Die Kollaborateure des Djihad

Wenn ich meine Spülmaschine reparieren lasse, einen Anwalt konsultiere, ein Taxi nehme, mit einem Anlageberater spreche, kurzum: wenn ich eine Dienstleistung in Anspruch nehme, die ein gewisses Expertenwissen voraussetzt, dann bin ich darauf angewiesen, dem „Experten“ ein gewisses Vertrauen entgegenzubringen, insbesondere mich auf seine Kompetenz und Integrität zu verlassen. Einen Missbrauch dieses Vertrauens nennt man Täuschung, und, sofern strafrechtlich relevant, Betrug.

Auch die Gesellschaft als Ganze ist auf solche Dienstleistungen angewiesen, insbesondere auf solche der Medien und der Wissenschaft. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, nicht getäuscht oder manipuliert zu werden.

Das heißt ja nicht, dass Wissenschaftler oder Journalisten keinen politischen Standort haben oder den nicht zum Ausdruck bringen dürften. Es gibt aber eine rote Linie, jenseits derer Journalismus und Wissenschaft zu Propaganda und Meinungsmache entarten, und die wird spätestens dort überschritten, wo der geltende professionelle Standard nicht eingehalten, seine Einhaltung aber vorgetäuscht wird.

Der „Tagesspiegel“ vom vergangenen Samstag berichtete über eine Studie des amerikanischen Islamwissenschaftlers John Esposito von der Georgetown University, die, gestützt auf eine Gallup-Umfrage unter 50.000 Muslimen in 35 Ländern, unter anderem zu dem Schluss kommt, 93 Prozent aller Muslime seien „politisch moderat“, eine Mehrheit befürworte die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Demokratie, und die Abneigung gegen den Westen sei auf dessen mangelnden Respekt gegenüber dem Islam zurückzuführen. Der Verfasser des Artikels, Martin Gehlen, zieht daraus den Schluss, Vorbehalte gegenüber dem Islam seien „offensichtlich“ wenig begründet.

Es gehört zu den selbstverständlichen Standards sauberen Journalismus, bei der Berichterstattung über gesellschaftwissenschaftliche Studien den Leser darauf hinzuweisen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass außerwissenschaftliche Interessen im Spiel sein könnten. So ist es zum Beispiel üblich, bei wirtschaftswissenschaftlichen Veröffentlichungen die Arbeitgeber- bzw. Gewerkschaftsnähe des betreffenden Instituts zu erwähnen.

Entsprechend wäre es Gehlens Pflicht gewesen, den Leser (der das nicht wissen kann) darauf aufmerksam zu machen, dass Esposito an der Georgetown University das „Prince Alwaleed bin Talal Center for Muslim Christian Understanding“ leitet; und wenn er besonders gründlich recherchiert hätte, wäre er auch darauf gestoßen, dass dieses Institut seinen Namen sowie Finanzmittel in Höhe von 20 Mio. Dollar einem Mitglied der saudischen Königsfamilie verdankt, dass Esposito und sein Institut seit Jahren eine politische Agenda verfolgen, und dass diese Agenda darin besteht, den Islam möglichst gut aussehen zu lassen. Diesen sachlich relevanten Hintergrund nicht einmal anzudeuten ist eine Irreführung, die kaum weniger schwer wiegt als eine direkte Lüge.

Ein vierspaltiger (!) Artikel auf Seite 2 (!) erweckt den Eindruck, der Autor habe die Studie gelesen und sich mit ihrem Inhalt auseinandergesetzt. Auch dies eine Irreführung, die einer Lüge gleichkommt: Tatsächlich ist die Studie erst am vergangenen Dienstag (drei Tage vor Redaktionsschluss 29.02.08) veröffentlicht worden, im Internet nicht verfügbar und wird erst im März im Buchhandel erhältlich sein; Gehlen kann sie gar nicht gelesen haben. Die verfügbaren Informationen beruhen allem Anschein nach auf der Eigenwerbung Espositos und der Georgetown University und den darauf bezogenen Pressemitteilungen. Nichts hätte dagegen gesprochen, das Erscheinen der Studie abzuwarten und sie dann gründlich zu besprechen; die Vorab-Lobhudelei ist das journalistische Äquivalent des vorzeitigen Samenergusses.

