Viel Lärm um nichts?

So, nun haben wir es also quasi amtlich von den amerikanischen Geheimdiensten, denselben, die noch 2005 sicher waren, der Iran arbeite an Atomwaffen: Heute sind sie ebenso sicher, dass er das nicht tut – und zwar schon seit 2003.

Ich glaube nicht, dass es unfair ist, die Entwarnungen von Geheimdiensten anzuzweifeln, die heute dies behaupten und morgen das Gegenteil. Die den 11. September nicht vorhergesehen, geschweige denn verhindert haben. Die 1979 von der iranischen Revolution überrascht wurden. Ganz abgesehen von all den Böcken, die sie im Laufe ihrer Geschichte sonst noch geschossen haben.

Als einfacher Bürger steht man ja oft genug vor der Frage, was man glauben soll und was nicht, zumal dann, wenn es um Geheimdienstberichte geht, in deren Natur es liegt, dass sie nicht überprüfbar sind – aber nicht nur dann. Auch sonst werden zu viele Fehlinformationen gestreut, deren Herkunft zweifelhaft ist, und die man pragmatisch akzeptieren muss, wenn man nicht sein Leben mit der Nachprüfung von Details verbringen will.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man ziemlich weit kommt, wenn man nicht die einzelne Information inhaltlich überprüft (was oft genug unmöglich ist), sondern danach fragt, ob sie zusammen mit den bereits bekannten Tatsachen ein stimmiges, widerspruchsfreies Gesamtbild ergeben. Die Frage lautet: Passt das? 

Damit bekommt man zwar keine harten Beweise für oder gegen eine These (aber die bekommt man sowieso nicht), doch immerhin kann man auf diesem Wege ihre Plausibilität einschätzen und so das Irrtumsrisiko verringern.

Bekannt und vom Iran nicht etwa bestritten, sondern zur Schau gestellt ist zum Beispiel, dass er ein ehrgeiziges Programm zur Entwicklung von Raketen mit mehreren tausend Kilometern Reichweite verfolgt. Von Trägerwaffen also, deren einzig sinnvolle Nutzlast Atomsprengköpfe sind. Warum tut er das, wenn er doch keine Sprengköpfe bauen will?

Das Atomwaffenprogramm soll 2003 eingestellt worden sein. Zweitausenddrei!!! Zu genau dem Zeitpunkt also, wo die Regierung Bush den Beweis antrat, dass selbst die Nichtexistenz von Massenvernichtungswaffen (und die Kooperation mit UNO-Inspekteuren) ein Land nicht vor der Invasion bewahrt, wenn es zur „Achse des Bösen“ gehört – während ein noch so kleines Atomwaffenarsenal (Nordkorea) zur Abschreckung ausreicht.

Begründet wird dies damit, dass der Iran eben doch für internationalen Druck empfänglich sei und sich Sorgen um sein Ansehen im Ausland mache. Der Iran??? Bei seiner regelmäßig praktizierten Politik, westliche Ausländer als Staatsgeiseln zu nehmen, scheint die Sorge um das internationale Ansehen nicht so schmerzhaft gebrannt zu haben. Vor allem aber: Ein solches Nachgeben wäre doch nur dann sinnvoll gewesen, wenn die Welt davon erfahren hätte. Stattdessen taten die Perser alles, um die Welt in dem Glauben zu lassen, sie arbeiteten tatsächlich an Atomwaffen. Wozu sonst das Versteckspiel mit der IAEA? Wenn die Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste richtig wäre, müsste man dem Iran unterstellen, einerseits auf die effektivste Abschreckungswaffe zu verzichten, andererseits durch Geheimhaltung dieses Verzichts eine Invasion provozieren zu wollen. Die Strategie eines Selbstmörders.

Und warum betreibt der Iran seit dem Amtsantritt Ahmadinedjads eine Politik der psychologischen Kriegsvorbereitung durch brutale Hetze gegen Israel, verbunden mit der Propaganda, die Wiederkehr des Verborgenen Imam (die schiitische Variante der Apokalypse) stehe unmittelbar bevor? Warum, wenn der Krieg doch angeblich gar nicht stattfinden kann?

