Grüne Prinzipientreue

Zu den Lieblingsvorwürfen politikverdrossener Bürger an die Adresse ihrer politischen Klasse gehört die Behauptung, die Parteien, speziell die Volksparteien, seien kaum noch voneinander zu unterscheiden, die CDU sei nicht mehr christlich-konservativ, sondern auf dem Weg zur „Sozialdemokratiserung“, während die SPD nicht mehr sozialistisch sei, sondern neoliberal, und überhaupt hätten sie alle ihre Prinzipien vergessen und verraten.

Ja, das ist so. Na und? Soll das etwa ein Vorwurf sein?

Wie würde denn eine „prinzipientreue“ Politik aussehen? Die CDU würde den Paragraphen 218 drakonisch verschärfen, die Evolutionstheorie aus den Lehrplänen streichen und die Genforschung verbieten. Die SPD würde nicht mehr darüber nachdenken, wie man die (pfui!) kapitalistische Wirtschaft in Schwung bringt und Reichtum erwirtschaftet, sondern wie man die Armut gerecht verteilt, möglichst auf der Basis verstaatlichter Banken und Schlüsselindustrien.

Will das jemand? Also ich nicht.

Ja, ich übertreibe; natürlich könnte man Prinzipien auch gemäßigter verwirklichen. Die Frage ist aber doch: Warum sollten die Politiker überhaupt irgendwelchen „Prinzipien treu bleiben“? Wer ideologische Prinzipien hochhält, diese aber nur pragmatisch und maßvoll verwirklicht, muss doch den ganzen Tag in Sack und Asche gehen und sich vor dem Tribunal prinzipientreuer (man könnte auch sagen: bornierter) Ideologen dafür rechtfertigen, dass er den gesunden Menschenverstand benutzt statt sich an die Ewigen Wahrheiten zu halten. Siehe die Kriecherei der SPD gegenüber dem Sozialpopulismus der Linkspartei: Die SPD hat mit ihrer Agendapolitik großen Anteil daran, dass die Arbeitslosenzahlen kontinuierlich zurückgehen, und für diese erfolgreiche Politik entschuldigt sie sich jetzt, weil sie nicht „sozialistisch“ genug war!

Nein, ich will nicht, dass Politiker prinzipientreu sind. Ich will Politiker, die mir vernünftige Problemlösungen anbieten, über die ich mit dem Stimmzettel entscheiden kann. „Vernünftig“ heißt: Auf dem Boden der Wirklichkeit, nicht der Ideologie. Und ich will Politiker, die an ihren Sesseln kleben.

Wie bitte? Ist das nicht ganz furchtbar, wie diese machtgeilen Politiker an ihren Sesseln kleben? (Wieder so ein Lieblingsthema der Politikverdrossenheit). Nein, das ist gar nicht furchtbar, denn ein Politiker, der die Macht nicht liebt und nicht an seinem Sessel klebt, hat doch gar keinen Anreiz, eine Politik zu machen, die mich veranlassen könnte, ihn wiederzuwählen. Der Prototyp eines „prinzipientreuen“ Politikers, der „nicht an seinem Sessel klebt“, ist Oskar Lafontaine, der alle Ämter hinfeuerte, um seinen Prinzipien treu zu bleiben. Wollen wir so einen?

Wie eine prinzipientreue Politik aussieht, haben uns die Grünen auf ihrem jüngsten Parteitag eindrucksvoll vorgeführt, als sie den Pazifismus und die Basisdemokratie hochgehalten haben. Den Pazifismus, indem sie den Einsatz von Tornado-Aufklärern in Afghanistan abgelehnt haben, weil dadurch ja auch (pfui!) der Kampf der OEF-Truppen unterstützt werden könnte; die Basisdemokratie, indem sie diesen Beschluss der Bundestagsfraktion praktisch aufgezwungen haben.

„Basisdemokratie“ – eines dieser magischen linken Schlüsselwörter, die für alles Wahre, Schöne und Gute stehen. Gegen die „Basis“ zu sein, ist doch von vornherein indiskutabel. Oder?

