Der Selbstmord der Völker Europas

Ich habe hier schon mehrfach den Selbsthass des Westens, speziell der europäischen Völker (und hier wiederum besonders meines eigenen) thematisiert. Er äußert sich explizit  in einer Political Correctness, die dem jeweils eigenen Volk, der eigenen Kultur, der eigenen Religion (so man noch eine hat), der eigenen Rasse die Schuld an praktisch allen Übeln dieser Welt zuschreibt, aber äußerst wohlwollend mit dem jeweils „Anderen“ umgeht. Er äußert sich aber auch implizit in der schleichenden Selbstauslöschung der Völker Europas.

Für beide Phänomene lassen sich eine Reihe von Ursachen bzw. Motiven identifizieren: ideologische, politische, soziologische, ökonomische, und einige von denen habe ich auch hier im Blog schon behandelt.

Mit der psychologischen Seite habe ich mich bisher nur en passant befasst, obwohl allein das Wort „Selbsthass“ auf die Bedeutung psychologischer Motive verweist.

Ruth hat mich vor einiger Zeit auf einen Aufsatz des Psychoanalytikers und Bloggerkollegen Shrinkwrapped hingewiesen, den BeforeDawn netterweise ins Deutsche übersetzt und im Counterdjihad-Blog eingestellt hat. Leider findet dieser Blog nicht die verdiente Aufmerksamkeit – bisher hat es gerade einmal 79 Zugriffe auf Shrinkwrappeds Essay gegeben (Ich muss mir für diesen Blog wohl etwas einfallen lassen.), und deshalb stelle ich ihn hier mit einigen Raffungen und Kürzungen und unterbrochen von meinen eigenen Kommentaren noch einmal ein. Natürlich bin ich kein Psychologe und weiß über Psychologie nur so viel, wie man als belesener Zeitgenosse eben weiß; aber auch auf dieser Basis lässt sich ja trefflich spekulieren:

„Scham, Aggression und demographischer Selbstmord

von Shrinkwrapped

Übersetzung: BeforeDawn

Teil I

(28. März 2006)

Am Anfang meiner beruflichen Tätigkeit kam eine Frau zu mir, die ich Gudrun nennen möchte, um sich therapieren zu lassen, und zwar gezwungenermaßen. Sie hatte eine ausgezeichnete berufliche Tätigkeit, die sehr zu ihr passte, aber ihr Chef hatte ihr gesagt, er würde sie entlassen, wenn sie sich nicht einer psychiatrischen Behandlung unterzöge. Es war ihr klar, dass sie nicht gut mit Menschen zurechtkam: in den meisten ihrer Beziehungen hatte sie am Ende das Gefühl, misshandelt zu werden, und so war es wohl auch wirklich. Es gab einiges Beeindruckende an dieser Frau, nicht zuletzt ihre Schönheit und ihre Intelligenz. Sie war Deutsche und war in die USA gekommen, um ihr Studium abzuschließen; sie hatte sich dann entschieden, in New York zu bleiben, weil sie sich eine Zukunft in Deutschland eigentlich nicht vorstellen konnte.

Mein anfänglicher Eindruck war, dass diese Frau sehr sympathisch war, nicht nur wegen ihres offensichtlichen Charmes und ihrer Intelligenz. Sie war warmherzig und einnehmend, sie ließ sich ohne erkennbare Schwierigkeiten auf eine relativ intensive Psychotherapie ein, was emotionale Intimität und Offenheit angeht, und ich wunderte mich darüber, warum es ihr nie möglich gewesen war, eine langfristige Beziehung einzugehen, und warum sie bei ihrem Chef und ihren Mitarbeitern einen so starken Zorn auf sich auslöste. Im Laufe der Zeit merkte ich, dass sie zentrale Teile ihrer Lebensgeschichte nicht thematisierte.

Sie war etwas mehr als zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren. Ihr Vater war in der Wehrmacht gewesen, und nach dem Krieg war er mehrere Jahre Gefangener in Stalins Gulag, bevor er entlassen wurde und nach Hause zurückkehren konnte. Ihre Mutter war während des Krieges noch ein Teenager gewesen und hatte in Berlin gelebt. Ihre Eltern hatten geheiratet, nachdem der Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war. Sie war ein Einzelkind. Sie, wie auch ich, brauchte mehrere Monate, um zu erkennen, was in ihrer Lebensgeschichte fehlte: sie hatte keine Vorstellung davon, was ihre Eltern während des Krieges erlebt hatten.

Dies hatte Ähnlichkeit mit den „Löchern“ in der Lebensgeschichte von Patienten, die Kinder von Überlebenden der Konzentrationslager waren. Die Eltern sprachen nicht nur nicht über ihre Erfahrungen, sondern sie vermittelten ihren Kindern die Botschaft, dass bestimmte Fragen nicht denkbar waren und schon gar nicht gefragt werden durften. Bei Kindern von KZ-Überlebenden konnte man ein solches Fehlen von Teilen der Lebensgeschichte erwarten und man konnte damit therapeutisch arbeiten; ich hatte jedoch bis dahin keine Erfahrung mit Überlebenden auf der Seite der Täter und erwartete nicht dieselbe Art von biographischen Lücken.

Eine Anzahl von disparaten Teilen im Puzzle meiner Patientin kam allmählich in den Blick. Sie verriet mir, dass sie ein Jahr in Israel gelebt hatte, als sie 18 war, und dass sie zu der Zeit erwogen hatte, zum jüdischen Glauben überzutreten. Das erschien rätselhaft, denn als sie zu mir kam, war sie eine kosmopolitische unreligiöse Europäerin mit beträchtlicher Lebenserfahrung. Ein weiterer verwirrender Aspekt ihres Falles war, dass ich von Zeit zu Zeit den Wunsch verspürte, ihr gegenüber verletzende Bemerkungen zu machen, die in ihrer Therapie unangebracht schienen. Ich mochte sie wirklich, und ich war mir keines negativen Gefühls ihr als Deutscher gegenüber bewusst (Wie hätte sie denn für den Holokaust auch nur im geringsten verantwortlich sein können?), noch konnte ich irgendein Stück Gegenübertragung bei mir identifizieren, das mich hätte dazu bringen können, sie zu verletzen.

Erst nachdem mir klar geworden war, dass ich mit meiner Patientin in Hinsicht auf einen Verzicht, die Verwicklung der Eltern in die historischen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs zu erkunden, kollaborierte, gewann ihre Therapie einen klareren Fokus und war es uns möglich zu verstehen, was die Gründe für ihre Probleme waren.“

Als ich das las, war ich überzeugt, dieselbe Krankengeschichte vor Jahren schon einmal gelesen zu haben, und zwar in diesem Buch:

71DSGF7XD4L._SL500_AA240_Der darin enthaltene Aufsatz „Kind von Verfolgern“ von M. David Coleman – auch er der Bericht eines jüdischen amerikanischen Analytikers, der eine deutsche Patientin behandelt -, ähnelt Shrinkwrappeds Bericht nicht in jedem Detail, aber doch genug, dass ich zunächst glaubte, es mit ein- und demselben Text zu tun zu haben: Auch dort eine attraktive, scheinbar gut angepasste Person, die ständig die Aggressionen ihrer Mitmenschen herausforderte; die den Übertritt zum jüdischen Glauben in Erwägung gezogen hatte; deren Mutter über die Vergangenheit niemals sprach; beide aus Deutschland emigriert, Gudrun von sich aus als Erwachsene, Frieda (die Patientin von Herrn Coleman) als Kind. Beide schufen Distanz zu Deutschland, Gudrun durch die Emigration, Frieda, indem sie Kopfschmerzen bekam, wenn sie die deutsche Sprache hörte.

„Wir fanden heraus, dass ihr Vater zwar in die Wehrmacht eingetreten war, aber sich geweigert hatte, irgendetwas mit der SS oder der Gestapo zu tun zu haben; er hatte regelmäßig erkennen lassen, dass er gegen die Nazis war.  Nach dem Krieg hatten die Russen ihn mit vielen anderen deutschen Soldaten verladen und nach Sibirien in den Gulag geschickt, wo er fast zehn Jahre leiden musste, bis die Russen ihn schließlich repatriierten.

Interessant war, dass sie über die Geschichte ihrer Mutter lediglich wusste, dass die Familie am Ende des Krieges mit beträchtlichen Entbehrungen fertig werden musste, und dass sie sich daran erinnern konnte, Hunger gehabt zu haben. Besonders auffällig war, dass Kenntnisse über Erlebnisse ihrer Mutter aus der Zeit vor dem Krieg und während des Krieges völlig fehlten, obwohl sie ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Mutter hatte und viel über ihre Nachkriegserlebnisse wusste. Wenn sie ihre Mutter gefragt hatte, wie ihr Leben vor dem Krieg gewesen war, hatte sie es immer abgelehnt zu antworten oder das Thema gewechselt.

