Nachschlag

Anlässlich des Beitrags „Wer hat die Hessenwahl gewonnen?“ hat Beer7 mich auf einen Kommentar von Jost Kaiser aufmerksam gemacht, der ganz anderer Meinung ist als ich. Kaiser kritisiert zunächst die FAZ dafür, dass sie Roland Koch unterstützt, sich gar mit ihm gemein gemacht habe, mokiert sich über die Vorstellung einer linken Dominanz in den deutschen Medien und zeigt sich überzeugt, dass Koch einen ausländerfeindlichen Wahlkampf geführt und seine Niederlage daher verdient habe.

Dass ich an Kochs persönlicher Glaubwürdigkeit meine Zweifel habe, habe ich schon an anderer Stelle erwähnt. Nur ist die völlig irrelevant, verglichen mit den zu erwartenden politischen Folgen seiner Niederlage. Ich habe an Jost Kaiser eine Antwort als Kommentar in seinem Blog geschrieben. Dieser Kommentar ist zunächst in der Mitte abgeschnitten worden, vermutlich weil er für einen Blog-Kommentar zu lang war. Deswegen, und als Ergänzung zu den vorherigen Beiträgen zum Thema, veröffentliche ich ihn hier. Ich steige ein mit einem Zitat aus Kaisers Artikel:

„Von Hans-Joachim Friedrichs wird nur ein Satz überliefert, der aber ist ganz gut:
‚Ein Journalist darf sich mit keiner Sache gemein machen. Auch nicht mit einer guten.‘

Angenommen, die gute Sache sei Roland Koch. Dann sieht man das bei der „F.A.Z.“ mit dem gemein machen wohl fundamental anders.“

Stimmt. genau wie die entgegengesetzte Feststellung stimmt: „Angenommen, die gute Sache sei die Gegnerschaft zu Roland Koch. Dann sieht man das mit dem gemein machen bei sämtlichen deutschen Massenmedien mit Ausnahme von FAZ und ‚Bild‘ wohl fundamental anders.“

Ob man dies eine Kampagne nennen oder annehmen will, der deutsche Journalismus sei von einem seiner periodisch auftretenden Anfälle von Herdentrieb heimgesucht worden, lasse ich dahingestellt. Wenn sich aber sämtliche Schreiber der Republik über ein Wahlplakat empören, weil Ypsilanti darauf „Ypsilanti“ und Al-Wazir „Al-Wazir“ genannt wird und keiner auf die Idee kommt, dass daran etwas lächerlich sein könnte, dann ist das wohl ein starkes Indiz mindestens für Konformismus.

(Zumal diese Sensibilität in einem merkwürdigen Missverhältnis steht zu der Selbstverständlichkeit, mit der dieselbe Presse hinnimmt, dass auf demselben Plakat Mitglieder der Linkspartei kurzerhand als „Kommunisten“ abgestempelt, sprich mit Stalin, Mao und dem Gulag in Verbindung gebracht werden. Und ganz nebenbei: Dieselben Medien, die Helmut Kohl jahrelang den „Pfälzer“ genannt und offen darauf spekuliert haben, dass „der Pfälzer“ beim Publikum ungefähr so ankommen würde wie „der Dorfdepp“, täten gut daran, die feinen Anspielungen auf CDU-Plakaten nicht mit einer Elle zu messen, gemessen an der sie selbst jahrelang blanke Demagogie getrieben haben.)

Ja, aber die CDU hat doch auf fremdenfeindliche Ressentiments spekuliert! Na, und wenn?

