Phrasenschweine oder: Die Sprache des Kindergartens

Unter Sportreportern ist es guter Brauch, dass der, der eine Phrase absondert – etwa: „Das Eins-zu-Null hat dem Spiel gutgetan“ – fünf Euro ins Phrasenschwein werfen muss. Behaupten sie jedenfalls. (Es gab sogar einmal unter dem Titel „So werde ich Heribert Faßbender“ eine regelrechte Phrasensammlung.) Ich weiß nicht, ob besagtes Schwein wirklich existiert, aber es sollte existieren – fünf Euro sind jedenfalls eine gerechte Strafe für „So kann’s gehen im Fußball“.

Gerecht wäre natürlich auch, wenn die politischen Journalisten gleichermaßen zur Kasse gebeten würden, zum Beispiel für Sätze wie:

„Ein Ende der Gewalt im Gazastreifen ist nicht in Sicht.“

Wenn für Phrasen dieser Art keine fünf Euro abgedrückt werden müssen, dann dürfte das vor allem daran liegen, dass sie gerade wegen ihrer Banalität geballte Ideologie transportieren.

Was so beiläufig daherkommt, dass man es kaum noch hört, enthält in jedem Falle die Botschaft: „Ich bin eine Selbstverständlichkeit.“ Und worin besteht die?

Von Journalisten erwartet man, dass sie das treffende Wort finden. Für das Geschehen im Gazastreifen also das Wort „Krieg“, nicht das unspezifische „Gewalt“, das auch für eine Ohrfeige oder ein Wirtshausprügelei stehen kann. Den meisten Europäern ist aber noch erinnerlich, dass Krieg irgendetwas mit Politik zu tun hat, und dass meistens zwei Parteien gegeneinander kämpfen. Das Wort „Krieg“ würde also sofort fünf Fragen provozieren:

Wer kämpft

gegen wen

aus welchem Grund

mit welchem Ziel

und mit welchem (vorläufigen) Ergebnis?

Also fünf politische Fragen, die man auch politisch beantworten müsste.

Die sich aber erübrigen, sobald nur von „Gewalt“ die Rede ist. „Gewalt“ ist das Sinnlose und obendrein Böse, und deswegen geht es bei ihr nur darum, ob irgendein „Ende in Sicht“ ist. Das ist die Ideologie „Krieg ist keine Lösung“, versteckt in einem einzigen Wort und mit diesem in die Köpfe der Hörer, Leser und Zuschauer geschmuggelt, die gar nicht erst die Chance bekommen (sollen), irgendetwas zu hinterfragen.

Denn natürlich ist es Unsinn zu behaupten, Krieg sei keine Lösung. Krieg setzt einen politischen Konflikt voraus. Gelingt es, diesen friedlich zu lösen: gut. Wenn nicht, ist der Krieg der deadlock breaking mechanism. Eine Partei zwingt der anderen eine Lösung auf, sobald sie deren Gewaltpotenzial zerschlagen hat. Das ist ein unerfreulicher Vorgang, aber zu einer Lösung führt er allemal. Diejenigen Fälle, in denen Krieg wirklich „keine Lösung“ war – man denke an den Dreißigjährigen Krieg – sind die, in denen es nicht zu einer militärischen Entscheidung kam.

Weil das so ist, lautet die einzig interessante Frage im Zusammenhang mit einem Krieg nicht, ob ein „Ende in Sicht“ ist, sondern:

Wer gewinnt?

Für Drittstaaten kommt die Frage hinzu: Ergreife ich Partei und, wenn ja, für wen?

(Ich weiß, das sind alles Platitüden, und bis vor wenigen Jahren wusste das auch Jeder. Heute aber – heute leben wir einer Zeit, wo man beweisen muss, dass der Regen von oben nach unten fällt, nicht etwa umgekehrt.)

Heute kommen diese Drittstaaten gar nicht auf die Idee, so zu fragen. Stattdessen fordern sie – na was wohl? – ein „Ende der Gewalt“, und höchstrangige Delegationen reisen in die Region, um „zu vermitteln“ (wohlgemerkt: zwischen einem demokratischen Staat und einer faschistischen Terrororganisation; dass Beide somit gleichrangig seien, ist eine weitere ideologische Setzung, die man uns unterjubelt, ohne uns zu fragen).

