muslime in Europa wieder zum Abnehmen gebracht werden kann.
    Ich möchte noch hinzufügen, daß ich trotzdem nicht am LGF-Syndrom leide. Die Geschichte wird aber eltzten Endes nicht von Menschen gemacht, das ist der Kernpunkt.
     
     
     
     
     
     
     
     

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