Zu der Zeit, als wir anfingen, den Hintergrund ihrer Mutter zu erkunden, offenbarte sie – und es fiel ihr bezeichnenderweise schwer -, dass sie seit langem relativ weitgehende sadomasochistische Sexualphantasien hatte. Sie hatte diese Phantasien nie ausagiert, aber sie fand sie sehr erregend und zugleich in hohem Maße beschämend, was sie in einen inneren Konflikt versetzte. Was ich bemerkenswert fand, war, dass ihre Phantasien – im Gegensatz zu denen anderer Patienten mit sadomasochistischen Neigungen – ganz offensichtlich außerordentlich fließend waren, in dem Sinne, dass es ihr oft unmöglich war, festzulegen, ob sie in ihrer Phantasie das masochistische Opfer oder der sadistische Täter war.

Im dritten Jahr ihrer Therapie machte Gudrun eine vierwöchige Reise nach Deutschland, um ihre Eltern zu besuchen. Ihr Vater war zu der Zeit schwer erkrankt, und es sollte ein Abschiedsbesuch sein.

Nach ihrer Rückkehr hatte sie mir viel zu erzählen. Sie hatte Gelegenheit gefunden, sich mit ihren Eltern zusammenzusetzen und lange Gespräche zu führen; sie hatte schließlich ihre Mutter mit den Lücken in ihrer Lebensgeschichte konfrontiert. Was sie dabei entdeckt hatte, ließ sie ihre eigenen Erfahrungen aus einer veränderten Perspektive sehen.

Ihre Mutter hatte, als sie in Berlin aufwuchs, als beste Freundin ein jüdisches Mädchen gehabt, das im Haus nebenan lebte. Ihre eigenen Eltern hatten ein sehr enges Verhältnis zu den Eltern ihrer Freundin. Die beiden Mädchen waren unzertrennlich. Als die Nazis an die Macht kamen, wurde diese beste Freundin ihrer Mutter, weil sie Jüdin war, in der Schule gemieden und gehänselt; ihre Mutter distanzierte sich von ihrer Freundin. Eines Tages war die Familie von nebenan verschwunden. Es war nicht nur, dass sie sie nie wieder sahen, es wurde auch nie wieder von ihnen gesprochen. Der Name des Mädchens war Giselle.

Meine Patientin brach in Tränen aus und zeigte ihr Entsetzen, als sie mir diese Dinge erzählte. Es war für sie unfassbar, dass ihre Mutter und ihre Großeltern so gefühllos gewesen waren. Wie konnte eine solche Schlechtigkeit in ihrer Familie sein? Andere Deutsche hatten ihr Leben riskiert, um jüdische Kinder und jüdische Familien zu retten; wie konnte ihre Familie sich angesichts solcher Grausamkeit sich so passiv verhalten?

Ihre Scham über ihre eigene Geschichte war tief.“

Dabei waren ihre Eltern nicht einmal Nazis gewesen, anders als die der Patientin Frieda, deren Stiefvater bei der SS gewesen war, deren Mutter noch in den sechziger Jahren pronazistisch eingestellt war, und die selber als Kind (sie war kurz vor dem Krieg geboren worden) eine Version des Cowboy-und-Indianer-Spiels gespielt hatte, bei dem die Juden die Indianer waren. Ihre Schuldgefühle basierten bei ihr auf dem Gefühl, dass sie ohne die Niederlage Deutschlands und ohne die Emigration ganz selbstverständlich ebenfalls ein Nazi geworden wäre.

„Jetzt erst konnte sie ihre unbewusste Identifikation mit den Juden besser verstehen. Sie selbst war nach einem verschwundenen jüdischen Mädchen benannt worden. Ihre sadomasochistischen Phantasien kamen jetzt klarer in den Blick. Sie begriff, dass sie unbewusst alle ihre Beziehungen durch eine Nazi-Juden-Linse gesehen hatte. Sie konnte es nicht ertragen, auf der Seite der Nazis zu sein, und war so gezwungen, ihre eigenen aggressiven Gefühle zu verstecken und zu leugnen, während sie andererseits das Opfer sein konnte, indem sie in ihren Phantasien sich Aggression von anderen vorstellte; dies war aber auch keine Position, die stabil und aushaltbar war. Die Unmöglichkeit, mit sich selbst einen Pfad durch diese beiden Extreme auszuhandeln, führte zu einer Art von fixierter psychischer Kreisbewegung, die sie dazu zwang, beständig ein Nazi-Juden-Szenario zu inszenieren, abwechselnd als unbewusster Täter und dann als bewusstes Opfer.

Zur selben Zeit, als wir die Dynamik dieses Aspekts ihres Charakters herausarbeiteten, konnte ich auch selbst meine Ambivalenz hinsichtlich ihres deutschen Hintergrunds besser erkennen und damit auch, dass die Fragen, die ich mir verboten hatte zu stellen (´Was haben Ihre Eltern und deren Eltern während des Krieges gemacht?´), mich dazu gebracht hatten, die Art und Weise, in der sie mich provozierte, zu übersehen. (Sie war sehr geschickt in der subtilen Kunst der unbewussten Provokation.) Als ich nun zu sehen begann, wie sie mich provozierte, konnte ich auch besser meine eigenen Impulse, ihr gegenüber grausam zu sein, als das begreifen, was sie waren, nämlich Teil der Inszenierung ihrer aus der Familiengeschichte hergeleiteten unbewussten Phantasien.

Gudrun war eine lebenserfahrene, schöne, intelligente Frau, sprach fünf Sprachen fließend, ein talentiertes und bezauberndes Beispiel einer aufgeklärten Nachkriegseuropäerin, sie spürte jedoch, dass sie einen ernsthaft kranken Kern hatte. Gudrun hatte versucht, Europa zu entkommen, indem sie nach Amerika ging, und war damit teilweise erfolgreich, nachdem sie die Krankheit in ihr identifizieren konnte.

Wie es ihr gelang, diese aus ihrer Familiengeschichte resultierenden lang andauernden Konflikte zu lösen, und was die möglichen Implikationen daraus für Europa sind, wird in einem kommenden Posting erkundet werden.

Teil II :

(29. März 2006)

Gestern habe ich angefangen, die Geschichte von Gudrun zu erzählen, die Mitte zwanzig war, als sie wegen ihrer chronischen Schwierigkeiten, mit ihren Mitmenschen auszukommen, zu mir zur Behandlung kam. Sie war eine begabte attraktive Deutsche, die oft einen jüdischen Stern am Hals trug, als sie achtzehn war, ein Jahr in Israel gelebt hatte, und einen nicht unbeträchtlichen Teil der Zeit damit verbrachte, den Übertritt zum Judentum in Betracht zu ziehen. Sie fand in ihrer Therapie heraus, dass sie nach der besten Freundin ihrer Mutter in deren Kindheit benannt worden war, einem jüdischen Mädchen namens Giselle, die in den Konzentrationslagern Nazideutschlands in den späten Dreißigern verschwunden war, um nie wieder gesehen oder erwähnt zu werden.
[In meinem vorigen Posting hatte ich vergessen, darauf hinzuweisen, dass Gudruns Namensgebung durch die Mutter entsprechend der Tradition der aschkenasischen (osteuropäischen) Juden erfolgt war, die Verbundenheit mit einem geliebten Verstorbenen durch den Gebrauch des gleichen Anfangsbuchstabens auszudrücken.]

Ungeachtet dessen, was Gudrun an Wissen über sich selbst gelernt hatte, was ihr eine große Hilfe war, die Art und Weise zu verstehen, in der sie unbewusst andere dazu provozierte, sie anzugreifen, war sie nicht in der Lage, eine passende Dauerbeziehung zu finden oder aufrechtzuerhalten. Dies war verwirrend, denn wir beide dachten, wir verstünden im wesentlichen, was ihre Beziehungen in der Vergangenheit gestört hatte, und häufig machten ihr Männer den Hof, die, soweit zu erkennen war, durchaus zu ihr zu passen schienen.

Schließlich aber fanden wir heraus, dass es einen unlösbaren Konflikt gab, der es Gudrun verwehrte, jemals die dauerhafte Beziehung zu finden, nach der sie sich sehnte.

Sogar nach mehreren Jahren therapeutischer Arbeit konnte Gudrun die Enormität dessen, was ihre Eltern durchgemacht hatten und wie sie mit ihrer eigenen Rolle in den mit dem Holokaust verbundenen Ereignissen umgegangen war, nicht gänzlich einschätzen. Obwohl sie nicht religiös war und nur ein Minimum an religiöser Unterweisung (in einem protestantischen Bekenntnis) erhalten hatte, hatte sie das Gefühl, dass der Makel des Holokaust, der auf ihrer Familie lastete, eine Ursünde sei, für die es ihr niemals möglich sein werde, völlige Wiedergutmachung zu leisten. Während Christen fühlen, dass sie von ihrer „Ursünde“ durch das Opfer Jesu Christi erlöst sind, gab es in der säkularen Welt der Europäer nach dem Krieg und dem Holokaust keine gleichartige Erlösung. Es dauerte eine sehr lange Zeit, bis es Gudrun möglich war, ihr tief empfundenes Gefühl in Worte zu fassen, dass der beschämende Makel in ihrem Kern niemals ausgelöscht werden könne.