Sarkozy und Assad - Staatsmänner unter sich, voll Sorge um den Weltfrieden

Erfreulicherweise – denn die Liquidierung der Hamas ist nun weiß Gott wünschenswert – haben diese Missionen keine Ergebnisse, sie dienen ja auch nur der gockelhaften Selbstinszenierung von Politikern, die möglicherweise selber glauben, dies sei Politik.

Erwachsene Menschen im Dienste des Mediensystems bringen es dann fertig, über die Scheinaktivitäten dieser – pardon! – aufgeblasenen Hampelmänner zu berichten, ohne in schallendes Gelächter auszubrechen. Täten sie es, müssten sie ja zugeben, dass es Wichtigeres gibt als die Frage, ob „ein Ende der Gewalt in Sicht“ ist.

So aber entpolitisiert man den Zuschauer, macht man aus einer politischen eine moralische Frage, spült man jeden Gedanken mit Emotionen weg, suggeriert man eine pazifistische Ideologie, und spielt man sich als Volkspädagoge auf, dessen Publikum die Reife von Kindern im Vorschulalter hat: „Seid doch lieb zueinander! Krieg ist keine Lösung! Der Klügere gibt nach!“

Diese Art Journalismus zielt unzweideutig darauf ab, den Zuschauer in einen Zustand infantiler Urteils-Unfähigkeit zu versetzen, und niemand sollte sich über Moderatoren wundern, die wie umgeschulte Kindergartentanten nicht nur aussehen,

Hannelore Fischer, ARDSusanne Conrad, ZDF

sondern sich auch eines dazu passenden Tonfalls befleißigen. Das Deprimierende daran ist, dass dieses Konzept funktioniert: dass sich die Nation also tatsächlich aufs Töpfchen setzen lässt und sich mit dem Daumen im Mund Gute-Nacht-Geschichten anhört.

Würden wir uns in der Sportberichterstattung die journalistischen Standards bieten lassen, die man uns dort zumutet, wo es um unsere vitalen Interessen geht, so klänge das Ergebnis ungefähr so:

Ein Ende dieses brutalen Macho-Spiels, in dem so viel gefoult wird, ist nicht in Sicht. Die Anwohner leiden unter dem Lärm. Der Versuch des französischen Staatspräsidenten, das Spiel vorzeitig abzupfeifen, ist gescheitert. Unsere Quellen vor Ort verraten uns den Spielstand nicht.“

So etwas hat Heribert Faßbender nie getan.

27 Gedanken zu „Phrasenschweine oder: Die Sprache des Kindergartens“

  1. In der Bundesliga-Talkshow „Doppelpass“ auf DSF (sonntags, ich glaube, zwischen 11 und 13 Uhr) ist das Phrasenschwein in Aktion zu erleben. Es wird allerdings, so meine ich mich zu erinnern, immer nur mit jeweils 3 Euro gefüllt. Dafür müssen nicht nur die Journalisten zahlen, sondern auch „Experten“ wie der unvermeidliche Udo Lattek und die eingeladenen Gäste, meist Manager oder Trainer von Bundesliga-Vereinen.

  2. Du hast ja so recht. Diese Entlarvung der Irreführungsstrategie gefällt mir außerordentlich. man hört die Nachrichten, man empfindet das Widersinnige, aber kann es nicht recht in Worte fassen.

    Es ist natürlich ein subtiler Kunstgriff der perfiden Art, wenn alle Seiten das „Ende der Gewalt“ beschwören – als wäre das, was da stattfindet, eine Kindergarten-Prügelei, wo sich Buben um nichts und wieder nichts keilen und von vernünftigen Erwachsenen getrennt werden müssen. „Es sind eben Heißsporne, nicht wahr?“

    So muß keiner Roß und Reiter nennen, man stellt die Kontrahenten auf eine Stufe, spricht beiden die Vernunft ab, ebenso wie die sachlichen Beweggründe. Das Gift der Desinformation sickert aus jeder Satzformulierung der Journalisten heraus. Es ist mir oft unterträglich, welche Verdrehungen da andauernd gesendet werden. Und die Masse hält es für objektive Information.

  3. „wohlgemerkt: zwischen einem demokratischen Staat und einer faschistischen Terrororganisation; dass Beide somit gleichrangig seien, ist eine weitere ideologische Setzung, die man uns unterjubelt, ohne uns zu fragen“

    Ich bin weit entfert davon, Israel und die Hamas auf eine Stufe zu stellen, nur solche Verdrehungen kann man auch nicht zulassen:

    Ja, Israel ist ein demokratischer Rechtsstaat, ja Hamas ist eine Terrororganisation (das F-Wort vermeide ich lieber sobald es außerhalb Italiens geht).