Ungefähr die Hälfte des Artikels ist mit – durchweg zustimmenden – Stellungnahmen von Islamwissenschaftlern gefüllt; hier wird – wiederum irreführend – der Eindruck erweckt, es habe eine breite wissenschaftliche Rezeption der Studie gegeben, die es nicht gegeben haben kann, siehe oben, und es bestehe ein zustimmender Konsens der Wissenschaft. Letzterer Eindruck wird dadurch erzeugt, dass kein einziger Gelehrter mit islamkritischem Profil befragt wird. Auch dies eine Täuschung des Lesers.

Dabei weisen schon die wenigen bekannten, teilweise von Gehlen selbst aufgeführten Ergebnisse Espositos Studie als ein wissenschaftlich zweitklassiges Machwerk aus:

So seien 7 Prozent der Muslime „politisch radikalisiert“, während 93 Prozent „politisch moderat“ seien. Unter den „Extremisten“ liege die Zustimmung zur Demokratie aber bei 50 Prozent. Einem Kind muss auffallen, dass ein „demokratischer Extremist“ ein schreiender Widerspruch in sich ist! (Herrn Gehlen fällt es nicht auf.) Hier stellt sich die Frage, ob die Begriffsdefinitionen überhaupt der gängigen politikwissenschaftlichen Begrifflichkeit von „Demokratie“ bzw. „Extremismus“ entsprechen. Aus anderen Quellen erschließt sich, dass als „extremistisch“ eingestuft wird, wer Terrorismus, insbesondere die Terroranschläge des 11. September gutheißt. Nach einer solchen Definition aber wären nicht einmal Kommunisten als extremistisch einzustufen! Die großen marxistischen Parteien nämlich haben Terrorismus als Mittel der Revolution traditionell immer abgelehnt. Es handelt sich offensichtlich um eine Ad-hoc-Definition, die von ideologischen Inhalten völlig absieht. Gerade auf diese Inhalte kommt es aber bei der Definition von „extremistischen“ im Unterschied und Gegensatz zu demokratischen Positionen entscheidend an.

Mehr noch: Es wird der Eindruck erweckt, als sei von „Extremismus“ in unserem westlichen Verständnis des Wortes die Rede, während der Definition in Wahrheit das islamische Verständnis zugrundeliegt. Nach islamischem Verständnis ist selbstverständlich kein Extremist, wer die Steinigung von Ehebrecherinnen, die Diskriminierung von Christen, die Todesstrafe für Apostaten und die Ermordung islamkritischer Schriftsteller – mit einem Wort: die Geltung der Scharia – befürwortet.

Was würde man eigentlich von einem Antisemitismusforscher halten, der die Verbreitung antisemitischer Einstellungen daran messen wollte, ob die Frage „Sind sie Antisemit?“ mit „Ja“ beantwortet wird, und der aus den Ergebnissen schließen würde, 99 Prozent der Deutschen hätten keine antisemitischen Vorbehalte? Man würde ihn für einen einfältigen Narren halten, der das Abfragen von Lippenbekenntnissen mit Wissenschaft verwechselt. Für den Sozialwissenschaftler kommt es aber gerade darauf an, solche Bekenntnisse kritisch zu hinterfragen. Also nicht, wie offenbar Esposito, zu fragen: „Sind Sie für die Demokratie?“, sondern zu fragen: „Soll der Gesetzgeber an Koran und Scharia gebunden sein?“, „Sollen Andersgläubige ihren Glauben frei praktizieren dürfen?“. Nicht zu fragen: „Sind Sie für die Gleichberechtigung von Mann und Frau?“, sondern „Sind Sie für die Gleichberechtigung auch dann, wenn es dem islamischen Recht widerspricht?“ oder „Wären Sie damit einverstanden, dass Ihre eigene Frau berufstätig ist?“. Nur einmal als Beispiele dafür, wie ein kritischer Sozialwissenschaftler fragen würde.