Vielleicht blufft der Iran, um den Preis in die Höhe zu treiben, den der Westen für einen Verzicht auf die Urananreicherung zu zahlen hätte? Das wäre eine gerissene Strategie – die der Iran aber offensichtlich nicht verfolgt! Bisher haben ihn die Europäer mit Engelszungen und großzügigen Angeboten nicht dazu verleiten können, seinerseits einen Preis zu nennen – es blieb beim catonischen Beharren auf der Anreicherung. Warum? (Ich begreife schon, dass es für Entwicklungländer eine Frage des Stolzes ist, technologische Kompetenz zu demonstrieren, hier also durch die Anreicherung. Aber dafür braucht man keine 3000 Zentrifugen!) Zumal der Iran doch damit rechnen musste, dass der Bluff, wenn er denn einer ist, als solcher auffliegt. Der Druck auf Teheran mag durch die „Enthüllungen“ der amerikanischen Dienste jetzt abnehmen, der Preis, den er verlangen kann, aber auch.

Die Dienste berufen sich unter anderem auf abgehörte Telefonate iranischer Offiziere; einer von ihnen habe sich über die Einstellung des Atomwaffenprogramms geärgert. Sollen wir wirklich glauben, dass iranische Militärs so naiv sind, solche Dinge am Telefon zu verhandeln? In Europa weiß jedes Kind, dass die NSA praktisch jedes Telefonat auf diesem Planeten abhören kann. Sollte das in der iranischen Armee unbekannt sein? (Wenn es aber nicht unbekannt ist – könnte es nicht sein, dass solche Telefonate genau zu Zweck geführt werden, den Amerikanern Fehlinformationen zuzuspielen?)

Das Ganze fügt sich zu keinem Bild. Das passt nicht. Das stinkt.

Völlig undurchsichtig ist auch, was in Washington gespielt wird. Sind die Dienste wirklich ihrem Präsidenten in den Rücken gefallen, um nicht wieder als Sündenbock für einen verfehlten Krieg herhalten zu müssen? Sind sie ihm überhaupt in den Rücken gefallen? Bush wusste seit mindestens drei Monaten von diesem Bericht; es hat ihn nicht gehindert, vom möglicherweise bevorstehenden Dritten Weltkrieg zu sprechen. Warum hat er nicht wenigstens seine Sprache gemäßigt? Könnte es sein, dass Bush schon längst vorhat, seine Iranpolitik zu ändern, dies aber nicht zugeben will, deshalb öffentlich den strammen Max gibt, der scheinbar nur unter dem Druck von öffentlich gemachten Geheimdienstberichten seine Politik ändert? Schärfere Sanktionen gegen den Iran kann man sich jetzt jedenfalls aus dem Kopf schlagen – Israel aber ist in diesen dubiosen Annapolis-Prozess verstrickt worden.

Spekulationen sind natürlich immer misslich – ich hasse es, spekulieren zu müssen! Aber die amerikanische Politik ist so undurchsichtig, inkonsequent und doppelbödig, dass sie einen zum Spekulieren zwingt. Irgendeiner in Washington spielt ein doppeltes Spiel – man weiß nur nicht, wer und warum. Vielleicht ist das alles ganz harmlos zu erklären, durch Schlamperei und Unprofessionalität zum Beispiel.

Vielleicht aber, vielleicht, geht es darum, einen Frontwechsel einzuleiten – der Iran hat schließlich Einiges zu bieten, von der Stabilität im Irak und Afghanistan bis zur sicheren und preisgünstigen Ölversorgung. Umgekehrt hat auch der Westen dem Iran Einiges zu bieten: Technologie, Integration in die Weltwirtschaft, Anerkennung einer regionalen Großmachtstellung. „Natürliche“ Verbündete eigentlich. Nur Einer stört.

Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber in meinem Kopf kreist die Broder-Frage:

Ab welchem Ölpreis steht das Existenzrecht Israels zur Disposition?

11 Gedanken zu „Viel Lärm um nichts?“

  1. „Das Ganze fügt sich zu keinem Bild. Das passt nicht. Das stinkt.“

    Geht mir auch so. Beweisen kann man nichts, aber zumindest in die Geschichte zurückblicken.

    Viele der verheerendsten Angriffe und Terrorattacken kamen aus dem „Nichts“, von einem bisher nicht beachteten oder nicht ernstgenommenen Gegner. Das beste Beispiel ist der 11. September 2001. Das hatte bis dahin niemand für möglich gehalten.

    Ausgerechnet Iran soll jetzt ins Lager der Friedensfreunde gewechselt sein?

    Man kann davon ausgehen, dass der Iran ab jetzt von vielen für harmlos und ungefährlich gehalten wird. Man wird sehen, ob das stimmt.

    Vielleicht erliege ich da ja einem Fehlschluss, aber möglicherweise könnte der Iran aus dieser Situation des unterschätzten „Mr. X“ heraus verleitet werden, einen terroristischen Überrasschungscoup zu landen.