    Die „ideologische Setzung“ hier ist jedoch, daß man zwischen zwei solchen nicht vermitteln dürfte. Ich halte das auch derzeit für sinnlos, doch will man es verbieten, dann ist der Verbieter des ganzen derjenige, der ideologisch setzt, nämlich aufgrund einer „demokratistischen“ Ideologie, die Demokratie zum entscheidenden Merkmal macht.

    Das kann man sicher tun – auch wenn es mit der Zeit nervt – nur sollte man dann dazu stehen und nicht der Gegenseite das vorwerfen, was man selber tut (und zwar was man allein selber tut).

  4. @ apokryphe:

    „wie werden Journalisten heutzutage eigentlich ausgebildet?“ – Eine sehr berechtigte Frage. Anegblich besser als früher, wo man Journalist durch Learning by Doing wurde. Heute gibt es Journalistenschulen, Studiengänge „Publizistik“ und dergleichen mehr. Nur werden Leute, deren Köpfe mit linker Ideologie zugekleistert sind, gar nicht merken, dass sie in ihrer Berichterstattung professionelle Standards auf das Gröbste verletzen.

  5. @str1977:

    ich hatte gehofft, Du würdest igrendwann die richtigen Schlussfolgerungen aus der Tatsache ziehen, dass ich zwar Dutzende (genauer: dreiundvierzig) Deiner Kommentare freigegeben, aber fast keinen beantwortet habe. Da dieses Vorgehen offenbar zu diplomatisch war, sage ich es Dir nun in klarer deutscher Prosa:

    Ich kann Deinen nassforschen, hochfahrenden und spitzfindigen Kommentarstil auf den Tod nicht ausstehen und bitte Dich, in Zukunft anderen Bloggern auf den Keks zu gehen!

  6. Journalistenausbildung ist nach wie vor nicht geregelt – und das ist auch gut so. Im Gegensatz zu einem Arzt darf sich jeder Journalist nennen, der halbwegs seinen Namen schreiben kann.
    Und generell würde ich auch nicht die Kommunikations- und Publizistikstudiengänge verteufeln – eine Pauschalaussage ist sicherlich nicht gerechtfertigt. Ich habe selbst Medienwissenschaft studiert (allerdings an einer Technischen Universität), und dort wurden mir insbesondere die angelsächsischen Grundlagen des Journalismus vermittelt. Also Trennung von Fakten und Meinung, das unparteiische Vermitteln von Fakten (bzw. zumindest der deutlich erkennbare Versuch dazu), das Beachten des Kontextes etc.

    Etwas, was mithin vollkommen konträr zur deutschen und europäischen Selbst-Wahrnehmung der Journalisten war und leider teilweise noch ist. Genau diese professionellen Standards unterscheiden einen richtigen, echten Journalisten oder Reporter vom Laien. Das Objektivität per se nie erreichbar ist – geschenkt. Aber zumindest der ehrliche Versuch dazu sollte unternommen werden.

    Dass die Israelberichterstattung diesen professionellen Standards spottet, ist klar; mir wird ganz schwummerig, wenn ich daran denke, wie diese Zeit der Verblendung in 40-50 Jahren beurteilt werden wird.

  7. @ Humph:

    „Fand ich vertretbar“ – Ich auch. Ich habe deshalb auch nicht die Meinung kritisiert, sondern den Stil, in dem sie vorgetragen wurde – und dies durchaus nicht zum erstenmal, sondern zum dreiundvierzigsten Mal. Und jetzt ist eben Ende.