Gudruns Empfindung war, dass sie wegen der Mittäterschaft ihrer Familie an den Schrecken des Holokaust es nicht verdient habe, von einem anständigen Menschen geliebt zu werden; sie wusste zwar, dass sie eine Person war, die von anderen gemocht wurde, und konnte sich sogar dazu überreden, dass sie liebenswert sei, aber in ihrem tiefsten Inneren fühlte sie, dass sie nicht liebenswert sei. Die Kluft zwischen dem, was ihr intellektueller Verstand ihr sagte (dass sie für das, was geschehen war, nicht verantwortlich sei) und dem, was ihr Gefühl ihr sagte (dass sie ein Abkömmling des Bösen sei), war unüberbrückbar. Wir haben dies eine sehr lange Zeit bearbeitet. In dieser Zeit gründete sie ihre eigene Firma, kaufte ein Haus und engagierte sich gesellschaftlich, aber sie konnte nie die Art von Zuneigung eines Mannes ertragen, nach der sie sich mehr als nach allem anderen sehnte. Darüber hinaus war die Vorstellung, ein Kind in die Welt zu setzen, in dem möglicherweise dasselbe Übel wie in ihr steckte und auf der Lauer lag, um eines Tages wiederum Gestalt anzunehmen, eine Quelle unvorstellbaren Schreckens für sie. Es war ihr nicht möglich, das Gefühl ins Wanken zu bringen, dass, was an Gutem sie auch immer in der Welt tat, sie doch von Menschen abstammte, die zu den schrecklichsten Dingen in der Lage gewesen waren, und so konnte sie es nicht riskieren, auch nur im geringsten Maße dafür verantwortlich zu sein, dass dieses Böse wiederum auf die Welt losgelassen würde. Es ist kaum möglich zu beschreiben, wie tief sie diesen Schrecken empfand und wie stark er war.

Ich kann nicht genug betonen, dass diese Frau die empfindsamste aller Seelen war; schon der Gedanke, dass sie eine andere Person verletzen könnte, machte sie physisch krank. Dennoch konnte sie nie das Gefühl ins Wanken bringen, dass in ihrem Kern sich etwas Schreckliches befinde. Letztendlich traf sie die bewusste Entscheidung, ihre Gene nicht weiterzugeben. Sie entsagte ihrer eigenen Zukunft und der Möglichkeit, geliebt zu werden. Nichtsdestoweniger hatte sie das Gefühl, dass die Therapie äußerst hilfreich war und dass sie die disparaten Gefühle, von denen sie den größten Teil ihres Lebens geplagt worden war, geklärt hatte. Sie hatte es nicht länger nötig, andere so wie in der Vergangenheit zu provozieren und konnte jetzt gut mit anderen zusammenarbeiten. Die Menschen wurden nicht mehr von ihr vor den Kopf gestoßen und waren nicht mehr wütend auf sie, sondern sie wurde von ihnen aufrichtig gemocht. Sie konnte ihren Freunden und Kollegen zwar nicht erklären, warum sie die ganze Zeit allein blieb, aber sie wusste, warum sie sich für ihren Lebensweg entschieden hatte.“

Da sie ihren Selbsthass ihrer Zugehörigkeit zu einem Kollektiv verdankt – nämlich zum deutschen Volk, sind ihre Emigration, überhaupt ihr betonter Kosmopolitismus Mittel, dieser Zugehörigkeit zu entkommen. Für die, die im Lande bleiben, ist diese Nichtidentifikation schwerer zu demonstrieren; aber auch für sie gibt es Wege, den Hass auf das eigene Volk auszuleben. Mit der Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, bestrafen sie sich nicht nur selbst, für ihre empfundene „Schuld“, sondern auch das Volk, dem sie diese „Schuld“ verdanken. Der Wunsch, dass das eigene Volk nicht existieren möge, schlägt sich sowohl im Reproduktionsverhalten nieder als auch in Ideologien, die diese Existenz in Abrede stellen („dekonstruieren“), als auch in sozialen und politischen Leitbildern, die ihm auf dem schnellsten Wege zum Exitus verhelfen.

(Eines sollte ich klarstellen: Wenn ich politische Ideen unter psychologischen Gesichtspunkten betrachte, dann treffe ich keine Aussage darüber, ob man nicht auch auf rationalem Wege zu diesen Ideologien gelangen kann. Anders gesagt: ich erkläre ihre Anhänger nicht für verrückt – obwohl ich bisweilen durchaus glaube, dass sie das sind; nur ist das eben keine Diskussionbasis. Politische Ideologien – welche auch immer – psychologisch zu interpretieren heißt vielmehr die Frage beantworten: Angenommen, diese Ideologien wären aus unbewussten Motiven entstanden, welche Motive müssten das dann sein? Während eine ideologiekritische Argumentation auf die entgegengesetzte Frage antworten würde: Angenommen, diese Ideologien hätten keinen psychologischen Hintergrund, sondern wären rational entwickelt worden, welche Logik stünde dahinter? Man muss die psychologische von der ideologiekritischen Ebene trennen, um auf jeder Ebene sauber zu argumentieren; Aussagen über die Vernunft oder Unvernunft von Ideologien lassen sich auf der Basis solcher Annahmen selbstverständlich nicht begründen.)

„Obwohl immer Vorsicht angebracht ist, wenn man vom Einzelfall auf das Generelle schließt,  frage ich mich doch, ob das, was ich in Gudrun gesehen habe, nicht eine unbewusste Dynamik repräsentiert, die insgesamt im heutigen Europa am Werk ist. Das schmutzige Geheimnis, zu dem sich Europa nie bekannt hat, ist das große Ausmaß an Mittäterschaft am Holokaust, nicht nur der Mehrheit der Deutschen, sondern auch der Franzosen, der Polen, der Bulgaren, Ungarn und anderer. Die osteuropäischen Länder haben in einer gewissen Weise dafür Buße getan, dadurch dass ihre Nachkriegsgenerationen von den totalitären Kommunisten gefangen gehalten wurden: die Kommunisten versuchten bewusst, alle Zeichen der Mittäterschaft ihrer Völker am faschistischen Holokaust, der vor allem gegen die Juden gerichtet war, zu beseitigen. Sogar in Westeuropa ist die Mittäterschaft versteckt worden, wenn auch nicht völlig beseitigt. Weil man dies nicht direkt angepackt hat, hat das schändliche Geheimnis im Inneren Europas wie ein Geschwür weiter geeitert, wie alle schändlichen Geheimnisse.“

Ich hatte mich schon immer gewundert, warum die Erscheinungen des kollektiven Selbsthasses, die wir in Deutschland mit den Nachwirkungen des Dritten Reiches erklären, in vielen anderen westlichen Ländern ebenfalls zu beobachten sind.

Wenn ich allerdings bedenke, dass zumindest der ideologische Selbsthass auch und sogar besonders ausgeprägt in den angelsächsischen Ländern zu beobachten ist, die gegen Deutschland gekämpft haben, dann frage ich mich, ob Shrinkwrappeds Erklärung ausreicht. Gewiss haben auch England und Amerika sich mitschuldig gemacht, z.B. durch ihr Verhalten bei der Konferenz von Evian 1938, als sie die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge explizit ablehnten bzw. nur unter großen Einschränkungen akzeptierten; durch ihre Neutralitäts- bzw. Appeasementpolitik; nicht zuletzt durch ihre Weigerung, ihre Militärmacht direkt zur Behinderung des Holocausts einzusetzen (z.B. durch Bombardierung der Bahnstrecken zu den Vernichtungslagern). Trotzdem sind solche Unterlassungssünden doch weit entfernt von dem Ausmaß an Verstrickung der Völker im besetzten Europa, geschweige denn des deutschen.

Allem Anschein aber nach identifizieren sich praktisch alle westlichen Völker mit dem deutschen, und zwar gerade im Hinblick auf den Holocaust! Sie sehen sich als potenzielle Täter (nicht anders als die beiden Patientinnen), nicht als potenzielle Opfer. Dazu passt auch die latente – oder gar nicht so latente – Deutschfeindlichkeit in vielen westlichen Ländern, die mir weit über das hinauszugehen scheint, was man zwischen ehemaligen Kriegsgegnern normal finden wird. Womöglich ist diese Deutschfeindlichkeit deshalb so intensiv, weil die mit ihrer Hilfe verdrängte Täteridentifizierung so stark ist.