    Soviel sophisterei für heute.

  2. „Man kann davon ausgehen, dass der Iran ab jetzt von vielen für harmlos und ungefährlich gehalten wird. “ – Genau, und man fragt sich, was den amerikanischen Geheimdienstchefs (oder auch Bush) in die Speichen geraten ist. Mit diesem Bericht ist nicht nur ein Militärschlag der USA unmöglich geworden – auch an eine Verschärfung der Sanktionen ist nicht mehr zu denken. In der UNO nicht, weil Russland und China jetzt ganz entspannt darauf hinweisen können, die USA selbst hätten ja gesagt, dass keine Gefahr bestehe. Und für einzelne Staaten oder auch die EU nicht, weil selbst Regierungen, die einseitige Sanktionen verhängen WOLLTEN (wovon bisher kaum die Rede sein kann), solche nicht mehr durchsetzen können.

    Und wenn Israel von sich aus einen Militärschlag führen wollte, riskierte es die völlige Isolation.

  3. Das Existenzrecht Israels steht fortwährend zur Diskussion, ganz unabhängig vom Ölpreis. Eine Mehrheit der Staaten sieht generell in der Existenz des jüdischen Staates die Ursache für die Nichterreichbarkeit des „Weltfriedens“.

    Irgendwann wird die Protektion Israels durch seine Exil-Juden, die bisher noch funktioniert, zusammenbrechen. (Die russischen Juden sind bereits radikal und konsequent entmachtet, bei den amerikanischen steht das noch aus). Spätestens dann kann konzertiert gegen den einzigen Störenfried der Weltgemeinschaft vorgegangen werden. Latent scheint dieses Szenario doch schon heute durch die politischen Einlassungen der meisten Mächtigen.

    Was den Iran betrifft: die Amis haben schlicht und einfach eingesehen, was ihnen realpolitisch für Spielraum bleibt: eine kriegerische Option gibt es im Iran nicht. Dafür existieren keinerlei Reserven. Aus der Luft ist überhaupt nichts zu erreichen, und jede aggressive Handlung würde die Islam-Terroristen wohl heftig ausflippen lassen. Die entstehende Insatbilität würde im Stile des Dominoeffekts regelrechte Dammbrüche im Lager der islamischen Staaten verursachen. Wenn Pakistan, Indonesien, Malaysia, Ägypten, Saudi-Arabien usw. umkippen und sich zu aktiven Feinden der Amis entwickeln, ist der weltpolitische Super-Gau so gut wie perfekt. In allen dieen Ländern käme ein Führer von Kaliber Achmadinedschads bestens bei den Massen an. Und danach stellt sich sofort die Frage, auf welche Seite sich Rußland schlagen wird. Ließe sich wohl zweifelsfrei voraussagen…

  4. Ich habe mich bisher durch den Gedanken getröstet, dass die Pressemitteilungen über die Geheimdienstberichte, wie üblich, deren Aussagen entstellten.
    Aber der Hauptpunkt scheint mir zu sein, dass der Islamismus alles andere als einen Blitzkrieg führt. Nicht nur, dass die Nazis nicht fünfmal am Tage beten mussten, – für Moslems ist der Endsieg sicher, „wenn Gott will“.
    Islamistische Führer hängen sich kein Bild des Antisemiten Henry Ford als Ikone an die Wand.
    Auch ist der Endsieg nicht so eilig, solange der Führer noch so viele sind, – der wahre Madhi ganz umstritten ist.
    Auch ist die grosse Niederlage der Araber von 1947 nicht vergessen, als fünf reguläre islamische Armee plus Befreiungsfront die israelischen Siedler nicht ins Meer treiben konnten.
    Seitdem schon beherrschen „Die Weisen von Zion“ die Welt.
    Die Geheimdienste können sich keine Fakes oder wilde Spekulationen über konkrete Waffensysteme mehr erlauben und berichten deshalb objektiv: die iranischen Antisemiten lassen sich Zeit…
    Auch den Gotteskriegern ist „Vietnam“ ein Begriff. Und da man als ein solcher Krieger Zeit hat, ist diesem deutlich, wie mächtig gerade jetzt Antisemitismus, Antizionismus und Friedensbewegung im Westen anwachsen. Und dazu noch unübersehbar viele andere wirkliche oder phantasierte Selbstzerstörungstendenzen…
    Und wenn dann noch der Westen, inklusive Israel, gezwungen ist, angesichts von Islamisten mit Atombomben, Bündnisse einzugehen mit erzreaktionären Herrscherklicken, die nicht nur in ihrem Reichtum zynisch sind, sondern die deshalb auch kein echtes Interesse an einer „Lösung“ des Israel-Palästina-Problems haben können, dann spricht alles für den Islamisten dafür, vorläufig auf Zeit zu setzen.
    Wenn wir z.B. auf Pakistan angewiesen sind im Kampf gegen den Antisemitischen Terror, den die pakistanische Regierung um so williger führt, als die Steinzeitalternative droht (im Gegensatz zu Dollar-Milliarden), dann scheint die Strategie des auf-Zeit-Setzens nicht unbedingt irrational.
    Wenn im Falle eines unabwendbaren Krieges die beste Strategie ein möglichst schneller und massiver militärischer Schlag ist, auch um die Zahl der Opfer letztendlich so niedrig wie möglich zu halten, dann ist die Verzögerung die Gegenstrategie für den „Sieg im Volkskrieg“.
    Z.z. sind unsere islamistischen Mitbürger fasziniert von Frauenherrschaft, schwuler Normalität Pornographie etc.. Der Alkohol überhaupt kommt für diese mittelalterlichen Zeitgenossen noch dazu….
    Das heisst aber nicht, dass die neuen Nazis sich auf ein zeitloses Abwarten im Sinne der fundamentalistischen Christen einrichteten. Sie betrachten nicht den Lauf der Welt als die Apokalypse, die der Welt ist, wie das Geld dem Kaiser. Sie bereiten den Krieg vor und sie müssen ihn gemäss ihrer Religion auch führen. Unter einer Bedingung: Wenn sie ihn gewinnen können. Und das kann jederzeit sein.
    Bis dahin sind sie verpflichtet sich zu verstellen, was diese Pläne anbelangt.
    Kein Trost, vielleicht nur insofern, dass wir hoffentlich doch nicht gerade erleben, wie die US-Regierung Israel fallen lässt.