  8. Diese Berichterstattung ist, abgesehen vom mehr oder weniger vorhandenen „Antizionismus“ der Journalisten, auch einfach eine Folge der Tatsache, dass diese Berichterstatter ja wohl in der übergroßen Mehrzahl pazifistische Wehrdienstverweigerer sind, die von allem Militärischen null Ahnung haben und überrascht sind, dass Krieg nicht das Werfen von Wattebäuschchen ist, sondern Gewaltanwendung auf dem technologischen Level, den wir nun einmal erreicht haben, eben Fortsetzung der Politik- die hier immer wieder scheitert – mit anderen Mitteln. Auch hier verwechseln sie in ihrem Linksdenken wieder die Realität mit ihrer Wunschwelt. Einfach unfassbar, dass nach so vielen Jahrzehnten einer weltweiten Pazifistischen Bewegung es noch immer Staaten gibt, die noch wie früher mit einer Übermacht versuchen, den Krieg mit Gewalt für sich zu entscheiden!!!
    Krieg muss doch fair sein, im Fussball müssen doch auch beide Mannschaften gleich stark sein!!
    Die vielen Falschinformationen hinsichtlich der verwendeten Waffen, der durchgeführten Aktionen usw. zeigen ebenfalls, dass hier ahnungslose Ungediente berichten.
    Wovon sie gleichfalls keine Ahnung haben, ist die Problematik, die der asymmetrische Krieg für den mit regulärer Armee auftretenden Staat darstellt, besonders im TV-Zeitalter, wo ja jeder schon an der Menge Feuer und Rauch sehen kann, dass es unfair ist, auf selbstgebastelte Qassam-Raketen mit modernsten Artilleriegranaten zu antworten. Dabei versucht Israel nun schon in unerhörter Weise den zivilen Kollateralschaden zu begrenzen; sie rufen die Bewohner der zu bombardierenden Häuser sogar vorher telefonisch an! Das wiederum kann nur ein Zeichen ihres schlechten Gewissens sein! Dass in jeder militärischen Aktion auch „Fehler“ angesichts der Unübersichtlichkeit unterlaufen, wissen diese Journalisten ebenfalls nicht und rechnen es von vornherein Israels Menschenverachtung zu.

    Und wer außerdem vom Islam nichts weiß und noch nie etwas von Taqqiya gehört hat, sich weigert, Hamas-TV zu sehen, die Hamas-Charta zu lesen – dies alles aus ideologischer Islamophilie -, pazifistischem Kinderglauben anhängt und von Militärischem eine Ahnung zu haben sich konsequent weigert (stell dir vor, es gibt Krieg und keiner weiß, wie man ein Gewehr bedient!), der deutet alles falsch, was ihm vorgesetzt wird, glaubt maoistischen norwegische Ärzten, und berichtet eben so, wie wir es nun täglich im Fernsehen und in den MSM vorgesetzt bekommen.

    Natürlich löst auch dieser Krieg nicht das Problem – hat Israel ja auch nicht behauptet. Israel tut, was es als Staat tun muss, nämlich seine Bürger vor Raketenbeschuss zu bewahren; dass die Gewaltbereitschaft seiner Feinde durch die Offensive eher zunimmt, weiß man dort sicherlich auch. Aber was sollen sie machen? Ja natürlich, mit den Hamas-Faschisten verhandeln, mit den gemäßigten unter den Mördern. – Über das viel größere Problem mit dem Iran wird wahrscheinlich bald zu entscheiden sein, dann muss wenigstens in Gaza Ruhe herrschen. – Was macht man mit den anderthalb Millionen Menschen in Gaza, mit deren von ihren arabischen (Moslem-)Brüdern künstlich aufrecht erhaltenem Elend die Lunte am Brennen gehalten wird?

    Das Problem heißt nunmal „Islam“ – und der geht sobald nicht weg!

  9. Lieber Manfred, der Stil ist nicht so wichtig, Provokationen nerven natürlich, aber sind wichtig und webtypisch, die vglw. neue Kommunikationskompetenz „Webkompetenz“ rät hier eher zum aushalten.
    Überhaupt scheinst Du mir etwas cholerisch zu sein, bist doch noch jung, LOL.
    Lass den Kollegen doch einfach weitermachen, ist ja nicht jeder schlau geboren.

  10. „Überhaupt scheinst Du mir etwas cholerisch zu sein“ – das bin ich tatsächlich. Erstens. Zweitens habe ich nicht so viel Zeit zum Bloggen, wie ich gerne hätte, und das bisschen Zeit will ich nicht mit Auseinandersetzungen verbringen, von denen ich mir keinen Erkenntnisgewinn verspreche. Deswegen habe ich diesen Kommentator bisher ignoriert und gehofft, dass er entweder seinen Stil ändert oder von selber geht. Da er weder das eine noch das andere getan hat, sondern fortfährt, Kommentare zu schreiben, auf die ich eigentlich antworten müsste, auf die zu antworten ich aber nicht die geringste Lust habe, kommt jetzt das Prinzip zur Anwendung: In meiner Badewanne bin ich der Kapitän!