Warum aber identifiziern sie sich mit den Deutschen, nicht etwa mit den Juden? Weil sie keine Juden sind, wohl aber mit den Deutschen einen Antisemitismus teilen, der in wesentlichen Zügen zu den Grundannahmen des kollektiven Weltbildes in christlich geprägten Gesellschaften gehört. In muslimisch geprägten natürlich auch, aber heute schreibe ich (ausnahmsweise mal 😀 ) nicht über den Islam.

Bleiben wir bei der Psychologie: Das Verhältnis des Christentums zum Judentum ist nicht unähnlich dem von nominell erwachsenen Kindern, bei denen die Ablösung vom Elternhaus nicht geklappt hat, zu ihren Eltern. Das Volk Israel ist zugleich die „Wir“-Gruppe des Alten Testaments und die Feindgruppe des Neuen.  Der christliche Antisemitismus entspricht dem Hass auf Eltern, von denen man nicht loskommt, weil man es nicht geschafft hat, ein von ihnen unabhängiges Selbst aufzubauen. Und die Völker, die diesen Hass teilen, fühlen sich mitschuldig am Holocaust – ganz unabhängig vom Maß der tatsächlichen eigenen Beteiligung. Das scheint mir einleuchtend. Es würde auch erklären, warum der Massenmord an den Zigeunern nicht dieselben Schuldgefühle auslöst: Die Zigeuner sind im Gegensatz zu den Juden die völlig Anderen, sie spielen keine Rolle für die kollektive Selbstdefinition.

„Scham ist das unerträglichste aller Gefühle, weil es das Selbst betrifft. Dr. Sanity hat sehr Erhellendes über Scham und ihre Wirkungen im öffentlichen Raum geschrieben:

Übermäßige oder unangemessene Scham ist etwas völlig anderes, sie sagt dem Individuum mit großer Eindringlichkeit, dass er oder sie wertlos ist. Scham kann eine außerordentlich zerstörerische und schmerzhafte Erfahrung sein. Kinder, die beständiger Feindseligkeit und Kritik ausgesetzt sind, lernen, sich gegen die schlechten Gefühle und die Scham in ihrem Inneren zu wehren und nach außen hin anderen den Grund dafür vorzuwerfen. Projektion und Paranoia, die beide Schuldzuschreibungen nach außen sind, sind psychische Verteidigungsmechanismen gegen die Scham. Oft wird versucht der Betreffende, mit dieser übermäßigen Scham umzugehen, indem er jemanden, den er als schwächer oder noch wertloser wahrnimmt, demütigt (z. B. ein Haustier, eine Frau, Schwule oder Außenseiter erfüllen diese Funktion sowohl für einzelne als auch für kulturelle Gruppen).

Ein Schuldgefühl entsteht nach einem Verstoß gegen die persönlichen Werte oder die der eigenen kulturellen Gruppe. Das Gefühl der Schuld bezieht sich auf Handlungen, auf das Verhalten, während das Gefühl der Scham sich auf das Ich bezieht. Wenn jemandem gesagt wird, sein Verhalten sei schlecht, ist das in seiner psychologischen Wirkung etwas deutlich anderes als wenn man jemandem sagt, er sei schlecht. Jenes führt zu einem Gefühl der Schuld, dieses zu einem Gefühl der Scham.

Zu Scham und Erniedrigung gehört aber auch, dass sie oft zu Wut führen. Wenn die Wut nicht nach außen abreagiert wird, wird sie oft gegen das Ich gerichtet und kann Verzweiflung bis hin zum Suizid bewirken (von dieser Verzweiflung ist Gudruns Lebensentwurf eine weniger schlimme Variante); wenn die Wut nach außen gerichtet ist, kann sie für eine andere Person tödlich sein. Oft stehen beide Formen auch im Zusammenhang. Der Selbstmordbomber vernichtet sich selbst und den verhassten (meistens auch beneideten) anderen, der als die Ursache der Scham gesehen wird.

In der Kultur der europäischen Eliten zeigt sich ein beträchtliches Maß an Pathologie. Sie versuchen, ihr Gefühl der Scham dadurch zu verarbeiten, dass sie das attackieren, was sie als ihren Ausgangspunkt ansehen. Wenn die Juden nur verschwinden würden, könnte die Erinnerung an den Holokaust der Vergangenheit anheim gegeben und für immer vergessen werden. Dies hat nicht für Gudrun funktioniert und es kann auch nicht für Europa als Ganzes funktionieren. Mit ihrem Bemühen, ihre Mittäterschaft vergessen zu machen, drohen sie die Verbrechen der Vergangenheit zu wiederholen. Die schändlichen Angriffe auf die Legitimität Israels sind nichts weiter als kaum verhüllter Antisemitismus, das zentrale Übel, das Gudrun niemals völlig verarbeiten konnte.

(…)“

Das eigene Volk ist nur  eines von zwei Völkern, denen man seinen Selbsthass zu verdanken glaubt, und die man deshalb aus der Welt schaffen will. Das andere sind die Juden. Das makabre Bonmot, dass die Deutschen den Juden Auschwitz nicht verzeihen werden, ist nicht nur zutreffend; es gilt sogar, wenn auch abgestuft, für alle westlichen Völker.

Nehmen wir an, das Verhältnis zum eigenen Volk und das zu den Juden respektive Israel sei die Grundlage politischer Weltbilder in westlichen Ländern, dann gibt es vier mögliche Grundeinstellungen:

(Ich beziehe mich konkret auf Deutschland.)

  • projüdisch-prodeutsch: Teile des konservativen Spektrums (mainstream- und rechtskonservativ)
  • projüdisch-antideutsch: die antideutschen Linken
  • antijüdisch-prodeutsch: traditionell Deutschnational-Rechtskonservative, außerdem Rechtsextremisten
  • antideutsch-antijüdisch: die Mehrheit, und zwar im Zentrum wie auf der Linken

Der Hass auf das eigene wie auf das jüdische Volk, der aufgrund von Shrinkwrappeds Argumentation als Mehrheitseinstellung zu erwarten ist, ist tatsächlich die Einstellung der Mehrheit. Die drei Alternativen werden von Leuten gewählt, die sich mit dem eigenen Volk identifizieren – das gilt auf vertrackte Weise auch für die Antideutschen, für deren Deutschfeindlichkeit das gelten dürfte, was ich oben über die der westlichen Völker gesagt habe: dass sie nämlich Ausdruck einer mit großem psychischem Aufwand verdrängten Identifikation ist.

„Antisemitismus ist eine Krankheit, die einen Menschen und eine Kultur von innen zerstören kann (siehe auch Pity the Poor Anti-Semite); sie kann natürlich ihren ausersehenen Opfern, den gefürchteten, beneideten und idealisierten Juden, schrecklichen Schaden zufügen, aber sie höhlt eben auch den Kern desjenigen aus, der an dieser Krankheit leidet. Vielleicht hat Gudrun ein Beispiel für die Wege aufgezeigt, auf denen diese Krankheit ihre Wirkungen durch die Generationen hindurch zeitigt.

Teil III:

(30. März 2006)

(…)

Meine Patientin wuchs im Nachkriegsdeutschland auf, in einer Umgebung, in der die gesamte Bevölkerung sich verabredet hatte, alle Erinnerungen an ihre Mittäterschaft am Holokaust (bei vielen eine aktive, aber bei den meisten eine passive) zu begraben. Die beste Kindheitsfreundin ihrer Mutter war ein jüdisches Mädchen von nebenan; eines Tages war sie mitsamt ihrer Familie verschwunden und wurde nie wieder gesehen oder auch nur erwähnt. Gudruns Mutter behielt fast 40 Jahre lang dieses Geheimnis bei sich selbst, d. h. der Mutter war es nicht wirklich bewusst gewesen, dass es ein Geheimnis war, sie hatte einfach nie daran gedacht, es ihrer Tochter gegenüber zu erwähnen, bis Gudrun sie direkt damit konfrontierte, als sie – nun schon fast dreißig – bei ihr zu Besuch war.

Die Analogie zwischen Europas allgemeiner Leugnung und der der Einzelperson liegt in der Verdrängung.

Eine von Freuds großen Einsichten war, dass, wenn traumatische Erinnerungen „vergessen“ oder „verdrängt“ und so dem Gedächtnis entzogen werden, sie dennoch beständig danach drängen, an die Bewusstseinsoberfläche zurückzukehren. Die Kräfte, die das „Vergessen“ bedingen, kämpfen darum, das Trauma nicht bewusst werden zu lassen, und aus diesem Kampf resultieren Krankheitssymptome und Charakterdeformationen. Das klassische Beispiel hierfür, das wir in der jetzigen komplexeren Gesellschaft nicht mehr sehen, wäre die hysterische Konversionssymptomatik. Bei einem Patienten, der sich in einer Konfliktsituation wegen seiner Aggression (er hat Angst, sich oder andere zu verletzen) befindet, könnte sich z. B. eine hysterische Lähmung seines Armes entwickeln. Mit seinem gelähmten Arm wäre er nicht mehr in der Gefahr, irgendjemanden zu verletzen, allerdings sind die resultierenden Symptome der hysterischen Konversion oft schlimmer als die Impulse, die sie auslösen. Freud nannte eine solche Symptombildung eine „Rückkehr des Verdrängten“.