(Und man sollte auch ins Grübeln kommen, wenn Muslime ihre Abneigung gegen den Westen mit dessen „Mangel an Respekt gegenüber dem Islam“ begründen. Wenn dreitausend Moscheen allein in Deutschland gegen null Kirchen in Saudi-Arabien ein Zeichen von mangelndem Respekt sind: Wie haben wir uns den von Muslimen erwarteten „Respekt“ dann eigentlich vorzustellen? Und welches Verständnis von Meinungsfreiheit und individueller Autonomie offenbart ein Sozialwissenschaftler, der „mangelnden Respekt“, also ein Gefühl, als etwas Böses brandmarkt, das es zu bekämpfen gelte? Und schließlich: Was um alles in der Welt soll ich denn am Islam respektieren?)

Und nicht zuletzt zeigt sich die ideologische Disposition der Befragten, aber auch der sie befragenden Wissenschaftler, am Verhältnis zum Existenzrecht Israels (weil dieses Existenzrecht eben unter Berufung auf islamisches Recht bestritten wird). Wenn man schon die Zustimmung zu Terrorismus zum Lackmustest für Extremismus macht, warum dann nur die Anschläge des 11. September? Warum stellt man nicht die Frage, ob der Befragte Terrorismus gegen Israel befürwortet? Offensichtlich deshalb, weil dann Ergebnisse herauskommen würden, die zum Bild des „moderaten Islam“ nicht passen würden. Die Ermordung von Juden zu befürworten ist in den Augen Espositos und seiner Claqueure offenbar kein hinreichendes Indiz für „politischen Extremismus“.

Im übrigen ist es ein allgemein bekanntes Problem der Umfragesoziologie, dass Befragte dazu neigen werden, diejenigen Antworten zu geben, von denen sie glauben, dass der Interviewer sie hören möchte, und es gehört zur wissenschaftlichen Sorgfalt, diesen Störfaktor so weit wie möglich auszuschalten. Methodenlehre, zweites Semester.  Und nun stelle ich mir vor, ein Interviewer stellt sich als Vetreter eines amerikanischen Meinungsforschungsinstituts vor (eben Gallup), und fragt: „Befürworten Sie die Anschläge des 11. September?“ Da erübrigt sich jeder Kommentar.

Auf dieser Linie etwa wird sich die wissenschaftliche Kritik bewegen. Der deutsche Zeitungsleser wird davon aber nichts mehr erfahren. Was ihm im Gedächtnis haften bleiben wird, ist, dass 93 Prozent aller Muslime politisch moderat und Vorbehalte gegen den Islam offensichtlich unbegründet seien.

 

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Aktuelle Literatur zum Stichwort „Djihad“

16 Gedanken zu „Die Kollaborateure des Djihad“

  1. Sehr gute Recherche. Als ich von der „Studie“ las, war meine Skepsis sofort geweckt. Abgesehen davon sind für mich zwei Begriffe sowieso synonym mit „Manipulation“:

    „wissenschaftlich“

    und

    „Studie“.

    Den Aussagen einer „Studie“, und sei sie noch so „wissenschaftlich“, begegne ich mit dem größten Mißtrauen, egal, um welches Thema es geht. Interpretationen und Wunschergebnisse sind in jede beliebige Richtung erzielbar.

  2. Nicht, wenn sauber gearbeitet wird. Deswegen erkennt man die Manipulation ja dort, wo sie auftritt.

  3. selbst wenn sauber gearbeitet wurde, heißt das noch nicht, daß es dann an die Öffentlichkeit gelangt.
    Es gab ja mal eine EU-Studie zur Gewaltkriminalität, die dann wieder verschwand. Ich hab dafür leider keinen Link/Beleg parat.