Wenn es legitim ist, dass viele Wähler einen Kanzlerkandidaten der CSU schon deshalb a priori ablehnen, weil sie auf keinen Fall von einem Bayern regiert werden wollen, dann kann es nicht illegitim sein, dass es Menschen gibt, die nicht von einem Muslim regiert werden wollen. (Und man stelle sich vor, was in diesem Land los wäre, wenn über Herrn Al-Wazir so geschrieben würde wie einst über Franz Josef Strauß: „Der ist gemacht aus Barbarei und Blutwurst, aus Bier und Frömmelei!“). Es ist weder neu, noch ist es auf das Thema „Migrantenkriminalität“ beschränkt, noch eine Spezialität der CDU, noch auch nur vermeidbar, dass politische Positionen in Wahlkämpfen holzschnittartig vergröbert werden. Wer damit ein Problem hat, hat ein Problem mit der Demokratie.

Wenn in ein- und derselben Bevölkerungsgruppe – nämlich unter Migranten muslimischen Glaubens – Bildungsverweigerung, Machismo, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus, religiöse Intoleranz, politischer Extremismus und eben Gewaltkriminalität gleichzeitig und in deutlich höherem Maße als in der Gesamtbevölkerung auftreten, dann ist ein Zusammenhang zwischen diesen Phänomenen naheliegend; ich würde sogar sagen: Er ist offensichtlich. Und dann kann man nicht einen Aspekt herausgreifen – hier also die Kriminalität -, ohne den (sub-)kulturellen Hintergrund mitzuthematisieren. Tut man dies aber, noch dazu in der mit einem Wahlkampf notwendig verbundenen plakativen Form, dann folgt darauf der Vorwurf der „Ausländerfeindlichkeit“ so sicher wie der Donner auf den Blitz.

Dass dieser Vorwurf, wenn er praktisch von sämtlichen Medien erhoben wird (und dann auch noch mit zählbarem Erfolg), ausreichen wird, das ganze Thema auf Jahre hinaus totzutrampeln, mag Sie befriedigen, und selbstverständlich ist es Ihr gutes Recht, sich für das Thema „Migrantenkriminalität“ nicht zu interessieren. Ich bin aber sicher, es würde Sie interessieren und Ihr Kommentar wäre ganz und gar anders ausgefallen, wenn man Ihrem Sohn, wie meinem, mal eben eine Pistole an die Schläfe gehalten hätte; wenn Ihre Tochter, wie meine, sich auf der Straße, da unverschleiert, mit „Üsch fück düsch, du deutsche Schlampe“, anpöbeln lassen müsste; wenn Ihr Nachbar Ihnen, wie mir, anlässlich einer nichtigen Meinungsverschiedenheit gedroht hätte, Ihre Frau zu vergewaltigen. (Besagter Nachbar musste übrigens untertauchen, weil er als Drogenhändler von der Polizei gesucht wurde.)

In der Regel bleibt es in solchen Fällen bei der bloßen Drohung (die aber als solche bereits barbarisch ist!); dass man sich darauf aber nicht verlassen kann, zeigt die Kriminalstatistik der wenigen Bundesländer, in denen die statistische Erfassung des Migrationshintergrundes von Verdächtigen nicht aus Gründen der Political Correctness untersagt ist.

Noch sind wir nicht an dem Punkt, wo man sich in deutschen Großstädten wie im New York der siebziger und achtziger Jahre seines Lebens nicht mehr sicher sein kann. Es bedürfte aber jetzt energischer politischer Intervention zu verhindern, dass es dahin kommt. Man kann auch ohne Prophetengabe vorhersagen, dass diese Intervention unterbleiben wird, und dies nicht zuletzt deshalb, weil die Medien dem Thema das Etikett „ausländerfeindlich“ aufgepappt und damit Erfolg gehabt haben.

Dass die Publizistik sich im „Würgegriff“ der Linken befinde, dass Linke das Land zersetzten und Leute zum Schweigen brächten, die die Wahrheit sagen, das nennen Sie eine – und man sieht geradezu das Naserümpfen – „kleinbürgerliche“ Paranoia. Unter den gegebenen Umständen hielte ich das für dreist, wenn ich nicht Ihnen und Ihren politisch korrekten Kollegen die Naivität sogar abkaufen würde, mit der Sie und sie bestimmte normative Prämissen linker Ideologie so sehr als Selbstverständlichkeiten verinnerlicht haben, dass ihnen schon deshalb der Gedanke fremd sein muss, hier könne etwas „links“ sein.