Die Grünen sind mit dem Spitzenkandidaten Joschka Fischer und aufgrund des Verprechens gewählt worden, dessen Außenpolitik fortzuführen. Von zweieinhalb Millionen Menschen (auch von mir, aber das war wirklich das letzte Mal!). Und nun beschließen die Repräsentanten von rund fünfzigtausend Parteimitgliedern, den Repräsentanten von zweieinhalb Millionen Wählern ihr Abstimmungsverhalten vorzuschreiben. Das ist „Basisdemokratie“: Die Diktatur einer Minderheit von Aktivisten. Und vor wem macht die Spitze der Grünen Partei nun ihren Kotau? Vor dem Volk? Vor den Wählern? Nein, natürlich vor der „Basis“. Wegen der Prinzipien.

„Pazifismus“ – auch so ein schönes Prinzip, an dem man zeigen kann, wohin „Prinzipientreue“ führt: Man ist also dafür, den Afghanen beim Aufbau ihres Landes zu helfen, aber doch bitte nicht mit Gewalt gegen die armen Taliban! Lieber den brutalsten Steinzeit-Islam in Kauf nehmen als (pfui!) Gewalt anwenden! Man muss doch seinen „Prinzipien treu bleiben“!

Das ist Pazifismus: Eine Ideologie von netten Menschenfreunden, die dafür sorgt, dass das Recht des Stärkeren, des Brutaleren, des rücksichtslosesten Verbrechers sich durchsetzt. Sozialdarwinismus für Masochisten.

 [Zum Pazifismus der Grünen und ihrem Parteitag auch ein ausführlicher Beitrag von Clemens Wergin: http://flatworld.tagesspiegel.de/?p=441 ]

Und für die Freunde süffiger Polemik: http://www.vanityfair.de/blog/politik/3385.html

7 Gedanken zu „Grüne Prinzipientreue“

  1. Hallo Manfred,

    Prinzipienreiter nennt man die Menschen, die trotz besseren Wissens an Meinungen, Forschungsergebnissen und Ideologien kleben. Es ist menschlich, Fehler zu machen. Sollte sich herausstellen, etwa durch neue Erkenntnisse oder präzisere Untersuchungsmethoden, einen Sachverhalt falsch bewertet zu haben, ist es einfach dumm auf dieser Irrlehre zu bestehen und sie weiter zu verbreiten. Wir würden dann beispielsweise heute noch an den physiologischen Schwachsinn des Weibes glauben. Schon Konrad Adenauer meinte einmal: „Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern.“ Man kann über diesen bekannten deutschen Politiker sagen, was man will, Grips hatte der.

    Um uns zu orientieren und zu recht zu finden, bilden wir uns Urteile über Menschen und Umwelt. Doch können wir uns irren. In Abwandlung des Spruchs der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann, erinnere ich meine SchülerInnen daran, dass wir einen kritischen Verstand haben, damit das Denken seine Richtung ändern kann. Ein für mich sehr wichtiger Lehrer war als Kind begeisteter Hitlerjunge, bis die damals ca. 10-jährigen dazu aufgefordert wurden, ihr soziales Umfeld zu bespitzeln und Regierungskritiker zu denunzieren.

    Dieses Beispiel zeigt, auch Idole müssen überprüfbar bleiben. Es beweist aber auch, dass jede / jeder, die/der ihren / seinen klaren Verstand gebraucht, sich aus totalitären Zwängen befreien könnte, wenn sie / er Rückgrat und Zivilcourage hat. Diese beiden Eigenschaften hängen zugegebenermaßen jedoch von Erziehung und Sozialisation ab.

    Koran und Scharia sind nach geltender Auffassung der wichtigsten sunnitischen und schiitischen Rechtsschulen sowie politischen Strömungen als nicht veränderbar, weil der Inhalt von Allah selbst durch den Engel Gabriel an Mohamed übermittelt wurde. Somit ist der Islam prinzipientreu aber nicht reformierbar und daher eine Bedrohung für Demokratien und für seine sich emanzipierende Angehörigen.

    Pazifismus aus Prinzip wäre unter Umständen Selbstmord. Ich denke, es war Henryk M. Broder, der es auf den Punkt brachte,’Wenn die militanten Palästinenser ihre Waffen niederlegen, gibt es Frieden, wenn Israel die Waffen niederlegt, gibt es kein Israel mehr‘.