[Unser heutiges Verständnis einer solchen Symptombildung ist ein gutes Stück differenzierter und komplexer, aber der grundlegende Rahmen für das Verständnis hat den Test der Zeit bestanden.]

In der gleichen Weise nun haben die europäischen Eliten sich vorgestellt, sie könnten die Verwicklung Europas in die Grausamkeiten des Holokausts vergessen, ohne einen Preis dafür zu zahlen. Jedoch zahlt Europa einen sehr hohen Preis dafür, und es könnte sein, dass es im Begriff ist, die Bühne für eine „Rückkehr des Verdrängten“ zu bereiten.

Der Mann mit dem gelähmten Arm, den ich mir gerade vorgestellt habe, ist Europa. Seit dem Zweiten Weltkrieg, als das ganze Ausmaß des Schreckens des Holokaust zutage trat, haben die Europäer versucht, ihre aggressiven Impulse zu leugnen. Sie sind friedliebender geworden als die blutdürstigen Amerikaner und haben sich deswegen selbst entwaffnet, sie sind moralischer als der Cowboy aus Crawford, viel gescheiter und differenzierter im Denken als die Tölpel von der anderen Seite des großen Teichs. Aber während dieser ganzen Zeit, in der sie den Anschein verfeinerter Urbanität aufrechterhielten, gab es in ihrem Kern eine Krankheit.

Meine Patientin löste ihre auf Aggression, Scham und Schuld basierenden Konflikte durch Selbstbestrafung, Zerstörung ihrer Zukunft und durch die Selbstverpflichtung, niemals Mittäterin bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sein. Man ist versucht, im demographischen Versagen der hochzivilisierten Europäer eine ähnliche Selbstverpflichtung zu sehen. Ich möchte jedoch behaupten, dass es in diesem Fall nicht so leicht ist, das Verdrängte im Unbewussten unter sicherem Verschluss zu halten. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die Europäer, außer Lippenbekenntnissen, nichts getan, um neue Völkermorde zu verhindern oder zu stoppen, jetzt in Darfur, vorher in Bosnien, in Kurdistan (durch Saddam Hussein) und unter den Schiiten im Irak. Durch ihre Angst vor Aggression und ihre Unfähigkeit zu moralischen Differenzierungen haben sie sich im Angesicht wirklicher Brutalität selbst entwaffnet. Sie haben sich sogar vehement bemüht, jene zu entwaffnen, die sie als ihr böses Spiegelbild sehen, die Israelis. (Dies wäre ein Beispiel für den „Narzissmus der kleinen Unterschiede“, der eigentlich einen gesonderten Beitrag verdient; man beachte, dass die deutschen Juden vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus die erfolgreichsten und am stärksten assimilierten Juden in ganz Europa waren. Dazu hat jemand gesagt, dass die Deutschen den Juden den Holokaust niemals verzeihen werden. Und auch nicht die Franzosen.)

Die ganze Kultur der Political Correctness und des Multikulturalismus beruht auf der Marxschen Dialektik der Unterdrücker und der Unterdrückten… In der politisch-korrekten Welt können nur Weiße und ihre Handlanger die bösen Unterdrücker sein. Saddam Hussein kann Millionen von muslimischen Glaubensgenossen töten, und dies regt niemanden auf; Hafis el-Assad kann Hama zerstören und 20.000 Menschen töten [Bombardement der Stadt Hama, um eine Zentrale der Muslimbrüder auszuschalten, Febr. 1982; Anm. des Ü.], und das ohne ein Wort der Missbilligung vonseiten der Europäer; die saudische Königsfamilie kann Sklaverei praktizieren und mittelalterliche Strafen für Apostasie verhängen, ohne ein Wort der Missbilligung (bedauerlicherweise auch nicht von unserer Regierung); der Iran ermordet Vergewaltigungsopfer und arbeitet fieberhaft daran, Nuklearwaffen herzustellen, um sie gegen ihre Feinde, einschließlich der Juden, einzusetzen, und die Europäer jammern und ringen die Hände, weil sie sich vor ihrer eigenen Aggression derartig fürchten, dass die Anwendung von Gewalt zur Entwaffnung des Irans für sie unvorstellbar ist. Dies ermöglicht es den Europäern, die Welt einzuteilen in jene, die die Freiheit zur Aggression haben, und in jene, denen Aggression verwehrt werden muss. Dies ist die Erklärung dafür, dass die Amerikaner und die Israelis immer im Unrecht sind, und die Moslems nie. Zugleich fühlen sie sich immer sicher, die Amerikaner und die Israelis verbal zu attackieren, aber nicht ganz so sicher, wenn es darum geht, Moslems verbal anzugreifen.“

Es ist zugleich die Erklärung dafür, dass man glaubt, den Menschen vorschreiben zu dürfen und zu müssen, was sie zu denken und sogar zu empfinden haben. Das gefährliche Monstrum „Volk“, das sich in Deutschland an so schrecklichen Orten zeigt wie „dem Stammtisch“ (oder dem Kommentarbereich von PI), dessen barbarische Mordlust nur durch die strenge Zucht von Verhaltens-, Sprach- und Denkregeln gezügelt werden kann, dieses groteske Zerrbild des wirklichen Volkes ist das getreue Spiegelbild dessen, was die Sprachregler in ihrem eigenen Inneren vermuten. Es ist eine weitere Form, den Selbsthass zur politischen Ideologie zu erheben und gesellschaftlich verbindlich zu machen.

„Diesen Konflikt haben sie nun zunehmend in ihren eigenen Hinterhof importiert, und es ist kein Zufall, dass die Europäer angesichts der Aggressivität vonseiten der unter ihnen lebenden Muslime sich gelähmt wiederfinden. Ihre anfängliche Reaktion darauf, abgesichert durch ihre reflexhafte Politische Korrektheit, war, diese Aggression in ihren eigenen Ländern zu leugnen; dies jedoch funktioniert nicht sonderlich gut.

Gateway Pundit hat Fotos von den französischen Unruhen in dieser Woche; dies sind keine Unruhen wegen Karikaturen, sondern Proteste von französischen Studenten und Gewerkschaften gegen Pläne der Regierung, die marode Wirtschaft durch die Schaffung von nicht ganz so abgesicherten Jobs in Schwung zu bringen. Diese Proteste waren wieder einmal der Grund für die muslimischen Jugendlichen, deren ethnische und religiöse Zugehörigkeit in der französischen Presse niemals erwähnt wird, gegen die privilegierten Franzosen zu randalieren, die sie als Dhimmis ansehen. Aber die Moslems, in der törichten Überschätzung ihrer eigenen Macht, laufen wiederum Gefahr, sich zu übernehmen. Wenn sie zu früh auf die Barrikaden gehen, könnten die Moslems im Herzen Europas jenen von so vielen gefürchteten und von so vielen herbeigewünschten Zusammenstoß der Zivilisationen auslösen, bevor die Europäer ihren demographischen Selbstmord vollendet haben.“

So weit die Diagnose. Ich finde sie hochgradig bestürzend und beunruhigend, weil mir keine rechte Therapie dazu einfällt. Wie erhält man Völker am Leben, die nicht mehr existieren wollen?

12 Gedanken zu „Der Selbstmord der Völker Europas“

  1. Wie weit die genannten Gründe dafür verantwortlich sind, dass der Hass auf die eigene Kultur und die eigenen Traditionen so stark sind, kann ich nicht wirklich beurteilen.

    Was ich im universitären (kulturwissenschaftlichen) Bereich beobachte, ist, dass die oben dargestellte Mentalität besonders unter Leuten, die zwischen 1945 und 1960 geboren sind, ganz vorherrschend ist, und mit allen Mitteln verbreitet wird, wobei Andersdenkende geradezu verfolgt werden.

    Bei der halben Generation davor, der Flakhelfer-Generation, der Leute wie Kohl angehört haben, war das noch anders. Auch SPD-Politiker hatten da noch eine andere Einstellung zur eigenen Nation. Auch bei vielen Professoren war es nicht anders. Diese Generation ist aber abgetreten und heute im Ruhestand.

    Erst bei der nach etwa 1960 geborenen Generation habe ich den Eindruck, dass es da eine neue Offenheit für die Nation gibt und ein weniger verkrampftes Verhältnis zur deutschen Vergangenheit.