Axiom linker Ideologie ist,

– dass jedes gesellschaftliche Machtungleichgewicht von vornherein verwerflich sei: also nicht nur das zwischen Reichen und Armen, sondern auch (die Liste ist äußerst unvollständig) zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, Christen und Muslimen, Israelis und Palästinensern, Weißen und Schwarzen, Männern und Frauen, Arbeitenden und Arbeitslosen, Inländern und Ausländern,

– dass solche Ungleichgewichte auf einem Unrecht beruhten, dass die jeweils stärkere Seite der Schwächeren antue,

– und dass es dieses „Unrecht“ durch die systematische Bevorzugung der schwächeren Seite auszugleichen gelte.

Und so kommt es, dass unsere Medien es keiner Begründung für wert erachten, wenn sie prinzipiell und ohne Rücksicht auf den jeweils konkreten Sachverhalt die Partei der Entwicklungsländer, Muslime, Palästinenser, Schwarzen, Frauen, Arbeitslosen und Ausländer ergreifen. So kommt es, dass die demagogische Verunglimpfung etwa von Bayern, Pfälzern, Linksparteimitgliedern und Kleinbürgern, kurz: von Inländern, als völlig unproblematisch, womöglich gar als journalistische Tugend gilt, während Kritik an Ausländern, und sei sie noch so wahrheitsgemäß, als „rassistisch“ gebrandmarkt wird. So kommt es, dass Journalisten massenhafte Gewaltkriminalität als

„sogenannte ‚Missstände'“

verharmlosen, ja veralbern, weil sie

„sehr genau spüren, wo das ‚Ansprechen‘ sogenannter ‚Missstände‘ hinführen kann, zum Glück aber diesmal – anders als 1999 („Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben“) – nicht hingeführt hat. „

Im Klartext: Sie haben ein Problem mit Deutschen, die den Kugelschreiber zücken, aber keines mit Arabern, die das Messer ziehen.

Genau das, Herr Kaiser, ist linke Ideologie.“

 

Aktuelle Literatur zum Thema „Islam“

Die Bücher von  Henryk M. Broder

11 Gedanken zu „Nachschlag“

  1. die inhaltliche Auseinandersetzung mit solchen Leuten macht wenig Sinn. Im Falle von Gewissheiten, Ressentiments und dumpfen Ahnungen ist jede rationale Auseinandersetzung vergeblich.

    Interessanter ist es Struktur und Funktion des Diskurses solcher Leute zu analysieren, das Bild derselben von den Bürgerlichen zu rekonstruieren, die Funktion der Herabsetzung des Andersdenkenden zu entschleiern und schliesslich der Rückschluss auf Bildungs-, Kultur- und Persönlichkeitsprofil der Autoren, welches in ausnahmlos allen Fällen einen starken Kontrast zum jeweiligen elitären Anspruch derselben bildet. Letzteres dürfte ja angesichts der infantil-gewöhnlichen Ausdrucksweise und der inhaltlichen Leere recht amüsant werden.

    Zum Thema linken Dominanz in den deutschen Medien und Bildungsinstitutionen wird übrigens an anderen politisch inkorrekten in- und ausländischen Stellen zur Zeit gute Arbeit geleistet. Ich meine nicht solche, welche sich in „Gähn!“ und sonstige ungehobelte Infantilitäten a la Kaiser erschöpft.

  2. Pingback: Das Wahnziel der gleichen Gesellschaft « Freunde der offenen Gesellschaft
  3. [quote]Wenn in ein- und derselben Bevölkerungsgruppe – nämlich unter Migranten muslimischen Glaubens – Bildungsverweigerung, Machismo, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus, religiöse Intoleranz, politischer Extremismus und eben Gewaltkriminalität gleichzeitig und in deutlich höherem Maße als in der Gesamtbevölkerung auftreten, dann ist ein Zusammenhang zwischen diesen Phänomenen naheliegend; ich würde sogar sagen: Er ist offensichtlich[/quote]

    Gibt es dazu eigentlich irgendwelche Studien für Deutschland?