  5. Nachdem der NIE-Bericht einige Wochen alt und vielfach diskutiert worden ist, ist es an der Zeit, nochmal nachzudenken: Nein, ich glaube nicht wirklich, dass die USA Israel fallen lassen, obwohl es einen Moment lang so aussah. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass der NIE-Bericht auf Intrigen der Geheimdienste gegen Bush, verbunden mit dessen chaotischem Management beruht, und nicht etwa eine fundamentale Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik anzeigt. Trotzdem sollte man die Möglichkeit im Hinterkopf haben: Ein amerikanisch-iranisches Bündnis könnte tatsächlich für beide Seiten attraktiv sein (Chamenei hat gerade heute wieder gesagt, dass die Feindschaft nicht von Dauer sein müsse, und dass unter einem anderen US-Präsidenten eine Annäherung sehr wohl denkbar wäre). Ich möchte aber ohne konkrete Anhaltspunkte doch nicht glauben, dass die USA, auch unter einem neuen Präsidenten, zynisch und vor allem dumm genug sein könnten, dem Iran zuliebe Israel fallen zu lassen.

    Im übrigen bin ich auch nicht der Meinung, dass Israel die – schwankende, aber im Großen und Ganzen vorhandene – Solidarität des Westens ausschließlich oder auch nur überwiegend der „Protektion durch die Exiljuden“ verdanke, Flash.

  6. hmm, ja, nach einigen Wochen ist dieses Thema, wie so viele andere vorher, in der Versenkung verschwunden.

    Ich frag mich sowieso schon seit Langem, warum der Islam überhaupt auf Terrorismus setzt. Eigentlich müssen die sich doch nur der bisherigen hohen Geburtenrate fortpflanzen, dann können sie ohne Kampf den Laden übernehmen, müssen nur noch ein paar Rollstühle beiseite schieben.

    Im Ernst, dieses ganze mediale Gegackere um irgendwelche Enthüllungen und Geheimdienstberichte oder nicht-vorhandene-Massenvernichtsungswaffen ist eh nur eine Krankheit von uns Westlern. In Teheran und Gaza lacht man sich wahrscheinlich darüber kaputt …

  7. Zynisch könnte man sagen: Zum Glück gibts Terroristen und atombegeisterte islamische Diktatoren, sonst käme keiner auf die Idee, dass mit dem Islam irgendetwas verkehrt sein könnte, und eines tages müssten tatsächlich nur noch ein paar rollstühle beiseitegeschoben werden.

  8. Zum Unglück gibts natürlich auch noch einen riesigen Presserummel, der nach jedem Anschlag uns wieder das Mantra:“Islam ist Frieden, es waren nur Einzeltäter“ in den Kopf hämmert.

Kommentare sind geschlossen.