    Wen es interessiert und wer es noch nicht getan hat: einfach mal nach dem „Obin Bericht“ aus Frankreich googeln bei Gudrun Eussner suchen 🙂
    http://www.eussner.net

  4. Es gehört zu den selbstverständlichen Standards sauberen Journalismus, bei der Berichterstattung über gesellschaftwissenschaftliche Studien den Leser darauf hinzuweisen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass außerwissenschaftliche Interessen im Spiel sein könnten
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    ausserwissenschaftliche Interessen verzerren zur Zeit die Ergebnisse ganzer wissenschaftlicher Disziplinen. Der Imperativ wertfreie Wissenschaft ist auch kaum noch bekannt. Von daher kann man vom Journalismus kaum noch erwarten, dass er auf ausserwissenschaftliche Beeinflussung von Studien hinweist. Das Problem sitzt tiefer.

  5. Gerade weil in den Gesellschaftswissenschaften ideologische Prämissen, aber auch politische Interessen und materielle Abhängigkeiten eine Rolle spielen, erwarte ich von den darüber berichtenden Journalisten, dass sie darauf hinweisen und die „wissenschaftliche“ Propaganda nicht noch verstärken. Aber Qualitätsjournalismus, der diesen Namen verdient, ist in der Tat selten geworden.

  6. hmm … der Herr Gehlen könnte durchaus schon mit einigen der an der Studie beteiligten Leuten intensive Hintergrundgespräche geführt haben und daher über die Ergebnisse einiges gewußt haben. Wäre zumindest möglich 😉 , glaube ich aber nicht, er kannte wahrscheinlich nur die üblichen internen Pressevorberichte.

  7. Ich habe meinen Artikel auch an die Chefredaktion des Tagesspiegel gefaxt. Bis jetzt kam kein Dementi.

  8. Sehr überzeugend, hervorragend analysiert!

    Ähnlich gelagert:
    Das Einsickern von Schariarelativierern und
    Islamismusfreunden in ‚Pädagogische
    Institute‘, Fachhochschulen für Sozialpädagogik
    und kirchliche Gremien macht mir Sorge,
    einzelne Islamreferenten/Dialogbeauftragte
    und Integrationsratsvorsitzende desgleichen.

    Terkessidis und Karakasolu sind solche
    Freunde der ‚kultursensiblen Bildungsarbeit‘.

    Leider hat es die Soziale Arbeit
    nicht vermocht, „professionelle Standards“
    zu sichern. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.

    Bei den Worten ‚kultursensibel‘ jedenfalls
    leuchtet mir die innere Alarmlampe auf,
    und auch ‚Mediation‘ scheint regionsweise
    ein Tummelfeld der pro-Kopftuch-Front zu sein.

    Gut, dass du erkennst, das Extremismus für
    Extreme sanft erscheint … und das man
    dem Dhimmi-Publikum auch mal ‚was zum
    Fraß vor wirft‘.

    Beängstigende Vorstellung … dass/wenn uns die
    Muslimbruderschaft die ‚Islamwissenschaftler‘
    liefert. Droht der Wissenschaft die Unterwanderung,
    die Erosion?

    Gruß vom
    Jacques Auvergne

  9. Jacques Auvergne schreibt:

    „Beängstigende Vorstellung … dass/wenn uns die
    Muslimbruderschaft die ‘Islamwissenschaftler’
    liefert. Droht der Wissenschaft die Unterwanderung,
    die Erosion?

    Unter muslimischen Studenten in der Islamwissenschaft haben Fundamentalisten schon lange die absolute Vorherrschaft. Die wenigen moderaten oder gar kritische Muslime geben sich meist nur unter vier Augen zu erkennen. Jeder, der irgendwie das Bild von friedlichen und toleranten Islam in Frage stellt, wir von diesen Leuten gemobbt und ausgegrenzt. Die Professoren unterstützen das Ganze oder sehen ihm tatenlos zu. Jeder noch so extreme Moslem wird umworben und auf keinen Fall ausgeschlossen. So stehen die Extremisten im Zentrum und die Kritischen sind im besten Fall am Rand, wenn sie nicht früher oder später das Handtuch werfen.

    Die letzten kritischen Professoren in der Islamwissenschaft sind im Ruhestand oder werden demnächst in den Ruhestand gehen. Dann ist die Wissenschaft vollständig in der Hand von Islam-Apologeten. Muslimbrüder, die sich ja meist nicht offen zu erkennen geben, bewegen sich dann in der Islamwissenschaft wie Fische im Wasser.

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