  4. @ emmettgrogan:

    Normalerweise gehört Kaiser NICHT zu den üblichen Verdächtigen, mit denen sich auseinanderzusetzen sich nicht lohnte. Siehe zum Beispiel hier:

    http://www.vanityfair.de/blog/politik/3385.html

    Ich hätte auch schreiben können: Auch Du, Brutus. Aber bestimmte ideologische Prämissen sind weiter verbreitet als man meinen möchte.

  5. @ Christian:

    Es gibt solche Studien im Hinblick auf die Einstellung zur Religion (einschließlich der Themen Antisemitismus, religiöse Intoleranz, politischer Extremismus) – ich könnte jetzt allerdings nicht auf die Schnelle einen Link setzen. Das hohe Maß an Gewaltkriminalität ergibt sich aus der Kriminalstatistik (die für Berlin einen Migrantenanteil von 80% an den Intensivtätern ausweist). Bildungsverweigerung ergibt sich aus PISA (Ich halte nichts davon, dem Staat oder der Gesellschaft die Schuld zu geben, wenn eine ganze Gruppe in kostenlosen öffentlichen Schulen nicht zurechtkommt. Und was Machismo und Frauenfeindlichkeit angeht verweise ich auf die eigenen Augen und Ohren.

  6. Schade, ich hätte gerne mal was für die Leute gehabt, die mit Studien kommen, dass Verbrechen immer soziale Ursachen hat und niemals kulturelle bzw. religiöse. Meiner Erfahrung nach spielen Kultur und Religion zwar durchaus eine Rolle und in solch einer Gruppierung können auch andere Werte vorherrschen, als bei uns (die auch als besser empfunden werden), aber es ist schwierig gegen eine Studie wie z.B. die von Prof. Christian Pfeiffer zu argumentieren, wenn man selbst nichts vorzuweisen hat. Der hohe Anteil von arabischen Jugendlichen bei den Intensivtätern in Berlin soll z.B. dadurch zustande kommen, dass viele Palästinenser gar nicht arbeiten dürfen, weil sie nur Duldungsstatus haben (das kommt jetzt nicht von Pfeiffer).

  7. „Ich hätte auch schreiben können: Auch Du, Brutus. Aber bestimmte ideologische Prämissen sind weiter verbreitet als man meinen möchte.“

    auf jeden Fall. Sie sind anscheinend Teil des Allgemeinbewusstseins geworden. Das hat sicherlich etwas mit der linken Dominanz unter deutschen Journalisten und den vom Bildungssystem vermittelten Inhalten zu tun. Für uns ältere Leute dennoch stark gewöhnungsbedürftig.

  8. @ Christian:

    Das hängt auch immer davon ab, wie man solche Studien interpretiert. Ich kenne die Studie von Herrn Pfeiffer nicht, aber ich habe von einigen gelesen.

    Wenn ich zum Beispiel sage: Junge Männer und Kinder aus sozial schwachen Familien sind überdurchschnittlich kriminell, dann feststelle, dass junge Männer und sozial Schwache unter islamischen Migranten überrepräsentiert sind, dann KANN ich, wenn ich es denn unbedingt will, daraus schließen, dass Migranten im Vergleich zu entsprechend situierten Deutschen nur geringfügig überdurchschnittlich kriminell seien (vor allem, wenn ich nur nach der Staatsangehörigkeit gehe und den „Migrationshintergrund“ türkisch- oder arabischstämmiger Deutscher unter den Tisch fallen lasse, die also bei den Deutschen mitrechne).