    Dummerweise versucht die heute alles beherrschenden Generation der 68er ihre Sichtweise zur einzig möglichen zu machen. Wer nicht bereit ist, erheblich persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen muss sich anpassen und die kranke Sichtweise der 68er übernehmen.

    Ich habe manchmal den Eindruck, das einzige, was man im Moment machen kann, ist, Gegenstrukturen aufzubauen, dass man in zehn, fünfzehn Jahren, wenn ein Umschwung möglich ist, eine gute Ausgangsbasis hat.

  2. leicht OT:
    Einen interessanten Freudschen Versprecher leistete sich heute der DLF.

    „Vor wenigen Tagen streckte Obama der islamischen Hand die Welt entgegen.“

    Sicherlich würde der Satz für den Hörer mehr Sinn ergeben, wenn man die beiden fettgedruckten Worte vertauscht, aber die Moderatoren lesen doch nur Texte vor, die andere für sie schreiben. Vielleicht ist das doch schon der intendierte Sinn gewesen?

  3. An den Selbstmord der europäischen Völker glaube ich noch lange nicht! Die heutige Generation der knapp 20-jährigen ist nach meinen Erfahrungen gänzlich anders gestrickt (mit Ausnahme der verblödeten Antifatrottel – das ist aber eine wirklich kleine Minderheit).
    In pcto Multikulti macht dieser Generation, die sonst so weltoffen, polyglott und gleichzeitig selbstbewusst ist, wie keine andere Generation zuvor, niemand mehr ein X für ein U vor. Diese jungen Leute werden in wenigen Jahren die Geschicke der Nationen leiten, selbst wenn es eine wachsende autochthone Unterschicht von bildungsfernen und privatfernsehnverblödeter Europäer geben sollte.
    Und ich bin auch fest davon überzeugt, dass diese jungen Leuten selber Kinder haben wollen und werden. Meine eigenen Kinder wünschen sich in jedem Fall Kinder und können sich ein Leben ohne gar nicht vorstellen. (Das Problem haben diejenigen meiner Generation geschaffen, die keine Kinder oder nur ein Kind haben).
    Ein kleines Indiz eines wachsenden Bewusstseins für das eigene Herkommen und die eigene Kultur sind die Namen, die heutezutage Geborene (der gebildeten Schicht selbstverständlich) erhalten. Konnte man sich vor nur fünf bis zehn Jahren solche Namen wie „Wilhelm/Wilhelmine“ (!), Luise, Emma, August, Friedrich etc. vorstellen? Jetzt höre ich bei Neugeborenen fast nur noch „alte“ Namen. Ich finde das schön!
    Vielleicht hatte Hölderlin doch recht: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch…“

  4. Treffer – versenkt!

    Das Zitat sollte man der Achse-des-Guten senden, am besten an Bernd Zeller.

  5. @ Lepanto:

    Wenn ich nicht mehr die Hoffnung hätte, dass Du recht hast, würde ich mir nicht die Finger wundschreiben.

  6. Danke für diesen sehr erleuchtenden Artikel.
    Es deckt sich mit meinen persönlichen Erfahrungen. Schon als Jugendlicher fragte ich mich immer, wieso die ganze Schuld für den Holocaust immer nur den Deutschen allein gegeben wurde.
    Meine Vermutung war, dass der Holocaust doch nur gedeihen konnte, weil in ganz Europa die Juden einen stinkenden Geruch hatten.  Darin  bewunderten doch die Europäer Hitler insgeheim. Es gab so viele Bewunderer Hitlers in Europa, dass ich mich wundere wo diese in den anderen europäischen Staaten bloß geblieben sind. In Ioannina z.B. eine Stadt in Nordgriechenland sagte man mir, das vor dem Krieg die ganze Gold- und Silberschmiede in jüdischer Hand waren. Ich finde heute nichts mehr von diesen Juden. Ich fragte darauf hin einige Ältere, was den mit ihnen geschehen sei….
    Kollektives Schweigen, als ob sie einfach weggebeamt wurden, und dann die einheimischen Griechen die Geschäfte übernehmen konnten.
    Der Islam wurde nie als echte Gefahr angesehen.  Denn im Islam konnte man wenn sich anpasst überleben. Man konnte einfach dazugehören, wenn man wollte und einem die eigene Kultur nichts wert war. Die Juden forderten hingegen ja niemanden auf sich zum Judentum zu bekehren. Sie waren vielleicht auch etwas elitär in den Augen mancher Europäer, und konnten nicht ohne weiteres vereinnahmt werden. Sie hatten einfach nur (göttlichen ?) Erfolg (?Segen). Und Erfolg schaft bekanntlich auch Neider.
    Irgendwie verhält es sich mit den anderen Europäern zu den Deutschen, wie mit einer Gruppe von Freunden, die Kirschen klauen. Einer wird erwischt, und die anderen sind froh, dass sie davongekommen sind. Vergessen haben sie es aber nicht, dass sie dabei waren. Nur verdrängt.
    Der Selbsthass läßt sich m.E. nur durch den erwähnten Glaubensgrundsatz therapieren
    „Während Christen fühlen, dass sie von ihrer “Ursünde” durch das Opfer Jesu Christi erlöst sind, gab es in der säkularen Welt der Europäer nach dem Krieg und dem Holokaust keine gleichartige Erlösung“
    Das ist der erste Schritt zu Therapie.  Das Verdrängte hervorzuholen und zu verstehen, dass es eine Erlösung gibt, egal wie groß die Schuld ist (auch die durch die Elterngeneration „übertragene“). Ich meine, dass das auch die Stärke des Christentums ist. Altes hinter sich lassen können und nach vorne schauen.  Weil die Schuldfrage durch Christus geklärt ist. Und gut ist dann.
    Der nächste Schritt ist, dass ein Volk seine Identität neu finden bzw. gründen muss. M.E. am besten in Christus.
    Allerdings sehe ich für Punkt 1 und Punkt 2 schwarz. In beiden Fällen ist es zwingend nötig ungehinderten Zugang zur öffentlichen Meinung zu haben, um vorurteilsfrei unterschiedliche Lebens- u. Glaubenskonzepte frei  zu diskutieren und auch dafür werben zu können. Dies ist in diesem Europa kaum gegeben. Die herrschenden Meinungseliten bleiben beim Verdrängen und Umdeuten der eigenen Geschichte. Und produzieren immer mehr „kranke im Geist“.
    Vielleicht wird erst ein gewaltsamer Zusammenstoß der Kulturen, eine Befreiung von den herrschenden Meinungseliten möglich machen. Hier und nicht nur in Teheran.
    Freundlichst
    Mega Dux
     

  7. Lieber Manfred,

    seit langer Zeit schon habe ich nicht mehr in Ihrem Blog gestöbert; umso interessanter und spannender ist es, Ihre mittlerweile verfassten Tagebucheinträge zu lesen. Zu dem vorliegenden (ich hoffe, die Diskussion zu diesem Strang ist noch nicht abgeschlossen) die kurze und sehr persönliche (d.h. subjektive) Randbemerkung eines (wie Sie ja wissen) Unpolitischen:

    Sie sagen völlig zu Recht „Man muss die psychologische von der ideologiekritischen Ebene trennen, um auf jeder Ebene sauber zu argumentieren; Aussagen über die Vernunft oder Unvernunft von Ideologien lassen sich auf der Basis solcher Annahmen selbstverständlich nicht begründen.“ Shrinkwrapper argumentiert allerdings nicht psychologisch, sondern psychoanalytisch; beide Sichtweisen unterscheiden sich so fundamental, wie sich etwa „metallurgisch“ von „klempnerisch“ unterscheidet. Der nach meiner Ansicht bedeutendste Psychologe des zwanzigsten Jahrhunderts, nämlich Hans-Jürgen Eysenk, hat einmal festgestellt, dass es ein großes Unglück für die Psychologie als Wissenschaft sei, dass sie ausgerechnet durch S. Freuds Psychoanalyse bekannt geworden sei; er ist zudem der Ansicht, dass die Psychoanalytiker in ihrer Neigung, Theorien völlig ungeprüft der Wirklichkeit überzustülpen, sogar noch die Pädagogen übertreffen. Die Ausführungen Shrinkwrappers sind nach meiner Ansicht ein gutes Beispiel für die Gültigkeit der letztgenannten These. Was erfahren wir über Gudrun? Sie wird von ihrem Chef zu einer Psychotherapie unter Androhung des Verlustes ihres Arbeitsplatzes gezwungen (übrigens ein denkbar schlechter Ausgangspunkt für eine erfolgversprechende Behandlung); ganz nebenbei erwähnt Shrinkwrapper im zweiten Teil seines Beitrags, dass Gudrun ihre Umgebung oft provoziert und sie derart vor den Kopf gestoßen habe, dass viele wütend auf sie gewesen seien. Darüber hinaus wird Gudrun als attraktive, hoch intelligente Frau geschildert, die fünf Sprachen beherrscht, eine eigene Firma gegründet und sich darüber hinaus noch „gesellschaftlich engagiert“ habe, eine Frau also, bei der der große Antreiber „Sei perfekt!“ offenbar besonders wirkmächtig gewesen ist. In ihrem Streben nach Perfektionismus erfährt sie natürlicherweise Rückschläge, da es Vollkommenheit auf dieser Welt nicht gibt; ihre Umgebung ist ihr wegen ihres provozierenden Verhaltens (und vielleicht auch wegen des Einsatzes der Ellbogen auf ihrem Weg nach oben) nicht sonderlich freundlich gesinnt – es ist also völlig folgerichtig, dass sie mehr und mehr an sich selbst zweifelt (nur ausgesprochene Dummköpfe bringen es fertig, sich trotz gegenteiliger Rückmeldungen permanent für die Größten zu halten) und schließlich meint: „Keiner hat mich richtig lieb“. Was macht aber Mr. Shrinkwrapper aus diesem einfachen Zusammenhang? „Die Unmöglichkeit, mit sich selbst einen Pfad durch diese beiden Extreme auszuhandeln, führte zu einer Art von fixierter psychischer Kreisbewegung, die sie dazu zwang, beständig ein Nazi-Juden-Szenario zu inszenieren, abwechselnd als unbewusster Täter und dann als bewusstes Opfer.“ Die zitierte schöne Diagnose gründet besagter Shrinkwrapper auf Gudruns Erzählung, dass ihre in der Nachbarschaft wohnende beste Freundin samt Familie in den späten dreißiger Jahren spurlos verschwunden sei (in einem Konzentrationslager der Nazis, wie Shrinkwrapper ihr im Laufe der Therapie erst klar machen muss). Tatsächlich weiß Gudrun vom Schicksal der Familie offensichtlich nichts; Giselle und ihre Familie können ja auch emigriert oder vielleicht einfach nur umgezogen sein.

    Typisch für Psychoanalytiker (und für viele psychologische Laien) ist die Selbstverständlichkeit, mit der Begriffe wie „Verdrängung“ oder „Projektion“ so verwandt werden, als handle es sich bei beiden „Abwehrmechanismen“ um tatsächlich existierende Größen. In Wirklichkeit gibt es bis auf den heutigen Tag keinen überzeugenden empirische Beleg für die Wirkung von Verdrängung und Projektion. Im Alltag, beispielsweise in der Wendung „Die Deutschen verdrängen die Erinnerung an den Holocaust“, wird der Begriff „Verdrängung“ als ein willkürliches Beiseiteschieben von Gedanken verstanden („Ich möchte mich damit jetzt nicht auseinandersetzen“), un das gibt es zweifellos. Für Freud aber ist Verdrängung ein völlig unbewusster Vorgang; die Tatsache der Verdrängung muss nach seiner Auffassung ebenso wie der natürlich ebenfalls unbewusste verdrängte Inhalt erst durch eine Psychoanalyse mühsam ans Tageslicht befördert werden. Auch die Behauptung, eigene unbewusste Bedürfnisse würden beispielsweise in Form von Feindseligkeit auf andere projiziert (der Homophobe gilt danach bekanntlich als verkappter Homophiler, der über Schwule herzieht, weil er sich seiner eigenen unbewussten Neigung schämt) hat sich trotz zahlreicher ausgeklügelter Experimente nicht bestätigen lassen. „Verdrängung“ (im Freud’schen Sinne) und „Projektion“ sind wie ein Großteil des psychoanalytischen Vokabulars das, was die Nominalisten einen „stimmlichen Hauch“ (flatus vocis) genannt haben – es sind lediglich Sprachhülsen, die zwar einen Gleichklang der Seelen herstellen können, denen aber keine Wirklichkeit entspricht.

    Drei volle Jahre hat Herr Shrinkwrapper die arme Gudrun „therapiert“; offenbar konnte sie sich das finanziell leisten (zur Psychotherapie gehen nämlich nicht Leute, die das eventuell nötig hätten, sondern solche, die sich das gesellschaftlich und pekuniär erlauben können). Immerhin hatte Gudrun zum Schluss „das Gefühl, dass die Therapie äußerst hilfreich war und dass sie die disparaten Gefühle, von denen sie den größten Teil ihres Lebens geplagt worden war, geklärt hatte. “ Sogar Herr Shrinkwrapper räumt also ein, dass er keine Ahnung hat, ob seine abenteuerlichen Spekulationen zutreffend gewesen seien; das „Gefühl“, irgendetwas habe geholfen, kann ich (zumindest vorübergehend, dafür aber gründlich) auch nach einem ordentlichen Hefeweizen haben. Aus dem casus Gudrun kann man daher nach meiner Ansicht überhaupt keine Schlussfolgerung in bezug auf die seelische Verfasstheit Deutschlands (sofern es so etwas überhaupt gibt) oder gar auf die der gesamten westlichen Welt ziehen. Wir werden uns bei dem Versuch, sie zu ergründen, entsprechend Ihrer zu Beginn meines Kommentars zitierten Alternative wohl vorwiegend auf rationale Ideologiekritik verlassen und die psychoanalytische am besten völlig vergessen müssen.

    Sehr herzlich

    Friedel B.
    Diplompsychologe

  8. Lieber Friedel,

    Ihrer fachmännischen Interpretation von Gudruns Krankengeschichte werde ich kaum kompetent widersprechen können, zumal sie mir einleuchtet. 

    Wenn ich allerdings von der „psychologischen Ebene“ spreche, dann meine ich ein bestimmtes Erkenntnisobjekt (nämlich das, was Menschen empfinden, im Unterschied zu dem, was sie rational denken, auch im Unterschied zu den zwischen ihnen wirkenden Beziehungen), nicht eine bestimmte Methode (etwa die psychoanalytische im Gegensatz zu anderen Methoden).

    Als Sozialwissenschaftler ist man zwar leicht genervt, wenn bei der Erörterung sozialer oder politischer Sachverhalten nur noch psychologisiert wird; in aller Regel kommt man wesentlich weiter, wenn man Akteurskonstellationen analysiert (also durch die Brille des Soziologen schaut). Ich müsste aber ziemlich borniert sein, wenn ich mir der Grenzen einer solchen Perspektive nicht bewusst wäre.

    Es stimmt schon: Man kann eine falsche Aussage nicht dadurch widerlegen, dass man Mutmaßungen über die psychologischen Motive dessen anstellt, der sie trifft. In diesem Artikel geht es mir aber nicht um die Frage, ob Ideologien, die auf die Bekämpfung der eigenen Kultur, des eigenen Volkes, der eigenen Religion, der eigenen Lebensweise etc. hinauslaufen, richtig oder falsch sind – ideologiekritisch habe ich mich damit ja schon sehr oft auseinandergesetzt. 

    Es geht mir vielmehr um eine Erklärung des empirischen Sachverhaltes, dass gerade solcheIdeologien in den letzten vierzig Jahren in westlichen Ländern und speziell in Deutschland derart dominant werden konnten. Ich kenne jedenfalls keine andere Kultur, in der das jemals der Fall war – es sei denn vielleicht im alten Rom kurz vor seinem Untergang. 

    Hier gilt, was ich am Anfang des Artikels geschrieben habe: dass 

    sich eine Reihe von Ursachen bzw. Motiven identifizieren [lassen]: ideologische, politische, soziologische, ökonomische, und einige von denen habe ich auch hier im Blog schon behandelt.

    Mit der psychologischen Seite habe ich mich bisher nur en passant befasst, obwohl allein das Wort “Selbsthass” auf die Bedeutung psychologischer Motive verweist.

    In einem Blog kann ich natürlich nicht mehr tun, als auf disziplinierte Weise Hypothesen zu entwickeln und sie zur Diskussion zu stellen. Ich finde aber, dass man das auch als Laie auf psychologischem Gebiet tun kann und sollte, solange man sich an bestimmte Grundregeln hält – insbesondere die, keine Systeme von Hypothesen aufzustellen, die sich zirkulär selbst bestätigen.