    😀

  11. Im Gegenteil, diese Kriegsberichterstatterin ist eine ausgewiesene Expertin. Schau doch auf das Thema ihrer Abschlussarbeit:

    „DDR-Medien als Konstrukteure kollektiver
    Erinnerung…“

    Die Dame weiß, wie’s geht!

  12. @str1977: Kulturrelativismus dieser Art bringt uns noch um.

    @Manfred: Absolute Zustimmung von einem Sechzger zu einem anderen Sechzger 😉 [Dies übrigens von einem klassisch Liberalen, der sich- wie bspw. das Duo Miersch/Maxeiner- als „Werte-Linker“ versteht, aber Konservative sind mir ja längst erträglicher als viele sog. „Linke“, sic !]

  13. @ CK: Dass sich hier ein Löwenfan einfinden würde, hätte ich nicht erwartet – so viele gibt es davon ja auch wieder nicht – und begeistert mich natürlich ganz besonders!

  14. Ich finde ja, das ist ein ganz allgemeiner Trend, der längst nicht nur auf Redakteure beschränkt ist.

    Ich beobachte auch im Alltag dass der „gesunde Menschenverstand“ der Leute immer öfter von PC und so einer Harmoniesucht überlagert wird, so dass niemand mehr das sagt was er eigentlich denkt. Es scheint, das entscheidende Kriterium ist nicht mehr die zugrundeliegende Wahrheit, sondern ob die Aussage moralisch einwandfrei ist.

  15. „Diejenigen Fälle, in denen Krieg wirklich „keine Lösung“ war – man denke an den Dreißigjährigen Krieg – sind die, in denen es nicht zu einer militärischen Entscheidung kam.“

    Wenn das so ist, so ist die Frage danach, ob eine Seite den Krieg gewinnen kann, doch durchaus relevant. Und auch Israels Strategie wäre vor diesem Hintergrund kritisierbar.

    Israel scheint eine eher langfristig angelegte Kriegsstrategie zu verfolgen, die darauf hinausläuft den Krieg bis, sagen wir, 2070 gewonnen zu haben, wobei „gewonnen“ bedeutet, die vollständige Souveränität über das israelisch besetzte Territorium hergestellt zu haben.

    Nun geht es Israel wohl nicht um den Gazastreifen, doch die einzige Lösung für dieses Gebiet bestünde dann darin, es wieder an Ägypten anzugliedern. Freilich kann dies aus politischen Gründen solange nicht geschehen, bis die Westbank zu einem vollständig integrierten Teil Israels geworden ist. In der entstehenden Zwischenzeit wird dort also ein Zustand der Gewalt, und hier ist Gewalt wohl auch der richtige Ausdruck, denn um eine vorzeitige Entscheidung geht es hier ja gerade nicht, andauern.

    Die Westbank bis 2070 vollständig zu integrieren scheint mir hingegen machbar, und die Frage danach, wer diesen Krieg gewinnt, ist damit beantwortet.

    Allerdings werden bis 2070 außerhalb Israels andere Prozesse die zurzeit bestehenden Verhältnisse grundlegend ändern. In erster Linie wird das meiner Meinung nach Saudi-Arabien betreffen und es steht zu befürchten, daß der sich dort aufbauende Bevölkerungsüberschuß in Angriffskriegen entladen wird, m.a.W. läßt sich der Krieg in Israel wohl nicht isolieren, sondern muß im weiteren Spannungsfeld des Nahen Ostens betrachtet werden, wobei da heute noch gar nicht klar ist, wie dort die Fronten verlaufen werden, wer sich mit wem verbünden wird.

    Unangenehmerweise läßt sich auch nicht so ohne weiteres sagen, wie die politische Situation in Europa, Fernost und Amerika 2070 aussehen wird.

    Da Israel aber nunmal dieses Tempo gewählt hat, müssen strategische Erwägungen sich mit auf diese Zeit beziehen, wenn sie nicht zu kopflosem Handeln führen sollen.

    Ich persönlich würde mich vor diesem Hintergrund lieber raushalten, denn eine jetzt beschlossene Bindung für die nächsten 60 Jahre beraubt Europa der Gelegenheit, seine Interessen in erst noch entstehenden Interessenkonflikten durch Verhandlungen wahrzunehmen.