    Die Fragen, die bei einer solchen Interpretation systematisch weggelassen werden, lauten: Warum sind die Geburtenraten bei Muslimen so hoch, dass sie derart viele junge Männer aufweisen, warum schaffen es muslimische Migranten selbst nach Jahrzehnten nicht, sich gesellschaftlich hinaufzuarbeiten (anders als Migranten aus Spanien, Italien oder Griechenland), warum sind die schulischen Erfolge auch bei den hier Geborenen so deutlich schlechter als bei der Mehrheitsbevölkerung selbst gleicher sozialer Stellung, warum sind frauenfeindliche, antisemitische, islamistische Einstellungen in diesen Kreisen so weit verbreitet?

    In aller Regel sucht dann die Political Correctness irgendeinen Dreh, der „Gesellschaft“ die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das Beispiel mit den Palästinensern, die angeblich deshalb kriminell werden, weil sie nicht arbeiten dürfen (dann müssten ja alle Hartz-IV-Empfänger kriminell werden), ist ziemlich typisch.

  9. „In aller Regel sucht dann die Political Correctness irgendeinen Dreh, der “Gesellschaft” die Schuld in die Schuhe zu schieben.“

    … und genau diese Methode ist uns Älteren noch sehr gut von den linken Oberschülern und Studenten aus den 1960ern her bekannt. Genau das ist linke Ideologie – Volltreffer Manfred!

    Wenn es allerdings nur das Erklärungsmuster wäre, dann hätte ich damit kein Problem, denn ein jeder soll glauben, was immer er will, selbst wenn er nur zu den immergleichen, monokausalen Erklärungsmustern fähig ist. Das ist nicht das Problem, sondern die Art wie die Gültigkeit dieser Wahrheiten hergestellt wird, oder anders ausgedrückt: wie mit konkurrierenden Erklärungsmustern umgegangen wird.

    In den 1960ern packte man die konkurrierenden Erklärungsmuster allesamt in einen Sack und verpasste ihnen das Etikett „Bürgerliche Ideologie“. Übermässig effizient war die Methode allerdings nicht, da dem eigenen angeblichen „proletarischen Klassenbewusstsein“ der Marxismus zugrunde lag und damit ein Glaubenssystem mit immerhin noch erkennbarer Rationalität. Die diversen Marxismen und mit ihnen die kommunistisch-sozialistischen Zielsetzungen lagen entsprechend jeweils sehr klar und geschlossen formuliert vor, waren auch jedem Interessierten zugänglich und damit falsifizierbar. Nach entsprechender Sichtung konnte sie gemessen an den Standarts zeitgenössischer Wissenschaft noch nicht einmal eine solche genannt werden.

    Heute dagegen packt man die konkurrierende Erklärungsmuster allesamt in einen Sack und verpasst ihnen das Etikett „Fremdenfeindlich“oder „Rassistisch“, oder gar „Nazistisch“. Und dabei ist man nicht zimperlich. Selbst Erzliberale wie Hayek oder gar der entschiedene Antirassist Mises werden derart etikettiert. Das heutige angeblichen „proletarische Klassenbewusstsein“liegt auch nicht klar und geschlossen formuliert vor, sondern besteht aus einer diffusen Menge dumpfer Ahnungen und selbstverständlicher Gewissheiten. Direkt ist es regelrecht nicht greifbar, müsste mühevoll aus Fetzen rekonstruiert werden, ein nahezu aussichtloses Unterfangen, und ist derart zusätzlich gegen Falsifikation immunisiert.

    Erfolg und damit die Gültigkeit dieser Menge scheinbarer Gewissheiten stellt sich durch Diffamierung konkurrierender Erklärungsmuster und deren menschliche Träger ein.

    Das Mittel zum Zwecks ergibt sich primär durch die Effizienz der Methode, an das schlechte Gewissen westlicher Gesellschaften erfolgreich appelieren zu können. Gleich ob es sich dabei um Shoa, Sklaverei, Kolonialherrschaft oder die nordamerikanische Landnahme handelt, der Effekt ist stets derselbe.