  9. Ob die Freudsche Lehre mit ihren analytischen Konzepten nun unwissenschaftlicher Unsinn
    ist oder nicht, können und wollen wir hier, glaube ich, nicht entscheiden. Eine empirische Wissenschaft ist sie sicherlich nicht, und Eysencks Forderung, ihre behaupteten Therapieerfolge einer empirischen Überprüfung zu unterziehen, war deswegen berechtigt und sinnvoll. (Eysenck ist mir auch schon deshalb sympathisch, weil er den genetischen Anteil bei Intelligenz und anderen Persönlichkeitsmerkmalen – im Gegensatz zu den Linken – relativ hoch veranschlagt hat). Ich (als interessierter Laie) möchte aber hier doch anmerken, dass ich Friedel B.s kategorische Frontstellung gegen Freuds Lehre nicht teile. Freuds Konzepte der Verdrängung und Übertragung halte ich für tatsächlich existierende psychische Mechanismen, die ich sowohl bei mir selbst als bei meinen Mitmenschen am Werke zu sehen meine, und sie haben ja auch über die analytischen Richtungen hinaus Anerkennung gefunden. Ich denke auch, dem Patienten auf der Couch (oder wo immer) ist es auch ziemlich egal, ob seine Therapie nun auf einer streng wissenschaftlichen Methode oder nicht beruht, Hauptsache, sie hilft ihm, mit seinen Problemen und seinem Leben durch vermehrte Einsichten in seine eigene Psychodynamik besser fertig zu werden. Dass analytische Therapien dies leisten, steht m. E. außer Frage. Der Kampf der psychologischen / psychoanalytischen Richtungen und Schulen gegeneinander ist nicht zuletzt auch ein Kampf um Macht und Einfluss, und nicht nur ein Ringen um Wahrheit.

    Nun habe ich, auf Friedel B.s Kommentar hin, mir Shrinkwrappeds Bericht nochmals durchgelesen, und mir ist etwas aufgefallen, was mir während des Übersetzens entgangen war und was nun allerdings mit dem zu tun hat, was er – wie auch andere Gegner der Psychoanalyse – den Freudianern vorwirft:
    Eine wirkliche Erklärung des Entstehens von Gudruns psychischen Problemen und ihrer übermäßigen Identifikation mit dem Judentum liefert Shrinkwrapped nicht. Gudrun ist 1956 oder 1957 geboren, also in beträchtlichem Abstand zum Ende des Dritten Reiches, ihre Eltern haben zum Thema ´Juden und Drittes Reich´ eisern geschwiegen, hinsichtlich des Vaters scheint ihr immer bewusst gewesen zu sein, dass er gesagt hat, er sei kein Sympathisant der Nazis gewesen. Wenn Gudruns psychische Symptomatik Ausdruck eines Verdrängungsprozesses ist, wie der Freudianer Sh. sagt, was hat sie denn dann eigentlich verdrängt? Es muss demnach doch in ihrer frühen Kindheit etwas vorgefallen sein, was sie traumatisiert hat und was ihrem Bewusstsein bis zu den Gesprächen mit ihrem Vater im dritten Jahr ihrer Analyse nicht zugänglich gewesen ist. Das Verschwinden der Giselle liegt aber mehr als 15 Jahre vor ihrer Geburt. Erst als sie – fast 40 Jahre nach dem Verschwinden! – erfährt, was ihre Mutter so lange verschwiegen hat, und ihrem Therapeuten davon erzählt, werden ihre psychischen Probleme und ihr Empfinden von Schuld und Scham gegenüber den Juden auf ein von der „Mittäterschaft“ ihrer Eltern und deren Schweigen herrührendes Trauma bezogen. Wann und wie dieses „Fehlverhalten“ der Mutter angesichts des Verschwindens der Giselle auf Gudruns Psyche eingewirkt hat, bleibt aber im Dunkeln. Das mindeste, was man hier also konstatieren muss, ist, dass Sh. hier die Rechenschaft über die konkrete Entstehungsweise dieses Traumas ihrer Kindheit, das doch als Ausgangspunkt ihrer Symptomatik anzunehmen ist, schuldig bleibt.
    Die andere mögliche Entstehungsweise für Gudruns Problematik wäre, dass sie in späteren Jahren, wie andere auch, erfahren hat, was die Deutschen den Juden angetan haben, und sie dies so belastet hat, dass sie diesen Schuldkomplex den Juden gegenüber entwickelt hat. Davon ist aber auch nicht die Rede. Woher kommen nun denn Gudruns psychische Probleme?

    Dieser Mangel macht nun allerdings die Aussagekraft des gesamten Fallberichts fragwürdig.

    Gudruns SM-Phantasien verblüffen zunächst in ihrer Parallelität zu dem Täter-Opfer-Verhältnis zwischen Nazis und Juden, zumindest in der Weise, wie Sh. es darstellt. Hier kommt mir nun der Verdacht, dass er als amerikanischer Jude, der überdies in seinem Blog eine politische Agenda verfolgt, selbst das Opfer dieser auch ihn verblüffenden Parallelität geworden ist, wenn er Gudruns Phantasien als Reenactment ihrer Nazi-Juden-Problematik deutet. Ein Vorwurf gegen die Psychoanalytiker ist ja auch (zurecht; Friedel B. spricht es auch an), dass sie bei begrifflichen oder strukturellen Parallelen zwischen ihren freudschen Deutungskategorien und dem von den Patienten Berichteten zu schnell auf einen wirklich existierenden Zusammenhang schließen und damit ihre Kategorien vorschnell dem noch erst zu deutenden Fall überstülpen. Das hieße dann, dass Sh. hier als amerikanischer jüdischer Freudianer sowohl freudianische als auch politische Vorannahmen in die Deutung der Psychoproblematik seiner deutschen Patientin einfließen lässt. Was das Politische angeht, behauptet er zwar, dass er sich über seine Gegenübertragung Rechenschaft abgelegt hat, ich denke aber, hier sind doch Zweifel angebracht, ob er für Gudruns Fall als amerikanischer Jude der richtige, „neutrale“ Therapeut ist. Warum lässt er seine Leser über den eigentlichen Ausgangspunkt von Gudruns Problemen im Unklaren? Am Ende seines Berichts ist ja die Zentralthese die allgemeine Verdrängung des Holokaust in Europa als Parallele zu dem individuellen Fall der Gudrun. – Ich hab nur zwei oder drei andere Texte von Sh. gelesen und kann mir so kein wirkliches Urteil über sein Selbstverständnis als politisierender Therapeut erlauben, ich halte aber diese Verquickung von psychoanalytischem Fallbericht und dem Verfolgen politischer Absichten für grundsätzlich für problematisch.

    Meine anfängliche „naive“ Erwartung an diesen Bericht war, anhand einer konkreten einschlägigen Fallstudie etwas über Entstehung und Wesen des deutschen Schuldkomplexes erfahren zu können, auch gerade weil er von einem politisch konservativen jüdischen Psychotherapeuten ist. Mein Schluss ist nun aber, dass Sh.s Bericht hierfür untauglich ist, da bei ihm, weil Gudrun als Deutsche für ihn als amerikanischen Juden mit politischen Absichten ja ein faszinierender Fall gewesen sein muss, möglicherweise dann doch seine analytische Selbstkontrolle versagt hat, so dass er, bewusst oder unbewusst, erst die Deutung und dann die Darstellung des Falles seinen Vorannahmen angepasst hat. –

    Ob es wirklich so ist, lässt sich allein auf der Basis des Fallberichts nicht beweisen, aber ich denke, es spricht doch einiges dafür.

  10. Apropos Selbstmord der europäischen Völker. Spengler macht auf erschreckende Entwicklungen in Spanien aufmerksam, dass ja schon geraume Zeit an der Spitze steht, was sozialistischen Wahnsinn, Selbsthass, Kinderlosigkeit und Dhimmitude angeht, zumindest meinem Empfinden nach.
    The Spanish numbers are scary, all right–the percentage of Spaniards holding a negative few of Jews jumped from 21% in 2004 to 46% in 2008–but that’s not the only thing to be scared about. If you dig into the whole report, it isn’t just Jews that the Spanish hate, but Christians, too. 24% of Spaniards hold a negative view of Christians now, compared to 10% in 2004. In France, 19% hold a negative view of Christians, against 9% in 2004.
    What should surprise us is not that post-Christian Europe hates the Jews. Neo-pagans always have hated Jews. Europe’s guilt over the Holocaust easily tips over into compensatory hatred (if the Israelis are portrayed as Nazis, then what Europe did to the Jews wasn’t really so bad). And the State of Israel seems like an inconvenience to Europeans who want nothing more than to die out in quiet dhimmitude.
    The surprising thing is how fast things have shifted in only five years. Continental Europe appears to be in a spiritual tailspin. The Anglo-Saxon countries are different. Only 7% of Americans have a negative opinion of Jews and 9% of Britons, according to the Pew Survey.
    http://www.firstthings.com/blogs/spengler/2009/07/09/why-do-the-spanish-hate-the-jews-hint-for-the-same-reason-they-hate-christians/
    Sehr, sehr gruselig finde ich das. In den Banlieus wird  immer lauter getobt, der Druck auf die spanischen Küsten steigt und steigt, immer mehr prämoderne Mohammedaner wollen in’s Land und wie reagiert die Volkspsyche darauf? Mit Verachtung für Juden und Christen, die USA, Israel und die RKK.

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