  16. Israel hat keine Strategie, den Krieg zu gewinnen. Es kann keine haben, weil den Israelis durch bittere Erfahrungen klargeworden ist, dass ihr Staat von den Moslems niemals akzeptiert werden wird. Insofern wäre auch die Angliederung des Westjordanlandes und des Gazastreifens nebst Vertreibung der Bevölkerung keine Lösung. Dies würde nur dazu führen, dass die umliegenden Staaten unter dem Druck ihrer eigenen Bevölkerung gezwungen würden, wieder als Frontstaaten gegen Israel zu fungieren, was sie momentan nicht sind, weil sie den Dschihad an die Palästinenser delegiert haben.

    Dies ist einer der wesentlichen Gründe dafür, warum Jordanien auf die Westbank und Ägypten auf den Gazastreifen verzichtet haben: Indem sie sich der Palästinenser entledigt haben, haben sie sich auch der Pflicht zum Dschihad entledigt. Das Problem verbleibt bei Israel, und Israel kann aus der Erkenntnis, dass der Konflikt weder beigelegt noch gewaltsam entschieden werden kann, nur die eine Konsequenz ziehen, dass er mit möglichst niedrigen Verlusten verwaltet werden muss. Ansonsten können sie bestenfalls darauf spekulieren, dass die Moslems es sich eines Tages anders überlegen, wenn sie überzeugt werden, dass sie nicht gewinnen können.

  17. Ich denke, dass die Moslemseite ganz wesentlich von der Unterstützung durch den Westen lebt, nicht nur materiell, sondern auch ideologisch und politisch.

    Aus israelischer Sicht müsste die Frage doch so lauten : Wer solche Freunde hat wie Europa und die USA, wozu braucht der noch Feinde ?

    Man stelle sich einfach einmal vor, das Nahostquartett würde den ‚Friedensprozess‘ nicht weiter betreiben. Israel würde siegen und die Sache wäre erledigt. das w#re auch günstig für uns.

  18. @Norbert. Israel hat ja in all diesen Kriegen gesiegt, welche die arabische Seite gesucht hat.

    Und die Vereinigten Staaten hätten sich unter keinen Umständen öffentlich gegen Israel gestellt, schon gar nicht während des Kalten Krieges.

    So gesehen muß Manfred wohl Recht haben, daß Israel sich für diese Art der Konfliktverwaltung entschieden hat.

    Anfangs war freilich noch von einem Tauschgeschäft die Rede, Frieden gegen Land, aber da war ja auch schon klar, daß niemand Vertragspartner sein kann.

    Realistisch gesehen müßte Israel formal die Oberhoheit eines islamischen Staates anerkennen und bis auf symbolische Gesten autonom bleiben; das wäre ein Frieden, welcher eine Weile Bestand haben könnte (solange, bis sein Garant abtritt).

  19. Die Moslems dort wie hier wissen ganz genau, dass die Zeit (wg. der Geburtenraten) auf ihrer Seite ist. O- Ton: „Einfach abwarten, dann erledigt sich das mit Israel von alleine!“

    Israels Taktik der Defensive und das Talionsprinzip („an eye for an eye“) reichen strategisch gesehen nicht aus. Genauso ungünstig ist die Vollversorgung des Gegners mit Nahrung und Strom.

    Würden die Israelis aber den Hahn zudrehen, gäbe es weltweite Entrüstung und man spräche vom „Völkermord.“

    Hier sieht man, warum Linke und Moslems sich so gut verstehen: Wenn die Moslems nicht mehr vom Todfeind gefüttert werden reden sie von Mord. Wenn die Linken sehen, dass jemand mit seiner Hände Arbeit etwas schafft ist er ein Ausbeuter.

    Israel wird sich zu verteidigen wissen. Die Frage ist nur, wie sich unsere Regierung verhalten wird. Versteht eigentlich noch jemand, dass es, abgesehen von den taktischen und moralischen Fragen, einfach nicht geht, dass wir Deutschen die Türken gegen Israel unterstützen, eine entgegengesetzte Politik uns aber den lang befürchteten Bürgerkrieg bescheren wird?

  20. Ich bitte um Verzeihung. Die Causa Hermann war mir nicht mehr so präsent.

    Allerdings habe ich genau von dieser Falschdarstellung, dem Verbreiten von Gerüchten zu dem Zweck unliebsame Kritiker loszuwerden, an anderer Stelle meines letzten Beitrags gesprochen, und da ist es in der Tat die gesellschaftliche Stigmatisierung und die Nähe zum Zuchthaus, welche eine solche Verhaltensweise überhaupt erst ermöglicht.

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