  2. Richtig. In neun von zehn Fällen ist eine Politik des Ausgleichs, des Kompromisses und des Entgegenkommens die richtige Politik. Die zu Recht vielgeschmähte Appeasement-Politik gegenüber Hitler war ja nicht an sich blöde, sie beruhte auf der jahrhundertelangen Erfahrung eines Weltreiches. Das Blöde war nur, dass gerade die Behandlung Nazideutschlands der eine von den genannten zehn Fällen war, wo rechtszeitiges Dreinschlagen den Frieden bewahrt hätte, Pazifismus aber den Krieg heraufbeschwor. Und das gilt prinzipiell im Umgang mit Rechtsradikalen, in der Innen- wie Außenpolitik. Und wenn ich „rechtsradikal“ sage, meine ich auch die Islamisten.

    Eine Frage, wenn ich mal so indiskret sein darf: Bist Du wirklich türkischer Herkunft, oder hast Du Dir nur ein türkisches Internet-Pseudonym zugelegt? Deine fundierte Islamkritik ist für Türken, und überhaupt für Muslime, ja nicht gerade typisch.

  3. …Und doch erwachen immer mehr aus ihrer Schreckstarre und reißen die Knebel vom Mund. Frauen und Männer. Sie riskieren viel für ein bisschen Freiheit und persönliche Lebensqualität. Einige wenige haben sogar die Kraft, anderen bei ihrem Versuch aus dem Familiengefängnis zu entfliehen, zu helfen.

    Übrigens, empfehlenswerte Bücher:

    Necla Kelek; Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes.

    Ahmet Toprak; Das schwache Geschlecht – die türkischen Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral der Ehre

    Frauen und die Scharia. Die Menschenrechte im Islam. Christine Schirrmacher, Ursula Spuler-Stegemann, und Ursula Spuler- Stegemann von Goldmann

    Lesenswert bei , Monat Oktober: Dr. Halis Cicek in einem Interview über Zwangsverheiratung, arrangierte Ehen. Sein Buch Traditionelle Vergewaltigungen habe ich bislang nirgends finden können. Es ist sicher interessant.

  4. Lieber Manfred,

    Ja, ich stimme dir zu, es gibt zu wenige türkische bzw. muslimische IslamkritikerInnen, nur wundert mich das nicht, wenn man mit den wenigen so umgeht.

    Efiizienzwahn aus Prinzip

    Ayaan Hirsi Ali kehrt in Niederlande zurück. Dem niederländischen Staat ist der Personenschutz für diese zivilcouragierte Islamkritikerin in Amerika zu teuer! Dabei kann man sicher sein, dass in den Niederlanden, wo die ehemalige niederländische Politikerin sehr bekannt ist, es noch viel teurer wird.

    Es ist unglaublich. Die Sicherheit dieser blitzgescheiten Frau, die uneigennützig trotz des Mordes an Theo van Gogh und der Todesdrohungen gegen sie selbst weiterhin nicht zu letzt unsere Freiheit, unser Anrecht auf eine eigene Biographie, unsere Demokratie verteidigt, soll dem Rotstift der Rechnungsprüfer des Staatshaushaltes zum Opfer fallen? Das wäre so, als würde der Verstand aus Sparsamkeitsgründen ausgeschaltet. Das ist unbezahlbar teurer, selbstschädigender Geiz.

    In Anlehnung an eine frühere Fernsehsendung:

    Wer immer in der niederländischen Regierung für diesen Schwachsinn verantwortlich ist, bekommt von mir den Pannemann des Monats.

    P.S. Natürlich wird die Trophäe von mir gestiftet.

    Näheres: http://schariagegner.wordpress.com

  5. #den vorigen Kommentar

    …aber, liebe Ümmühan, was ist denn, wenn der Adressat feminin ist? Dann stiftet “uns` Ümmü“ eine Pannefrau, hihi! Und zwar eine mit Kopftuch, weil der Blick auf die Welt der verantwortlichen politischen Panneperson so sehr eingeschränkt ist wie der verhinderte Rundumblick eines scheuklappentragenden Maulesels.

    Grüßchen
    Jacques

  6. das buch: traditionelle vergewaltigung von halis cicek gibt es bislang nur in türkischer sprache unter dem titel: resmen irza gecme, erschienen im berlge verlag, istanbul

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