    Das schlechte Gewissen westlicher Gesellschaften hat eine in letzter Instanz auf die judaeochristliche Wurzel zurückgehende universalistische Ursache und vereinigt sich auch noch mit allerlei politischen und wirtschaftlichen Interessen zu einem Allgemeinbewusstsein, welches jederzeit dem Extremisten einen Anknüpfungspunkt zur falschen Identifikation bietet und umgekehrt dem etablierten Politikbegriff – zwecks Schwächung oder gar Ausschalten des bürgerlichen Gegners – den Rückgriff auf das Arsenal extremistischer Deutungsmuster und Diffamierungsmethoden erlaubt – in diesem Sinn interpretiere ich deine Ausführung, Manfred, über den sozialdemokratischen und grünen Umgang mit Roland Koch, Stichwort: die krude Logik hinter Dill und Knirsch.

    Das sich heutzutage gegenüber freiheitlichen Kräften jederzeit eine Front der Intoleranz von der Sozialdemokratie bis hin zu den Extremisten vereinigen kann, auch das ist neu, denn die damaligen Extremisten waren mit einer durchgängigen Ablehnung, angefangen von der Mehrheitssozialdemokratie bis hin zu den Konservativen, konfrontiert.

    Das Anrennen mit offenem sozialistisch/kommunistischen Visier gegen die „bürgerliche Ideologie“ vergangener Tage verpuppte entsprechend nahezu wirkungslos. Nicht allein in der Wissenschaft erlitten die linken Revoluzzer Schiffbruch, die allermeisten studentenbewegten Akademiker kamen übrigens recht schnell und aus eigenen Kräften zur Besinnung, sondern Massenmord, Freiheitsberaubung und die real existierende Praxis in Gestalt der Mauer vor Augen jedes Bürgers liessen das sozialistisch/kommunistische Ziel in seiner wesenhaften Abscheulichkeit klar und deutlich erkennen.

    Die durch die Intoleranz entstandene Schadensbilanz ist jetzt bereits immens hoch. Ganze Wissenschaften sind nicht mehr in der Lage Erkenntnisse wertfrei zu produzieren und die Politik kann schon lange nicht mehr frei und offen über andere Ursachen, als das abgestandene linke Klischee von der „Gesellschaft“ als monokausale Ursache mässiger schulischer Erfolge und erstaunlich hoher frauenfeindlicher und antisemitischer Grundeinstellung islamischer Zuwanderer, reden. Wer nicht gewillt ist ein Problem ursächlich zu begreifen, der wird es auch nicht beheben können.

  10. Indem die Linke den Marxismus stillschweigend beerdigt hat, hat sie im Grunde den Anspruch aufgegeben, über eine überlegene Deutung der gesellschaftlichen Entwicklung zu verfügen. Eine Schwäche ist das, sofern der Linken damit ein gesellschaftliches Programm abhanden gekommen ist, also etwas, was konkret zu verwirklichen wäre.

    Diese Schwäche verwandelt sich aber in eine Stärke, wo es um die pure Destruktion geht, also um die Auflösung etablierter Strukturen; die sind der eigentliche Feind. (Eine wissenschaftliche Theorie wäre da eher hinderlich, auch eine marxistische.) Ein „Proletariat“, in dessen Namen man zu handeln glaubt oder vorgibt, braucht man dazu nicht, es genügen Ersatzproletariate, die gut genug sind, ihren Beitrag zur Zerstörung der Gesellschaft zu leisten. Dass es Linke gibt, die heute den „Widerstand“ im Irak feiern und den Kampf gegen den Terrorismus nach Kräften behindern, hat seine innere Logik. Auf den ersten Blick ist es ja ein Widerspruch, dass Linke sich mit rechtsradikalen Islamisten zusammentun; wenn man davon ausgeht, dass es um die Zerstörung der Gesellschaft geht, ist es keiner.

Kommentare sind geschlossen.